Fast vier Jahre nach der Entführung des Moslempredigers Abu Omar aus Italien in ein ägyptisches Foltergefängnis findet zur Zeit im Mailänder Justizpalast die Anhörung über eine mögliche Prozesseröffnung statt. Staatsanwalt Armando Spataro will gegen den amerikanischen Geheimdienst CIA und den italienischen Militärgeheimdienst SISMI (Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare) Anklage erheben.
Obwohl Spataro und sein Kollege Ferdinando Pomerici eine Fülle erdrückender Beweise gesammelt haben, ist es immer noch unsicher, ob es tatsächlich zum Prozess kommen wird. Romano Prodi, der italienische Regierungschef, hat wichtige Informationen über die Zusammenarbeit von CIA und italienischem Militärgeheimdienst zum Staatsgeheimnis erklärt.
Das Gericht unter Vorsitz von Richterin Caterina Interlandi muss nun Spataros Antrag prüfen. Dieser will 26 amerikanische und acht italienische Staatsbürger, unter ihnen hochrangige Funktionäre des SISMI, unter Anklage stellen. Die Anhörung, die am 9. Januar begonnen hat, ist von Richterin Caterina Interlandi auf den 29. Januar vertagt worden.
Der Fall Abu Omar ist bezeichnend für die berüchtigte CIA-Praxis der "Renditions". Dabei werden angebliche Terrorverdächtige nicht vor ein ordentliches Gericht gebracht und überführt, sondern im Geheimen entführt, verschleppt und in Gefängnisse verbündeter Länder gebracht, wo sie durch jahrelange, grauenhafte Folter gefügig gemacht oder vernichtet werden sollen. Die europäischen Länder, auf deren Territorien sich solche Machenschaften abspielen, dulden dies nicht nur, sondern tragen oft zum Gelingen bei.
So auch im Fall der Entführung Abu Omars aus Mailand. Der Imam wurde am helllichten Tag auf offener Straße gekidnappt, in einem Minibus zum US-Luftwaffenstützpunkt Aviano verfrachtet und über die deutsche US-Basis Ramstein nach Kairo geflogen. In Ägypten versuchte man offensichtlich, ihn zur Mitarbeit anzuwerben, und versprach ihm dafür seine sofortige Rückkehr nach Italien. Als er sich weigerte, wurde er ins Gefängnis geworfen und gefoltert.
Erst im April 2004, über ein Jahr nach seiner Verschleppung aus Mailand, ließen ihn die ägyptischen Behörden vorübergehend frei. Es gelang ihm, mit Freunden und Verwandten in Kontakt zu treten, ehe er kurze Zeit später erneut verhaftet wurde. Bis heute befindet er sich ohne Prozess im berüchtigten Thora-Gefängnis in Kairo. Weder die italienische Regierung, noch die Europäische Union haben bisher von Ägypten seine Freilassung verlangt und sich bei ihm entschuldigt.
Staatsanwalt Spataro hat beantragt, Anklage wegen Beihilfe zur Entführung oder Begünstigung gegen 25 amerikanische CIA-Agenten zu erheben, die die Entführung geplant und durchgeführt haben, unter ihnen der frühere CIA-Chef von Italien, Jeff Castelli, und der frühere CIA-Chef von Mailand, Robert Seldon Lady. Außerdem will er den amerikanischen Kommandanten des US-Luftwaffenstützpunkts Aviano in Norditalien anklagen.
Weiter will Spataro fünf Angehörige des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI anklagen, weil sie den CIA bei der Entführung aktiv unterstützt haben. Unter ihnen befindet sich der frühere SISMI-Vizedirektor, Marco Mancini, der sich in Haft befindet und schon im Sommer 2006 Aussagen über die enge Zusammenarbeit von SISMI und CIA gemacht hat. Sein direkter Vorgesetzter zum Zeitpunkt der Entführung, SISMI-General Gustavo Pignero, ist im September 2006 gestorben.
Der frühere SISMI-Direktor Niccolò Pollari soll ebenfalls angeklagt werden. Er wurde Ende November 2006 "im Zuge einer Neuordnung der Geheimdienste" seines Amtes enthoben.
