Die Politik der PKK - eine Bilanz

Die Redaktion des World Socialist Web Site fordert die sofortige Freilassung Abdullah Öcalans. Wir halten seine Verschleppung in die türkische Hauptstadt Ankara und die Weigerung der europäischen Regierungen, ihm politisches Asyl zu gewähren, für einen gefährlichen Anschlag auf demokratische Grundrechte. Die türkische Regierung konzipiert den nun bevorstehenden Gerichtsprozeß gegen den "Terroristen" Öcalan nicht als faires juristisches Verfahren, sondern als Krönung ihres blutigen Bürgerkrieges gegen die Kurden. Die PKK ist keine Terroristengruppe, sondern eine politische Organisation einer unterdrückten nationalen Minderheit.

Unsere Solidarität und Sympathie für das gepeinigte kurdische Volk veranlassen uns aber auch zu einer kritischen Bilanz über die Politik der PKK. Die Umstände der Verhaftung Öcalans, der sich am Ende völlig isoliert in der griechischen Botschaft in Nairobi verbergen mußte, waren ein Sinnbild der Sackgasse, in die er sich verrannt hatte.

Die PKK hatte sich bei ihrer Gründung vor zwanzig Jahren zum Ziel gesetzt, die Unterdrückung der kurdischen Minderheit in der Türkei durch die Schaffung eines unabhängigen Nationalstaates zu überwinden. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch einen Guerillakampf, der sich in erster Linie auf "die Massen selbst" stützen sollte, wenn die PKK auch unter der schützenden Hand oder zumindest mit Duldung benachbarter Staaten operierte. Als dieser Weg erst keine durchschlagenden Erfolge brachte und dann aufgrund internationaler Veränderungen aussichtslos erschien, setzte die Organisation zunehmend auf diplomatische Manöver und suchte, während sie ihre Ansprüche immer weiter zurücknahm, die Unterstützung imperialistischer Mächte - nach vorsichtigen Avancen an Clinton insbesondere in Europa. Doch gerade die europäischen Regierungen ließen den PKK-Generalsekretär am Ende ins offene Messer laufen.

Die Ursprünge der PKK

Angesichts der gut dokumentierten barbarischen Unterdrückung und Verfolgung der kurdischen Minderheit durch das türkische Militär mag die Forderung nach einem eigenen Staat heute natürlich und plausibel erscheinen. Doch die PKK stellte sie in einer Situation auf, in der eine andere Möglichkeit zur Lösung der Kurdenfrage mit Händen greifbar war: eine gemeinsame Bewegung der kurdischen und türkischen Arbeiterklasse.

Im Zuge eines raschen industriellen Aufbaus während der fünfziger und sechziger Jahre war es in den Jahren 1968 bis 1971 auch in der Türkei zu zahlreichen offiziellen und spontanen Streikbewegungen und Fabrikbesetzungen gekommen. Heftige Zusammenstöße mit der Polizei waren an der Tagesordnung. 1967 hatte sich der Gewerkschaftsdachverband DISK von den gelben Türk-IS-Gewerkschaften abgespalten, es waren zahlreiche Gruppen und Organisationen entstanden, die sich in der einen oder anderen Weise als sozialistisch begriffen. Sich auf den Marxismus berufende Zeitungen und Zeitschriften hatten Auflagen in sechsstelliger Höhe.

Die PKK ist aus der studentischen Protestbewegung jener Zeit hervorgegangen. Die ersten Vorbereitungstreffen zu ihrer Formierung fanden zu Beginn der siebziger Jahre statt, und ihre Gründungsmitglieder stammten größtenteils aus der "Dev Genc", der "Revolutionären Jugend", die Mitte der sechziger Jahre gegen die Führung der ebenfalls neugegründeten, sozialdemokratisch orientierten TIP (Arbeiterpartei) rebelliert hatte.

Diese Rebellion blieb allerdings bei der oberflächlichen Bewunderung für radikalere Methoden als den "parlamentarischen Weg" der TIP stehen. Sie fand keinen marxistischen Zugang zur Arbeiterklasse der Türkei.

Die "Dev Genc" schwärmte für Mao, Che Guevara, Fidel Castro und den Guerillakrieg in Vietnam. Entsprechend der klassischen Zweistufentheorie, die Stalin und Mao gemeinsam war, ordnete sie den sozialen Kampf der Arbeiterklasse einer nationalen Front unter. Sie sah die Türkei als ein vom Imperialismus unterdrücktes Land an, dessen Unabhängigkeit erst noch erkämpft werden müsse. Die Hauptfront verlaufe nicht zwischen den Klassen innerhalb der Türkei, sondern zwischen den wahrhaft patriotisch gesonnenen Kräften und dem Imperialismus. Die Arbeiterklasse nahm eine zweitrangige Stellung ein. In einer Erklärung von 1967 schrieb die Dev Genc: "Es ist... offenkundig, daß in den Kolonialländern nur die Bauernschaft revolutionär ist. Sie hat nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Der Bauer, der Deklassierte, Ausgehungerte ist der Ausgebeutete, der am schnellsten entdeckt, daß sich nur die Gewalt bezahlt macht."

Aus der Dev Genc gingen in den Folgejahren mehrere kleine Guerillatrupps hervor, die aber rasch aufgerieben wurden oder sich wieder auflösten.

