"Die Deutschen müssen das Töten lernen" - so läutete der Spiegel am 20. November vergangenen Jahres auf seiner Titelseite die öffentliche Diskussion um die Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan ein. Der Satz war ein Zitat, das ein Vertreter der Bush-Administration gegenüber dem Beauftragten der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Beziehungen, Karsten Voigt, geäußert haben soll.
Am vergangenen Mittwoch hat nun das Bundeskabinett den Einsatz von sechs bis acht Tornado-Kampfjets im heftig umkämpften Süden Afghanistans beschlossen. Darüber hinaus sollen nach dem Willen des Kabinetts rund 500 Bundeswehr-Soldaten - zusätzlich zu den bereits 2900 im Land stationierten - nach Afghanistan entsandt werden. Die Kosten der Ausweitung des Einsatzes werden sich nach offiziellen Angaben auf ca. 35 Millionen Euro belaufen.
Letzte noch ausstehende Voraussetzung für den Einsatz ist die Zustimmung des Bundestages. Hierbei steht insbesondere die Frage zur Debatte, unter welchem Mandat die Tornados entsandt werden sollen: Gegenwärtig befinden sich deutsche Truppen unter zweierlei Mandaten in Afghanistan, dem der Operation Enduring Freedom (OEF) sowie dem der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF). Zwar ermöglicht auch letzteres sowohl die Operation der Streitkräfte im gesamten Land, als auch den Einsatz militärischer Gewalt. Die Truppenstärke ist dabei aber auf insgesamt 3000 Soldaten beschränkt, Einsätze außerhalb des angestammten Territoriums in Nordafghanistan zudem zeitlich eng begrenzt.
Gerade im geplanten Einsatzgebiet, dem afghanischen Süden, sind die US-geführten OEF-Verbände in einen immer weiter eskalierenden Guerillakrieg gegen aufständische Taliban-Rebellen verwickelt. Die ISAF dagegen war in der Vergangenheit sehr darum bemüht den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur im Norden zu betonten und die eigenen Militärpräsenz als "humanitäre Mission" darzustellen.
In der Debatte um die Formulierung des neuen Mandates werden die Überschneidungen beider Missionen sehr deutlich. Spitzenpolitiker der Großen Koalition werden seit Wochen nicht müde, den kriegerischen Charakter der Mission zu verschleiern. Einzig "Aufklärungsflüge" seien geplant, zu Kampfhandlungen werde es keinesfalls kommen, so der amtierende Verteidigungsminister Jung (CDU).
Sein Amtsvorgänger Peter Struck, heute SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, wurde da schon deutlicher: Natürlich sei es ein "Kampfeinsatz", ließ er den Bonner Generalanzeiger wissen und stellte folglich den Abgeordneten die Zustimmung oder Ablehnung des Einsatzes als "Gewissensfrage" frei. Diesen Luxus kann sich die Große Koalition leisten - die Zustimmung einer überwältigenden Mehrheit im Bundestag gilt als gesichert.
Die Verlogenheit des Mantras von "Aufklärung ja, Kampfeinsätze nein" springt bei der ersten kritischen Betrachtung ins Auge: Schließlich dient die militärische Aufklärung zu nichts anderem als der Identifizierung von Zielen, die später angegriffen, beschossen oder aus der Luft bombardiert werden sollen.
Die Bedeutung des Tornado-Einsatzes
Die Entscheidung des Bundeskabinetts ist nicht einfach eine quantitative Ausweitung des deutschen Militäreinsatzes in Afghanistan, sondern markiert einen Wendepunkt. Sie leitet eine Entwicklung ein, die dazu führen wird, dass die deutsche Armee direkt in den Krieg im Nahen Osten involviert wird.
Der Kabinettsbeschluss ist vergleichbar mit der Entscheidung der rot-grünen Bundesregierung unmittelbar nach ihrem Wahlsieg im Herbst 1998 mit AWACS-Flugzeugen und Tornados der Luftwaffe sowie 500 Bundeswehrsoldaten den Angriff der NATO auf Serbien zu unterstützen. Damals diente die Entscheidung als Türöffner, um weltweite Armeeeinsätze einzuleiten und durchzusetzen.
