Der neue polnische Präsident Lech Kaczynski hat bei seinen Auslandsreisen bisher wenig Glück gehabt. Weder bei der politischen Elite noch bei der Bevölkerung der besuchten Länder fand er Unterstützung, wenn letztere seinen Besuch überhaupt wahrnahm.
Als er vor drei Wochen mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac in Paris zusammentraf, schickte dieser nach dem Gespräch nur seinen Sprecher zur Pressekonferenz.
Selbst aus den USA kam Kaczynski im Februar dieses Jahres mit leeren Händen zurück. Obwohl Polen den Einsatz seiner Streitkräfte im Irak kurz zuvor um ein weiteres Jahr verlängert hatte, war US-Präsident Bush zu keinen Zugeständnissen bereit. Weder gab er feste Zusagen für das versprochene Modernisierungsprogramm für die polnische Armee, noch traf er eine Vereinbarung über die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Länder. Trotz Kaczynskis vehementen Forderungen nach der Abschaffung der Visumspflicht, müssen Polen, die in die USA einreisen möchten, auch weiterhin zunächst die amerikanische Botschaft aufsuchen.
Vergangene Woche stattete Kaczynski nun auch Deutschland einen zweitägigen Antrittsbesuch ab. Auch hier erging es ihm nicht besser. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Horst Köhler, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsident Norbert Lammert, mit denen er nacheinander zusammentraf, bemühten sich zwar um betonte Höflichkeit, machten aber keinerlei Zugeständnisse an den polnischen Präsidenten. Merkel verweigerte ihm am Ende des Gesprächs - entgegen den diplomatischen Traditionen - sogar eine gemeinsame Pressekonferenz.
Sein letzter Auftritt, ein öffentlicher Vortrag zum Thema "ein solidarisches Europa" an der Berliner Humboldt Universität, mündete in einen Eklat. Mehrere Dutzend Aktivisten von Schwulen- und Lesbengruppen drangen in die kaum bewachte Aula und beschimpften den Präsidenten als "Antidemokarten" und "Volksverhetzer".
Kaczynski hatte als Warschauer Bürgermeister mehrfach Demonstrationen von Homosexuellen verboten und teilweise gewaltsam auflösen lassen. In der Humboldt-Aula bekräftigte er seine Abneigung gegen Homosexuelle mit den Worten: "Es gibt keinerlei Grund dafür, dass homosexuelle Haltungen gefördert werden. Denn wenn sie Oberhand gewinnen würden in der Gesellschaft, dann müsste die Menschheit aussterben."
Lech Kaczynski stammt aus der rechten, nationalistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die von seinem Zwillingsbruder Jaroslaw geführt wird. Die PiS bildet eine Minderheitsregierung, die sich im Parlament auf zwei rechtsextreme und teilweise offen antisemitische Parteien, Samoobrona (Selbstverteidigung) und Liga Polnischer Familien (LPR) stützt.
Kaczynski vertritt einen polnischen Nationalismus, der krankhaften Antikommunismus und katholische Bigotterie mit der Überzeugung vereint, dass Polen seit Jahrhunderten ein Opfer seiner Nachbarn gewesen sei und jetzt von der ganzen Welt dafür entschädigt werden müsse. Er tut dies mit einer Provinzialität und Weltfremdheit, die, so die Süddeutsche Zeitung, "in der Europäischen Union einzigartig ist". Obwohl die Grenze zu Deutschland seit 15 Jahren offen steht, hat er das Nachbarland erstmals in seinem Leben besucht.
Der neue Präsident steht für jene polnischen Mittelschichten, die das stalinistische Regime nicht wegen seiner autoritären Methoden hassten, sondern weil es der eigenen Entfaltung von Macht, Einfluss und Reichtum im Wege stand.
Die Kombination von nationalistischem Egoismus und überzogenen Forderungen, die Kaczynski völlig ungeniert an den Tag legt, stößt international selbst bei rechten Politikern auf Ablehnung, die ihm ansonsten ideologisch nahe stehen. Kaczynski stelle nur Forderungen an die Europäischen Union, sei aber nicht bereit, durch Kompromisse zu deren Erfolg beizutragen, hieß es in zahlreichen Kommentaren zu seinem Besuch.
Kaczynski hatte diese Haltung zuvor in einem Spiegel -Interview ausdrücklich verteidigt. "Im Westen haben einige wohl gedacht, Polen habe keine eigenen Interessen mehr, sondern würde sich einfach der Meinung anderer anschließen. So ist es auf keinen Fall", betonte er. Schließlich würden auch "andere Länder in Europa mit großer Verbissenheit ihre eigenen Interessen" vertreten.