Zu den Themen, die unter den politisch aktiven Studenten heftig diskutiert wurden, gehörte auch die Kurdenfrage. Die kurdische Minderheit wurde in vielerlei Hinsicht diskriminiert, ihre Sprache und Lebensweise nicht anerkannt. Abdullah Öcalan und der spätere Gründungszirkel der PKK übertrugen nun die nationalistisch geprägte Haltung der maoistischen Gruppen, was die Beziehung der Türkei zu den USA anging, auf die Beziehung der Türkei zu Kurdistan.

Daraus ergab sich zwangsläufig, daß man sich gegenseitig des türkischen bzw. kurdischen Chauvinismus bezichtigte. Eine treffende Formulierung fand Christiane More, als sie die Haltung der PKK gegenüber anderen Organisationen beschrieb: "Es ist offensichtlich, daß die PKK ihre Beziehungen zu anderen Bewegungen weniger auf das Kriterium des Klassenkampfes, als auf jenes des Selbstbestimmungsprinzips gründet." 1

Kurdistan, so Öcalan und seine Anhänger, sei ein von der Türkei kolonialisiertes Land, das als erstes seine nationale Unabhängigkeit errichten müsse. Der soziale Kampf der Arbeiterklasse und auch der Bauernschaft müsse zunächst gegenüber dem nationalen Kampf zurückstehen. Wenn die 1978 gegründete Organisation dennoch den Namen "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) wählte, so ist darin wohl zum einen eine Anpassung an die militante Arbeiterbewegung der sechziger und siebziger Jahre zu sehen, und zum anderen eine Anlehnung an den Stalinismus, die Quelle der Zweistadientheorie.

Das Gründungsprogramm der PKK, das bereits 1977 verfaßt wurde, ist in diesem Punkt eindeutig: "Da der nationale Widerspruch der Hauptwiderspruch ist, bildet er den bestimmenden Faktor für die Lösung sämtlicher anderen gesellschaftlichen Widersprüche. Solange der nationale Widerspruch ungelöst bleibt, kann kein weiterer gesellschaftlicher Widerspruch gelöst werden. Die ersten Schritte hin zu einer Revolution auf dem Lande müssen notwendigerweise nationalen Charakter haben."2

Zwar sah das Programm dann für die Zeit der "Arbeiter- und Bauernregierung", die der Schaffung eines eigenen Nationalstaates folgen sollte, durchaus eine Reihe Maßnahmen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Lage der unterdrückten Klassen vor: eine Landreform, die Aufteilung des Bodens unter die armen Bauern, den Achtstundentag, ein Programm zum wirtschaftlichen und industriellen Aufbau, und anderes mehr. Aber diese sozialen Forderungen mußten zunächst zurückstehen zugunsten der "nationaldemokratischen Revolution" mittels des bewaffneten Kampfes: "Die Methoden des Kampfes beziehen sich notwendigerweise in weitem Umfang auf Gewalt."

PKK und Arbeiterklasse

Diese Strategie richtete sich direkt gegen die Verwandlung der kurdischen Bauern in Arbeiter, gegen ihre Abwanderung in die Städte und ins Ausland, vorzugsweise nach Westeuropa, wo sie sich in die ansässige Arbeiterklasse integrierten. Dieser Prozeß war in den sechziger und siebziger Jahren in vollem Gange.

In den kurdischen Bergregionen bestanden stark feudal geprägte Strukturen fort, die nicht durch eine Landreform beseitigt worden waren. Die Gesellschaft war durch Stammesstrukturen geprägt, der Großgrundbesitz allgemein verbreitet. Doch mit der Mechanisierung der Landwirtschaft, die in den fünfziger Jahren einsetzte, und der zunehmenden industriellen Entwicklung der Westtürkei bahnte sich eine durchgreifende Proletarisierung der Bevölkerung an. In einer maßgeblichen Studie heißt es dazu:

"Sie [die Kurden] verließen ihre Dörfer wegen Landknappheit und Arbeitsmangel. In Kurdistan gibt es keine Industrie, die in der Lage wäre, sie zu beschäftigen, deshalb gingen sie (und viele weitere wollen ihnen folgen) in die Industriezentren und wirkten an deren Entwicklung mit. Ironischerweise nimmt ein Teil des kurdischen Kapitals den gleichen Weg. Reiche Leute investieren ihr Geld in Landbesitz (wenn sie Land kriegen können, aber es ist rar), in landwirtschaftliche Maschinen, in Handel oder Industrie in den Zentren. Das bedeutet: Es gibt ein kurdisches Proletariat und auch kurdisches Industriekapital, aber beides außerhalb von Kurdistan."3

In einer anderen sozialwissenschaftlichen Arbeit heißt es:

"Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt sank [von 1962-1978] von 40,0 Prozent auf 22,2 Prozent [1], obwohl die Zahl der landwirtschaftlich Beschäftigen nur geringfügig gesunken ist (von 9,7 auf 9,0 Millionen) [2]. Folge dieser Entwicklung waren sinkende Einkommen bei den landwirtschaftlich Beschäftigten und daraus resultierend eine hohe Landflucht. Um die Städte bildeten sich gecekondus(= über Nacht gebaute Hütten)."4

Dies alles lief nicht auf die Herausbildung einer kurdischen Bourgeoisie als Rückgrat eines selbständigen Nationalstaates hinaus, sondern auf die Integration der kurdischen Bevölkerung in die türkische und internationale Arbeiterklasse. Der Zusammenschluß der türkischen und kurdischen Arbeiter unter einer gemeinsamen sozialistischen Perspektive lag zum Greifen nahe. Die Perspektive einer Arbeiterregierung hätte ganz zweifellos günstige Aussichten im Kampf gegen die Unterdrückung der kurdischen Minderheit und für die strukturelle Entwicklung der rückständigen Bergregionen eröffnet.

