Die wirklichen Ziele des israelischen Kriegs im Libanon

Am zehnten Tag des Angriffs auf den Libanon sind israelische Truppen für eine Bodeninvasion in Stellung gegangen, die mit mörderischen Bombenangriffen aus der Luft vorbereitet wurde. Die weit reichenden imperialistischen Ziele des Kriegs sind inzwischen völlig klar geworden.

Mit der vollen politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung der Vereinigten Staaten versucht das zionistische Regime, den Libanon in ein israelisches Protektorat zu verwandeln. Diese Militäroperation ist die Fortsetzung und Eskalation der imperialistischen geopolitischen Restrukturierung des Nahen und Mittleren Ostens, die mit der Invasion Afghanistans und des Iraks begann, und die letztlich auf die Beherrschung der gesamten Region durch die USA abzielt.

Das unmittelbare Kriegsziel, die Eliminierung der Hisbollah als militärische und politische Kraft im Libanon, richtet sich gegen jeden Massenwiderstand, der dem israelischen und amerikanischen Einfluss im Land hinderlich sein könnte. Für die Bush-Regierung und ihre Verbündeten in Jerusalem ist dies ein notwendiger Schritt, um zuerst das syrische Baath-Regime zu beseitigen und dann einen umfassenden Krieg gegen den Iran zu führen.

Die endlos wiederholte Propaganda der israelischen Regierung und der Bush-Administration, dass der Angriff auf den Libanon ein Akt der "Selbstverteidigung" sei, ausgelöst durch die Entführung von zwei Soldaten, findet bei informierten Beobachtern keinerlei Glaubwürdigkeit.

Die Londoner Financial Times schrieb in ihrem Leitartikel vom 17. Juli: "Bei der massiven israelischen Bombardierung des Libanon von Land, See und aus der Luft als Reaktion auf die grenzüberschreitende Aktion der Hisbollah in der vergangenen Woche geht es inzwischen um weit mehr, als die Befreiung zweier von der islamistischen Guerilla entführter israelischer Soldaten - und es ging wohl schon immer um mehr."

Ähnliche Einschätzungen wurden von der Washington Post und dem Wall Street Journal und zahlreichen anderen internationalen Publikationen getroffen. Sie sprechen einfach nur aus, was inzwischen offensichtlich ist: Der israelische Angriff auf den Libanon ist eine seit langem geplante Aggression.

Die jüngsten Ereignisse lassen die Ermordung des libanesischen Multimilliardärs und Ex-Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar 2005 in einem klareren Licht erscheinen

Hariri wurde von einer gewaltigen Explosion getötet, die seine Autokolonne in Beirut zerstörte. Das Attentat fand vier Monate nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident statt. Mit diesem Rücktritt wollte er gegen die Entscheidung Emile Lahouds, eines Verbündeten Syriens, protestieren, seine Amtszeit als Präsident des Libanon zu verlängern. Die Vereinigten Staaten und Frankreich, die ehemalige Kolonialmacht des Libanon, machten sofort Damaskus für den Tod Hariris verantwortlich. Ihre anti-syrischen Verbündeten im Libanon, die sich vor allem aus den wohlhabenderen Schichten rekrutieren, nutzten die Gelegenheit, die so genannte "Zedernrevolution" auszurufen, in deren Verlauf die syrischen Truppen im vergangenen Jahr abgezogen wurden. Sie hatten den Libanon seit den 1970er Jahren besetzt gehalten.

Wenn Syrien tatsächlich hinter dem Anschlag stand, dann deswegen, weil es der Überzeugung war, dass Hariri einen amerikanisch-israelischen Plan unterstützte, Syrien aus dem Libanon zu drängen. Er sollte einen Angriff auf die Hisbollah-Bewegung vorbereiten, die in der armen Schiiten-Bevölkerung breite Unterstützung genießt und den Süden des Libanon kontrolliert. Es war Syrien klar, dass das nur die Ouvertüre für eine Offensive gegen das Baathisten-Regime in Bagdad selbst sein sollte.

Andererseits liegt die Möglichkeit auf der Hand, dass der Mord eine Provokation der amerikanischen oder israelischen Geheimdienste war, um einen Vorwand für den gleichen Plan zu schaffen.

