Der Rückzug Joschka Fischers aus allen Führungsämtern der Grünen ist ein durchsichtiges politisches Manöver. Fischer zieht sich mitnichten zurück. Nach der Niederlage der rot-grünen Koalition bei der Bundestagswahl vom Sonntag sucht er eine neue politische Heimat für sich und seine Partei an der Seite der Union.
Er bietet Merkel und Westerwelle die Grünen als Mehrheitsbeschaffer an. Das ist die einzige Schlussfolgerung, die aus der intensiven Debatte über eine schwarz-gelb-grüne Koalition gezogen werden kann, die seit Tagen die Zeitungsspalten füllt und die von Unions- und grüner Seite gleichermaßen befeuert wird. Die Grünen benehmen sich dabei wie eine umworbene Braut - geziert, geschmeichelt ... und entschlossen, nicht Nein zu sagen.
Ob eine sogenannte schwarze Ampel schließlich zustande kommt, lässt sich gegenwärtig nur schwer voraussagen. Scheitern wird sie allenfalls nicht an den Grünen, die immer wieder bewiesen haben, dass sie zu allem fähig sind, sondern an der Union. Diese könnte sich auch für eine große Koalition mit der SPD entscheiden.
Eines hat die bisherige Debatte jedenfalls schon klar gezeigt. Das "neue Kapitel in der Grünen-Geschichte", das Fischer am Dienstag angekündigt hat, wird die Grünen tief im rechten bürgerlichen Lager wieder finden. Seit die Bundestagswahl mit einem Patt und einer tiefen Krise ausging, wird ihre Bereitschaft, der Unon zu einer stabilen Regierungsmehrheit zu verhelfen, von Tag zu Tag deutlicher.
Politisch steht dem nichts im Wege. Warum sollte Fischer, der im Afghanistankrieg US-Präsident Bush unterstützt hat, nicht auch mit Merkel, Stoiber und Westerwelle zusammenarbeiten? Und was hindert die Grünen, die Hartz IV und die Agenda 2010 mitverantwortet haben, eine verschärfte Gangart desselben Kurses an der Seite der Union mitzutragen?
Die Wandlung der Grünen
Fischer verkörpert wie kein anderer Politiker die Wandlung der Grünen. Er führte die Partei, die Ende der siebziger Jahre als Reaktion auf die Rechtwendung der SPD unter Bundeskanzler Helmut Schmidt entstanden war, zurück in ein Bündnis mit der SPD. 1985 leistete Fischer, damals noch in Turnschuhen, als erster grüner Landesminister in Hessen seinen Amtseid. Dreizehn Jahre später trat er, inzwischen im Maßanzug, als Vizekanzler in die SPD-geführte Bundesregierung ein.
Die Grünen, die aus der außerparlamentarischen Umwelt- und Friedenbewegung hervorgegangen waren und deren Führungspersonal aus der 68er Protestgeneration stammt, verwandelten sich unter Fischer in eine verlässliche, staatstragende Partei. Es gibt kein Wahlversprechen und keinen Grundsatz, den sie einst verkündet und seither nicht gebrochen haben.
Die Grünen begannen mit Basisdemokratie, Rotationsprinzip und Frauenquote - und endeten beim Personenkult für den Macho und Selbstdarsteller Joschka Fischer. Sie vertraten einen bedingungslosen Pazifismus - und erkauften sich den Regierungseintritt mit der Zustimmung zum Jugoslawienkrieg und der Entsendung der Bundeswehr in die ganze Welt. Sie versprachen den Atomausstieg - und verschafften den Energiekonzernen eine Laufzeitgarantie für überalterte Kraftwerke. Sie verhießen eine soziale Republik - und unterstützten die Agenda 2010 und Hart IV. Sie gelobten Demokratie und Schutz von Immigranten - und unterstützen die Antiterror-Gesetze und die Abschaffung des Asylrechts.
Die Medien wussten es Fischer zu danken. Sie erhoben ihn zum Superstar und überhäufen ihn nun mit politischen Lobeshymnen, deren Peinlichkeit schwer zu überbieten ist.
"Nur er konnte diese Überzeugungskraft entfalten," lobt ihn der Spiegel. "Gerade weil sein Leben voller Brüche war, folgte ihm die Parteibasis, wie die Israeliten Moses gefolgt waren. Er lief vorneweg und teilte ab und zu das Meer, zertrümmerte goldene Kälber. Fischer war der große Ent-Ideologisierer der Grünen; er konnte es sein, weil er politische Phrasen durch politisches Charisma ersetzte."
