Da die Bush-Regierung nach dem Massaker in Kana ein weiteres Mal ihr Einverständnis signalisiert hat, intensiviert Israel nun das Bombardement gegen den Libanon und beginnt eine größere Bodenoffensive, um Gebiete im Süden des Landes zu besetzen.
Obwohl es angesichts der Tötung von 60 Menschen in Kana, hauptsächlich Kindern und Frauen, zu einem internationalen Aufschrei kam, hat die israelische Regierung erklärt, es werde keinen Waffenstillstand geben, solange sie nicht ihre Mission erfüllt und die Hisbollah ausgelöscht habe. Dies bedeutet nichts anderes als die Terrorisierung und Vertreibung der Bevölkerung im Südlibanon.
Am Dienstagabend beschloss das Sicherheitskabinett des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert die Ausweitung des Bodenkrieges und im Zuge dessen den Einsatz von tausenden Soldaten, die bereits an der libanesischen Grenzen zusammengezogen sind. "Das Sicherheitskabinett hat die Ausdehnung der Bodenoperationen ohne Einwände gebilligt", sagte ein Regierungssprecher gegenüber der Presse.
Zuvor hatte Olmert bereits in einer landesweit übertragenen Fernsehansprache an die Bürgermeister in Nordisrael erklärt: "Die Kämpfe gehen weiter. Es gibt keinen Waffenstillstand und es wird in den kommenden Tagen keinen Waffenstillstand geben." Israel stünden noch "keine geringe Zahl von Tagen des Kampfes" bevor, fügte er hinzu, denn dies sei "eine einzigartige Gelegenheit, um die Regeln im Libanon zu ändern".
Nach dem Massaker in Kana haben die Vereinigten Staaten und Israel keineswegs ihre Angriffe verringert. Stattdessen richten sie nun eine Verbotene Zone im Südlibanon ein, als Teil einer größeren Strategie, das Land und die Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Ziel, die Hisbollah zu vernichten, bedeutet, einen Krieg gegen die Bevölkerung als Ganze zu führen. Auch wenn die Hisbollah von Washington als Terrororganisation bezeichnet wird, verfügt sie über eine Massenbasis und mittlerweile über die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit von Libanesen - Christen und Sunniten ebenso wie Schiiten - in ihrem Kampf gegen die israelische Aggression.
In einer Rede vor Unternehmern wiederholte US-Präsident George W. Bush am Montag in Miami die amerikanische Forderung nach einem "dauerhaften" Ende der Gewalt im Libanon und widersetzte sich damit dem wachsenden internationalen Appellen nach einem sofortigen Waffenstillstand. "Ich versichere den Leuten hier, dass wir im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an einem Plan arbeiten, der sich den Wurzeln des Problems widmen wird", sagte Bush zur Presse.
Wenn die Bush-Regierung davon spricht, sich den "Wurzeln" zu widmen, so meint sie damit nicht nur, dass sie den Massenwiderstand von Seiten der Hisbollah und der südlibanesischen Bevölkerung gegen die israelische Aggression zerschlagen will. Im Visier der Vereinigten Staaten sind dabei auch die Regierung von Syrien und dem Iran, denen Washington und Jerusalem immer lauter vorwerfen, die Hisbollah mit Waffen zu beliefern.
Die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice behauptet, die israelische Regierung davon überzeugt zu haben, die Luftangriffe für 48 Stunden auszusetzen und innerhalb einer Woche einem Waffenstillstand zu erreichen. Doch Olmert, der Rice am Samstagabend und wiederum am Sonntag traf, widersprach dem direkt, als er sagte, er habe Rice erklärt, dass Israel noch 10 bis 14 Tage brauche, um die Kriegsziele zu erreichen.
In Wirklichkeit gab Rice im Auftrag der Bush-Regierung hinter verschlossenen Türen Olmert grünes Licht für die Eskalation und zweiwöchigen Verlängerung der Kampfhandlungen. Letztere war vom israelischen Militär bereits einplant worden, nachdem es anfänglich daran gescheitert war, den Widerstand der Hisbollah zu brechen.
