US-Präsident George W. Bush erklärte am Montag seine volle Unterstützung für den Entwurf einer UN-Resolution, der von den Vereinigten Staaten und Frankreich vorgelegt worden ist. Diese soll der libanesischen Bevölkerung Israels Bedingungen diktieren und gleichzeitig dem israelischen Militär weiter die zeitlich unbegrenzte Besetzung und Verwüstung des Libanons erlauben.
Das Dokument ist kein Friedensabkommen, sondern ein weiterer Schritt, um die gesamte Nahostregion in den Krieg zu ziehen, den die Bush-Regierung 2003 mit der Invasion im Irak begonnen hat. Dies bedroht die arbeitende Bevölkerung im Nahen Osten wie auch in den USA und weltweit mit einer Katastrophe.
Auf seiner Ranch in Texas erklärte Bush, seine Regierung habe nicht die Absicht, irgendwelche bedeutenden Änderungen in der UN-Resolution zu akzeptieren. Insbesondere lehnt sie eine Ergänzung ab, die von der libanesischen Regierung mit Unterstützung der gesamten arabischen Welt gefordert wird und die als Vorbedingung für jede Einigung den sofortigen Abzug der 10.000 Mann starken israelischen Invasionsarmee aus dem Libanon verlangt.
An Bushs Seite stand die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice, die in den vergangenen vier Wochen systematisch dafür gesorgt hatte, dass kein Waffenstillstand zustande kam und das Töten im Libanon weiterging. Sie verharmloste die Einwände der Libanesen: "Wir verstehen, dass bei den Libanesen viele Gefühle im Spiel sind", erklärte sie. "Sie haben einen sehr schwierigen Krieg durchgemacht."
Das UN-Dokument verurteilt nirgends den israelischen Blitzkrieg gegen den Libanon, der angeblich wegen der Entführung zweier israelischer Soldaten begonnen wurde und mittlerweile zum Tod von über tausend libanesischen Zivilisten, zur Verletzung weiterer Tausender, zur Vertreibung von einer Million Menschen und zur weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur im Libanon geführt hat.
Der Resolutionsentwurf verlangt auch nicht von Israel, die Kontrolle über das Gebiet der Schebaa-Farmen im Libanon aufzugeben. Gerade aufgrund dieser Besetzung ist der bewaffnete Widerstand der Hisbollah nach dem Völkerrecht eine legitime Form des Kampfes.
Die UN-Resolution bietet nichts anderes als einen Frieden, wie er einer im Krieg vernichtend geschlagenen Nation vom Sieger aufoktroyiert wird. Tatsächlich ist es Israel jedoch bislang nicht gelungen, die gesteckten militärischen Ziele zu erreichen bzw. eine Kontrolle über irgendein libanesisches Territorium zu erlangen - trotz des Blutbads, das die israelische Armee mit Hilfe von amerikanischen Raketen, Granaten und Clusterbomben im Libanon verübt hat. Israel musste am Boden militärische Rückschläge hinnehmen, weil die Hisbollah-Kämpfer heftigen Widerstand leisten.
Israel war auch nicht in der Lage, die Raketenangriffe der Hisbollah zu stoppen. Am Sonntag wurden bei dem bislang blutigsten dieser Angriffe zwölf israelische Soldaten getötet, die zu den Invasionstruppen im Libanon stoßen sollten.
Die Forderungen im Resolutionsentwurf - dass die Hisbollah alle Waffen abgeben und sämtliche Militäroperationen einstellen muss, während Israel weiterhin libanesisches Territorium besetzt hält und "defensive" Luftangriffe gegen wehrlose Zivilisten führen kann - sind nicht nur für die Hisbollah vollkommen inakzeptabel, sondern auch für die libanesische Bevölkerung und Regierung sowie für die syrische und iranische Regierung.
Die Vereinigten Staaten haben alle Bemühungen um einen sofortigen Waffenstillstand abgewürgt, um ihrem Verbündeten Israel die Fortsetzung der Offensive zu ermöglichen; jetzt wischen sie alle Einwände der Libanesen beiseite - im Namen des "Friedens". So erklärte Bush am Montag auf seiner Pressekonferenz heuchlerisch: "Alle wünschen, dass die Gewalt aufhört."