Unter Anklage soll auch der frühere Polizeiwachtmeister Luciano "Ludwig" Pironi, Mitglied einer Antiterroreinheit der Carabinieri in Mailand, gestellt werden. Dieser hat bereits zugegeben, bei Amu Omars Entführung mitgemacht zu haben.
Auch der frühere Vizedirektor der rechten Zeitung Libero, Renato Farina ("Betulla"), soll angeklagt werden, weil er sich darauf eingelassen hat, gegen Bezahlung mit dem SISMI gegen die Mailänder Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten, und im Fall Abu Omar falsche Dokumente veröffentlicht hat.
Spataro ist Italiens Chefankläger in Terrorismusverfahren und hatte selbst bereits einen Haftbefehl gegen Abu Omar ausgestellt, weil dieser angeblich "Hasspredigten" gegen die USA gehalten hatte. Die berüchtigte Sonderpolizei DIGOS hatte Wanzen und eine versteckte Kamera in Abu Omars Wohnung angebracht. Offenbar hat die CIA mit ihrer Entführung eigene Ermittlungen der Mailänder Staatsanwaltschaft durchkreuzt.
Dem Berliner Tagesspiegel gegenüber erklärte Spataro: "Ich arbeite als Staatsanwalt seit dreißig Jahren im Kampf gegen Terrorismus und sage mit Stolz, dass wir ihn in Italien trotz hunderter Toter mit den Waffen der Justiz und des Rechtsstaates bekämpft und besiegt haben."
Spataro kann seine Anklage gegen CIA und SISMI auf reichhaltiges Beweismaterial stützen. Dazu gehören nicht nur die Verhörprotokolle von Mancini und Pironi, die bereits ausführliche Aussagen gemacht haben, sondern auch zahlreiche belastende Mitschnitte von Telefongesprächen der CIA-Agenten, unter anderem direkt vom Tatort, auch Fotos, die der italienische Geheimdienst von Abu Omar gemacht hat, einen Brief der CIA an SISMI, in dem die Ankunft Abu Omars in Ägypten mitgeteilt wurde, und vieles andere mehr.
Ein besonderes Dokument ist die handschriftliche Zeugenaussage des Entführungsopfers, die aus einem ägyptischen Gefängnis heraus geschmuggelt wurde und in die Hände der Mailänder Justiz gelangte.
Abu Omars Brief
Es handelt sich um ein elfseitiges Dokument, das Abu Omar im Torah-Gefängnis in Kairo geschrieben hat.
Der Brief, der von der Chicago Tribune (siehe : chicagotribune.com/prisonletter) und dem Corriere della Sera unabhängig voneinander übersetzt wurde, beginnt mit den Worten: "Ich, Osama Mustafa Hassan Nasr, bekannt unter dem Namen Abu Omar’, Islamist, bin am 17. 02. 2003 von US-Geheimagenten und von Agenten anderer Länder von der Straße weg aus Mailand entführt worden und befinde mich zur Zeit im Torah-Gefängnis in Kairo.... Ich lege dieses Zeugnis aus meiner Grabstätte heraus ab. Mein Gesicht ist durch die Schreie der Gefolterten, das Geräusch der Schläge und die ganze Hölle der Gefängniszellen völlig entstellt."
Abu Omar berichtet detailliert, wie er auf dem Weg zur Moschee von einem Polizisten angehalten und nach seinen Papieren gefragt wurde, worauf er von zwei Amerikanern in einen Minibus gezerrt, gefesselt und entführt wurde. Der Polizist, der ihn in Mailand anhielt, ist der Carabiniere Luciano "Ludwig" Pironi, der seine Rolle bei der Entführung bereits zugegeben hat.
Abu Omar schildert, wie er während der während der Entführung misshandelt wurde: "Man schlug mich heftig in den Magen und auf den ganzen Körper.... Der Wagen raste davon, ich jedoch litt wegen der schlimmen Schläge große Schmerzen. Während der Fahrt erlitt ich eine Art Kollaps,... aus meinem Mund trat weißer Schaum und mein ganzer Körper und die Beine zitterten stark."
Weiter beschreibt er, wie er während seiner Reise aus Italien über Deutschland nach Ägypten von einem Flugzeug ins andere verfrachtet und beraubt, geknebelt und bewegungsunfähig gefesselt wurde. Seine sämtlichen Sachen - Papiere, Handy, Schlüssel, Bargeld, Kleidung, Schuhe - wurden ihm abgenommen. Er selbst wurde in eine Art abgeschnittenen Trainingsanzug gesteckt und sein Gesicht mit Klebeband umwickelt, mit kleinen Öffnungen für Mund und Nase.
