Hessen und die Stadt Frankfurt waren stets eine Hochburg der Grünen. Sie haben in der Geschichte dieser Partei immer eine wegweisende Rolle gespielt. Hier lieferten sich Joschka Fischer und seine Sponti-Gruppe Straßenschlachten mit der Polizei. Hier gaben die Radikalökologen um Jutta Ditfurth bei den Grünen den Ton an. Hier wurden sie von den Realos unter Fischer verdrängt. Und hier leistete Fischer 1985 als erster grüner Politiker den Amtseid und trat in die Landesregierung des Sozialdemokraten Holger Börner ein.
Auch die Bildung einer schwarz-grünen Koalition in der hessischen Bankenmetropole hat Symbolcharakter. Frankfurt ist zwar nicht die erste Kommune, in denen Union und Grüne zusammengehen. Auch in Köln, anderen nordrhein-westfälischen Städten oder in Kassel regieren schwarz-grüne Bündnisse. Doch nie zuvor hatte eine solche Koalition vergleichbare Signalwirkung. Frankfurt gilt als Modell für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit auf Landes- und auf Bundesebene. Es vollzieht nach, "was längst Wirklichkeit ist", wie die ortsansässige Frankfurter Rundschau bemerkt. "Die Grünen sind keine dezidiert linke Partei mehr, sondern in der bürgerlichen Mitte angekommen."
Am 9. Mai stimmte die Kreisversammlung der Frankfurter Grünen mit großer Mehrheit für den Koalitionsvertrag mit der CDU. Der kleine Parteitag der CDU hatte am Vortag zu 100 Prozent für die Annahme des Vertrages gestimmt. Damit wurde nach fast sechswöchigen Verhandlungen die erste schwarz-grüne Stadtregierung in Frankfurt besiegelt. Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) bezeichnete sie als "Koalition des Realismus".
Bei den Kommunalwahlen am 26. März war die CDU trotz Verlusten stärkste Partei geblieben, während die Grünen zulegen konnten und 15,3 Prozent erreichten. Die SPD erlebte einen dramatischen Einbruch und kam nur noch auf 24 Prozent, ihr schwächstes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte. Die Linkspartei erreichte 6,6 Prozent.
Schon im Vorfeld der Kommunalwahl war es zu schwarz-grünen Sondierungsgesprächen über eine zukünftige Zusammenarbeit gekommen. Nach der Wahl warfen sich die Grünen der CDU dann regelrecht an den Hals. Die Grüne Jutta Ebeling, die mit Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) die zukünftige weibliche Doppelspitze der Stadt bilden soll, erklärte noch am Wahlabend: "Eine Koalition mit der CDU wäre ein Wagnis, das man gerade auf kommunaler Ebene eingehen muss... Sonst sitzt man ja dauernd in der Opposition."
Vor fünf Jahren war ein ähnlicher Versuch noch gescheitert, weil Joschka Fischer das rot-grüne Bündnis in Berlin nicht belasten wollte und weil es Widerstand an der grünen Basis gab. Frankfurt wurde darauf von einem informellen Viererbündnis aus CDU, SPD, Grünen und FDP regiert.
Schon in dieser Konstellation zogen CDU und Grüne häufig an einem Strang. So etwa in der Kulturpolitik, als es darum ging, gegen den massiven Widerstand der Beschäftigten und des Betriebsrats Teile des Frankfurter Schauspiels zu privatisieren, um Lohnkosten zu sparen. Größere Privatisierungsvorhaben, wie Müllabfuhr und städtischer Stromversorger, fanden ebenfalls die Zustimmung der Grünen.
Auch dem Verkauf des städtischen U-Bahnnetzes an einen amerikanischen Finanzinvestor (es hätte dann im Rahmen des Cross-Border-Leasing zurückgemietet werden müssen) widersprachen die Grünen nicht grundsätzlich. Das Projekt scheiterte letztlich an dem breiten Widerstand der Stadtbevölkerung.