In beiden Fällen ist die israelische Offensive die Umsetzung genau dieses Plans. Die Zedernrevolution zeitigte in den Augen der Israelis und der Amerikaner enttäuschende Resultate. Nach den Bestimmungen einer von Washington und Paris gemeinsam eingebrachten Resolution des UN-Sicherheitsrats war Syrien verpflichtet, seine Truppen aus dem Libanon zurückzuziehen. Die Macht seines Verbündeten, der Hisbollah, blieb aber unangetastet.

Auf dem Höhepunkt der antisyrischen Agitation mit ihren publizistisch aufgeblasenen Demonstrationen in Beirut, die von christlichen Maroniten und anderen Verbündeten Washingtons organisiert wurden, brachte die Hisbollah weit größere Gegendemonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern auf die Straßen der Hauptstadt. Angesichts des Gespenstes eines neuen Bürgerkriegs sah sich die aus der Zedernrevolution entstehende Regierung genötigt, ein Abkommen mit der Hisbollah zu treffen, zu dem auch ihre Beteiligung an der Regierung mit zwei Ministern gehörte.

In einem Artikel der New York Times vom 20. Juli kam die Frustration der Bush-Regierung und der herrschenden Kreise der USA zum Ausdruck: "Trotz der Hoffnungen, die die so genannte Zedernrevolution weckte, die eine fast dreißigjährige syrische Kontrolle beendete, bleibt die Regierung in der Zwangsjacke eines Systems gefangen, das politische Ämter nach der Religionszugehörigkeit verteilt." (Die "sektiererische Zwangsjacke" des südlichen Nachbarn des Libanon, der nicht nur alle politische Macht den Vertretern einer einzigen Religion verleiht, sondern sich sogar als "jüdischer Staat" definiert, ruft in der Redaktion der Times dagegen keine solchen Bedenken hervor.)

Dieser Kommentar weist auf das wirkliche Ziel des gegenwärtigen Angriffs auf das libanesische Volk hin. Durch Unterdrückung der starken pro-palästinensischen und anti-israelischen Gefühle der schiitischen Massen und massive Ausweitung der Macht der pro-amerikanischen Kräfte - besonders der christlichen Phalange - soll das Land soll grundlegend politisch neu geordnet werden.

Der Krieg versucht, das Ergebnis des libanesischen Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 umzukehren. Die USA, Israel und andere imperialistische Mächte, besonders Frankreich, hatten damals den blutigen Konflikt angeheizt und verlängert, indem amerikanische und französische Truppen eingriffen und Israel 1982 in das Land einfiel. Dem folgte eine achtzehnjährige israelische Besetzung des Südlibanon. Washingtons wichtigster Verbündeter war die faschistische Phalange, die an der Spitze einer rechten Front gegen das Bündnis der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) mit der libanesischen Linken stand.

Imperialistischen Intrigen und Interventionen gelang es, die PLO aus dem Libanon zu vertreiben, aber am Ende beschränkte ein Friedensabkommen die Macht der Phalange und leitete den Aufstieg der von Syrien und dem Iran unterstützten Hisbollah ein. Das will Washington ändern. Die gegenwärtige israelische Offensive hat es den USA ermöglicht, zum ersten Mal seit dem Rückzug im Oktober 1983, als die Kaserne der US-Marines in Beirut bombardiert wurde, wieder Soldaten in den Libanon zu bringen.

Der historische Hintergrund

Israel hat schon häufig versucht, den Libanon durch eine Kombination von militärischem Druck und politischen Bündnissen mit rechten Kräften faktisch in ein Protektorat zu verwandeln.

Im März 1978, mitten im libanesischen Bürgerkrieg, drangen israelische Truppen im Libanon ein und rechtfertigte dies mit Terroraktivitäten der PLO. Nachdem seine Militäraktionen mehr als 2.000 Tote unter der libanesischen Bevölkerung gefordert hatten, wurde Israel durch internationalen Druck gezwungen, sich zurückzuziehen. Es behielt allerdings die Kontrolle über einen 20 Kilometer breiten Streifen libanesischen Territoriums, wo es eine rechte Miliz, die "Südlibanesische Armee", unter Leitung ihrer Marionette Major Saad Haddad unterstützte.

