Zu diesem Thema fand am 19. Februar im polnischen Slubice eine Geschichtskonferenz statt. Organisiert hatte sie das "Projekt Deutsch-Polnische Geschichte e.V." im "Collegium Polonicum", einer gemeinsamen Einrichtung der jeweiligen Universitäten auf der polnischen und deutschen Seite der Grenzstadt Frankfurt/Oder-Slubice.
Das Projekt hat sich das Ziel gesetzt, dem ehemaligen Gestapo-Lager in Schwetig, das nur wenige Kilometer entfernt von Frankfurt/Oder-Slubice liegt, zu der Beachtung in der Öffentlichkeit zu verhelfen, die es verdient. Mit großem Engagement setzt sich die Gruppe dafür ein, dass die bestehende kleine Gedenkstätte ausgebaut wird, dass sie in Stadt- und Reiseführer aufgenommen wird, und dass endlich Hinweis- und Informationstafeln aufgestellt werden.
Zu einem besonderen Ereignis wurde die Konferenz vor allem wegen der Anwesenheit des 76jährigen Nikolai Liwkowski, einem Überlebenden dieses "Arbeitserziehungslagers", der den Leidensort zum ersten Mal seit seiner Häftlingszeit wieder besuchte und von seinen Erfahrungen berichtete.
Horst Joachim, ein pensionierter Geschichtslehrer und Autor einiger Studien über die Verbrechen der Nationalsozialisten und das jüdische Leben in Frankfurt/Oder, berichtete den Konferenzteilnehmern, was er in Jahren mühevoller Nachforschungen nach und nach ans Tageslicht gebracht hat.
Obwohl das Lager "Oderblick" nur 40 Monate, nämlich von Oktober 1940 bis Januar 1945 bestanden hatte, kamen dort durch Schwerstarbeit, Hunger, Prügel und Hinrichtungen nachweislich mindestens 4.000 Insassen zu Tode. Das Lager mit einer Kapazität von 400 Häftlingen war mit ca. 800 Insassen ständig überbelegt; und am 30. Januar 1945 waren es dann 1.600 Häftlinge, die nach der Räumung des Lagers durch die Gestapo auf einen Todesmarsch geschickt wurden. Nur die Schwächsten, nicht gehfähigen Häftlinge, etwa 70 an der Zahl, blieben in den Baracken und starben in den Flammen, denn die Nazis steckten das gesamte Lager in Brand, bevor die Rote Armee eintraf.
In den Nachkriegsjahren wurde sowohl von DDR-, wie auch von polnischer Seite diesen schrecklichen Ereignissen wenig Beachtung geschenkt.
1963, als Horst Joachim zum ersten Mal die Genehmigung erhielt, das Gelände des ehemaligen Lagers Schwetig persönlich zu besuchen, musste er erleben, dass innerhalb der heruntergebrannten Grundmauern immer noch eine 15 bis 20 cm dicke Schicht Asche, Holzreste, zerbrochene Teller und Tassen sowie der ausgebleichte Oberschenkelknochen eines Verbrannten herumlagen. Dieses Bild, berichtete Horst Joachim, habe ihn nie wieder losgelassen. Als seine behördlichen Begleiter sein Entsetzen bemerkt hätten, hätten sie den menschlichen Knochen rasch unter die Asche gestoßen.
Mit großer Beharrlichkeit arbeitete er seither an der Aufdeckung der Nazi-Verbrechen in seinem Bezirk.
Während des Hitler-Faschismus gab es im Bezirk Frankfurt/Oder 25 Arbeitslager. Das Gestapo-Lager in Schwetig hatte aber eine besondere Funktion.
Im September 1940 hatten die faschistischen Machthaber die Errichtung von Arbeitserziehungslagern beschlossen, denn man kalkulierte zehn Monate vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion den massiven Einsatz von "Fremdarbeitern" ein. Die Arbeitserziehungslager sollten der "Umerziehung" von Zwangsarbeitern dienen. Hier sollten sie in der Zeit von sechs, oder später acht Wochen gefügig werden oder sterben. Diese Art von Lagern wurden ausschließlich den Gestapo-Leitstellen des jeweiligen Gebietes unterstellt, die dabei an keinerlei Gesetzgebung gebunden waren.
