Vor mehr als vier Wochen traten die VW-Arbeiter in Brüssel-Forest in Streik und besetzten das Werk, um gegen die Verlagerung der Golf-Produktion von Brüssel an deutsche Standorte zu protestieren. Doch der Widerstand konnte an der Entscheidung der Konzernleitung nichts ändern. Denn während viele Solidaritätstelegramme in Brüssel-Forest eintrafen, organisierten Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre gleichzeitig die systematische Isolation der streikenden VW-Arbeiter in Belgien.
An keinem der sechs deutschen VW-Standorte wurden unterstützende Kampfmaßnahmen eingeleitet. Der VW-Europa-Betriebsrat tat alles, um die Solidarität auf hohle Phrasen zu beschränken und jeden gemeinsamen Kampf zur prinzipiellen Verteidigung aller Arbeitsplätze zu verhindern.
Erst als sich die Betriebsräte aus den verschiedenen europäischen Werken auf einer Sitzung am 7. Dezember darauf verständigt hatten, dass kein gemeinsamer Kampf stattfinden werde, gab Bernd Osterloh, der Chef des deutschen und des europäischen Betriebsrats, eine seiner bekannten demagogischen Erklärungen ab. Darin heißt es, falls sich der Vorstand nicht "im Sinne unserer Kolleginnen und Kollegen" bewege, "werden wir über konkrete Solidaritätsbekundungen nachdenken. Und zwar nicht auf dem Papier, sondern mit der Hand am Arm und den Beinen auf der Straße".
Als ob der Betriebsrat mit seinen Co-Managern im Wirtschaftsausschuss nicht längst in alle weiteren Pläne eingeweiht sei, forderte Osterloh den Konzernvorstand auf, "seine Restrukturierungspläne für andere Standorte in Westeuropa auf den Tisch zu legen". Wen will Osterloh für dumm verkaufen? Jeder bei VW weiß, dass der Betriebsrat gekauft ist und viele Rationalisierungsmaßnahmen nicht nur in enger Zusammenarbeit mit den Betriebsräten, sondern oft genug von den Betriebsräten selbst entworfen und vorgeschlagen werden.
Angesichts dieser Situation fühlte sich die Konzernleitung ermutigt, den Beschäftigten in Brüssel die Bedingungen zu diktieren.
Am Wochenende gab er seinen neuen Produktionsplan bekannt. Er sieht vor, dass von den bisher 5.370 Beschäftigten im VW-Werk Brüssel vorerst nicht mehr als 2.000 weiterbeschäftigt werden. Von 2009 an will Volkswagen in Brüssel mit voraussichtlich 3.000 Arbeitern den neuen Audi A1 bauen, allerdings nur, "wenn sich die Produktion dieses Audi-Kleinwagens in Brüssel wirtschaftlich rechnet", wie Norbert Steingräber, der Sprecher der Brüsseler Geschäftsleitung, erklärte.
Inmitten von Verhandlungen mit dem Betriebsrat sagte VW-Geschäftsführer Jos Kayaerts am Montag, die wichtigste Voraussetzung für die Audi-Produktion sei die Senkung der Lohnkosten pro Stunde. Auch der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt gab sich dazu her, den Druck auf die Autoarbeiter zu verschärfen: Im Fernsehen erklärte er, die Volkswagenbelegschaft in Forest werde gezwungen sein, länger zu arbeiten und Lohnsenkung zu akzeptieren.
Der neue Produktionsplan sieht vor, dass das Werk im nächsten Jahr mit 2.000 Beschäftigten weitermachen wird, die verstärkt den Polo montieren und ohne Lohnausgleich wöchentlich 38 Stunden statt wie bisher 35 Stunden arbeiten werden. Außerdem gibt es zur Zeit vage Versprechungen, dass weitere tausend Arbeiter nicht entlassen, sondern in Schulungen und Kurzarbeit geschickt werden, da die Produktion ab 2009 ja dreitausend Arbeiter erfordert. Aber darüber gibt es bisher keine konkreten Beschlüsse. Es kann sehr gut sein, dass die Direktion in zwei Jahren die Produktion des Audi A1 lieber mit neuen, billigeren und unorganisierten Arbeitern wieder aufnehmen will. Sicher ist nur, dass mehr als zweitausend Arbeitsplätze sofort vernichtet werden.
Die Aufstockung der Polo-Produktion in Brüssel bedeutet, dass andere VW-Standorte, die den Polo montieren, wie Pamplona und Martorell in Spanien oder Bratislava in der Slowakei, mit Arbeitsplatzabbau konfrontiert sein werden. Geplant ist, dass die bisher in Brüssel montierten 10.000 Polos auf 46.000 Polos aufgestockt werden.
Der Betriebsratsvorsitzende des VW-Werks Brüssel, Jan Van Der Poorten, hat am Montag erklärt, die Verhandlungen müssten fortgesetzt werden, da bisher keine konkreten Produktionszahlen vorlägen. Er sprach jedoch gegenüber belgischen Journalisten die Hoffnung aus, dass es noch in dieser Woche zu einer "symbolischen Arbeits-Wiederaufnahme" kommen werde.
Es ist offensichtlich, dass Gewerkschaften und Betriebsrat den drastischen Arbeitsplatzabbau schon akzeptiert haben und einen Abschluss in Kürze unterschreiben werden. Das wurde auch deutlich, als Manuel Castro von der belgischen Metallgewerkschaft FTGB "bessere Garantien für den Arbeitsplatzabbau, die Rentenvereinbarungen und die Produktion in 2007-08" forderte.