"Glauben Sie, dass er [Olmert] angesichts seiner engen Beziehung zu Bush und Condi so etwas ohne ihr Einverständnis sagen würde?" bemerkte ein hochrangiger Vertreter des israelischen Staates gegenüber der New York Times. Der gleiche Vertreter sagte, er glaube, amerikanische Diplomaten hätten akzeptiert, dass die israelischen Streitkräfte mehr Zeit benötigten, um eine Pufferzone im Libanon zu errichten, bevor eine internationale Truppe dort hineinginge. Selbst wenn Rice am Donnerstag mit der Ausarbeitung einer Resolution im UN-Sicherheitsrat beginne, merkte er an, würde die Resolution doch wahrscheinlich Tage brauchen, bis sie angenommen würde.
Nachdem die Vereinigten Staaten ihre Haltung deutlich gemacht hatten, sagte ein Vertreter der Vereinten Nationen (UN), dass ein für Montag angesetztes Treffen zum Einsatz einer neuen internationalen Truppe im Libanon vertagt worden sei, "bis mehr politische Klarheit herrscht" in Hinblick auf den Weg, der bei dem seit 21 Tagen wütenden Krieg einzuschlagen sei.
Im Kriegsgebiet selbst hat das unablässige Bombardement libanesischer Ortschaften nicht aufgehört. Journalisten sagen, dass die lokalen Bevölkerung kein Nachlassen der Angriffe ausmachen kann. Der Korrespondent der Londoner Times Stephen Farrell berichtete aus der israelischen Grenzstadt Metula: "Ich kann sehen, wie israelische 155mm-Granaten weiterhin auf die libanesische Grenzstadt Kila hinabregnen. Mehr als einmal pro Minute schlagen Granaten ein, lösen Brände aus und hüllen die gegenüber liegende Hügelseite in eine wandernde Rauchwolke."
Mindestens zwei Zivilisten wurden durch israelische Luftangriffe nahe der Grenze verwundet; die israelische Armee erklärte dazu, ihre Soldaten hätten die beiden für fliehende Hisbollah-Kämpfer gehalten. Das israelische Militär griff auch einen libanesischen Militärjeep in der Nähe eines Armeepostens in Kasmijeh, nördlich von Tyrus an, wobei ein Mensch starb und drei weitere verletzt wurden. Israels Kriegsflugzeuge attackierten zum dritten Mal in den letzten drei Tagen provokativ die libanesisch-syrische Grenzstation Masnaa und verwundeten vier Zollbeamte.
Die israelischen Bodentruppen stießen zu den Dörfern Ayta und Ayta el-Shab vor, die in der Nähe der Stadt Bint Dschbeil liegen, von wo sich israelische Truppen in der vergangenen Woche nach intensiven Kämpfen zurückziehen mussten. Gepanzerte Bulldozer bahnten sich ihren Weg über die Grenze, um auf libanesischem Gebiet Gebäude dem Erdboden gleichzumachen. "Bis Mittwoch werden wir eine zwei Kilometer breite 'Sicherheitszone' einrichten, in der es keine Infrastruktur und kein Zeichen der Anwesenheit von Hisbollah gibt", erklärte General Gadi Eisenkraut, der für Armeeoperationen zuständig ist, gegenüber Reportern.
Journalisten, die Bint Dschbeil in den letzten Tagen besucht haben, sagen, dass die meisten Gebäude in der Stadt, in der einst 25.000 Menschen lebten, bereits vollkommen zerstört sind. So berichtete Nicholas Blanchford in der Times : "Schwache Männer und Frauen, vom Alter gebeugt, tauchen aus den Ruinen auf und stolpern über den Schutt, der das bedeckt, was einst die Hauptstasse von Bint Dschbeil war. [...] Das Zentrum ist komplett zerstört. Die Hauptstraße ist mit großen Kratern übersät."
Weiter heißt es in dem Artikel: "Die Mitarbeiter des Roten Kreuzes tragen Bahren und dringen weiter in das verwüstete Gebiet vor, während die Überlebenden - kraftlose alte Männer, junge Frauen mit Kindern auf dem Arm und Kleidern in Plastiktüten - in kleinen Gruppen aus den Ruinen zu den wartenden Ambulanzfahrzeugen kommen. Laila Dakhlallah, die einen Tschador trägt, sagt, dass ihre beiden Kinder getötet wurden. 'Ich werde aufstehen und kämpfen', schreit sie. 'George Bush ist ein Verbrecher. Ich habe meine Kinder verloren und es ist mir egal, ob ich sterbe. Alles, was mir lieb war, ist mir genommen worden.'"