Das Projekt eines eigenen Nationalstaats hingegen war eine rückwärtsgewandte Reaktion auf diese historische Entwicklung. Es gewann anfangs wenig Unterstützung, weil es überhaupt keine reale soziale Grundlage dafür gab - abgesehen vielleicht von arbeitslosen kurdischen Akademikern, die sich von einem eigenen Staatsapparat Posten und Karrieren erhoffen mochten.

Die PKK wandte der Arbeiterklasse in den Städten den Rücken zu. Sie organisierte nach ihrer Gründung in den Jahren 1979-80 einige Gefechte und Scharmützel mit Großgrundbesitzern, die bisweilen von den Bauern mit einer gewissen Sympathie verfolgt wurden. Ihre Unterstützung blieb jedoch gering, da sie von vornherein auf ein durchgreifendes Programm zur Bauernbefreiung verzichtete, um "patriotische Elemente" unter den Großgrundbesitzern nicht zu verschrecken. Aufgrund ihrer blutigen Auseinandersetzungen mit einzelnen Agas (Stammesfürsten), rivalisierenden kurdischen Organisationen und der faschistischen MHP verbreitete sie unter der einfachen Bevölkerung eher Angst und Schrecken.

Die türkische Regierung unter dem Sozialdemokraten Ecevit schürte unterdessen gezielt den nationalen Chauvinismus und religiöse Gegensätze, um der militanten Bewegung der Arbeiter Herr zu werden. In Ecevits Amtszeit war bereits der Einmarsch in Zypern (1974) gefallen. Er ging eine Koalition mit der islamistischen Heils-Partei ein (der Vorläuferin der heutigen Wohlfahrtspartei) und leitete die staatliche Anerkennung von Islam-Schulen in die Wege. Nachdem er es geschafft hatte, auf diese Weise Zusammenstöße auszulösen, verhängte Ecevit 1978 das Kriegsrecht in den kurdischen Provinzen. Zu dieser Zeit waren in der Türkei rund eine Million Arbeiter und Studenten Mitglieder in Organisationen, die sich auf den Sozialismus beriefen.

Nachdem es dennoch nicht gelang, die sozialen Unruhen unter Kontrolle zu bekommen, putschte am 12. September 1980 das türkische Militär. Dies geschah mit Unterstützung des amerikanischen Geheimdienstes CIA, dessen Regierung die instabile Lage in dem Frontstaat des Kalten Krieges mit Besorgnis verfolgt hatte.

Nun setzte eine massive staatliche Repression gegen alle linken Gruppierungen ein. Die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften wurden verboten. Auch die PKK war stark betroffen. Angeklagt wurden 1983 wegen "separatistischer Aktivitäten" u.a. rund 1800 PKK-Mitglieder. Der größte Teil entging der Vernichtung durch die Flucht nach Syrien und in den Libanon. Einige begaben sich auch in den Iran oder den Irak. Zwei Jahre später kämpfte die PKK im Libanon an der Seite der PLO. Öcalan selbst hatte sich bereits seit 1979 in der syrischen Hauptstadt Damaskus aufgehalten.

Krieg gegen die türkische Armee

Die PKK baute in der syrisch kontrollierten Bekaa-Ebene und im Barlias-Tal Ausbildungslager für Guerilleros auf. Im Sommer 1984 gab sie mit der spektakulären Besetzung zweier türkischer Militärposten den Beginn eines neuen bewaffneten Kampfs bekannt. Sie gründete erst die "Befreiungseinheiten Kurdistans" (HRK), dann ein Jahr später, im Frühjahr 1985, die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK).

Die zweite Hälfte der achtziger Jahre ist von einem mit äußerster Brutalität geführten Krieg des türkischen Staates gegen die Guerilla geprägt. Die türkische Regierung betrieb eine Politik der verbrannten Erde, indem sie ganze kurdische Dörfer in der Grenzregion zum benachbarten Irak niederwalzte und ihre Bewohner vertrieb. Von 1984 bis 1990 wurden nach kurdischen Angaben etwa 2.500 Dörfer zwangsumgesiedelt.

Die türkische Regierung installierte außerdem 1985 das System der sogenannten "Dorfschützer", bei dem Einzelpersonen oder ganze kurdische Stämme bestochen und bewaffnet wurden, um gegen die PKK zu kämpfen. Der Terror der türkischen Armee und Konterguerilla ist in zahlreichen Augenzeugenberichten ausführlich beschrieben worden und unterliegt bei jedem auch nur annähernd objektiven Beobachter keinem Zweifel.

"Wir stellten die Bevölkerung vor die Wahl", schildert beispielsweise ein ehemaliger Oberleutnant, Yener Solyu, seine Tätigkeit gegenüber dem Journalisten Gottfried Stein: "entweder ihr arbeitet als Dorfschützer, oder ihr werdet in andere Provinzen umgesiedelt. Am Abend inszenierten wir dann angebliche Auseinandersetzungen mit den Guerillas, schossen auf die Fenster und richteten auch schwere Waffen gegen das Dorf. Weil die Leute von ihrer Ernte und ihrem Vieh abhängig sind, verwüsteten wir ihre Äcker und schlachteten das Vieh. Wenn das nicht half, riegelten wir das Dorf ab und schickten die Konterguerilla hinein. Sie verhörten die Leute, brachten einige um. Manchmal haben wir einfach aus Spaß die Häuser mit Flammenwerfern und Flugabwehrraketen beschossen, oder wir ließen nicht explodierte Handgranaten einfach liegen.."5

Solyu schildert auch die grauenhaften Foltermethoden der Militärs und kommentiert: "Um gefoltert zu werden, mußte man nicht als PKK-Kämpfer verdächtigt werden: es reichte, ein Kurde zu sein."6 Selbst zwölfjährige kurdische Jungen starben unter der Folter.