Frankreich warf er "wirtschaftlichen Patriotismus" vor, Deutschland den Bau einer Ostsee-Pipeline, die russisches Erdgas unter Umgehung Polens direkt nach Deutschland liefert. Dies sei "ein Projekt, das im krassen Widerspruch zu polnischen Interessen steht", sagte Kaczynski. "Wir sind Verbündete Deutschlands, gemeinsam in der Nato und der EU - warum also diese Pipeline um die Grenzen Polens herum?" Seine Gespräche mit Kanzlerin Merkel zu diesem Thema seien bisher "nicht befriedigend für Polen" verlaufen.
Um die europäische Energieversorgung zu gewährleisten, schlägt der polnische Präsident eine Energie-Nato vor, in deren Rahmen "sich EU- wie Nato-Staaten gegenseitig Hilfe bei der Energieversorgung zusagen, in jedweder Form, allerdings ohne Gewalt". Den Namen der Nato, des im Kalten Krieg entstandenen, gegen die Sowjetunion gerichteten Militärbündnisses, benutzt Kaczynski nicht zufällig: Er hat einen militärischen Beiklang und richtet sich gegen Russland, zu dem Polen äußerst gespannte Beziehungen unterhält.
Kaczynskis Vorschlag stieß in Berlin, wie zuvor schon in Paris, auf Ablehnung. Deutschlands und Frankreichs Regierungen wollen ihre guten Beziehungen zu Russland nicht den polnisch-russischen Animositäten unterordnen, insbesondere auch deshalb nicht, weil Washington der Gewinner einer Verschlechterung ihrer Beziehungen zu Moskau wäre.
Angela Merkel ließ Kaczynski in ihrem Gespräch ziemlich abblitzen. Sie machte in keinem wesentlichen Punkt irgendwelche Zugeständnisse. Eine gegen Russland gerichtete Energie-NATO hatten Regierungsvertreter bereits im Vorfeld der Gespräche ausgeschlossen. In der brisanten Pipelinefrage gab es keinerlei Bewegung. Die von der Bundeskanzlerin schon bei ihrem Besuch in Warschau im letzten Dezember versprochene Pipeline-Abzweigung nach Polen soll jetzt eine deutsch-polnische Kommission beschäftigen.
Kaczynski wäre wohl zuvorkommender behandelt worden, wenn er selbst etwas anzubieten hätte. Doch sein forsches Auftreten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die polnische Elite zurzeit weit stärker auf die mächtigen westlichen Nachbarn angewiesen ist als diese auf Polen.
Wirtschaftlich ist das Land stark von der EU und insbesondere von Deutschland abhängig: 75 Prozent der Exporte gehen in die Länder der Union und 60 Prozent der Importe kommen von dort. Polen ist mit über 26 Mrd. Euro jährlich der größte Nettoempfänger von EU-Geldern.
Außenpolitisch braucht Polen die EU und insbesondere die Nato als Absicherung gegen Russland, von dessen Öl und Gas seine Energieversorgung nach wie vor abhängig ist. Die Angst, zwischen Russland und Deutschland zerrieben zu werden, lastet wie ein Albtraum über der Politik Polens, das in seiner Geschichte schon viermal unter den Großmächten aufgeteilt wurde - zuletzt 1939 zwischen Deutschland und der Sowjetunion.
Und innenpolitisch ist die korrupte, skandalgezeichnete und zerstrittene Oberschicht, die mit der Restauration des Kapitalismus an die Schalthebel von Politik und Wirtschaft gelangt ist, auf finanzielle und politische Unterstützung von außen angewiesen. Die gesamte politische Elite ist höchst unpopulär. Sie kann sich nur an der Macht halten, weil es der Arbeiterklasse an einer unabhängigen Perspektive fehlt. Die Wähler haben ihrem Unmut bisher Luft gemacht, indem sie sämtliche Regierungen nach nur einer Amtsperiode in die Wüste schickten. So haben sich rechte und angeblich linke Regierungen ständig abgewechselt, ohne dass sich am Gang der Politik viel geändert hätte.
Es ist bezeichnend, dass Kaczynski am außenpolitischen Kurs seines Vorgängers Aleksander Kwasniewski festhält, obwohl er ansonsten an dessen aus der stalinistischen Staatspartei hervor gegangenen Demokratischen Linksallianz (SLD) kein gutes Haar lässt. Letztlich wird der außenpolitische Kurs durch objektive Gegebenheiten bestimmt. Die polnische Elite steht vor einem Dilemma, sie strebt nach nationaler Größe, ist aber von übermächtigen Nachbarn umgeben, denen sie weder ökonomisch noch politisch gewachsen ist.
Kwasniewski hatte vor drei Jahren den Konflikt zwischen dem "alten Europa" und den USA über den Irakkrieg genutzt, um Polen als wichtigen Verbündeten der Vereinigten Staaten in Stellung zu bringen. In der orangefarbenen Revolution der Ukraine spielte er eine Schlüsselrolle dabei, ein US-freundliches Regime zu installieren.