Das monströse Kriegverbrechen in Kana, die schamlose Reaktion von Seiten der Vereinigten Staaten und Israel und die Komplizenschaft der Vereinten Nationen haben im Libanon und international für empörte Proteste gesorgt. In Beirut stürmten hunderte Demonstranten das UN-Gebäude und verurteilten die Vereinigten Staaten und Großbritannien wegen ihrer Rückendeckung für Israel.
Etwa 5.000 Menschen kamen in der belgischen Hauptstadt Brüssel zusammen und Tausende versammelten sich in London am Trafalgar Square, um die Unterstützung des britischen Premierministers Tony Blair für die israelischen Angriffe zu verurteilen. In Paris kamen hunderte Menschen bei Anbruch der Nacht zusammen, um in einer Schweigeminute der Opfer von Kana zu gedenken.
Im gesamten Nahen Osten kam es zu zahlreichen Protesten. Im Kairo versammelten sich etwa eintausend Menschen auf einem Platz, riefen antiamerikanische Parolen und kritisierten die arabischen Führer, obwohl sie von tausenden Polizisten eingekreist wurden. In Jordanien zogen etwa tausend Demonstranten zu den UN-Büros in Amman und wandten sich in Sprechchören gegen Israel und die USA. Dutzende Schiiten gingen in der Ostprovinz von Saudi Arabien auf die Straße, obwohl öffentliche Proteste im Königreich verboten sind.
Hunderte Frauen protestierten in der syrischen Hauptstadt Damaskus; einige trugen kleine Särge, die die toten Kinder symbolisieren sollten. In Kuwait City versammelten sich Hunderte vor der amerikanischen Botschaft und forderten die Schließung der Vertretung, weil Washington die israelische Kriegspolitik unterstützt. In Gaza City stürmten Palästinenser ein UN-Gelände, bevor Präsident Mahmud Abbas die Präsidentengarde und die Polizei aussandte, um den Protest aufzulösen.
Im amerikanisch besetzten Irak zogen Demonstranten durch den Bagdader Stadtteil Sadr City und trugen dabei Särge mit den Aufschriften "Vereinte Nationen" und "Arabische Regierungen". Tausende demonstrierten in Nasarijah, 350 km südlich von Bagdad, und verurteilten in Sprechchören das Massaker in Kana sowie die anhaltenden israelischen Angriffe gegen die libanesische Bevölkerung und Infrastruktur.
Größere Kriegspläne
Die so genannte 48-stündige Feuerpause, das Rice angekündigt hatte, diente hauptsächlich dem Zweck, der internationalen Öffentlichkeit etwas vorzuspielen.
Die israelische Tageszeitung Haaretz zitierte einen hochrangigen Regierungsvertreter mit den Worten, die Luftwaffe sei angewiesen worden, weiterhin "Ziele anzugreifen, die eine Gefahr für Israel und die israelischen Truppen darstellen, so Raketenwerfer, Munitionstransporter, Hisbollah-Kämpfer, Waffenlager und Hisbollah-Aktivposten". Der Begriff "Hisbollah-Aktivposten" meint auch Menschen, die mit der Hisbollah in Verbindung gebracht werden, aber keine unmittelbare Gefahr darstellen - mit anderen Worten: Alle, die immer noch im Südlibanon, in der Bekaa-Ebene und südlich von Beirut leben.
Die kurze Kampfpause, die Israel anbietet, damit Zivilisten vor dem Bombardement im Südlibanon fliehen können, dient dem Ziel, die verbliebene Bevölkerung aus dem Gebiet zu vertreiben. Journalisten berichten, dass Dorfbewohner mit großen weißen Fahnen an den Autos, Bussen und Transportern in Angst und Schrecken fliehen. Gleichzeitig warnen Hilfsorganisationen, dass viele Menschen nicht die Fahrzeuge und Mittel haben, um zu fliehen. Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen Jan Egeland protestierte, dass die israelischen Stellen keinerlei Details über den "so genannten humanitären Waffenstillstand" bekannt gegeben hätten.