Vier Jahre später unternahmen Israels Ministerpräsident Menachem Begin und sein Verteidigungsminister Ariel Scharon einen weitaus ambitionierteren Versuch, die politische Kontrolle über ganz Libanon zu gewinnen und die PLO aus dem Land zu vertreiben. Erneut fand sich ein passender Vorwand, als im Juni 1982 der israelische Botschafter in London von einem palästinensischen Attentäter verwundet wurde. Obwohl Geheimdienstexperten klar war, dass die PLO mit diesem Zwischenfall nichts zu tun hatte, stürzte sich die Begin-Regierung als willkommenen Vorwand auf ihn, um in den Libanon einzufallen. Die israelischen Truppen stießen in einer zynisch "Frieden für Galiläa" genannten Operation nach Norden bis in die Außenbezirke von Beirut vor, das monatelang beschossen wurde.

Der Krieg zwang die PLO, den Libanon zu verlassen, und führte unter den Augen Israels zum Massaker an Tausenden palästinensischer Flüchtlinge durch faschistische libanesische Milizionäre.

Auch die Vereinigten Staaten trugen zur Unterwerfung des Libanon bei, als die Reagan-Regierung Marines in Beirut stationierte. Aber die direkte Teilnahme der USA an Angriffen auf die ärmeren Viertel Beiruts (die von amerikanischen Kriegsschiffen aus beschossen wurden) rief tiefe Feindschaft hervor und führte zu dem Selbstmordanschlag, bei dem fast 250 Marinesoldaten getötet wurden. Die Reagan-Regierung beschloss, den Schaden zu begrenzen und zog sich aus dem Libanon zurück.

Aber die israelische Regierung versuchte, die Kontrolle über bedeutende Teile des Südlibanon zu behalten. Aus dem breiten Widerstand gegen diese Besatzung entwickelte sich die militärische und politische Stärke der Hisbollah. Ihr Guerillakrieg zwang Israel im Jahre 2000 schließlich, seine Truppen zurückzuziehen.

Israelische Militärtaktik

Im aktuellen Krieg geht es nicht nur um die Vernichtung der Hisbollah, sondern darum, jeden Widerstand im Libanon gegen eine amerikanisch-israelische Vorherrschaft zu ersticken. Dieses Ziel macht die Mittel verständlich, die zum Einsatz kommen. Israel bombardiert unterschiedslos den ganzen Süden, wo die arme Schiitenbevölkerung lebt und die Hisbollah die größte Unterstützung hat. Die israelische Armee zielt bewusst auf die gesamte Zivilbevölkerung ab, legt ganze Siedlungen in Schutt und Asche und macht die gesamte Region unbewohnbar.

Am Donnerstag berichtete die Washington Post, Israel habe allen südlich des Litani-Flusses lebenden Libanesen befohlen, die Region innerhalb von 24 Stunden zu verlassen.

Der Südlibanon soll zu einem Niemandsland gemacht werden, um den Boden für den Einmarsch israelischer Soldaten oder gemeinsamer israelisch-amerikanischer Verbände oder für eine so genannte "internationale Friedenstruppe" der UNO zu bereiten, an der sich auch Kontingente anderer Nationen beteiligen.

Die israelische Offensive ist vor allem ein Krieg gegen die Armen im Libanon. Die reicheren Wohnviertel in Beirut und anderen Landesteilen werden weitgehend verschont. Dies entspricht der amerikanisch-israelischen Politik im Bürgerkrieg, als sie im Bündnis mit der Falange gegen die schiitischen Massen und palästinensischen Flüchtlinge vorgingen.

Während im Südlibanon Tod und Zerstörung entfesselt werden, werden auch die schiitischen Viertel im Süden von Beirut, die Flughäfen, Hafenanlagen, Straßen, Brücken und Kraftwerke im übrigen Land mit einem Bombenhagel überzogen. Der Sinn besteht darin, die Infrastruktur des Landes zu zerschlagen. Um den Libanon politisch neu zu gestalten, muss er erst im Kern zerstört werden. Dies gibt eine Vorstellung davon, was der US-Imperialismus und sein Juniorpartner Israel mit Syrien und dem Iran und anderen vorhaben.

