"Überhitzung" in China bedroht Weltwirtschaft

In der vergangenen Woche wurde die zunehmende Abhängigkeit der Weltwirtschaft von der weiteren Ausdehnung des chinesischen Investmentbooms deutlich sichtbar. Warnungen vor Maßnahmen, die die chinesische Wirtschaft vor einer "Überhitzung" schützen sollen, haben die Weltmärkte erschüttert.

Angesichts eines wachsenden Geldmarktes, anschwellender Bankdarlehen und eines zügigen Wachstums des Anlagekapitals gaben die chinesischen Behörden seit Sommer letzten Jahres zu erkennen, dass sie gern ein langsameres Wirtschaftswachstum sehen würden. Doch ihre Worte bewirkten nichts.

Im letzten Monat veröffentlichte Zahlen zeigen, dass die Wirtschaft in den ersten drei Monaten des Jahres 2004 um 9,7 Prozent wuchs. Anvisiert waren 7 Prozent. Die Anleihen waren im Vergleich zur Vorjahresperiode um 21 Prozent gestiegen, die verfügbaren Geldmittel um 20 und das Anlagekapital um 43 Prozent.

Nun werden strengere Maßnahmen, einschließlich einer Erhöhung der Zinsen und Restriktionen gegen das Kreditgeschäft der Banken erwogen. Den deutlichsten Hinweis auf diese Veränderungen gab Chinas Premier Wen Jibao in einem Interview mit Reuters am 28. April. In Bezug auf die erwähnten wirtschaftlichen Daten sagte er, wir "müssen effektive und sehr starke Maßnahmen ergreifen, um diese Probleme so schnell wie möglich zu lösen."

Die Weltmärkte reagierten unmittelbar. Die Aktienmärkte in Hong Kong, Thailand, Singapore und Australien fielen um 1,2 bis 2,4 Prozent. Die Schockwellen nach dem Interview verursachten auch an der Wall Street einen Rückgang des Marktes.

Im vergangenen Jahr gab es wiederholte Warnungen vor einer chinesischen Finanzblase, weil das ins Land einströmende Geld zu einem Anlage- und Immobilienboom führte. Manche Analysten verglichen die Situation in China mit der vor dem asiatischen Crash in den Jahren 1997 und 1998. Die Folgen eines Crashs in China wären jedoch weit ernsthafter, als die der Krise von 1997-1998.

Die Aufwertung des Yuan - der chinesischen Währung - gegenüber dem Dollar ist eine der am meisten diskutierten Vorschläge zur Entspannung der Situation in China. Die chinesische Regierung hat viel Geld zum Aufkauf von Dollar auf den internationalen Märkten ausgegeben, um den Wert des Yuan niedrig zu halten. Das dem Finanzmarkt Chinas durch diese Käufe zufließende Geld wurde umgehend in Finanzanlagen und Spekulationen weitergeleitet. Zusätzlich floss "schnelles Geld" von Spekulanten ins Finanzsystem, die sich große Gewinne aus Währungsspekulationen im Zusammenhang mit der möglicherweise erfolgenden Aufwertung des Yuan erhofften.

Etwa 45 Prozent aller Kredite in China werden als "faule Kredite" eingeschätzt. Vor diesem Hintergrund sträubt sich die chinesische Regierung dagegen, den Yuan freizugeben oder auch nur aufzuwerten. Sie fürchtet mit einer solchen Maßnahme eine Krise im Finanzsystem auszulösen.

"Wenn wir das System voreilig verändern", sagte Wen Jibao im Reuters Interview, "bringt das mit Sicherheit unvorhergesehene Probleme für die chinesischen Wirtschaft mit sich, und gleichzeitig könnte es sich auf die Stabilität des Finanzsystems in der Region und sogar der Welt auswirken."

Eine Woche vorher äußerte der US-Notenbankvorsitzende, Alan Greenspan, vor dem Kongress ähnliche Bedenken. "Wenn (die chinesische Wirtschaft) in Turbulenzen gerät, so wird es auch erhebliche Probleme für Südostasien, Japan und indirekt für uns geben."

Dass sich sowohl die asiatischen Märkte als auch die Weltwirtschaft zunehmend auf das Wachstum der chinesischen Wirtschaft verlassen haben, zeigt eine Reihe von Statistiken.

Im vergangenen Jahr waren 60 Prozent des Zuwachses im Welthandel durch den Boom in China verursacht. China hält ausländischen Währungsreserven im Wert von 420 Milliarden Dollar und kommt für 10 Prozent des Welthandels auf. Sein Anteil an der Weltproduktion hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt und liegt bei insgesamt 4 Prozent.

China verbraucht 7 Prozent des Öls, ein Viertel des Aluminiums, 30 Prozent des Eisenerzes, 31 Prozent der gesamten Kohle und 27 Prozent der gesamten Stahlprodukte der Welt. Im vergangenen Jahrverbrauchte China 40 Prozent des Betons der Welt.

Der chinesische Boom, angeheizt durch einen Zufluss von jährlichen Auslandsinvestitionen in Höhe von 57 Milliarden Dollar, ist die entscheidende Ursache für den Aufschwung der asiatischen Ökonomie im vergangenen Jahr.

Die Exporte nach China waren für 32 Prozent des Wachstums der Exporte Japans im Jahre 2003 verantwortlich, und japanische Investitionen fließen weitgehend in Industriezweige, die Handel mit China treiben. In Südkorea sind 36 Prozent des Handelszuwachses des vergangenen Jahres durch Verkäufe nach China bestimmt. Die Exporte nach China lagen im April um 68 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Es wird geschätzt, dass Südkoreas Exporterlöse bei jedem Rückgang des chinesischen Bruttoinlandsproduktes von einem Prozent um jeweils drei Prozent sinken.

Als man in China vor zehn Jahren Maßnahmen ergriff, um den wirtschaftlichen Boom im Zaum zu halten, war die Bedeutung für die Weltwirtschaft gering. Heute jedoch ist China weitaus stärker in die Weltwirtschaft integriert und besonders mit den USA verflochten. Die Maßnahmen von vor zehn Jahren hätten deshalb heute ganz andere globale Auswirkungen.

Letzten Endes wird der chinesische Boom durch die erhöhten Investitionen getragen, die für die Produktion von Waren für den amerikanischen Markt getätigt wurden. Die Konsumausgaben in den USA werden jedoch nicht durch mehr Beschäftigung und höhere Löhne finanziert. Die Zahl der Beschäftigten und die Reallöhne sanken in den letzten drei Jahren sogar. Aber die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank hat in den vergangenen Jahren die Immobilienpreise hochgetrieben, die ihrerseits zur Absicherung von höheren Konsumentenkrediten dienten.

Es wäre ein Irrtum, den chinesischen Boom als Hinweis auf eine neue Ära der ökonomischen Expansion des Weltkapitalismus anzusehen. Es ist im Gegenteil so, dass das fieberhafte Wachsen der chinesischen Wirtschaft große Probleme der Weltwirtschaft zum Ausdruck bringt. Das Platzen der chinesischen Finanzblase oder steigende Zinsen in den USA oder eine Kombination von beidem würde schwere Verwerfungen für die Weltwirtschaft mit sich bringen.

Siehe auch:
Weltwirtschaft: 2004 kein reibungsloser Weg zum Wachstum
(14. Januar 2004)
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