Ein israelischer Minister gab zu, dass die Behauptung, man würde die Luftangriffe aussetzen, dazu dient, den internationalen Ärger zu beschwichtigen, um danach die Aggression auszuweiten. Justizminister Haim Ramon, der eng mit Olmert verbunden ist, sagte im Radiosender der israelischen Streitkräfte: "Das Aussetzen unserer Luftaktivitäten bedeutet keineswegs das Ende des Krieges. Im Gegenteil, diese Entscheidung wird uns erlauben, diesen Krieg zu gewinnen und den internationalen Druck zu vermindern."
Der israelische Verteidigungsminister Amir Peretz verdeutlichte die größeren Kriegspläne Israels und der Vereinigten Staaten, als er den Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand entgegentrat. "Dieser Krieg wird das Antlitz der Region verändern", sagte er. "Wir bekämpfen die Hisbollah, die nichts anderes als der Vortrupp des extremistischen Regimes in Teheran ist, das seine mörderischen Aktivitäten finanziert und ermutigt." Der Iran bestreitet die israelischen Vorwürfe, Teheran habe Hisbollah-Kämpfer bewaffnet und ausgebildet, und erklärte, man würde die Gruppe lediglich moralisch unterstützen.
Washingtons Unterstützung für die fortwährenden israelischen Gräueltaten zeigte sich deutlich beim Treffen des UN-Sicherheitsrats in New York, als die USA jede Verurteilung Israels wegen der Bombardierung von Kana blockierten. Der 15 Nationen umfassende Sicherheitsrat traf sich auf Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan und dem libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora zu einer außerplanmäßigen Sitzung. Dem Rat lag eine von Katar eingereichte Stellungnahme vor, in der das Bombardement als "vorsätzlich" bezeichnet und ein Waffenstillstand gefordert wurde.
Doch die Vereinigten Staaten bestanden darauf, dass die Stellungnahme gemäß der amerikanischen Linie geändert wurde, wonach "dieser Verlust unschuldiger Leben und die Tötung von Zivilisten im gegenwärtigen Konflikt zutiefst bedauert" und "die Dringlichkeit der Sicherung eines anhaltenden, permanenten und dauerhaften Waffenstillstands unterstrichen" wird. Schließlich einigte man sich auf eine Erklärung, nachdem die Vereinigten Staaten angekündigt hatten, Israel werde eine 48-stündige Feuerpause einlegen, um das Bombardement in Kana zu untersuchen.
Im Gegensatz dazu verabschiedete der UN-Sicherheitsrat später am Tag mit 14 zu einer Stimme eine von den Vereinigten Staaten eingebrachte Resolution, mit der dem Iran Sanktionen angedroht werden, wenn Teheran nicht bis zum 31. August die Urananreicherung einstellt und seine Atomanlagen für internationale Inspektionen öffnet. Obwohl der Wortlaut der Resolution, der von den fünf ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat - den Vereinigten Staaten, Großbritannien, China, Frankreich und Russland - sowie Deutschland ausgehandelt worden ist, nicht die unmittelbare Verhängung von Sanktionen vorsieht, begrüßte der amerikanische UN-Gesandte John Bolton das Ergebnis.
Bolton warf dem Iran vor, wie bereits zuvor der Irak "sich der internationalen Gemeinschaft beständig zu widersetzen". Der Iran bestreitet, die Urananreicherung für irgendeinen anderen Zweck als zur Energiegewinnung zu betreiben. Die Vorwürfe, die Washington erhebt, dienen als ein Mittel, um einen Casus Belli für einen Angriff auf den Iran zu schaffen. Dass Bolton mit der Resolution so zufrieden war, ist Ausdruck der Tatsache, dass China und Russland wie auch die europäischen Mächte sich der aggressiven Haltung gegenüber dem Iran angeschlossen haben.
Die zwei Resolutionen stehen im Einklang mit der allgemeinen Strategie Washingtons: Den Nahen und Mittleren Osten durch brutale Gewalt so umzugestalten, dass alle Hindernisse einer amerikanischen Vorherrschaft über die öl- und gasreiche Region beseitigt werden.