Wenn man nach den jüngsten Indices geht, sind die Aussichten für die Weltwirtschaft günstiger als jemals in den letzten fünf Jahren. Die Börsenkurse steigen, die Wallstreet hatte ihr bestes Jahr seit 1996 und Tokio sein bestes seit 1986, die US-Wirtschaft erwartet im nächsten Jahr eine Erholung und ein Wirtschaftswachstum von drei bis vier Prozent, die japanische Wirtschaft zeigt ebenfalls Anzeichen für ein Wachstum, und allem Anschein nach wird auch der Hang zur Rezession in Europa allmählich schwächer.
In einem Leitartikel ging die Financial Times jüngst davon aus, dass die US-Wirtschaft zu den "Goldenen Zeiten" zurückkehren könnte - zu der Periode der späten 90er Jahre, in der das Wachstum angeblich "gerade richtig" war, d.h. nicht so hoch, dass eine Inflation drohte, aber hoch genug, um ein Wachstum der Arbeitsmärkte zu sichern.
Wenn man jedoch untersucht, was den Vorgängen auf den Finanzmärkten und den unmittelbaren Wirtschaftsdaten zugrunde liegt, dann wird klar, dass die Weltwirtschaft weit davon entfernt ist, einen reibungslosen Weg zum Wachstum einzuschlagen. Vielmehr ist sie in eine Periode eines schweren Ungleichgewichts geraten.
In Zentrum dieser Instabilität steht die Verschuldung der Vereinigten Staaten, die 2003 gestiegen ist. Es wird geschätzt, dass das Leistungsbilanzdefizit in diesem Jahr die Rekordhöhe von 550 Milliarden Dollar erreichen wird. Das entspricht mehr als 5 Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts. Die Außenverschuldung der USA wird damit auf ungefähr drei Billionen Dollar oder 30 Prozent des BSP steigen.
In einer Rede über die Finanzpolitik am 20. November 2003 wies der Vorsitzende der amerikanischen Nationalbank Alan Greenspan auf das "wachsende Unbehagen" über das gegenwärtige Leistungsbilanzdefizit hin und auf die Möglichkeit, dass der immer größer werdende Berg von Auslandsschulden "immer schwieriger zu finanzieren" sein könnte.
Angesichts des Ansteigens der Außenschulden im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt um 5 Prozent jährlich warnte Greenspan, dass die Finanzierung dieser Schulden zwar bisher "scheinbar unproblematisch" gewesen sei, dass aber "künftig Anpassungen" vorgenommen werden müssten, sollten sie weiter ansteigen. "Wie weit", fragt er "kann internationale Vermittlung die Fähigkeit der Weltfinanzwirtschaft noch ausdehnen, nationale Ersparnisse über die Grenzen zu transferieren?"
Ein Bericht des Financial Markets Center zeigt das Ausmaß dieser Operationen. 2002, so vermerkt er, habe der Nettokapitalimport in die USA 528 Milliarden Dollar betragen, das sind 75,5 Prozent des Nettokapitalexports der restlichen Welt. 2003 wird die Zahl, wenn man das wachsende Leistungsbilanzdefizit zugrundelegt, noch größer sein.
Von der japanischen Regierung vorgelegte Zahlen über Interventionen an den Finanzmärkten zur Stabilisierung des Yen geben einen weiteren Hinweis darauf, welches Ausmaß diese Finanzströme angenommen haben. Um zum Schutz der Exportmärkte den Anstieg des Yen gegenüber dem Dollar zu bremsen, gab das Finanzministerium in diesem Jahr die Rekordsumme von 20.057 Milliarden Yen aus (mehr als 180 Milliarden Dollar), das ist mehr als das Zweieinhalbfache der letzten Rekordausgabe von 1999.
Weitere Interventionen sind geplant. Das Finanzministerium kündigte an, dass es die Höhe der zulässigen Kreditaufnahme für die Währungsstabilisierung bis zum Ende des fiskalischen Jahres im März um 21 Billionen Yen auf 100 Billionen Yen anzuheben beabsichtigt. Für das im April beginnende Fiskaljahr ist die Begrenzung der Kreditaufnahme um 61 Billionen Yen auf 140 Billionen Yen angehoben worden - ein Anstieg, der fast so hoch ist, wie das gegenwärtige Leistungsbilanzdefizit der USA.
