Das türkische Parlament hat am 20. März in einer demütigenden Kehrtwendung nun doch beschlossen, den USA im Krieg gegen den Irak Unterstützung zu gewähren. Am 1. März war eine entsprechende Resolution noch knapp gescheitert. Nun dürfen amerikanische Flugzeuge den türkischen Luftraum benutzen, um Tod und Zerstörung auf den Irak regnen zu lassen und Invasionstruppen abzusetzen. Gleichzeitig stimmte das Parlament der Entsendung türkischer Truppen in den von Kurden besiedelten Nordirak zu.
Im Gegensatz zum 1. März wurde diesmal nicht über die Stationierung amerikanischer Truppen abgestimmt. Ursprünglich war geplant gewesen, 62.000 amerikanische Soldaten von türkischem Boden aus eine Nordfront im Irak aufbauen zu lassen. Nachdem der Beginn des Krieges aber unmittelbar bevorstand, signalisierten Vertreter der USA der türkischen Regierung, dass die Überflugrechte Vorrang haben. Sie ermöglichen es, amerikanische Soldaten in dem sonst nur schwer zugänglichen Nordirak abzusetzen und Cruise Missiles aus dem östlichen Mittelmeer in den Irak abzufeuern.
Um das Ergebnis nicht erneut zu gefährden, rieten seine Berater dem frischgebackenen Premierministers Recep Tayip Erdogan, nur über diesen Punkt und die Entsendung türkischer Truppen abstimmen zu lassen. Die türkische Regierung hat aber bereits angedeutet, dass auch eine Abstimmung über weitere amerikanische Wünsche, wie die Stationierung von Truppenverbänden, noch möglich sei.
Dass ein solcher "Wunsch" in nicht allzu ferner Zukunft geäußert wird, ist sehr wahrscheinlich. In den vergangenen Wochen hat die US-Armee nämlich pausenlos Militärmaterial im Hafen von Iskenderun entladen. Der Stauraum ist mittlerweile so knapp geworden, dass sie Ausweichplätze anmieten muss. Gegen den erklärten Willen des Parlaments wurden unter der schützenden Hand der türkischen Militärs Ausrüstung, Munition und technische Geräte zu Stützpunkten in der Osttürkei transportiert.
Amerikanischer Druck
Die neue Entscheidung des von der islamischen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) dominierten Parlaments erfolgte gegen den Willen der Bevölkerung, die den Krieg gegen den Irak zu über 90 Prozent ablehnt. Sie ist auf massiven politischen und finanziellen Druck der USA zustande gekommen.
Die Methoden, welche die US-Regierung dabei anwandte, werfen ein bezeichnendes Licht auf die sogenannte "Koalition der Willigen", auf die sich Bush im Krieg gegen den Irak stützt. Man fühlt sich unweigerlich an die bekannte Zeile aus dem "Erlkönig" erinnert: "Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt" - wobei nicht all zu viel Gewalt nötig war, um Erdogan gefügig zu machen.
Die USA erpressten die türkische Regierung einerseits finanziell, indem sie die Zusage für dreißig Milliarden Dollar zurückzogen, die das Land als Ausgleich für die wirtschaftlichen Folgen des Krieges erhalten sollte. Dabei stammen diese Gelder zum größten Teil gar nicht von der amerikanischen Regierung, sondern vom Internationalen Währungsfonds, an dem auch Länder, die den Krieg ablehnen, wie Deutschland und Frankreich beteiligt sind.
Andererseits drohten die USA der türkischen Regierung mit politischen Folgen, indem sie sich demonstrativ hinter den türkischen Generalstab stellten, der immer wieder mit einem Verbot der islamistischen Regierungspartei liebäugelt. Und indem sie sich mit den kurdischen Gruppen im Nordirak zusammentaten und der türkischen Elite mit ihrem alten Albtraum, der Entstehung einer autonomen Kurdenregion, Angst einjagten.
Seit Beginn dieser Woche wurden die Einschüchterungs- und Erpressungsbemühungen massiv verschärft. Am Montag nach dem Kriegsgipfel auf den Azoren rief US-Außenminister Colin Powell seinen Kollegen Abdullah Gül an und erklärte ihm, die Türkei habe nun die allerletzte Chance, Partner der USA zu bleiben, wenn das Parlament innerhalb von 72 Stunden grünes Licht gebe. Bis 22 Uhr erwarte er eine Antwort von der Regierung.
Am selben Tag reiste der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad nach Ankara zu einem mehrtägigen Treffen mit Vertretern der Türkei sowie der beiden Kurdenparteien PUK (Patriotische Union Kurdistans) und KDP (Demokratische Partei Kurdistans) und weiteren irakischen Oppositionsgruppen. Dabei zog er, wie türkische Zeitungen meldeten, gezielt die "kurdische Karte".