Diese "Ent-Ideologisierung" vollzog sich in den sieben Regierungsjahren der rot-grünen Koalition in atemberaubendem Tempo. Die grünen Pazifisten wurden nicht nur zu den eifrigsten Verfechtern einer global agierenden Berufsarmee, sie setzten sich auch vehement für Hartz IV und eine strikte Haushaltskonsolidierung ein. Ähnlich wie in den siebziger Jahren die FDP in der Koalition mit der SPD, achteten sie darauf, dass diese dem Druck ihrer Wähler in der Arbeiterklasse nicht nachgab.
Die Folge dieser rechten Politik war der Niedergang von Rot-Grün. Am 22. Mai fiel in Nordrhein-Westfalen die letzte rot-grüne Landesregierung, am 18. September verloren SPD und Grüne die Mehrheit im Bund.
Übergang ins Lager der Union
Nun suchen die Grünen nach einer neuen Heimat im Lager von Union und FDP. Mit seinem Rückzugsmanöver hat Fischer dafür die Weichen gestellt.
Am Dienstag teilte er der Bundestagsfraktion mit, dass er weder für das Amt des Fraktionsvorsitzenden noch für andere Fraktions- oder Parteiämter zur Verfügung stehe. Sein Bundestagsmandat werde er aber annehmen und im Falle einer Regierungsbeteiligung sei er auch zur Übernahme eines Ministeramtes bereit.
Durch diesen taktischen Rückzug bringt Fischer, der als Spitzenkandidat der Grünen im Wahlkampf noch für Rot-Grün eingetreten war, andere Führungsmitglieder in Stellung, um den Weg Richtung Union zu bahnen. Gleichzeitig hat er damit die ersten Weichen in Richtung einer politischen Neuorientierung gestellt. Er fällt den Bemühungen der SPD in den Rücken, doch noch eine gemeinsame Regierung mit den Grünen auf die Beine zu stellen - sei es in Form einer Ampel unter Einbeziehung der FDP oder in Form einer Minderheitsregierung. Mit seinem Rückzug hat er signalisiert, dass er daran kein Interesse mehr hat.
Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus wertete Fischers Entscheidung dementsprechend als positives Signal für ein Bündnis der Grünen mit Union und FDP. Durch den Amtsverzicht von Fischer sei "viel Bewegung hereingekommen", es gebe jetzt "eine größere Verhandlungsoffenheit", sagte der CDU-Politiker der dpa, und forderte auch von seiner eigenen Partei eine größtmögliche Offenheit. Mit Fischers Verzicht auf Spitzenämter in Partei und Fraktion seien mehr Schnittmengen mit den Grünen möglich. Damit seien "die Dinge, die im Wahlkampf eine Rolle gespielt haben, ein Stück Geschichte", meinte Althaus. "Es gibt sicher eine ganze Reihe von Punkten, wenn man den Wahlkampfnebel verziehen lässt, die übereinstimmend sind."
Dass die Grünen mehr als bereit sind, auf die Union und die FDP zuzugehen, ist unübersehbar. Da ist zunächst das intensive Werben führender CDU- und FDP-Größen und die Resonanz, auf das es unter den Grünen trifft.
Neben Althaus treten inzwischen auch zahlreiche weitere CDU-Politiker einschließlich dem früheren Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble offen für eine schwarz-gelb-grüne Koalition ein. Sie sei einer großen Koalition vorzuziehen, weil letztere zu einer Stärkung der politischen Ränder rechts und links führen würde, sagte Schäuble der Süddeutschen Zeitung.
Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel erklärte, sie wolle die Option einer schwarz-gelb-grünen Regierung nicht vorzeitig aufgeben, und selbst aus der CSU-Zentrale in München kamen positive Signale.
In der FDP sprachen sich unter anderen der stellvertretende Vorsitzende Andreas Pinkwart, die bayerische Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki für eine Koalition mit den Grünen aus.
FDP-Vize Rainer Brüderle sagte in der Bild -Zeitung: "Bei genauer Analyse der Parteiprogramme ist die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie möglich - wenn Union, Grüne und FDP über ihren Schatten springen, können wir das leisten." Und der FDP-Finanzexperte Otto Solms sah Schnittmengen in der Steuer- und Finanzpolitik. Auch die Grünen träten für ein vereinfachtes Steuerrecht ein, sagte er der Rheinischen Post.
