Washingtons neuer nationaler Geheimdienstdirektor Dennis Blair warnte am Donnerstag im Geheimdienstausschuss des Senats, dass die kapitalistische Weltkrise die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstelle. Wenn sie weiter anwachse, könne dies wie in den 1920er und 1930er Jahren erneut zu "gewalttätigem Extremismus" führen.
Diese Einschätzung in der öffentlich zugänglichen Version der "jährlichen Bedrohungsanalyse", die Blair im Namen der sechzehn amerikanischen Geheimdienste abgab, ist eine auffällige Abkehr von früheren Jahren. Bisher standen der Terrorismus von al-Qaida und die zwei Kriege der Bush-Regierung ganz oben auf der Liste der Bedrohungen.
Offensichtlich liegen seinen Bemerkungen Befürchtungen der zahlreichen US-Geheimdienste zugrunde, die auch von den bewussteren Schichten der herrschenden amerikanischen Elite geteilt werden. Sie befürchten, eine lang anhaltende Wirtschaftskrise, die mit wachsender Arbeitslosigkeit und verringerten Sozialleistungen einhergeht, werde weltweite Klassenkämpfe und die Gefahr der sozialen Revolution hervorbringen.
Dies war nicht nur die erste Bericht Blairs, eines ehemaligen Navy-Admirals, der das Amt des Nationalen Geheimdienstdirektors erst vor zwei Wochen übernommen hat, es war auch die erste detaillierte Ausarbeitung der Perspektiven des amerikanischen Sicherheitsapparats seit der Amtseinführung von Präsident Barack Obama.
"Das größte kurzfristige Sicherheitsproblem der Vereinigten Staaten sind die globale Wirtschaftskrise und ihre geopolitischen Implikationen", erklärte Blair in seinem Eröffnungsstatement. Er fuhr fort: "Die Krise dauert jetzt schon über ein Jahr, und Ökonomen sind sich nicht einig, ob und wann wir den Tiefpunkt erreichen. Einige fürchten, die Rezession könnte sich weiter vertiefen und die Ausmaße der Großen Depression erreichen. Wir erinnern uns natürlich alle an die dramatischen politischen Folgen des wirtschaftlichen Chaos’ in den 1920er und 1930er Jahren in Europa, die Instabilität und den verbreiteten gewaltsamen Extremismus."
Blair beschrieb den aktuellen Finanz- und Wirtschaftszusammenbruch als "den schwerwiegendsten seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten".
"Das ist wohl unsere größte Bedrohung", sagte er. "Je länger es bis zum Beginn der Erholung dauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die amerikanischen strategischen Interessen Schaden nehmen."
Der Geheimdienstchef betonte: "Ungefähr ein Viertel der Länder der Welt haben in Folge des aktuellen Wirtschaftsrückgangs schon eine gewisse Instabilität erlebt, wie z.B. einen Regierungswechsel." Die "meisten regierungsfeindlichen Demonstrationen" habe es in Europa und der ehemaligen Sowjetunion gegeben.
Blair betonte, es sei zu befürchten, dass die Krise weltweit revolutionäre Entwicklungen zur Folge haben könnte. Der Finanzzusammenbruch, sagte er, werde "im nächsten Jahr wahrscheinlich eine Welle von Wirtschaftskrisen in aufstrebenden Ländern verursachen". Er fügte hinzu: "Viele Länder Lateinamerikas, der ehemaligen Sowjetrepubliken und der afrikanischen Sub-Sahara haben nicht genügend Bargeldreserven, bekommen nicht ausreichend internationale Hilfe und verfügen auch nicht über andere Mechanismen, um mit dieser Lage fertig zu werden."
Blair stellte fest, dass das Wirtschaftswachstum in diesen Regionen des Globus in den letzten Monaten dramatisch zurückgegangen sei, und sagte: "Wenn diese Wachstumsraten zurückgehen, dann sagt mir mein Gefühl, dass das zu Problemen führen wird, und wir sind auf der Hut." Er zitierte "statistische Modellrechnungen", die zeigen, dass "Wirtschaftskrisen Regime-bedrohende Instabilität erzeugen, wenn sie länger als ein oder zwei Jahre andauern".