Um die Bedeutung der Ausweitung des deutschen Engagements richtig einzuschätzen, muss man sich die strategische Bedeutung Afghanistans vor Augen führen. Das Land besitzt eine 945 km lange Grenze zum Iran. Neben den kaspischen Republiken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan hat es auch einen kurzen Grenzabschnitt zu China. Seit seinem Beginn im Jahre 2001 diente der Krieg am Hindukusch den USA dazu, sich eine strategische Schlüsselposition in Zentralasien zu sichern - und damit der geostrategisch wohl bedeutsamsten Region der Gegenwart.
Mit der Besetzung des Irak vor fast vier Jahren wurde der Iran regelrecht in die Zange genommen. Im Westen wie Osten befinden sich nun gewaltige, US-amerikanisch dominierte Truppenkontingente.
Der Einsatz der Bundeswehr im Süden Afghanistans hängt direkt damit zusammen, dass seit dem Sommer vergangenen Jahres in diesem Gebiet wieder offener Krieg herrscht und die Militärstrategen im Pentagon die Situation unter Kontrolle bringen wollen, um sich auf die Unterdrückung des Widerstands im Irak und die Vorbereitung auf einen Angriff gegen den Iran konzentrieren zu können.
Ganze Regionen und Städte im Süden Afghanistans wurden in den vergangenen anderthalb Jahren von Aufständischen eingenommen und anschließend durch amerikanische und kanadische Truppen zurückerobert.
Die Verluste an Menschenleben sind sowohl unter Aufständischen, als auch bei den Koalitionstruppen und der Zivilbevölkerung hoch. Während des Jahres 2006 fanden um die 4000 Menschen in den Auseinandersetzungen den Tod - 117 von ihnen Koalitionskräfte. Schätzungen zufolge sind ein Drittel der Getöteten Afghanen Zivilisten. Bei der Zivilbevölkerung stößt die von den USA geführte Besatzung des Landes daher zunehmend auf Widerstand, die Unterstützung für die Rebellen wächst rapide. Laut Medienberichten empfinden einige Soldaten die Stationierung in Afghanistans Süden heute gefährlicher als die im Irak.
Für das kommende Frühjahr kündigten die Rebellen eine großangelegte Offensive an - so stünden allein 2000 Selbstmordattentäter bereit, erklärten Taliban-Sprecher. US-Außenministerin Condoleezza Rice sagte hierzu: "Wenn es eine Frühjahrs-Offensive gibt, dann muss es unsere sein." In diesem Zusammenhang wurde die Streitkräfte der Koalition bedeutend aufgestockt: Großbritannien erhöhte seine Truppenstärker um 500 Mann, die USA kündigten an, die Rückholung von etwa 3200 US-Soldaten um vier Monate zu verschieben.
Erst zwei Wochen vor der Entscheidung des Bundeskabinetts hatte US-Präsident Bush darüber hinaus angekündigt, die finanziellen und militärischen Mittel für den Krieg in Afghanistan bedeutend aufzustocken - so war die Rede von 10,2 Milliarden US-Dollar zusätzlich. Der Großteil solle in die Ausbildung afghanischer Polizei- und Militärkräfte fließen, die zunehmend in die Kämpfe eingebunden werden sollen.
Massive Opposition in der Bevölkerung
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat in einer repräsentativen Blitzumfrage festgestellt, dass die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in der Bevölkerung auf große Ablehnung stößt. Das Institut gab vor einigen Tagen bekannt, dass 77 Prozent der Befragten sich gegen die geplante Ausweitung des Einsatzes ausgesprochen haben.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Angesichts dieser Opposition wurde eine gezielte Propaganda- und Desinformationskampagne begonnen. So hat die Bundesregierung in ihrer Empfehlung an den Bundestag die Formel der "restriktiven Übermittlung" von Aufklärungsergebnissen aus den Tornadoflügen an die OEF eingebaut - ein verbaler Taschenspielertrick. Die Zeit macht darauf aufmerksam, es sei schon allein deshalb "unklar (...), wie diese restriktive Handhabung letztlich umgesetzt werden kann, da der Isaf-Kommandeur zugleich der stellvertretende OEF-Kommandeur ist".