Doch in den letzten Monaten ist das außenpolitische Gewicht Polens stark gesunken. Nach dem Regierungswechsel in Deutschland sind Washington und Berlin näher zusammengerückt. Die USA bemühen sich um europäische Unterstützung für ein Vorgehen gegen den Iran. Frankreich und Deutschland sind angesichts der zunehmenden Instabilität im Nahen Osten ihrerseits zu einer engeren Zusammenarbeit mit den USA bereit. Unter diesen Umständen hat Polen als amerikanischer Verbündeter an Bedeutung verloren. Mit dem Zusammenrücken der Großmächte schrumpft sein außenpolitischer Spielraum.
Zudem hat sich die polnische Regierung durch zahlreiche Manöver innerhalb der EU isoliert - angefangen mit der Blockade der EU-Verfassung im Dezember 2003, über Reparationsdrohungen an Deutschland 2004 bis hin zu den Auseinandersetzungen um das Unionsbudget mit Großbritannien Ende vergangenen Jahres.
In seinem mit Spannung erwartetem Vortrag an der Humboldt Universität gab sich Kaczynski dann viel zurückhaltender, als seine vorangegangenen Interviews hatten erwarten lassen. Auch er beißt am Ende nicht die Hand, die ihn füttert.
Er wandte sich gegen die Entwicklung der EU zu einem eigenständigen föderalen Staat und plädierte für eine "Union souveräner Staaten". Die europäische Kultur habe sich in Form von Nationen entwickelt, die der Bezugspunkt jeder europäischen Politik sein müssten. Die Bevölkerung habe sich an diese Aufteilung gewöhnt. So wisse ein Finne, selbst wenn er politisch interessiert sei, meist nicht, was in Portugal stattfinde und umgekehrt. Trotzdem räumte der polnische Präsident ein, dass es auf dieser Grundlage weitere Bemühungen um die Integration Europas geben müsse. Doch zu viel Integration sei falsch, man dürfe nicht "zu viel des Guten" wollen.
Der ganze Vortrag war wenig geistreich und blieb dabei weitgehend abstrakt und allgemein.
Die einzigen handfesten Kommentare machte Kaczynski zu Polens östlichen Nachbarn. Die Ukraine solle schnellst möglich in die EU aufgenommen werden. Sein Land sei dafür gegebenenfalls auch bereit, auf Zuwendungen zu verzichten. Außerdem forderte er die anderen EU-Staaten auf, deutlicher Stellung gegen den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu beziehen und die weißrussische Opposition im Wahlkampf zu unterstützen.
Vom Sturz Lukaschenkos verspricht sich Kaczynski vor allem eine Schwächung und Isolation Russlands, das eng mit Weißrussland verbündet ist. Sein Eintreten für Demokratie in Weißrussland ist auch deshalb zynisch, weil er in Polen damit beschäftigt ist, demokratische Rechte abzubauen. Schon im Wahlkampf hatte er erklärt, dass er das Strafrecht verschärfen und die Stellung des Präsidenten stärken wolle. Sein Ziel sei eine "Vierte Republik", die von allen sozialistischen Einflüssen gereinigt sei.
Seit seiner Amtseinführung ist deutlich geworden, was Kaczynski darunter versteht: Die Einschränkung demokratischer Rechte und den Ausbau der Macht seiner eigenen Partei PiS. Mit Unterstützung der beiden rechtsextremen Parteien hat die Regierung eine Reihe Gesetze vorbereitet, die ihre eigene Position und den Staatsapparat insgesamt stärken. So verabschiedete der Sejm am 16. Dezember eine Novelle zum Rundfunkgesetz, das der PiS de facto die vollständige Kontrolle über den öffentlich rechtlichen Rundfunk ermöglicht. Der Nationale Rundfunkrat, der indirekt die Intendanten der einzelnen Sender festlegt, wird zukünftig nur noch aus fünf Personen bestehen, von denen zwei von Kaczynski, zwei vom Sejm und eine vom Senat (in dem die PiS über 46% der Abgeordneten verfügt) bestimmt werden.
In höheren Polizei- sowie Diplomatenkreisen wurden Säuberungen durchgeführt. Mitglieder oder Sympathisanten der ehemaligen Regierungspartei SLD müssen ihre Koffer packen. Ein Antikorruptionsamt, das keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt, soll die Säuberungen systematisieren. Zum neuen Bürgerrechtsbeauftragten der Kammer hat der Sejm Janusz Kochanowski gewählt, der als PiS-Anhänger und als glühender Verfechter der Todesstrafe bekannt ist.