Mit jedem Tag der Reise von George W. Bush durch Europa wurde deutlicher, dass Lächeln in die Kameras und gegenseitige Freundschaftsbekundungen die wachsenden transatlantischen Gegensätze nicht verbergen können.
Medienkommentare machten sich über den "Gipfels des Lächelns" und die großen Worte von der neuen "transatlantischen Freundschaft" lustig. Europa befände sich seit Wochen "im Dauerfeuer einer amerikanischen Charme-Offensive", schrieb die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung fügte hinzu, das Pathos nutze sich ab.
"Mantra-artig beschworen Europäer und Amerikaner zwar immer wieder den Satz Stil ist Substanz’," heißt es in einem anderen Artikel derselben Zeitung. "Doch dieser Slogan, der eher als Werbespruch für eine Lagerfeld-Kampagne denn als politisches Motiv taugt, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Vorrat an Gemeinsamkeiten im politischen Tagesgeschäft noch immer reichlich klein ist."
Man kennt das auch aus anderen Lebensbereichen. Bevor eine persönliche Beziehung vollständig in die Brüche geht und in Feindschaft umschlägt, empfehlen Eheberater in der Regel eine "Goodwill-Offensive" beider Seiten. Die verkrampften Nettigkeiten, die dann folgen, sind meist mehr peinlich als nützlich und erzeugen bei Außenstehenden nur Kopfschütteln, denn man weiß - es ist vorbei.
Noch mehr als im persönlichen Leben gilt in der Politik: Fakten sind hartnäckig. Und so waren auch die Gespräche in Mainz von handfesten Konflikten und wachsenden strategischen Gegensätzen geprägt.
Zum ersten Mal reiste ein amerikanischer Präsident unter Bedingungen durch Europa, die davon geprägt sind, dass der Dollar seine uneingeschränkte Vormachtstellung in der Weltwirtschaft einbüßt. Wie labil der Dollarkurs ist, wurde am Dienstag Abend erneut sichtbar. Als die Notenbank von Südkorea - die mit 200 Milliarden Dollar die viertgrößten Dollar-Reserven der Welt hält - ankündigte, sie wolle einen Teil dieser Reserven in Euro anlegen, verlor der Dollar gegenüber dem Euro 1,5 Prozent, und auch der Dow Jones sackte um 1,6 Prozent ab. Hinter dieser Dollarschwäche steht das enorme Leistungsbilanzdefizit der USA, das auf immer neue Rekordhöhen steigt.
Die bisherigen Versuche der Bush-Administration, den wirtschaftlichen Niedergang durch militärische Stärke auszugleichen, werden seit dem Irakkrieg in Europa neu bewertet. "Was er will, ist nicht zu übersehen", schreibt die Frankfurter Rundschau und fährt fort: "Im Irak schmerzhaft schnell an seine Grenzen geraten, sucht er wieder die Nähe von Partnern, denen er einen Teil der Lasten aufbürden kann." Doch wenn Bush über die vergangenen Zerwürfnisse zwischen den USA und einigen europäischen Ländern mit der Bemerkung hinweggehe, es gebe keine amerikanische oder europäische Strategie, sondern nur eine der Freiheit, dann mache er damit nur deutlich, "wie wenig er begriffen hat", schreibt das Blatt.
Der Kampf für Freiheit und damit "für westliche Werte" schließe eben nicht mehr automatisch die amerikanische Vorherrschaft ein. Die Zeiten, in denen "sich die Europäer einfach beugen", seien endgültig vorbei. Diesen Tenor hatte schon vor der Bush-Reise Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) in einem Artikel der Zeit vorgegeben, der mit den Worten begann und endete: "Freundschaft ist kein Vasallentum".
Am deutlichsten meldete Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den europäischen Anspruch an, in Zukunft auf gleicher Augenhöhe mit den USA zu verkehren. In seiner Tischrede am Mittwoch im Mainzer Schloss bezeichnete er Amerika und Deutschland als"gleichberechtigte Partner", und trotz aller diplomatischer Nettigkeiten ließ er keinen Zweifel daran, was er darunter verstand. Amerikanische Alleingänge - gemeint war offenbar die Kriegsentscheidung in Bezug auf den Irak und die arrogante Weise, in der Europa damals vor vollendete Tatsachen gestellt wurde - würden in der Zukunft nicht mehr hingenommen.
Schröder sicherte die Bereitschaft der deutschen Regierung zu, sich am Aufbau von Sicherheitsstrukturen für den Irak zu beteiligen, doch zwischen den Zeilen war deutlich die Warnung zu hören, dass seine Regierung künftig nicht mehr bereit sei, für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, wenn vorher keine ernsthafte Zusammenarbeit bestehe.