Um den Ausverkauf des Arbeitskampfs zu beschönigen, haben Betriebsrat und Werksleitung sich auf relativ hohe Abfindungssummen für diejenigen geeinigt, die freiwillig kündigen. Die Abfindungen sollen je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit zwischen 25.000 und 144.000 Euro liegen. Im Prinzip wird eine Summe versprochen, die pro Arbeitsjahr einen Bruttomonatsverdienst beträgt, was vor allem für ältere, langjährige Mitarbeiter attraktiv ist. Die Direktion brüstet sich, mit den Abfindungen ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden.
Wie berichtet wird, haben sich schon über 1.500 Arbeiter für eine Kündigung unter dieser Art Abfindung gemeldet. Das zeigt vor allem, wie wenig Vertrauen in die Gewerkschaften und den Betriebsrat noch existiert. Niemand erwartet mehr, dass sie die Arbeitsplätze prinzipiell und auf Dauer verteidigen.
Die Korruption von Wolfsburger Betriebsräten zieht immer weitere Kreise. Auch viele andere sind betroffen, wie zum Beispiel der frühere Betriebsratsgeschäftsführer Hans-Jürgen Uhl, Mitbegründer des Europäischen VW-Betriebsrats und SPD-Bundestagsabgeordneter. Am Freitag ist seine Immunität im Bundestag aufgehoben worden, so dass der Weg für eine Anklage gegen ihn frei ist. Uhl soll einer der "Hauptnutznießer" der Vergünstigungen der VW-Direktion gewesen sein.
Stimmen von Wolfsburger Schichtarbeitern
Am Freitag sprachen Redakteure der WSWS in Wolfsburg mit Arbeitern während des Schichtwechsels und fragte sie nach ihrer Meinung über den Betriebsrat und dessen Zustimmung zur Golfverlagerung aus Brüssel und zu den Verschlechterungen in Wolfsburg.
Bernd C. [Namen von der Redaktion geändert], seit 26 Jahren Schichtarbeiter in Wolfsburg, forderte: "Alle Verträge mit der Unterschrift der Betriebsräte müssen rückgängig gemacht werden. Seit Volkert wissen wir, dass sie käuflich sind, also kann das gar nicht gültig sein. Auch jetzt mit Brüssel wollen sie alles schnell unter Dach und Fach bringen, denn sie wissen, was in der Belegschaft los ist. Es rappelt in der Kiste’. Die Gewerkschaft vertritt uns offenbar nicht mehr. Wofür zahlen wir eigentlich noch Beiträge?"
Gisela S., Gabelstaplerfahrerin seit zehn Jahren, berichtete über die Verschlechterungen in Wolfsburg. Nach dem neuen Tarifmodell müssen die Arbeiter schon seit Wochen regelmäßig viereinhalb Stunden länger arbeiten und leisten nun jeden Freitag eine volle Arbeitsschicht, die jedoch nicht einmal halb bezahlt wird. "Wir bekommen heute die Überstunden nicht mehr ausbezahlt, und freitags arbeiten wir jetzt schon umsonst. Das führt dazu, dass man völlig die Lust verliert. Ich arbeite hier nur noch, was ich unbedingt muss", sagte Gisela. Nach ihrer Meinung über den Betriebsrat befragt, antwortete sie: "Man kann ihnen nicht vertrauen; die interessieren sich überhaupt nicht für uns." Ein anderer Arbeiter ergänzte: "Wer soll denn glauben, dass Osterloh von der ganzen Sache, die Volkert da getrieben hat, nichts mitbekommen hat: Er war doch sein Stellvertreter. Entweder er ist sträflich dumm, oder er lügt."
Karin A. berichtete, dass in letzter Zeit mehrere Vertrauensleute aufgegeben haben, weil sie die Beschlüsse gegenüber den Arbeitern nicht mehr vertreten können und wollen. "Die Vertrauensleute geben der Reihe nach auf", sagte Karin. "Was die Betriebsräte angeht: die sieht man kaum, und wenn doch, dann fahren sie im Dienstwagen herum. Das sagt doch schon alles. Für mich sind das keine Arbeitervertreter." Karin berichtete, dass sich die Arbeit vollkommen verändert habe, die Teams seien auseinander gerissen worden, die Stimmung sei auf dem Nullpunkt.
Auch Karl P. hat kein Vertrauen mehr in den Betriebsrat. "Klaus Volkert hat einen Vertrauensbruch bewirkt, der sich auf alle überträgt", sagte er. "Wem kann man überhaupt noch trauen? In der Gewerkschaft ist es offenbar normal geworden, dass sich jeder nur noch selbst bedient. Da gibt’s kein soziales Engagement mehr." Karl arbeitet seit 2002 bei VW in Wolfsburg, er wurde im Rahmen des Tarifmodells "5000 mal 5000" eingestellt, als Volkswagen 5000 neue Mitarbeiter zu schlechteren Bedingungen und niedrigeren Löhnen als in den bisherigen Tarifverträgen einstellte. Für ihn sei das damals "ein gutes Lohnangebot" gewesen. "Aber seither haben wir systematisch Einsparungen erlebt, und jetzt sollen sogar die Nachtschichtzuschläge nicht mehr steuerfrei sein. Das Arbeitsklima verschlechtert sich und die Spannung nimmt zu."