Das ist eine Lüge. Washington wünscht heute genau so wenig wie vor einem Monat ein Ende der Gewalt.
Der libanesische Parlamentspräsident Nabih Berri schätzte den UN-Resolutionsentwurf korrekt ein, als er erklärte, die Rechtfertigung der israelischen Besatzung würde "einem unbegrenzten Krieg Tür und Tor öffnen". Alles deutet darauf hin, dass der "unbegrenzte Krieg" genau der Strategie der Bush-Regierung für den Nahen Osten entspricht.
Das ist die wahre Bedeutung von Bushs Erklärung am Montag, die UN-Resolution sei dazu bestimmt, "an die Wurzel des Konflikts" zu gehen. Damit meinte er nicht, dass sie die fast sechzig Jahre alten Probleme der Palästinenser beseitigt, die mit der Gründung des israelischen Staates 1948 aus ihrer Heimat vertrieben und dann fast vierzig Jahre lang illegaler und brutaler Besatzung unterworfen wurden, nachdem Israel 1967 im Westjordanland und im Gazastreifen einmarschiert war.
Die "Wurzel des Konflikts", die Bush im Sinn hat, meint auch keineswegs die ein Jahrhundert umfassende Beherrschung der Region durch den westlichen Imperialismus. Damals wie heute war es das Ziel zunächst des britischen, später des amerikanischen Imperialismus, willfährige arabische Regimes an die Macht zu bringen, die verlässliche Öllieferungen zu profitablen Bedingungen garantieren und ihre eigenen Völker unter dem Daumen halten sollten.
Für Bush und die rechten Kreise, die die amerikanischen Regierungsgeschäfte lenken, besteht die "Wurzel des Konflikts" im Widerstand der Bevölkerung gegen Israels Landnahme und das amerikanische Bestreben, die unumstrittene Vorherrschaft in dieser strategischen Weltregion zu erlangen.
Der perverse und falsche Charakter der UN-Resolution ist schon an der Tatsache abzulesen, dass dieses so genannte Waffenstillstandsabkommen im Wesentlichen von einer der beiden Kriegsparteien - Israel - gemeinsam mit ihrem wichtigsten Unterstützer - den Vereinigten Staaten - formuliert wurde.
Die Bush-Regierung hat gemeinsam mit der französischen Regierung eine Resolution ausbaldowert, deren Bedingungen absichtlich darauf zugeschnitten sind, sowohl für die Hisbollah wie auch die libanesische Regierung inakzeptabel zu sein. So soll der libanesischen Bevölkerung die Verantwortung für die Fortsetzung und Eskalation des Kriegs zugeschoben werden, die in Wirklichkeit von Israel und den Vereinigten Staaten ausgeht.
Die Reaktion der israelischen Regierung macht den falschen Charakter der angeblichen Waffenstillstandsbemühungen deutlich. Der israelische Verteidigungsminister Amir Peretz sagte am Montag vor einem Parlamentsausschuss: "Ich habe den Befehl erteilt, dass die israelischen Streitkräfte die nötigen Operationen ausführen, um die Kontrolle über alle Katjuscha-Abschussrampen zu übernehmen, wenn der diplomatische Prozess in den kommenden Tagen zu keinem Schluss kommt." Die israelischen Streitkräfte, fügte er hinzu, "werden überall im Libanon operieren".
Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass das israelische Militär eingesetzt wird, um die Bevölkerung zu vertreiben und das libanesische Territorium bis zum Fluss Litani und vielleicht noch darüber hinaus zu besetzen. Aus diesem militärischen Vorgehen ergibt sich logisch eine weitere Annektierung von Land durch Israel.
"Keine Beschränkungen" für israelische Angriffe
Der israelische Premierminister Ehud Olmert erklärte, er werde der israelischen Armee bei ihrem Vorgehen "keine Grenzen" setzen.
Die israelische Tageszeitung Haaretz zitierte einen nicht näher bezeichneten hohen Offizier mit den Worten, Israel plane jetzt "Angriffe auf strategische Infrastrukturziele und Symbole der libanesischen Regierung". Ein weiterer Militärführer sagte der Zeitung: "Die Geschichte könnte damit enden, dass der Libanon für ein paar Jahre im Dunkeln sitzt."