Wie schon in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Wochen richtete sich Schröders Kritik nicht prinzipiell gegen das amerikanische Vorgehen im Irak. Die Lügen, mit denen der Krieg begründet worden war, ließ er ebenso unerwähnt, wie die Präventivkriegsdoktrin, mit der er gerechtfertigt wurde, oder der völkerrechtswidrige Umgang mit Gefangenen in Abu Ghraib und Guantanamo. Einzig und alleine "Gleichberechtigung" forderte Schröder. Deutsche und europäische Interessen müssten künftig in größerem Maße berücksichtigt werden.
In Bezug auf ein militärisches Vorgehen gegen Iran und Syrien wurden die Differenzen erneut sehr deutlich. Während Deutschland, Frankreich und Großbritannien eine diplomatische Lösung des Atom-Streits mit Teheran anstreben und von der US-Regierung Unterstützung und Teilnahme fordern, weil erst dadurch ihre Initiative wirkungsvoll würde, lehnt Bush dieses Vorgehen de facto ab, torpediert es sogar und behält sich ein militärisches Vorgehen ausdrücklich vor.
Nicht anders steht es in Bezug auf Syrien. Selbst die viel beschworene Übereinstimmung mit dem französischen Präsidenten in dieser Frage verblasst bei genauerer Betrachtung. Die französische Gesprächsdelegation brachte die US-freundliche Formel in Umlauf, es gäbe einen "neuen Ton, einen neun Stil und auch einen neuen Geist" in den transatlantischen Beziehungen. Doch das bedeutet nicht, dass der "Vorrat an Differenzen erschöpft" sei, betont die Tageszeitung Le Figaro aus Paris.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Chirac und Bush haben zwar gemeinsam den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon vor den Wahlen vom 17. April gefordert, verfolgen damit aber ganz unterschiedliche Ziele. Frankreich geht es darum, Beirut von der wirtschaftlichen und politischen Vorherrschaft durch Damaskus zu lösen. Als ehemalige Kolonialmacht verfolgt es im Libanon weitgehende wirtschaftliche und finanzielle Interessen. Die USA dagegen wollen Syrien unter Druck setzen und der von Syrien unterstützten Hisbollah, die im Libanon als legale Partei auftritt, den Boden entziehen.
"Paris will eine Konfrontation mit Syrien vermeiden, sagt man in Chiracs Umgebung, und lehnt jede Verbindung mit der Israel-Palästina-Frage ab, was nicht Washingtons Sache ist," schreibt Le Figaro. "Frankreich ist auch dagegen, dass die Europäer die Hisbollah auf die Liste der terroristischen Organisationen setzten, wie es von den Vereinigten Staaten und Israel verlangt wird."
Während dem Nato-Gipfeltreffen in Brüssel betonte der französische Staatspräsident Jacques Chirac ganz im Sinne von Gerhard Schröder den "Ausbau der europäischen Verteidigungspolitik". Beide Regierungschefs unterschrieben zwar das Gipfel-Kommunique, im dem die Nato als "erfolgreichste Allianz in der Geschichte" bezeichnet wird, doch das änderte nichts daran, dass sie den Aufbau eigener, von den Nato-Strukturen unabhängiger europäischer Streitkräfte stark forcieren.
Im November 2004 hatten die Verteidigungsminister der EU die Gründung von insgesamt 13 schnell verlegbaren Kampfgruppen beschlossen. Diese werden 1.500 bis 2.000 Soldaten umfassen und binnen fünf bis zehn Tagen einsetzbar sein. Ihre Aufstellung soll bis 2007 abgeschlossen sein. Mit diesen mobilen Verbände verfügt die EU über starke, hochmobile Interventionskapazitäten. Sie sollen als militärischer Muskel der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) dienen.
Ganz anders als die offizielle Politik reagierte die Bevölkerung auf den Bush-Besuch. Hier ging es nicht um unterschiedliche imperialistische Interessen, sondern um die grundsätzliche Ablehnung von Krieg und Militarismus. In breiten Schichten der Bevölkerung ist Bush in einem Ausmaß verhasst, wie kaum ein anderer Politiker seit den dreißiger Jahren. Die bizarren Sicherheitsmaßnahmen wurden nicht nur als lästigesÄrgernis, sondern auch als Provokation empfunden. "Wenn er keinem Menschen traut, soll er doch zu Hause bleiben oder auf einem Kriegsschiff seine Gespräche führen", bemerkte ein Mainzer Rentner, und drückte damit eine weit verbreitete Stimmung aus.
Jeder Kontakt Bushs mit der Bevölkerung wurde unterbunden. Alles wurde künstlich inszeniert. Ein Reporter des Berliner Tagesspiegel berichtete, wie US-Sicherheitsexperten nach Menschen suchten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem Bush an einem vereinbarten Ort erwartet wurde, bereit stehen und winken sollten. Sie konnten niemanden finden. Ähnlich erging es einem amerikanischen Fernsehteam, das in einer Einkaufstasse nach Bush-freundlichen Kommentaren suchte. Selten zuvor hat sich ein Politiker in so kurzer Zeit so unbeliebt gemacht.