Es gibt auch keinen Grund, Israel Glauben zu schenken, wenn es abstreitet, eine Bodenoffensive zu planen. Je mehr israelische Politiker ein solches Vorhaben von sich weisen, desto wahrscheinlicher wird es. Während die gewaltige Bombardierung des Südlibanon ausreicht, viele Tausende Menschen zu töten, wird sie Israels Ziel, die Hisbollah als militärische und politische Kraft zu vernichten und den Libanon in ein zionistisches Protektorat zu verwandeln, nicht erreichen.

In den NBC-Abendnachrichten vom Donnerstag wurde die israelische Zeitung Haaretz zitiert, der zufolge mehrere Tausend israelische Soldaten dabei seien, die Grenze zum Südlibanon zu überschreiten.

Die Rolle der Vereinigten Staaten

Die Vereinigten Staaten spielen in diesem Krieg eine Schlüsselrolle. Sie haben im Voraus grünes Licht für den Krieg gegeben und arbeiten bei seiner Durchführung aufs Engste mit der israelischen Militärmaschinerie zusammen, die von den USA aufgebaut und finanziert worden ist.

Die Bush-Regierung koordiniert ihre Schachzüge auf dem diplomatischen Parkett mit den militärischen Zielen und dem politischen Kalkül der israelischen Regierung. Washington hat den bevorstehenden Besuch von Außenministerin Condoleezza Rice in der Region mit Tel Aviv abgesprochen, um dem israelischen Militär die nötige Zeit zu verschaffen, die es für die größtmögliche Zerstörung im Südlibanon braucht. Am 19. Juli berichtete die New York Times : "Amerikanische Politiker ließen durchblicken, dass Frau Rice mindestens noch einige Tage warten wird, ehe sie sich in den Konflikt einschaltet, teilweise um Israel mehr Zeit zur Schwächung der Hisbollah-Kräfte zu verschaffen."

Die Art und Weise, wie die US-Regierung eine Waffenruhe ganz offen ablehnt, ist ohne Beispiel. Das Wall Street Journal erinnerte am 19. Juli zu Beginn eines Artikels, der kein Blatt vor den Mund nimmt, an die diplomatische Rolle Washingtons beim Ausbruch des letzten größeren Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah:

"Vor zehn Jahren, als sich Hisbollah und die israelische Armee ein mehrwöchiges Blutbad lieferten, schickte Präsident Clinton Außenminister Warren Christopher für sechs Tage intensiver Shuttle-Diplomatie zwischen Damaskus und Jerusalem in die Region. Am Ende erreichte er einen Waffenstillstand, der die Kämpfe zumindest vorübergehend beendete. Präsident Bushs Herangehensweise heute steht dazu in krassem Gegensatz."

Die USA legitimieren heute voll und ganz Krieg als Instrument der Außenpolitik. Dies stellt eine Fortsetzung ihrer militärischen Aggression im Irak und eine Vorwegnahme zukünftiger Aggressionen gegen Syrien, den Iran und andere Länder dar. Diese Politik ergibt sich aus der Bush-Doktrin des "Präventivkriegs", die vom gesamten politischen Establishment der USA und beiden Parteien des amerikanischen Imperialismus unterstützt wird - von den Demokraten ebenso wie von den Republikanern.

Washingtons Entschlossenheit, das Blutbad Israels im Libanon nicht zu unterbinden, unterstreicht, dass der Krieg Bestandteil der Strategie des US-Imperialismus ist, die amerikanische Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten mit allen Mitteln durchzusetzen.

Ob dieses gewissenlose, kriminelle militärische Abenteuer seinem Ziel kurzfristig dient, oder Washington in der Region in ein immer tieferes Debakel hineinzieht, wird sich erst noch herausstellen müssen.

Siehe auch:
Europas Unfähigkeit der amerikanisch-israelischen Kriegspolitik entgegenzutreten
(21. Juli 2006)
G8-Mächte billigen israelische Aggression im Libanon
( 19. Juli 2006)
Durch Israels Angriff auf den Libanon droht der Nahe Osten im Krieg zu versinken
( 18. Juli 2006)
Das zionistische Projekt und sein Ergebnis: eine wirtschaftliche soziale und politische Katastrophe
( 19. Mai 2006)
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