Die Eskalation der israelischen Aggression war schon am Montag offensichtlich, als eine belebte Einkaufszone in einem südlichen Stadtteil von Beirut bombardiert wurde, der sich an einen vorwiegend von Christen bewohnten Bezirk der Stadt anschließt. Die offizielle libanesische Nachrichtenagentur sprach von zwanzig Toten, doch vermutlich liegen noch weitere Opfer unter dem Schutt begraben. Der Luftschlag zerstörte ein Wohnhaus in der Nähe eines Einkaufszentrums, wo viele Flüchtlinge Zuflucht gesucht hatten.
Unterdessen hat das israelische Militär im südlichen Libanon eine Ausgangssperre ab 22:00 Uhr verhängt und gewarnt, dass jeder, der sich nicht daran halte, als Terrorist betrachtet und erschossen werde.
Für Washington ist es erklärtermaßen eine Prinzipienfrage, keinen Kontakt zur Hisbollah oder zu Syrien und dem Iran als den zwei Nationen mit den engsten Verbindungen zum Libanon und seiner schiitischen Bevölkerung aufzunehmen. Stattdessen versuchen die Vereinigten Staaten, alle drei zu dämonisieren, und legen damit das ideologische Fundament für zukünftige Angriffskriege.
In diesem Sinne sagte Bush, die UN-Resolution diene dazu, "bewaffnete Milizen wie Hisbollah und ihre iranischen und syrischen Förderer daran zu hindern, weitere Krisen auszulösen".
Auf die Frage eines Reporters, warum Washington sich weigere, mit Syrien oder dem Iran zu reden, antwortete er: "Ich schätze es, wenn Leute sich auf Syrien und den Iran konzentrieren, und das sollten wir auch tun, weil Syrien und der Iran die Aktivitäten der Hisbollah unterstützen und fördern - die alle darauf abzielen, Chaos zu schaffen, die alle auf Terror abzielen, um die Ausbreitung der Demokratie zu verhindern." Um jeden Zweifel auszuschließen, fügte er hinzu: "Die Aktionen der Hisbollah sollen mit Hilfe ihrer Förderer im Iran und Syrien die Ausbreitung der Demokratie verhindern. Hisbollah hat diesen Angriff begonnen. Hisbollah versucht das Chaos zu schaffen, das den Weg zum Frieden verbaut."
Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass Bush mehr über den Libanon weiß, als er über den Irak wusste. (Einem kürzlich veröffentlichten Bericht zufolge wusste er vor dem Krieg nicht einmal von der Existenz verschiedener Glaubensrichtungen im Islam, Schiiten und Sunniten.) Aber Fakt ist, dass die Hisbollah weder eine Marionette Syriens noch des Irans ist, und ebenso wenig eine der beiden Regierungen die Aktivitäten der Hisbollah kontrolliert.
Die Hisbollah ist eine Bewegung, die sich aus dem Widerstand der schiitischen Bevölkerung im Libanon gegen die achtzehnjährige israelische Besetzung ihres Landes entwickelt hat. Besonderes Prestige erwarb sie sich, als es ihr gelang, die israelischen Truppen vom libanesischen Territorium zu vertreiben. Sie wurde zu einer mächtigen Bewegung, auf die sich die Hoffnungen der schiitischen Bevölkerung im Libanon richteten, die schon seit Langem der ärmste und politisch am stärksten unterdrückte Teil der Gesellschaft des Landes ist.
Bushs Bemerkungen vom Montag wurden noch bedrohlicher, als er eine Beziehung zwischen dem Libanon und der umfassenderen Nahostpolitik seiner Regierung sowie dem so genannten "globalen Krieg gegen den Terror" herstellte
Er erklärte. "Das amerikanische Volk muss wissen: Wir haben eine Strategie - eine Strategie für Freiheit im Nahen Osten, die das amerikanische Volk langfristig schützt. Und wir haben eine Strategie, mit den Problemen fertig zu werden, die sich im Nahen Osten ergeben - zuerst der Libanon und dann natürlich die Frage der iranischen Atomwaffen."
Er fuhr fort: "Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts besteht darin, die Menschen daran zu erinnern, worum es geht, und die Menschen daran zu erinnern, dass auch in Momenten der Ruhe eine faschistische islamische Gruppe verschwörerisch daran arbeitet, ihre Ideologie zu verbreiten. Und eine der Lehren - eine der Lehren, die sich aus diesem unglückseligen Zwischenfall im Nahen Osten ergibt, ist die unmissverständliche Erkenntnis, dass da immer noch die sind, die das Fortschreiten der Freiheit aufhalten wollen..."
