Wolfowitz in Ankara:

US-Regierung fordert stärkere Rolle des türkischen Militärs

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es den USA im Nahen Osten um die Unterwerfung der Region und nicht um "Freiheit" und "Demokratie" geht, so hat ihn der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz vorletzte Woche anlässlich seines Türkeibesuchs geliefert.

In einem Interview mit dem Fernsehsender CNN Türk kanzelte er die türkische Regierung ab, weil die Regierungspartei AKP dem öffentlichen Druck nachgegeben (über 90 Prozent der Bevölkerung lehnte den Krieg ab) und die Nutzung türkischen Territoriums als Angriffsbasis verweigert hatte. Wolfowitz forderte praktisch eine Entschuldigung. Er sagte: "Wir brauchen eine Türkei die vortritt und sagt: ‚Wir haben einen Fehler gemacht. Wir hätten wissen müssen, wie schlecht die Dinge im Irak standen, und jetzt wissen wir es. Jetzt müssen wir einen Weg finden, wie wir den Amerikanern so hilfreich wie möglich sein können’."

Noch bezeichnender war seine Kritik am türkischen Militär, dem er vorwarf, sich nicht gegen die gewählte Regierung durchgesetzt zu haben. "Aus irgend einem Grund haben sie in dieser Frage nicht die starke Führungsrolle übernommen, die wir von ihnen erwartet haben," sagte er.

Auf den höflichen Einwand, dem Militär (das in der Türkei in den letzten 45 Jahren vier gewählte Regierungen gestürzt hat) werde gewöhnlich vorgeworfen, es mische sich zu stark in die Politik ein, erwiderte Wolfowitz: "Meiner Meinung nach ist es, besonders in Ihrem System, durchaus angebracht, wenn das Militär sagt, es sei im türkischen Interesse, die USA bei dieser Anstrengung zu unterstützen... Ich habe den Eindruck, dass es dies nicht mit dem Nachdruck gesagt hat, der für eine Veränderung nötig gewesen wäre."

Dermaßen unverblümt hat noch kein amerikanischer Regierungspolitiker die türkischen Generäle öffentlich aufgefordert, der Bevölkerung gegen deren einmütigen Widerstand den Willen der USA aufzuzwingen.

Die türkischen Medien und Politiker reagieren auf den Druck aus Washington mit einer Mischung aus Selbstmitleid und Unterwerfungsgesten. Keine Gelegenheit wird ausgelassen um zu betonen, dass die Türkei den Krieg nicht nur unterstützt habe, sondern dass ihre Unterstützung nach derjenigen Großbritanniens die wichtigste gewesen sei.

Das Parlament hatte den USA zunächst die Nutzung türkischen Territoriums verweigert, dann aber unter heftigem amerikanischem Druck eine halbe Kehrtwendung vollzogen und den Bombern und Transportflugzeugen den Überflug erlaubt. Die Regierung hatte außerdem die Nutzung der Türkei als Nachschubbasis zugelassen.

Trotzdem ist die Türkei in der Gunst der Bush-Regierung deutlich herabgestuft worden. Besonders hart hat Ankara getroffen, dass die USA ihm nicht erlaubten, den Nordirak militärisch zu kontrollieren. Auch ob wirtschaftlich etwas von der Beute abfällt, d.h. ob türkische Firmen am Wideraufbau des Irak beteiligt werden, ist bisher noch alles andere als sicher.

Vor allem das Militär fürchtet, dass im Nordirak nun doch ein Kurdenstaat entsteht, der weitgehend autonom ist, selbst wenn er formal Teil einer irakischen Föderation bleibt. Kirkuk, die voraussichtliche Hauptstadt eines solchen Staates, befindet sich unter Kontrolle der kurdischen Nationalisten, die gezielt die turkmenische und arabische Minderheit vertreiben.

Obwohl das türkische Militär wiederholt gedroht hat, im Falle einer solchen Entwicklung in den Nordirak einzumarschieren, hat es bisher darauf verzichtet und sich den amerikanischen Forderungen gebeugt. Zumindest ist dies der Standpunkt von Generalstabschef Hilmi Özkök, da die finanzielle, politische und rüstungstechnische Unterstützung durch die USA für das türkische Militär unverzichtbar ist.

Nach der Ablösung von Jay Garner durch den Antiterror-Experten Paul Bremer als US-Verwalter im Irak witterte die weit rechts stehende Zeitung Tercüman sogar die Chance, dass die Türkei von den USA bei der Unterwerfung der Region gebraucht wird. Die Zeitung hofft, dass dabei auch die im Nordirak verbliebenen Überreste der kurdischen PKK gleich mit erledigt werden.