Das massive Eingreifen der Japaner ist nur der deutlichste Ausdruck für einen Prozess, der zum beherrschenden Charakteristikum des internationalen Finanzsystems geworden ist. Da der US Dollar auf den internationalen Finanzmärkten unter Druck kommt - er ist im Durchschnitt im letzten Jahr um 11 Prozent gefallen - greifen die asiatischen Zentralbanken ein, um zu versuchen, einen Anstieg des Wertes ihrer Währungen aufzuhalten, weil sie ihre Exportmärkte schützen wollen. Im Gegenzug finanzieren ihre Dollarkäufe das Zahlungsbilanzdefizit und das Haushaltsdefizit der USA, das die Grenze von 500 Milliarden Dollar übersteigen wird.
Ein Artikel des Weltökonomen David Hale in der Australian Financial Review vom 29. Dezember wies darauf hin, dass die ostasiatischen Zentralbanken jetzt 70 Prozent der internationalen Währungsreserven in Höhe von 1,7 Billionen Dollar halten. Sie haben etwa 80 bis 90 Prozent dieser Reserven im Markt für US-Regierungsanleihen investiert und finanzieren damit das Haushaltsdefizit der USA. Bis jetzt ist diese Art der Finanzierung relativ reibungslos vor sich gegangen. Wenn die Zentralbanken jedoch ihr Kapital kurzfristig zurückziehen würden - das könnte aus politischen Gründen der Fall sein, etwa als Vergeltung gegen protektionistische Maßnahmen der USA, oder weil sie den Absturz des Dollars befürchten - dann käme es zu einer großen Finanzkrise.
Der Kolumnist der Financial Times John Plender analysierte diesen Prozess in einem Artikel von 28. Dezember und bemerkte, dass sich die Weltwirtschaft in einem "nie dagewesenen Experiment auf dem Hochseil" befinde.
"Nachdem sich die USA Ende der 90er Jahre vorwiegend auf die Finanzierung ihres Defizits durch privates Kapital verlassen haben, sind sie jetzt auf offizielle Kapitalströme aus Japan, China und anderen asiatischen Schwellenländern angewiesen, um ihre fiskalisch verschwenderische dollardominierte Show am Laufen zu halten. Damit hat das internationale Kapital genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen wie in der früheren Periode des freien Kapitalflusses vor 1914. Damals hatte Großbritannien enorme Überschüsse auf Auslandskonten und exportierte Kapital in Entwicklungsländer. Heute stellt die reichste Wirtschaftsmacht diese Logik auf den Kopf. So haben wir ein Paradox... ein zum Alleingang tendierendes Amerika hängt mit seinem hohen Inlandskonsum und seinem Streben nach interventionistischer Außenpolitik von der Freigiebigkeit solch unsicherer Freunde ab wie der Volksrepublik China."
Dieses Ungleichgewicht der Weltwirtschaft spiegelt sich nicht nur in den Finanzdaten, sondern auch in den Wachstumszahlen wieder. Nach dem Weltökonomen von Morgan Stanley, Stephen Roach, betrug in der Periode von 1995 bis 2002 der Anteil der USA am gesamten Wachstum der Weltwirtschaft 96 Prozent, etwa dreimal so viel wie ihr Anteil an der Weltwirtschaft von 32 Prozent.
Roach schreibt, die Weltwirtschaft befinde sich "sehr stark in einem fundamentalen Ungleichgewicht", und meint, es habe sich ein "nie dagewesenes Missverhältnis" zwischen Nationen aufgetan, die derzeit ein Leistungsbilanzdefizit aufweisen, was vor allem auf die USA zutrifft, und denen mit Bilanzüberschüssen wie in Asien und in geringerem Maße in Europa. Solche globalen Ungleichgewichte könnten nicht aufrechterhalten werden und in den USA könne "keine anhaltende Erholung auf der Grundlage immer weiter fallender Zinsraten, immer größer werdender Zahlungs- und Handelsbilanzdefizite und immer größerer Schuldenlasten erfolgen."
Es ist unmöglich vorherzusagen, wie genau sich diese Ungleichgewichte und die Spannungen, die sie erzeugen, 2004 und darüber hinaus entfalten werden. Aber etwas kann mit Sicherheit gesagt werden: Je länger sich die Weltwirtschaft auf diesem Weg bewegt, desto größer wird das ihr zugrundeliegende Ungleichgewicht und die Wahrscheinlichkeit einer größeren Finanzkrise.