Bushs "Strategie" besteht darin, die Kriege mit dem Ziel des "Regimewechsels" im Nahen Osten auszuweiten, die mit dem Sturz Saddam Husseins im Irak begonnen haben. Wenn der amerikanische Präsident - dessen engste Verbündete in der Region die Polizeistaaten und absolutistischen Monarchien Ägypten, Saudi Arabien und Jordanien sind - über "Freiheit" spricht, dann spricht er über die Freiheit amerikanischer Banken und Konzerne, die alleinige Kontrolle über den Nahen Osten und seinen Ölreichtum auszuüben.
Angesichts des Kriegsdebakels im Irak - tausende US-Soldaten werden jetzt nach Bagdad geschickt, um die Hauptstadt wieder in ihre Gewalt und deren unruhige Schiitenbevölkerung zur Räson zu bringen - hat die Bush-Regierung entschieden, dass die Lösung nicht in einem Rückzug sondern in der Entfesselung neuer Kriege liegt, zunächst gegen den Libanon, später auch gegen Syrien und den Iran.
Ohne Zweifel enthält diese Strategie der militärischen Eskalation ein Element von Wahnsinn, aber das ergibt sich nicht nur aus der Unzurechnungsfähigkeit des beschränkten amerikanischen Präsidenten und seiner Berater. Es zeigt sich darin vielmehr ein irrationales Gesellschaftssystem, dessen Grundlage das Privateigentum an den Produktivkräften und lebenswichtigen Ressourcen des Planeten ist und das die global integrierte Weltwirtschaft in rivalisierende Nationalstaaten aufspaltet.
Die Politik der Vereinigten Staaten besteht im Wesentlichen darin, ihre Militärmacht zu nutzen, um die Kontrolle über die Ölquellen im Nahen Osten und Zentralasien sicherzustellen. Dadurch sollen dem amerikanischen Kapitalismus sowohl sichere Energievorräte als auch die Fähigkeit verschafft werden, seinen Wirtschaftskonkurrenten Bedingungen zu diktieren.
Die Hinwendung zum eskalierenden Militarismus ergibt sich auch aus den tiefen inneren Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft, in der eine beispiellose Polarisierung zwischen einer reichen Elite und der großen arbeitenden Bevölkerungsmehrheit herrscht und die ständig von wirtschaftlichem Zusammenbruch und steigender Inflation bedroht ist - dem Nährboden für soziale Explosionen.
Ein militärischer Angriff auf Syrien und den Iran hätte die schlimmsten Folgen. Das scheiternde imperialistische Abenteuer im Irak hat die amerikanischen Militärkräfte schon an ihre Grenzen gebracht. Ein neuer Krieg wird zweifellos zur Wiedereinführung der Wehrpflicht führen und die jungen Amerikaner zwingen, sich als Kanonenfutter für die Eroberungen iranischer Ölfelder herzugeben.
Außerdem hat ein Krieg gegen den Iran die tödlichsten Implikationen. Ein Angriff der USA würde eine iranische Reaktion gegen Israel provozieren, und dies wiederum einen nuklearen Vergeltungsschlag Israels. Der Weg, den der US-Imperialismus jetzt einschlägt, führt zum Tod von Millionen Menschen.
Das Blutbad im Libanon hat gezeigt, dass im politischen Establishment der Vereinigten Staaten keine ernstzunehmende politische Opposition gegen diesen Kurs in Richtung Weltkrieg existiert. Die angebliche Oppositionspartei, die Demokratische Partei, versucht die Republikaner bei ihrer Unterstützung für Israel noch zu übertreffen. Gleichzeitig macht der von den USA und Frankreich vorgelegte Resolutionsentwurf überaus deutlich, dass die europäische Bourgeoisie nicht in der Lage ist, dem US-Militarismus irgendwelche Gegenwehr entgegenzusetzen, und dass die UNO nur als Instrument imperialistischer Politik dient.
Um der Gefahr eines größeren und verheerenden Kriegs zu begegnen, braucht es eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse in den USA und weltweit, die sich auf ein gemeinsames sozialistisches Programm stützt.