Der Nationale Sicherheits-Direktor wies auf eine weitere Parallele zu den 1930er Jahren hin: Die Krise werde sich auf den Welthandel und die Beziehungen zwischen den nationalen kapitalistischen Volkswirtschaften auswirken. "Der globale Charakter des Rückgangs bedeutet, dass Länder nicht in der Lage sein werden, sich durch eine Steigerung des Export aus der Schlinge zu ziehen", sagte er. "Eine Politik der Förderung einheimischer Exportindustrien - d.h. eine Politik auf Kosten der Nachbarn, wie konkurrierende Abwertungen, Einfuhrzölle und/oder Exportsubventionen - läuft Gefahr, eine Welle von zerstörerischem Protektionismus heraufzubeschwören."
Genau eine solche Politik bereitete in den 1930er Jahren den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor.
Blair sprach auch den Schaden an, den die Krise der weltweiten Glaubwürdigkeit des amerikanischen Kapitalismus zugefügt hat. Er meinte: "Es gibt häufig die Auffassung, dass Exzesse auf den US-Finanzmärkten und unzureichende Regulierung die Ursache für die Krise seien. Das hat die Kritik an der freien Marktwirtschaft verstärkt. Dadurch kann es schwieriger werden, langfristig amerikanische Ziele zu erreichen." "Der Zusammenbruch der Wall Street", fügte er hinzu, "wirft zunehmend Fragen nach der führenden Rolle der USA in der globalen Wirtschaft und der internationalen Finanzarchitektur auf".
Die Bedrohungsanalyse beinhaltet auch eine Einschätzung potentieller terroristischer Bedrohungen in einem "Bogen der Instabilität", der vom Nahen Osten bis nach Südasien reicht, sowie der Lage in Lateinamerika und Afrika. Sie erwähnt auch die strategischen Herausforderungen seitens Chinas und Russlands, die sich besonders in Eurasien konzentrieren, und sie geht auf den Krieg in Afghanistan ein, den die Obama-Regierung ausweiten will. Dieser Teil gibt eine vernichtende Einschätzung der Regierung Karzai in Kabul und stellt die bekannte Forderung auf, den Krieg nach Pakistan auszuweiten. Aber der Focus liegt unzweifelhaft auf den Folgen wirtschaftlicher Unsicherheit für das Aufkommen revolutionärer Herausforderungen im Weltmaßstab.
Blairs Betonung der globalen Wirtschaftskrise als der überragenden Sicherheitsfrage für den amerikanischen Imperialismus schien für einige Mitglieder des Geheimdienstausschusses des Senats sehr unerwartet zu kommen. Sie hatten sich in den vergangenen sieben Jahren daran gewöhnt, dass alle Fragen der nationalen Sicherheit der USA unter dem Generalthema "globaler Krieg gegen den Terror" abgehandelt wurden. Das war die allgemeine Propaganda, mit der amerikanische Aggressionen in aller Welt gerechtfertigt werden konnten, aber gleichzeitig wurden dadurch die enormen Widersprüche übertüncht, die der globalen Position Washingtons zugrunde liegen.
Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, der Republikaner-Senator Christopher Bond aus Missouri, äußerte die Sorge, Blair mache die "Lage im Land" und die globale Wirtschaftskrise "zum zentralen Focus der Geheimdienste".
Blair antwortete darauf, er versuche, "heute als Ihr Geheimdienstagent zu handeln und Ihnen nahezubringen, womit sich der Senat nach meiner Meinung beschäftigen sollte". Es hörte sich wie eine Zurechtweisung und wie eine Aufforderung an den Senat an, endlich den ideologischen Ballast der letzten Jahre abzuwerfen und sich mit der realen und wachsenden Bedrohung für die kapitalistische Ordnung zu konfrontieren, die aus der Krise und der daraus folgenden Radikalisierung der Massen in einem Land nach dem anderen folgt.