Die Gebäude des Lagers in Schwetig, die seit 1938 bereits als Unterkunft für Autobahn-Bauarbeiter gedient hatten, wurden nun im Oktober 1940 zum Arbeitserziehungslager umfunktioniert. Die Gestapo-Leitstelle entschied, wer in ein solches Lager eingewiesen wurde. Bereits ein unwilliges Murren eines Zwangsarbeiters im Oder-Umland über die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen konnte die Einweisung in das Lager Schwetig zur Folge haben. Dort erwarteten ihn Hunger, Schwerstarbeit und permanente zusätzliche Schikane.
70 Tote aus Schwetig wurden pro Monat im Frankfurter Krematorium eingeäschert, die anderen wurden im Wald neben dem Lager verscharrt - Juden wurden grundsätzlich verscharrt.
Dies fand Herr Joachim heraus, nachdem er sich vor rund dreißig Jahren mittels eines Ersuchens an die Frankfurter Staatsanwaltschaft Einsicht in die Unterlagen des Krematoriums verschafft hatte. Das Einäscherungsbuch verzeichnet mehr als 2500 Tote aus dem Gestapo-Lager.
Die Asche der Toten wurde in Pappkartons dem damaligen Bürgermeister von Schwetig geschickt, der wiederum veranlasste, diese Päckchen auf den Müllhaufen des Gemeindefriedhofes zu werfen. Ein Gespräch mit diesem Bürgermeister wurde Herrn Joachim von der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder seinerzeit verwehrt.
Die Lagerinsassen stammten aus 14 verschiedenen Nationen, überwiegend Polen, Russen, Weißrussen, Ukrainer, aber auch Jugoslawen, Tschechen, Franzosen, Italiener, Moldawier und Juden jeglicher Nationalität. Ab 1942 wurden auch Deutsche ins Lager eingeliefert.
Im Herbst 1944 gab es im Lager eine Massenhinrichtung der sowjetischen Gefangenen. Es standen nur zwei Galgen zur Verfügung, daher wurden nacheinander erst alle Männer, dann die Frauen gehängt. Unter ihnen befand sich auch ein Ehepaar, dem Fluchtpläne unterstellt wurden, da bei ihnen ein kleiner vertrockneter Brotvorrat gefunden worden war.
Mitte Januar 1945 wurde des Schwetiger Lager durch 800 Häftlinge aus einem anderen Lager verstärkt. Damit stieg die Überbelegung auf das Dreifache an.
Am 30. Januar 1945, kurz vor dem Eintreffen der sowjetischen Armee, wurde das Lager aufgelöst. Die Insassen sollten verschwinden, und so wurden 1.600 gehfähige Häftlinge auf ihren Todesmarsch geschickt, die übrigen zusammen mit dem gesamten Lager verbrannt.
Der Todesmarsch ging Richtung Westen nach Berlin und war sieben Wochen unterwegs. Die Häftlinge mussten um Berlin herumlaufen bis ins KZ Sachsenhausen, am nächsten Tag zu einem Arbeitseinsatz auf dem Potsdamer Flughafen. Am 16. März 1945 erreichten noch 29 Häftlinge das KZ Buchenwald, tags darauf ging der Marsch weiter. Ein Häftling versteckte sich dort und überlebte als Einziger.
Was nach Kriegsende aus den ehemaligen Kommandanten und dem Wachpersonal des Gestapo-Lagers wurde, ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt.
Die Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Lagers Schwetig besteht seit 1977: ein eingefasster Weg führt zu einem kleinen Turm und Mauerwerk mit einem - als Symbol der Befreiung von außen - nach innen aufgebrochenen Eisengitter in einer Fensteröffnung, dazu eine Tafel.
Allein das Bestreben des Geschichtsprojekts, eine zusätzliche zweisprachige Informationstafel anzubringen, stieß behördlicherseits auf erhebliche Hindernisse. Mittlerweile hat sich eine schweizerische Flüchtlings-Hilfsorganisation zur Erstellung einer solchen Tafel bereit erklärt.