Die PKK schlug entsprechend zurück, wobei die verbliebene Zivilbevölkerung, die nicht durch Flucht oder Vertreibung die Region verlassen hatte, oftmals zwischen zwei Mühlsteine geriet. Das Militär bedrohte jeden, der sich weigerte, gegen die PKK aufzutreten, mit Folter und Tod. Die Guerilla beschoß die Häuser und damit die Familien von Dorfschützern mit syrischen Raketen und machte erbarmungslos Jagd auf jeden, der als "Kollaborateur" verdächtigt wurde. Unter anderem zerstörte sie in großem Maßstab die - türkischen - Schulen, die sie als "Zentren der moralischen und ideologischen Zersetzung" bezeichnete. Dabei wurden auch zahlreiche Lehrer ermordet.

Klagte die PKK auf ihrem 3. Parteikongreß im Oktober 1986 noch über die schwache Unterstützung der Bevölkerung, so trieb ihr in den Folgejahren die bloße Verzweiflung über den Terror des türkischen Militärs neue Kräfte zu. Von einer wirklichen Massenunterstützung oder tiefen Verankerung in der kurdischen Bevölkerung konnte jedoch nach wie vor keine Rede sein, was die PKK in ihren Publikationen auch beklagte und auf ihrem 4. Parteikongreß 1990 öffentlich einräumte. Abdullah Öcalan bezeichnete in seiner Rede auf diesem Kongreß "Massenmord und Angriffe auf die Bevölkerung", die von "lokalen Führern" begangen worden seien, als schweren Fehler: "Wenn die Bevölkerung nicht mit Vorsicht und korrekt behandelt wird, nützt das nur dem Feind."7

Erschwerend kam hinzu, daß die zeitweiligen Verbündeten in der nordirakischen PDK (Demokratische Partei Kurdistans) unter Massud Barzani der PKK in den Rücken zu fallen begannen. Als nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges 1988 die Kurden im Irak von Saddam Hussein mit Giftgas bombardiert worden waren und sich ein Flüchtlingsstrom über die Grenze zur Türkei ergoß, knüpfte Barzani Beziehungen zur türkischen Regierung an und organisierte ein Bündnis mit anderen kurdischen Organisationen, das sich gegen die PKK richtete. In den folgenden Jahren beteiligten sich Barzanis Truppen immer wieder an den Kämpfen der türkischen Armee gegen PKK-Stützpunkte im Nordirak.

Die zunehmende Aussichtslosigkeit des bewaffneten Kampfes veranlaßte die PKK bereits 1988 zu einem ersten Waffenstillstandsangebot, das allerdings von der türkischen Regierung ausgeschlagen wurde.

Politischer Kurswechsel

Einen einschneidenden Wendepunkt in der Entwicklung brachte schließlich der Zusammenbruch der Sowjetunion, der sich seit 1989 abgezeichnet hatte, und der anschließende Golfkrieg Anfang 1991.

1989 war es zu einem Wiederaufleben militanter Arbeiterkämpfe in der Türkei gekommen, die in einem Generalstreik im Januar 1991 gipfelten. In den stalinistisch regierten Ländern brodelten zahlreiche Massenproteste. In den kurdischen Städten gingen 1990 Tausende von Jugendlichen, wohl auch inspiriert durch die palästinensische Intifada, nach Massakern der türkischen Armee auf die Straße. Die Empörung über die Rolle der USA im Golfkrieg schlug hohe Wellen.

Diese soziale Bewegung brachte der PKK recht unerwartet neue Kräfte und eine starke spontane Unterstützung ein. Doch gleichzeitig entzogen das Ende der Sowjetunion und der Golfkrieg ihrer bisherigen Strategie restlos den Boden. Denn ungeachtet der fast rituellen Beschwörung des "Volkes als Hauptstütze einer jeden revolutionären Bewegung" hatte die PKK nur dank des Schutzes, oder zumindest mit Tolerierung, der syrischen Regierung unter Präsident Hafez Al-Assad funktionieren können. Öcalan und das Zentralkomitee der PKK befanden sich in Damaskus, und ihre wichtigsten Stützpunkte und Ausbildungslager in der syrisch beherrschten Bekaa-Ebene.

Mit dem Ende der Sowjetunion verloren die arabischen Regime, die sich bislang eine gewisse Handlungsfreiheit gegenüber dem Imperialismus gewahrt hatten, ihre hauptsächliche wirtschaftliche und politische Stütze. Das galt auch für Syrien. Das Land büßte wichtige Absatzmärkte und Handelsbeziehungen in die Sowjetrepubliken ein und orientierte sich zunehmend auf die europäischen Mächte.

Syrien unterstützte überdies die USA in ihrem Krieg gegen den Irak im Januar 1991. Mit diesem Waffengang signalisierte die Bush-Regierung unzweideutig, daß Amerika als die führende imperialistische Weltmacht den Anspruch auf eine Neuordnung des Nahen Ostens in ihrem Interesse mit allen Mitteln zu gewährleisten beabsichtigte. Die Türkei spielte dabei eine zentrale Rolle als NATO-Stützpunkt und enger politischer Verbündeter in der Region. Die PKK fand sich plötzlich im Schnittpunkt weltpolitischer Machtkämpfe wieder.