Vielleicht haben es nicht alle Ausschussmitglieder im Senat mitbekommen, aber als Blair davor warnte, dass die Bedingungen von "gewalttätigem Extremismus" der 1920er und 1930er Jahre wieder aufleben könnten, sprach er in Wirklichkeit darüber, dass der amerikanische und der Weltkapitalismus erneut vom Gespenst einer revolutionären Arbeiterklasse bedroht sind.
Es steht außer Zweifel, dass sich der amerikanische Nationale Sicherheitsapparat hinter der Fassade der Obama-Regierung auf genau das vorbereitet.
Neben Blair hat Obama zwei weitere kürzlich in den Ruhestand getretene Vier-Sterne-Generale in sein Kabinett berufen. Die anderen beiden sind sein Nationaler Sicherheitsberater, Ex-Marine-General James Jones, und der ehemalige Generalstabschef der Armee, General Erik Shinseki, Minister für die Veteranen. Diese beispiellose Vertretung hoher Offiziere in der neuen Demokratischen Regierung ist ein Anzeichen für die wachsende politische Macht des amerikanischen Militärs, die eine ernsthafte Bedrohung für grundlegende demokratische Rechte darstellt.
Ein Bericht, der im November in einem Magazin der Kriegsschule der Armee nur drei Monate nach der Wahl erschienen war, gibt einen Hinweis darauf, dass das Pentagon und das US-Geheimdienstestablishment sich auf eine ihrer Meinung nach historische Krise der bestehenden Ordnung vorbereiten, die den Einsatz des Militärs erfordern könnte, um soziale Kämpfe im Inland niederzuschlagen.
Unter dem Titel "Das bekannte Unbekannte: Die Rolle unkonventioneller Strategischer Schocks’ in der Verteidigungsstrategie" heißt es, dass eine der wichtigen Situationen, auf die sich das amerikanische Militär vorbereiten müsse, eine "gewalttätige, strategische Ausnahmesituation in den Vereinigten Staaten" sei, die durch einen "unvorhergesehenen ökonomischen Zusammenbruch" oder "die Funktionsunfähigkeit der politischen und juristischen Ordnung" hervorgerufen werden könnte.
In dem Bericht heißt es weiter: "Verbreitete Gewalt von Zivilisten in den Vereinigten Staaten würde die verantwortlichen Verteidigungspolitiker zwingen, ihre Prioritäten im Extremfall neu auf die Verteidigung der innenpolitischen Ordnung zu orientieren... Wenn die amerikanische Regierung und die Verteidigungspolitik aufgrund von langen Perioden ruhiger Verhältnisse im Inland in Selbstzufriedenheit verfallen sollte, dann müsste sie schnell einige oder die meisten Verpflichtungen auf der Ebene der außenpolitischen Sicherheit zurückstellen, um die Sicherheit der Bevölkerung im Heimatland wieder herzustellen."
Mit anderen Worten könnte eine von Klassenkämpfen begleitete Verschärfung der kapitalistischen Krise und eine drohende soziale Revolution im Innern der USA dazu führen, dass das Pentagon seine Expeditionstruppen aus dem Irak und Afghanistan zurückruft, um sie gegen die amerikanischen Arbeiter einzusetzen.
Es heißt da: "Unter den extremsten Umständen könnte das bedeuten, militärische Gewalt gegen feindliche Gruppen in den Vereinigten Staaten einzusetzen. Weiter wäre das Verteidigungsministerium notwendigerweise eine wichtige Koordinierungsstelle, um die Durchsetzung der politischen Autorität im Fall von landesweiten Unruhen, oder solchen, die sich über mehrere Bundesstaaten erstrecken, zu gewährleisten."
Der Ausdruck "Koordinierungsstelle für die Durchsetzung der staatlichen Autorität" ist lediglich ein beschönigender Ausdruck für Militärdiktatur.
Die Arbeiterklasse muss dringend ihre eigenen Schlussfolgerungen aus der schnellen Verschärfung der Krise ziehen. Arbeiter müssen vor allem die Notwendigkeit verstehen, eine unabhängige Massenpartei mit einem sozialistischen und internationalistischen Programm aufzubauen, die für die Abschaffung des kapitalistischen Profitsystems kämpft. Das heißt vor allem, Mitglied in der Socialist Equality Party zu werden und diese aufzubauen.