"Bushs Wahl eines pensionierten Antiterrorexperten an Stelle eines früheren Militärs liefert den Schlüssel zum Verständnis", schreibt Tercüman. "Höchsten Vorrang hat für die USA nicht der Wiederaufbau des Landes, sondern das Fußfassen in der Region unter dem Vorwand des Kriegs gegen den Terrorismus. Sie wollen so in der Lage sein, alle Länder im Nahen Osten unter Druck zu setzen. Um weitere Terroranschläge gegen die USA zu unterbinden, sagt Bremer, müssen Länder wie Libyen und der Iran unter strikter Kontrolle und ständigem Druck gehalten werden... Die Ernennung Bremers als Vorgesetzter Garners bedeutet für die Türkei eine positive Entwicklung, da Bremer auch die Unterdrückung der Terroristengruppe PKK/KADEK befürwortet."

Begünstigt durch ihre Rolle bei der jahrzehntelangen Unterdrückung der türkischen Linken und Arbeiterbewegung und dem Niederschlagen kurdischer Aufstände hat sich in der Armee aber auch ein starker faschistischer Flügel gebildet, von dem nicht klar ist, ob er in Opposition zur oder unter der schützenden Hand der Armeeführung steht. Ende April meldeten amerikanische Zeitungen, US-Soldaten hätten im Nordirak einen Konvoi mit türkischen Spezialkräften abgefangen, der die pro-türkische "Irakische Turkmenenfront" mit Waffen ausrüsten sollte.

An dieser Episode war vor allem bemerkenswert, wie schnell sie wieder aus den Medien verschwand und wie wenig Aufhebens die amerikanische Regierung davon machte. Der Iran war aufgrund ähnlicher Vorwürfe mit heftigen Drohungen und Einschüchterungsversuchen aus Washington überzogen worden. Dabei gab es im Fall des Iran keinen Beweis für die Anschuldigungen, nur vage Behauptungen über "Erkenntnisse", wonach "Agenten eingeschleust" worden seien, während die Türkei bei einer viel erheblicheren Form der Einmischung in flagranti ertappt worden sein soll.

Auch Wolfowitz meinte in seinem Interview lediglich, dies hätte "nicht passieren sollen". Dies sei "ein gutes Beispiel dafür, dass alles, was die Türkei im Nordirak tut - und wir verstehen, dass die Türkei im Norden wichtige Interessen hat - durch die Koalition, durch General Franks koordiniert werden muss."

Er warnte die Türkei davor, eigene Truppen in den Irak zu entsenden. Mittlerweile sollen auch die bereits seit Jahren dort stationierten türkischen Soldaten abgezogen werden. Im Gegenzug würden die USA für die türkische Armee gegen die PKK vorgehen. "Die PKK ist eine terroristische Organisation. Meiner Meinung nach können wir im Nordirak keine terroristischen Organisationen dulden."

Bisher wollen sich die USA jedoch nicht festlegen, wann und wie sie gegen die PKK/KADEK vorgehen. Letzte Woche trafen sich Vertreter der Türkei mit Vertretern kurdischer und turkmenischer Gruppen sowie amerikanischen Militärs und Geheimdienstlern im Irak.

Die PKK/KADEK überschlägt sich ihrerseits mit Ergebenheitsadressen an die USA. Ende April hat die KADEK eine Erklärung veröffentlicht, in der sie Präsident Bush positiv mit seinem Amtsvorgänger vergleicht, weil Clinton den "Status quo" bewahrt, den türkischen Staat gegen die Kurden unterstützt und das Saddam-Regime an der Macht belassen habe. Jetzt sei es Aufgabe der USA, den gesamten Mittleren Osten zu demokratisieren: "Die Intervention wird nur Erfolg haben, wenn sie den Weg für die Verbesserung der gemeinsamen Werte der Menschheit ebnet. Ein Regime mit den alten Eigenschaften wird ins Chaos führen. der einzige Weg für die USA besteht darin, die Möglichkeit zur Errichtung demokratischer Regime zu schaffen und diese zu unterstützen." (Kurdish Observer 25. April 2003)

Siehe auch:
Türkisches Parlament gibt amerikanischem Druck nach
(21. März 2003)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - September/Oktober 2003 enthalten.)
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