Öcalan erkannte diese Zusammenhänge, hatte jedoch zunächst keine Antwort darauf. Liest man die Stellungnahmen der PKK aus jener Zeit, insbesondere die im "Kurdistan Report" veröffentlichten Dokumente ihres 4. Parteikongresses im Dezember 1990 und die kurze Zeit später verfaßten Erklärungen zum Golfkrieg, so schält sich ein klares Bild heraus: die bisherige Kriegsstrategie der PKK war gescheitert, es begann die Suche nach neuen Bündnispartnern, nach diplomatischen Manövern, nach neuen mächtigen Verbündeten unter den Regierungen der Region oder in Europa.

Es war äußerst heikel, diesen Kurs innerhalb der Organisation durchzusetzen, da er einen offenen Bruch mit den bisher hochgehaltenen Grundsätzen der PKK nach sich zog.

Bislang hatte die PKK sich von allen anderen kurdischen Organisationen stets dadurch abgegrenzt, daß sie das bedingungslose Festhalten an einem eigenen Staat und die Ablehnung jeder Teil- oder Autonomielösung auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Sie geißelte die Haltung der nordirakischen KDP unter Barzani und der iranischen Kurdenorganisation PUK unter Celal Talabani, die immer wieder mit den USA kollaboriert hatten und während des Golfkriegs offen auf deren Seite kämpften.

"Die Haltung der kurdischen Widerstandsgruppen aus dem irakisch besetzten Teil unseres Landes", schrieb die PKK etwa am 15. Oktober 1990 in den ersten Stadien der Golfkrise, "ist die klassische Haltung der kurdischen herrschenden Klassen, die die Linie der Kollaboration mit dem Feind des Feindes als strategisches Element ihrer Politik vertritt. Die aktuelle Position ist also entsprechend der Versuch einer Anbiederung an den Imperialismus. Diese Haltung fördert die Ansicht, daß die Kurden immer nur die Rolle des Bauern auf dem Schachbrett spielen. Diese Haltung ist auf das Engste mit der reaktionären Forderung nach Autonomie verbunden, wenn nicht sogar ein Ergebnis dieser Forderung."8 Die PKK setzte dem entgegen, man müsse "dem imperialistisch-kolonialistischen Krieg mit einer nationalen Erhebung begegnen".

Und doch trieb die Logik ihrer Politik die PKK unaufhaltsam auf eben jenen Weg, den sie bei den anderen Organisationen verurteilte. Da sie ein Programm ablehnte, das auf die gemeinsame Mobilisierung der Arbeiterklasse im Nahen Osten, oder sei es nur der türkischen und der kurdischen Arbeiterklasse abzielte, blieb ihr gar kein anderer Weg, als "der Versuch einer Anbiederung an den Imperialismus". Es war außerdem offenkundig, daß die Strategie des Guerillakampfes gegen die Waffentechnik, die die USA im Krieg am Irak getestet hatten, aussichtslos war.

Spannungen und Konfusion

Der neue Kurs wurde in den folgenden Jahren unter erheblichen inneren Spaltungen und Spannungen durchgesetzt. Dieser Prozeß ging mit zahlreichen partei-internen Säuberungen und mit einer immer irrationaleren Verehrung der Person Öcalans einher, der eine Nebelwand aus ideologischen Verbrämungen aufbaute, hinter der die Führungsspitze ungehindert agieren konnte.

Der Parteikongreß Ende 1990 befand sich in heilloser Konfusion, als über die Auflösung der Sowjetunion diskutiert wurde. Ihre Ursache wurde schließlich jenseits der Politik ausgemacht: "Wir haben erlebt, daß die Sackgasse der sozialistischen Ideologie ihren Ursprung in der Moral hat", faßte Öcalan einige Jahre später zusammen. "Es scheint eine Ursache für die Auflösung des realexistierenden Sozialismus zu sein, daß die sittlichen Werte und die Religion vernachlässigt wurden."9 Diese Einschätzung war der Auftakt dazu, daß die PKK allmählich von ihrer "marxistisch-leninistischen" Wortwahl Abstand nahm.

Der kurdische Befreiungskampf wurde nun zum einzigen Hoffnungsträger der Völker der gesamten Region, ja der ganzen Menschheit erklärt. Der 4. Parteikongreß gab die Losung aus: "Freies Vaterland oder Tod!" Die martialische Sprache, "Kurdistan ist unter der Führung der PKK zum ruhmreichsten und prächtigsten Widerstand seiner Geschichte und zu einem der Kämpfe, die Himmel und Hölle erschüttern, bereit", war eindeutig auf die ebenso militanten wie politisch unerfahrenen Jugendlichen in den Aufstandsgebieten gemünzt.

Gleichzeitig fand eine umfangreiche Säuberung von partei-internen Kritikern statt, um Öcalan für die bevorstehenden diplomatischen Manöver freie Hand zu verschaffen. Man liest lange Passagen wie: "Es wurde sich vor allem eingehend mit dem Feudal-Verschwörertum, das keine Regeln im Kampf anerkennt, die Guerilla degeneriert und zum Rebellen-Banditentum wird, das das revolutionäre Leben zerstört, befaßt.... Unser Kongreß hat ein weiteres Mal die bestimmende Rolle des Vorsitzenden APO bei der Entwicklung des nationalen Befreiungskampfes und dem Erreichen des Sieges festgestellt... Der Kampf gegen jede Art defätistischer und zerstörerischer Aktivität wurde begrüßt, und die Notwendigkeit, die hohe Persönlichkeit in ihrem Umkreis noch stärker zu verankern, fand volle Zustimmung."10

Direkt nach dem Ende des Golfkriegs nannte die PKK dann Bedingungen für einen Waffenstillstand und bot der türkischen Seite Verhandlungen an, aber vergeblich.