Mehrere prominente Grüne haben sich zustimmend zu einer Koalition mit Union und FDP geäußert - so der Haushaltsexperte Oswald Metzger, die baden-württembergische Spitzenkandidatin Uschi Eid und der bayerische Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag.
Andere halten den Vorschlag für verfrüht, aber als sinnvoll für die Zukunft. So sagte der Bremer Landesvorsitzende der Grünen, Dieter Mützelburg: "Prinzipiell würde ich nicht Nein sagen zu einer Jamaika-Koalition. Ich glaube aber nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist."
Die beiden Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer haben immer wieder ihre Bereitschaft betont, an den Sondierungsgesprächen mit der CDU teilzunehmen, zu denen Angela Merkel sie für den heutigen Freitag eingeladen hat.
Eine bürgerliche Mittelstandspartei
Die Selbstverständlichkeit, mit der in Berlin über eine schwarz-gelb-grüne Koalition diskutiert wird, und die Tatsache, dass selbst rechteste Unions-Politiker ein Zusammenarbeit mit den Grünen nicht mehr ausschließen, zeigt, wie weit diese Partei, die vielen einst als linke Alternative zur SPD galt, ins rechte bürgerliche Lager gerückt ist.
Die Grünen sind zu einer Partei des besserverdienenden städtischen Mittelstandes geworden, die auf das Anwachsen von Armut und Arbeitslosigkeit genauso reagiert, wie die anderen bürgerlichen Parteien: Indem sie weiter nach rechts rückt.
Die Fragen des Lebensstils, die die Grünen einst von den etablierten bürgerlichen Parteien trennten, haben sich weitgehend angeglichen - was allein schon daran sichtbar wird, dass die FDP heute von einem bekennenden Homosexuellen und die CDU von einer geschiedenen, kinderlosen, protestantischen Frau geführt wird - was vor zwanzig Jahren noch als undenkbar gegolten hätte.
Der Umweltschutz, das Steckenpferd der Grünen, ist zu einem blühenden, profitträchtigen Industriezweig geworden, in dem auch viele FDP- und CDU-Anhänger ihr Geld verdienen - vom Bio-Laden bis zum Windkraftwerk. Und der Bedarf an alternativen Energiequellen wird in Zeiten steigender Ölpreise selbst von der Industrie anerkannt.
Wie weit die Grünen sich der Union und der FDP programmatisch angenähert haben, macht ein Interview deutlich, das die taz kürzlich mit dem Chef der parteieigenen Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks geführt hat.
Zur rot-grünen Koalition meinte Fücks: "Eine historische Allianz, ein Generationenprojekt dieser Art wird es nicht mehr geben.... Rot-Grün war für uns wichtig, um regierungsfähig zu werden und die ökologische Modernisierung anzuschieben. Programmatisch hat es den Grünen nicht unbedingt gut getan.... Wir stehen für einen anderen Entwurf sozialer Gerechtigkeit als die SPD. Grün ist die Verbindung von Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Solidarität. Soziale Teilhabe entscheidet sich beim Zugang zu öffentlichen Gütern wie Bildung und Kultur. Sozialdemokraten sind stärker auf soziale Transferzahlungen fixiert."
"Selbstbestimmung", "Selbstverantwortung" und Ablehnung "sozialer Transferzahlungen" - das sind Schlagwörter, wie man sie in den Programmen der FDP und anderer neoliberaler Parteien findet. Es sind grüne Labels für die Politik von Merkel und Kirchhof.
Im selben Stil fährt Fücks fort: "Es geht um eine neue Kombination von sozialer Grundsicherung und Eigenvorsorge. Wenn sich die Gewerkschaften vor 20 Jahren entschlossen hätten, einen Teil der Lohnerhöhungen in Investitionsfonds umzulenken, dann wären die Beschäftigten heute die größten Aktionäre der Republik." Er fordert "eine neue Balance zwischen öffentlichen Investitionen und sozialen Transfers. Wir geben zu viel für Einkommenssicherung und zu wenig für die Zukunft aus." Peter Hartz hätte es nicht besser sagen können.
"Die Grünen", bilanziert Fücks, "repräsentieren heute das innovative Milieu der Gesellschaft."
Sollte sich noch jemand der Illusion hingegeben haben, an dieser Partei sei irgendetwas "links", so sollte ihn spätestens diese jüngste Entwicklung eines Besseren belehren.