Bei seiner Ankunft in Ägypten wurde Abu Omar in das Hauptgebäude des ägyptischen Nationalen Sicherheits- und Geheimdienstes in Kairo gebracht. Hier wurde er im Rahmen eines ersten Verhörs von hohen Funktionären, darunter offenbar einem Amerikaner, gefragt, ob er bereit wäre, mit dem ägyptischen Geheimdienst oder mit der CIA zusammenzuarbeiten:
Der Grund für diese Episode ist möglicherweise ein Umstand in Abu Omars Biografie, den die Chicago Tribune schon 2005 aufgedeckt hatte: Als Abu Omar zu Beginn der neunziger Jahre Ägypten verlassen hatte, um als Mitglied der Gruppe Jama’a al-Islamiya dem Konflikt zwischen ägyptischem Staat und Islamisten zu entkommen, lebte er eine Zeitlang in Albanien.
In Tirana geriet er 1995 in die Fänge der CIA, als eine neu aufgebaute albanische Geheimdienstgruppe ihn eine Woche lang festhielt und anwerben wollte. Die frischgebackenen Geheimdienstleute präsentierten ihn der CIA bereits stolz als neuen Informanten, aber kurze Zeit später war er plötzlich verschwunden.
Er tauchte erst 1997 in Italien wieder auf, wo er als Flüchtling anerkannt wurde und einen italienischen Flüchtlingspass erhielt. Nach 2001 wurde er systematisch von der Mailänder Polizei überwacht. Er soll jedoch trotz vehement anti-amerikanischer Predigten eher als "mäßigendes Element" aufgetreten sein und mögliche Anschläge verhindert haben.
Es ist möglich, dass die CIA 2003 erneut versuchen wollte, ihn zu rekrutieren. Als er dies im Februar 2003 in dem ägyptischen Verhör ablehnte, begann für ihn eine Zeit schrecklicher Folter. Der größte Teil des Briefes enthält Schilderungen dieses Martyriums.
Abu Omar beschreibt, wie er nackt ausgezogen und an Händen und Füßen gefesselt wurde, wie er mit Elektroschocks und Ohrfeigen traktiert und wie ihm Vergewaltigung angedroht wurde, wenn er sich weigerte, zu sprechen.
"Die Temperatur war im Winter unter Null und im Sommer wohl fünfzig Grad Celsius, was dazu führte, dass ich an Rheumatismus, Knochenschwäche und Schmerzen in der Brust leide.... Sieben Monate vergingen wie sieben Jahre. Ich erfuhr Schmerz und Folter. Das Lesen von Zeitungen und Zeitschriften war komplett verboten, wie auch Radio oder Fernsehen oder Familienbesuche, alles war verboten, eine unerträgliche Hölle. Ich sagte mir dauernd, die italienische Regierung werde mich bestimmt nicht fallen lassen, und der italienische Botschafter werde kommen und mich gewaltsam befreien... Aber nichts passierte. ...
Das Essen, das ich bekam, bestand aus altem, steinhartem Brot. Wenn ich ein Stück davon esse, dreht sich der Magen um und ich bekomme Zahnweh. Der Anteil an Schmutz in diesem Brot ist höher als der Mehlanteil. Man muss es erst in Wasser einweichen, damit man es kauen und schlucken kann. Manchmal bekommt man auch verdorbenes Essen, und immer sehr wenig, denn der Gefangene soll seinen Hunger nicht stillen können, sondern gerade so am Leben gehalten werden, so dass man nur noch Haut und Knochen wird: ein Skelett oder eine halbe Portion Mensch."
Abu Omar durchlief mehrere Gefängnisse und kam nach sieben Monaten in eine Zelle im Staatsschutzgefängnis Amn-El-Dawla. Sie hatte nur ein Loch als Toilette, einen Eimer Wasser zum Trinken und Waschen und eine einzige, erbärmlich schmutzige Decke zum Schlafen. Über diesen Ort schreibt er: "Wie kann ich in einem Klo schlafen, das derart abscheulich stinkt, dass nicht einmal das Vieh hier sein Geschäft verrichten würde, geschweige denn ein Mensch?... Es fällt mir sehr schwer, diesen Ort zu beschreiben, denn jedes Mal, wenn ich daran denke, wird mir alles wieder gegenwärtig, die brutale Folter und der sexuelle Missbrauch, und ich werde von unkontrolliertem und unstillbarem Weinen geschüttelt. ...