In einer Erklärung vom 1. April 1991 kündigte sie zum Ausgang des Golfkriegs an: "Während auf der einen Seite eine ehemals wichtige Stütze des reaktionären Status Quo, wie der Irak, geschwächt wurde, konnte der Imperialismus seine neue Ordnung in der Region nicht installieren. Damit ist für die Völker der Region und insbesondere für das kurdische Volk, wie auch für das irakische und türkische Volk, eine Situation der neuen Möglichkeiten entstanden."11

Die PKK begann sich nun zunehmend an die europäischen Mächte zu wenden, um Unterstützung für ihr Projekt eines eigenständigen Kurdenstaates zu gewinnen. Gleichzeitig traf sich Öcalan im Januar 1991 mit dem Führer der Irakischen Kurdistan Front, Celal Talabani, der während des Golfkriegs die USA unterstützt hatte. Talabani reiste nach dem Treffen umgehend nach Ankara, um den türkischen Regierungschef Özal zu sprechen, und anschließend nach Washington, wo er - ausgerechnet in Camp David - mit Präsident Bush konferierte. Die PKK distanzierte sich natürlich von diesen Gesprächen: "Des weiteren ist das Volk die Hauptstütze einer jeden revolutionären Bewegung. Keine Taktik und keine international günstige Konstellation und insbesondere keine imperialistische Unterstützung können diese Rolle übernehmen."12 Sie hielt aber ihr Angebot zur weiteren Zusammenarbeit mit Talabani aufrecht und setzte sie auch alsbald fort.

Die türkische Regierung verstärkte während dieser Periode ihren Terror gegen die Kurdengebiete.

International bekannt wurden die Massaker der türkischen Armee an der Zivilbevölkerung zum kurdischen Neujahrsfest am 21. März 1992, als bei Kundgebungen in kurdischen Städten die Armee in die Menge feuerte, mehr als hundert Teilnehmer tötete und mehrere hundert verletzte. Es kam zu zahlreichen weiteren Bluttaten der türkischen Sicherheitskräfte. Der Terror war schlimmer, als in den achtziger Jahren.

Die PKK gewann 1992 und Anfang 1993 weiterhin breite Unterstützung. An den Wahlen zum von ihr initiierten Exilparlament in Den Haag 1992 beteiligten sich rund 100.000 Menschen. Der Zuwachs hing, abgesehen von der Empörung über den Terror der Armee, wahrscheinlich auch damit zusammen, daß die türkischen Arbeiterorganisationen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dem Sozialismus offiziell abgeschworen und einen scharfen Rechtsschwenk vollzogen hatte.

Im März 1993 erklärte Öcalan auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Celal Talabani im syrischen Bar Elias einen einseitigen Waffenstillstand und kündigte erstmals öffentlich den Verzicht auf die Forderung nach einem eigenen Staat an. Die PKK sei bereit, die Kurdistan-Frage auf politischem Wege zu lösen und eine Zeit friedlicher Verhandlungen zu beginnen. Diese Forderung stieß auf Unterstützung bei verschiedenen europäischen Regierungen sowie allgemein bei den europäischen sozialdemokratischen und grünen Parteien. Die türkische Regierung antwortete mit Provokationen, und der Waffenstillstand hielt nur bis Anfang Juni.

Noch zwei Jahre vor dem Waffenstillstandsangebot hatte die Befreiungsfront der PKK, die ERNK in einer Erklärung gedroht: "Alle, die in Verhandlung mit dem Feind über irgendeine kulturelle Autonomie gegen die nationale Unabhängigkeit treten, werden teuer dafür bezahlen und sich nicht vor der Wut unserer nationalen Befreiung, die keine Kraft aufhalten kann, retten können und von ihr auf jeden Fall zerschlagen werden."13 Nun hatte "Apo" selbst die Forderung nach einem eigenen Staat aufgegeben, doch die türkische Seite führte den Krieg mit aller Härte weiter.

Die Regierung in Ankara reagierte damit vor allem auf die zunehmende Klassenpolarisierung in der Türkei. Die PKK zollte den Kämpfen der türkischen Arbeiter in Worten Tribut und veröffentlichte, wenn sie besonders heftig wurden, diverse gemeinsame Erklärungen mit maoistischen türkischen Gruppierungen. Sie konzentrierte ihre Bemühungen aber ansonsten intensiv auf eine Annäherung an verschiedene imperialistische Mächte.

Während es im Jahr 1995 zu gewaltsamen Aufständen in den Elendsvierteln Istanbuls kam, in denen zehntausende kurdische Flüchtlinge lebten, orientierte sich die PKK auf ihrem 5. Kongreß auf "Dialogvorschläge von Staaten und Institutionen" und strebte im Rahmen einer "noch breiteren Volksfrontarbeit" die Einbeziehung von Islamisten in die Nationale Befreiungsfront (ERNK) an.