Laut einem Bericht der Zeitung Radikal sagte Khalilzad, falls sich die Türkei nicht auf die Seite der USA stelle, würden die USA "nicht zusehen", wenn türkische Truppen eigenmächtig in den Nordirak einmarschierten und es zu Kampfhandlungen zwischen türkischer Armee und kurdischen Milizen komme. Es klang wie eine Drohung, sich auf die Seite der Kurden zu stellen.
Am Mittwoch kam eine weitere Drohung aus Washington, dass türkische Starrköpfigkeit böse Folgen haben könnte. Der Washington-Reporter des Senders NTV berichtete, nur dem amerikanischen Oberkommando unterstellte Streitkräfte würden Spezialcodes zur Erkennung durch US-Kampfjets erhalten. Handle die Türkei auf eigene Faust, könnten ihre Truppen "aus Versehen" getroffen werden.
Ebenfalls Anfang der Woche berichtete die Washington Post über eine enge Kooperation von USA und Kurden. "Mehrere Dutzend" amerikanische Spezialkräfte - vermutlich von der CIA - arbeiteten bereits mit irakisch-kurdischen Milizen zusammen. Weitere sollten in den kommenden Tagen folgen. Kurdische Kämpfer sollten "nach Beginn einer amerikanischen Invasion Ziele für US-Luftangriffe ausfindig machen und Vorbereitungen für die Eroberung von Kirkuk treffen, eine strategische Ölstadt im Nordirak", schrieb die Zeitung.
Im Nordirak stehen drei vor kurzem erneuerte Landebahnen bereit. Kurdische Quellen erwarten, dass bis zu 20.000 US-Soldaten in Luftlande-Operationen im Nordirak abgesetzt werden.
Die Militärs und rechten Nationalisten in der Türkei nahmen diese Drohungen ernst. So griff die Zeitung Türkiye vom 19. März die türkischen Kriegsgegner und die Parlamentsabgeordneten, die am 1. März gegen die Unterstützung der USA gestimmt hatten, bitter an: "Unser Militär wird möglicherweise nicht die nötigen Informationen erhalten, um sich vor Angriffen von US-Jets zu schützen. Ist das der Fall, können wir unsere Armee nicht gefährden und in den Irak einmarschieren. Kritische Informationen gingen mit Sicherheit an die nordirakischen Peschmergas [kurdischen Kämpfer], die - wegen uns - zu den neuen strategischen Verbündeten der USA geworden sind. Wir werden nie vergessen, welch intensive Arbeit in der Türkei geleistet wurde, um die türkisch-amerikanische Freundschaft im Namen des Friedens zu zerstören."
PUK-Führer Talabani wurde in der Türkei von einer kleinen Gruppe türkischer Faschisten angegriffen. Dem Büro der türkischen Kurdenpartei DEHAP in Istanbul wurden am Dienstag die Fensterscheiben eingeworfen. Die HADEP, eine Partei kurdischer Nationalisten, die in der Südosttürkei von der Mehrheit der Wähler unterstützt wird, wurde letzte Woche vom Verfassungsgericht wegen angeblicher Verbindungen zur PKK verboten. Gleichzeitig wurde gegen die DEHAP als angebliche "Ersatzorganisation" der HADEP ebenfalls ein Verbotsantrag gestellt.
Am Montag Abend traf sich darauf hin eine Krisenrunde aus Regierung und Militärs bei Präsident Sezer und legte sich fest. Aus "nationalem Interesse" sollte sich das Parlament noch einmal mit der Frage von Krieg und Frieden befassen. Sezer, der sich am 1. März noch gegen die Kriegs-Resolution ausgesprochen hatte, forderte nun das Parlament auf, seine Entscheidung zurück zu nehmen und den Krieg zu unterstützen, der nach seiner eigenen Rechtsauffassung illegitim ist. Am Dienstag segnete zunächst das Kabinett und dann die Parlamentsfraktion der AKP diese Entscheidung ab.
Die USA machten danach umgehend ihre Bereitschaft deutlich, ihre kurdischen "Verbündeten" wieder fallen zu lassen. Die Abschlusserklärung des Treffens mit Khalilzad in Ankara enthielt mehrere Punkte, auf die Ankara lange gedrängt hatte, darunter die Entwaffnung der kurdischen Milizen und die Betonung, dass die "Souveränität, territoriale Integrität und nationale Einheit" des Irak nach einem Krieg aufrecht erhalten werde.
Türkische Beobachter wiesen daraufhin, dass der Föderalismus in der Erklärung nicht erwähnt werde - insgesamt sei diese damit eine klare Absage an kurdische Autonomiebestrebungen. Unter Berufung auf ungenannte "diplomatische Quellen" behaupteten türkische Medien außerdem, die USA hätten der Entsendung von türkischen Truppen in den Nordirak unter eigenem Oberkommando zugestimmt.