Im jetzigen Koalitionsvertrag setzt sich die Orientierung von CDU und Grünen auf die Interessen von Wirtschaft und Mittelstand nahtlos fort.
Den Eintritt in die Koalition erkauften sich die Grünen vor allem mit der Zustimmung zur Senkung der Gewerbesteuer, einem Herzensanliegen der CDU. Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. CDU und Grüne erlassen den Banken, die Rekordprofite melden, und den Unternehmen dadurch zusätzliche 52 Millionen Euro an Steuern. Für Kleinbetriebe und den Mittelstand wurde ein Förderprogramm von 30 Millionen Euro beschlossen.
Die Grünen rechtfertigen das mit der Behauptung, sie hätten als Gegenleistung 35 Millionen Euro für die Bauerhaltung und bessere Ausstattung der Schulen, 20 Millionen Euro für eine bessere Personalausstattung der Kindertagesstätten (Kita) und ein kostenloses letztes Kita-Jahr durchgesetzt. Wie das allerdings finanziert werden soll, ist völlig unklar, insbesondere, da die Steuereinnahmen gerade durch die Senkung der Gewerbesteuer reduziert werden. Entweder wird den Bürgern dafür an anderer Stelle in die Tasche gegriffen, oder die Projekte werden sich "leider aus Finanzierungsgründen nicht verwirklichen lassen".
Auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit haben die Grünen einem weiteren Lieblingsprojekt der hessischen und der Frankfurter CDU zugestimmt, der Einführung eines "freiwilligen Polizeidienstes". Ab 2007 sollen 90 in Schnellkursen ausgebildete "Hobbypolizisten" in den Stadtteilen auf Streife gehen.
Auch als Umweltpartei haben sich die Grünen inzwischen abgemeldet. Sichtbarer Ausdruck davon waren lautstarke Protestaktionen von Bürgerinitiativen während der Mitgliederversammlung der Grünen. Sie fühlten sich von den Grünen verraten, für die sie jahrzehntelang in den Wahlkampf gezogen waren. Trotz gegenteiliger Bekundungen im Wahlkampf haben die Grünen dem Riederwaldtunnel, einem Autobahntunnelprojekt im Frankfurter Osten, zugestimmt.
Zur zentralen Umweltfrage in Frankfurt, dem seit Jahren heftig umstrittenen und bisher auch von den Grünen entschieden abgelehnten Ausbau des Flughafens durch eine neue Landebahn mitten im Wald, wurde gegenseitiges Stillhalten vereinbart. Die CDU will sich nicht mehr für den Ausbau äußern und die Grünen nicht mehr dagegen - und dem Bau der Startbahn wird sein Lauf gelassen.
Mit der Forderung nach strikter Haushaltssanierung, nach mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung und gegen die "Fixierung auf soziale Transferleistungen" im Sozialbereich bereiten die Grünen gemeinsam mit der CDU weitere Angriffe auf soziale Standards vor.
In CDU-Kreisen wurde das Zusammengehen mit den Grünen am Main begrüßt. Nachdem Schwarz-Grün im vergangenen September im Bund und im Frühjahr in Baden-Württemberg trotz erster Avancen nicht zum Zuge kam, gilt der schwarz-grüne Magistrat in Frankfurt nun als willkommenes Symbol für die erweiterten Koalitionsmöglichkeiten der Union, falls das Bündnis mit den Sozialdemokraten scheitern sollte.
CDU-Bundestagsmitglied Hermann Gröhe, der sich schon in den 1990er Jahren regelmäßig mit Bundestagsmitgliedern der Grünen traf, um die Chancen eines Zusammengehens auszuloten, meint, man dürfe die Entwicklung in Frankfurt nicht unterbewerten. Er freut sich, "dass die Grünen sich nach dem Machtverlust nicht links einigeln, sondern sich weiter zur Mitte hin orientieren".
Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sieht Berührungspunkte mit den Grünen in Grundsatzfragen, wie der Ablehnung "sozialer Transferleistungen", dem "Respekt vor dem Einzelnen", sprich der Forderung nach "mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung" beispielsweise bei der privaten Gesundheits- und Altersvorsorge.
Das Zusammengehen von CDU und Grünen in Frankfurt ist umso bemerkenswerter, als die Frankfurter und vor allem die hessische CDU am äußersten rechten Flügel der Union stehen. Als Roland Koch im Februar 1999 den Landtagswahlkampf mit einer ausländerfeindlichen Kampagne gegen die vorgesehene doppelte Staatsbürgerschaft bestritt und gewann, wurde er von der Frankfurter CDU voll unterstützt.
Der hessische Landesverband der CDU wurde entscheidend von Alfred Dregger geprägt, dem prominentesten Vertreter der so genannten "Stahlhelmfraktion", des rechten nationalkonservativen Flügels der CDU. Auf ihn geht der Slogan "Freiheit statt Sozialismus" zurück, mit dem die CDU bei der Bundestagswahl 1976 in den Wahlkampf zog. In den 70er Jahren war er ein vehementer Befürworter der Durchsetzung des Radikalenerlasses; andernfalls wäre nach seiner Auffassung ein Verbot der DKP geboten gewesen.
Am 8. Mai 1995 unterzeichnete Dregger gemeinsam mit den Rechtsextremen Jörg Haider, Gerhard Frey und Franz Schönhuber den Aufruf "Gegen das Vergessen", der sich dagegen wandte, den 8. Mai 1945 "einseitig als Befreiung" zu charakterisieren, da an diesem Tag auch der "Vertreibungsterror und neue Unterdrückung im Osten" begonnen hätten.
Ein Schüler Dreggers war Manfred Kanther, jahrzehntelang führendes Mitglied der hessischen CDU in den verschiedensten Funktionen. Als kompromissloser Verfechter von "Law und Order" erwarb er sich als Innenminister unter Helmut Kohl den Ruf des "Schwarzer Sheriffs". Als Hauptverantwortlicher des Spendenskandals der hessischen CDU setzte er sich dagegen skrupellos über geltendes Recht hinweg.
Die Grünen rechtfertigen ihre Koalition mit dieser rechten Partei unter anderem damit, dass sich in der Frankfurter Großstadt-CDU andere Milieus entwickelt hätten und vieles in Bewegung geraten sei. Bewegt haben sich aber vor allem die Grünen. Die einstige Protestpartei hat die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft zwar nie in Frage gestellt, aber sie träumte anfangs von einem gezähmten Kapitalismus, in dem sich Umweltzerstörung, Kriegsgefahr und andere Auswüchse beherrschen lassen.
Inzwischen sind aus den Protestlern von einst wohl situierte Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, Lehrer, Kleinunternehmer oder erfolgreiche Ökobauern geworden. Die Grünen sind eine Partei des besser verdienenden Mittelstands und konkurrieren mit CDU und FDP um die gleichen Wählerschichten. Dass sie nun mit der CDU zusammenarbeiten, ist die Konsequenz aus ihrer stetigen sozialen und politischen Wandlung.
Die neue Stadtregierung in Frankfurt hat noch einen weiteren symbolträchtigen Aspekt. Mit von der Partie ist auch die FDP. Die CDU hat durchgesetzt, dass der FDP-Baudezernent im Amt bleibt, während die sozialdemokratischen Dezernenten gehen müssen. Von einer schwarz-grün-gelben Koalition in Frankfurt spricht zwar noch niemand, aber für die Union könnte das im kommenden September von Bedeutung sein. Friedbert Pflüger, ihr Spitzenkandidat bei der Berliner Landtagswahl, wird nur eine Chance haben, die SPD-Linksparte-Koalition von Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zu verdrängen, wenn er die Unterstützung der Grünen und der FDP erhält.