Ihre Strategie, die vermeintliche Lösung der "nationalen Frage" jeder sozialistischen Perspektive voranzustellen, trennte sie jetzt ganz offenkundig von der Masse der verarmten kurdischen Bevölkerung. Die mit der PKK sympathisierende Partei DEP (später HADEP), die in den Städten aktiv war, hatte kein Programm, das den sozialen Bedürfnissen der unter unbeschreiblich elenden Bedingungen lebenden Slumbewohner gerecht geworden wäre. Sie stützte sich eher auf besser gestellte akademische Mittelschichten.

Ein Teil der türkischen Bourgeoisie signalisierte in dieser Periode eine gewisse Bereitschaft, auf die PKK zuzugehen. Der Vorsitzende eines Unternehmerverbandes etwa, Cem Boyner, trat 1995 offen für eine Verhandlungslösung über Autonomie für die Kurdengebiete ein. Staatspräsident Özal signalisierte schließlich ebenfalls Gesprächsbereitschaft. Doch dieser Flügel konnte sich nicht durchsetzen. Gerade die Verschärfung der sozialen Gegensätze ließ die türkische herrschende Klasse auf die sichere Karte - auf militärische und polizeiliche Gewalt setzen.

Verzweifelte Manöver

Die Suche der PKK nach Verbündeten nahm nun zunehmend verzweifelte und erniedrigende Formen an. Öcalan appellierte insbesondere an die deutsche Regierung, die PKK und ihn als Werkzeug gegen den übermächtigen Einfluß der USA in der Region zu benutzen. In einem Interview mit der Zeitung "Die Welt" vom 20. Mai 1996 erklärte er: "Viele deutsche Tugenden gelten bestimmt auch heute noch; und deutsche Produkte sind auch heute noch bewundernswert: Technik, Autos, Pharmazie usw. Und politisch eben der Föderalismus, der mir als Modell vor Augen steht. Aber es gibt heute vieles, was ich des großen Deutschlands unwürdig finde. Zum Beispiel, daß offenbar sehr viele Deutsche mit Absicht ihr geistig-charakterliches Erbe aufgeben, daß sie ihre Eigenart verleugnen und lieber lauter kleine Amerikaner sind. Und zum Beispiel die Außenpolitik. Oft hat man den Eindruck, es gäbe gar keine eigenständige Außenpolitik mehr. Dabei müßte doch gerade das wiedervereinigte Deutschland seine Bedeutung begreifen und seine eigene Interessen verfolgen. Aber offenbar genügt es den Deutschen, nur noch ein Anhängsel zu sein."

Öcalan appellierte unter Berufung auf einen Besuch des notorisch rechten CDU-Abgeordneten Heinrich Lummer bei ihm sehr direkt an die nationalen Interessen Deutschlands: "In den drei großen Staaten des Nahen Ostens, in Irak, Iran und der Türkei, gibt es einen großen kurdischen Bevölkerungsanteil. Und wenn es auch heute noch nicht so aussieht - über kurz oder lang wird ohne kurdische Mitwirkung in diesen Staaten nichts mehr gehen. Zumindest wird es in dieser auch für Deutschland wichtigen Region keinen Frieden geben, solange man uns die Menschenrechte verweigert... Für Deutschland kann es doch nur gut sein, wenn sich die Lage in Kurdistan endlich so verändert, daß die Kurden aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren können."

In ihren Publikationen widmete sich die PKK 1997 ausführlich dem Kräfteverhältnis im Nahen Osten und deutete Überlegungen an, wie sie die Interessengegensätze zwischen den USA, der Türkei und Israel auf der einen sowie Rußland, dem Iran, Irak und Syrien auf der anderen Seite ausnutzen könnte. Es geht dabei um die Ausbeutung der Ölreserven am Kaspischen Meer und um den umstrittenen Verlauf einer Pipeline, mit der diese Richtung Westen transportiert werden sollen. Ein Artikel des "Kurdistan Report" Nr. 97, 1997 bejubelte in diesem Zusammenhang eine Annäherung zwischen Syrien und dem Irak als schweren Schlag gegen die Strategie der Türkei.

Die Organisation geriet offenkundig in eine zunehmend tiefere Krise. Da die Türkei im militärischen Kampf gegen die PKK nicht nachließ, wurden die Reihen ihrer Kämpfer empfindlich dezimiert. Die Bilanz der Guerilla für das Jahr 1997 spricht von weit über 2000 Zusammenstößen mit türkischem Militär und den nordirakischen KDP-Kämpfern, von 2759 getöteten türkischen Soldaten, von 2713 getöteten Kollaborateuren (darunter 597 Dorfschützer) und von knapp 1000 gefallenen Guerilleros. Es ist die Bilanz eines erbarmungslosen, zermürbenden Krieges.

Eine Nahostkonferenz der PKK, die im März 1998 stattfand, vermerkte außerdem, daß die Verbindung zu den Volksmassen in der vorangegangenen Periode gelitten hatte. Im "Kurdistan Report" Nr. 91, 1998 liest man: "Die Konferenz betonte ausdrücklich, daß die Verbindung mit dem Volk und dessen Führung die Grundlage unseres Kampfes ist, was fast in Vergessenheit geraten sei.... Pragmatische, rückständige und das Volk ausgrenzende Verhaltensweisen waren Gegenstand scharfer Kritik". Der "freie Frauenverband" und die Frauenarmee hätten sich nicht günstig entwickelt. "Es wurde festgestellt, daß nicht die erforderliche Sensibilität bei der Annäherung gegenüber dem Volk gezeigt wird, sondern daß sich sogar Haltungen in der Praxis des Alltags gezeigt haben, die das Volk ausnutzen und ausbeuten." Es sei "dringend notwendig, die Massen nicht alleine zu lassen, sondern sie zu organisieren und zu führen."