Gleichzeitig fordern führende Militärs, Politiker und Journalisten, mit dem "Abwiegeln" besonders von Seiten des Verteidigungsministeriums Schluss zu machen und die Notwendigkeit einer stärkeren deutschen militärischen Engagements offen beim Namen zu nennen.
Ernst-Reinhard Beck (CDU), Mitglied des Verteidigungsausschusses im Bundestag, ärgerte sich im Zusammenhang mit der Formulierung der "restriktiven Übermittelung von Informationen" über die "verschleiernde Sprache": "Wer die Aufklärungsergebnisse seiner Flugzeuge nicht verwenden wolle, könne die Tornados auch gleich zu Hause lassen", wird er sinngemäß von Zeit online zitiert. Verschiedene amtierende oder aus dem Dienst ausgeschiedene Funktionäre der Bundeswehr äußerten sich ähnlich - es wurde bemerkt, dass sicher keine Photos der "frisch gebauten Strassen und Brücken" geschossen werden sollten
Vergleichsweise vorsichtig drückte sich der Wehrbeauftragte des deutschen Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), aus: Der Einsatz der Tornados sei, "wie andere Einsätze auch, keine Kaffeefahrt.".
Claus-Christian Malzahn, seines Zeichens Leiter des Politik-Ressorts bei Spiegel-Online, hat sich bereits früher für eine Unterstützung des Irakkriegs an der Seite der USA stark gemacht. Am Tag der Kabinettsentscheidung schrieb er: "Wer Krieg führt, soll auch Krieg sagen." In Antwort auf die Schlagzeile der Bild -Zeitung vom gleichen Tag: "Sind wir jetzt im Krieg?", fordert Malzahn: "Angela Merkel sollte so ehrlich sein, diese Frage mit einem klaren Ja und einem wichtigen Zusatz zu beantworten: seit einem halben Jahrzehnt." Die NATO habe "auch wegen der deutschen Zögerlichkeit kein überzeugendes Konzept für Afghanistan entwickelt".
Dann wütet Malzahn, der früher den Grünen nahe stand und für die Tageszeitung geschrieben hat, gegen die Kriegsgegner. Die "reservierte Haltung gegenüber dem Afghanistan-Einsatz" ziehe sich in Deutschland von links bis rechts, schreibt er und fährt fort: "Dass viele deutsche Linke darauf pfeifen, ob in Kabul demnächst wieder Unschuldige im Fußballstadion aufhängt werden könnten, ob eine Religionspartei die Bärte der Männer vermisst und Frauen verbietet, alleine über die Straße zu laufen, ist eine bittere Erkenntnis."
Dagegen tritt der ehemalige Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer (CDU) entschieden gegen den geplanten Tornado-Einsatz auf und warnt: "Die deutschen Piloten, die mit diesen Flugzeugen die Dörfer ausfindig machen, die anschließend von den Amerikanern zerstört werden, sind damit auf dem direkten Flug nach Den Haag," denn es handle sich um die Beteiligung an Kriegsverbrechen.
Die Entscheidung der Bundesregierung zur Ausweitung des Kriegs in Afghanistan macht deutlich wie wichtig und dringend es ist, eine internationale politische Bewegung gegen Krieg und Militarismus aufzubauen. In diesem Zusammenhang gewinnt der Aufruf der Redaktion große Bedeutung, den wir vor wenigen Wochen veröffentlicht haben. Er beginnt mit den Worten:
"Die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale rufen politisch und gesellschaftlich interessierte Arbeiter, Studenten und Jugendliche in aller Welt auf, 2007 zum Jahr einer internationalen Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen die Kriege der USA im Irak und in Afghanistan zu machen."