Die Verhöre finden in Räumen statt, die nahe bei den Zellen liegen, so dass der Gefangene in seiner Zelle die Schreie, das Heulen und das Weinen hört. Ganz am Anfang, als ich aus Italien entführt wurde, hatte ich vielleicht vier oder fünf weiße Haare auf dem Kopf und im Bart. Aber nachdem ich nach Ägypten kam und nach der brutalen Folter sind ist das Haar auf meinem Kopf und im Bart ganz weiß geworden."
Infolge der systematischen Folter hat Abu Omar auf einem Ohr das Gehör verloren. Immer wieder schildert er, wie er gefoltert wurde - ausgezogen, an den Füßen aufgehängt, mit Elektroschocks an Kopf und Körper gequält und auf die Genitalien geschlagen.
"Bei der Folter namens Matratze’ wurde ein Stromkabel an eine nasse Matratze angeschlossen. Arme und Beine wurden hinter dem Rücken zusammen gebunden. Einer setzte sich auf einen Holzstuhl über meinen Schulterblättern, ein anderer auf einen Holzstuhl über meinen Beinen, und dann wurde der Strom angestellt. Von dem starken Stromschlag schnellte ich hoch, aber die Stühle stoppten mich. Wenn sie den Strom abstellten, folterten sie meine Genitalien mit Elektroschocks und schrieen mich an: Das hast du jetzt von Italien’."
Abu Omars Schilderungen sind so schrecklich, dass es schwer fällt, sie zu Ende zu lesen. Aber noch schrecklicher ist, dass er nach wie vor in dem berüchtigten Torah-Gefängnis festgehalten wird, obwohl sein Aufenthalt seit April 2004 bekannt ist. Und er ist kein Einzelfall: Es wird vermutet, dass weitere sechzig bis siebzig von der CIA entführte Moslems in Ägypten, das immer wieder der Folter beschuldigt wird, gewaltsam festgehalten werden.
Würde der Mailänder Prozess zustande kommen, wäre es ein sensationeller erster Fall, bei dem CIA-Agenten wegen der "Rendition"-Praxis zur Rechenschaft gezogen werden. Selbst wenn es tatsächlich zum Prozess käme, wäre es jedoch wenig wahrscheinlich, dass auch nur einer der angeklagten US-Bürger nach Italien käme: Sie sind zwar europaweit zur Fahndung ausgeschrieben, aber Justizminister Clemente Mastella weigert sich bisher, ein Auslieferungsbegehren des Staatsanwalts an die USA weiterzuleiten.
Keiner der Beschuldigten war bei dem Termin im Mailänder Justizpalast anwesend. Der ehemalige Mailänder CIA-Chef Robert Seldon Lady ließ durch seine Anwältin Daria Pesce mitteilen, das Ganze sei ein politischer und kein juristischer Fall, und er sei nicht bereit, die Autorität des Gerichts anzuerkennen.
Auch die italienische Prodi-Regierung hat kein Interesse an dem Prozess. Prodi hält seine schützende Hand über die Geheimdienste und ist nicht bereit, Details über deren schmutzige Zusammenarbeit mit der CIA preiszugeben. Er will die traditionell enge militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit Italiens mit den USA nicht gefährden.
Niccolò Pollari, SISMI-Chef zum Zeitpunkt der Entführung, ließ am ersten Tag der Anhörung durch seinen Anwalt ausrichten, sollte er wirklich angeklagt werden, werde er Romano Prodi und Silvio Berlusconi als Zeugen vorladen lassen.
Beide haben immer bestritten, dass die Regierung in den Fall eingeweiht war, was jedoch wharscheinlich der Fall war. Vor dem Europaparlament hat Staatsanwalt Spataro letztes Jahr erklärt, es gebe zwar keine Beweise für eine Verwicklung der italienischen Regierung, doch falle es schwer, jegliche Form einer Zusammenarbeit auszuschließen.