Auf diesem Kongreß kam es zu einer neuerlichen umfassenden Säuberung: "Aktivitäten, die auf Kollaboration, Liquidation der Parteilinie und Herausbildung von Banden innerhalb der Bewegung zielen, wurden in den letzten zwei Jahren innerhalb unserer Partei untersucht und verurteilt."

In den "Beschlüssen zur Diplomatie- und Bündnisarbeit" der Konferenz werden engere Beziehungen zu anderen nationalen Bewegungen angemahnt. Die diplomatischen Aktivitäten der PKK seien noch mangelhaft, die Beziehungen zu anderen Völkern eingeschränkt.

Mehr als zehn Jahre nach Gorbatschows "Perestroika" tauchte nun auch bei der PKK das Wort Sozialismus nicht mehr auf. Auch die martialischen Beschwörungen des bewaffneten Kampfes schwanden. Statt dessen heißt es nun: "Unsere Partei stellt die Menschen und ihr Wohlbefinden in den Mittelpunkt, indem sie sowohl die Freiheit der Menschen verwirklicht, als auch die Reinheit und Natürlichkeit der Natur, die Unverfälschtheit der Kunst, der Kultur und der Geschichte für das Wohl der Menschheit wiederherstellt."14 Und während Öcalan in jüngster Zeit lange Abhandlungen über die Rolle der Frau verfaßte, warnte er von einem übermäßigen Gebrauch des Begriffs "Arbeiterklasse", da gerade dieser Teil der Gesellschaft wenig "patriotisch" sei.

Man kann diesen Kongreß im Frühjahr letzten Jahres nicht anders interpretieren, denn als Eingeständnis des Scheiterns der Strategie, die nationale Befreiung durch den bewaffneten Kampf herbeizuführen. Auch Öcalans Angebote, ein neuer Arafat oder Mandela zu werden, wurden ausgeschlagen. Die PKK fand keinen mächtigen Verbündeten mehr, keine Regierung, die sie unterstützt oder sich bereitgefunden hätte, die Kurdenfrage in ihrem Interesse auszunutzen.

Angesichts einer unerhörten Verschärfung der sozialen Gegensätze in jedem Land im Zuge der Globalisierung sah sich keine herrschende Klasse zu auch nur beschränkten demokratischen Zugeständnissen in der Lage. So verfing sich Öcalan immer tiefer in dem unentrinnbaren diplomatischen Netz aus Verrat und Intrigen, das schließlich in seiner Verschleppung nach Ankara gipfelte.

Die USA, deren Geheimdienst die Entführung organisierte, versuchen ihre Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten zu zementieren, wobei ihnen die kurdische nationale Bewegung im Wege steht. Die europäischen Regierungen weigerten sich, Öcalan Asyl zu gewähren, weil sie sich keinen zusätzlichen sozialen Sprengstoff auf ihren Boden holen wollten. Die arabischen Regierungen, die einst ein gewisses Gegengewicht zum Einfluß der USA in der Region zu bilden beanspruchten, rührten keinen Finger zur Verteidigung der Kurden, die sie in ihren eigenen Ländern selbst unterdrücken: Präsident Assad hatte Öcalan auf Druck der Türkei hin aus Syrien ausgewiesen. Und das angeblich demokratische Rußland hatte ihn nicht aufgenommen. An all diese Regierungen hatte die PKK in den letzten Jahren appelliert oder Hoffnungen in sie gesetzt.

Wenn Öcalan auch die Vorrangigkeit der Klassenfrage vor der nationalen Frage niemals anerkannte, so fiel er ihr am Ende doch zum Opfer. Die einzige Perspektive, die Aussicht auf ein Ende der nationalen und sozialen Unterdrückung im Nahen Osten bietet, ist die Vereinigung der Arbeiterklasse der gesamten Region als Teil einer sozialistischen Weltbewegung.

Quellen

  1. Christiane More, "Les Kurdes aujourd'hui", Paris 1984, S. 191 - zurück
  2. übersetzt aus der englischen Ausgabe, Köln 1983 - zurück
  3. Martin van Bruinessen, "Agha, Scheich und Staat", Berlin 1989,. S. 36f, Hervorhebung vom Verfasser - zurück
  4. Rainer Werle/Renate Kreile, Renaissance des Islam - das Beispiel Türkei, Hamburg 1987; S.55; Quellenangaben: [1]: Jeep, Hendrik et al. (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Texte 2, Berlin 1980, S. 48; [2]: Turkish Industrialists and Businessmen's Association (Hrsg.): The Turkish Economy 1980, Istanbul 1980, S. 101 - zurück
  5. Gottfried Stein, "Endkampf um Kurdistan?", Bonn 1994, S. 64f - zurück
  6. ebd. S. 65 - zurück
  7. "Endkampf um Kurdistan?", a.a.O., S. 37 - zurück
  8. "Kurdistan Report", Oktober 1990 - zurück
  9. "Kurdistan Report" Nr. 87, 1997 - zurück
  10. "Kurdistan Report" Februar/ März 1991, S. 23f - zurück
  11. "Kurdistan Report" April / Mai 1991, S. 15 - zurück
  12. ebd. S. 28 - zurück
  13. "Kurdistan Report" Februar/März 1991, S. 10 - zurück
  14. ebd. - zurück
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