Massenentlassungen bei Ford in Europa

Der Autohersteller Ford hat Massenentlassungen angekündigt. Das Werk in Genk, Belgien, wird spätestens Ende 2014 geschlossen. Das Werk in Southampton, Südengland, und ein Presswerk in Dagenham bei London stellen schon 2013 die Arbeit ein.

Das Werk in Genk beschäftigt fast 4.500 Menschen, die beiden Fabriken in Großbritannien 1.400. In Belgien sind außerdem noch über 5.000 Arbeiter in Zulieferfirmen rund um das Werk betroffen.

Die belgische Ford-Leitung teilte am Mittwochmorgen geladenen Gewerkschaftsvertretern die Entscheidung der Konzernzentrale in den USA in weniger als fünf Minuten mit. Die Gewerkschaftsvertreter informierten anschließend die Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung.

Das Ford-Werk in Genk zählt zu den drei größten Werken des amerikanischen Automobilherstellers in Westeuropa. Dort laufen der Mittelklassewagen Mondeo, der Sportvan S-Max und der Van Galaxy vom Band.

Eigentlich sollte auch die neue Version des Mondeo in Genk hergestellt werden, wie die Konzernführung bis vor einem Monat beteuert hatte. Die flämische Regionalregierung hatte sich diese Standortgarantie mit hohen Subventionen erkauft. Seit Oktober 2010 hat Ford fast 44 Millionen Euro an öffentlichen Geldern kassiert.

Doch angesichts der Absatzkrise in Europa war schon seit Monaten über ein bevorstehendes Aus spekuliert worden. Zuletzt war in Genk nur noch an vier Tagen gearbeitet worden. Zudem hatte Ford den Produktionsanlauf für den neuen Mondeo auf Oktober 2013 verschoben.

Während der Automesse in Paris Ende September hatten Aufsichtsratskreise berichtet, Ford strebe eine Verringerung der Produktionskapazitäten in Europa an. Der Vorstandsvorsitzende der deutschen Ford-Tochter Bernhard Mattes, in dessen Zuständigkeit das Werk in Genk fällt, hatte die Zukunft des belgischen Werks offen gelassen. Eine Zusage, die neuen Modelle des S-Max und des Galaxy ab Herbst 2013 in Genk zu bauen, gab Ford damals ausdrücklich nicht.

Nun werden die Produktionsstätten in Genk 50 Jahre nach der feierlichen Eröffnung nicht umgebaut, sondern stillgelegt. Nach Einschätzung von Analysten spart Ford damit bis zu 500 Millionen US-Dollar (384 Millionen Euro).

Die britische Gewerkschaft GMB teilte am Donnerstag nach einem Treffen mit Ford-Managern mit, dass auch das Montagewerk im südenglischen Southampton mit rund 500 Beschäftigten geschlossen werde. Im Werk Dagenham nahe London verlieren weitere 1.000 Beschäftigte ihre Arbeit.

In Southampton produziert Ford seit genau 40 Jahren den Transit. Die Produktion ist von 66.000 Fahrzeugen 2008 auf nur noch 28.000 im vergangenen Jahr gesunken. Die Bänder laufen daher nur noch im Ein-Schicht-Betrieb.

In Dagenham werden wie an zwei weiteren Standorten keine kompletten Autos, sondern nur Teile gefertigt. Das 1931 gegründete Werk beschäftigte 1953 auf seinem Höhepunkt 40.000 Arbeiter. Heute sind es nur noch 4.000.

Die jetzt angekündigten Werksschließungen und Entlassungen sind nur der Anfang. Das bestätigte Stephen Odell, der Vorstandsvorsitzende von Ford in Europa, am Mittwoch. „Die vorgeschlagene Restrukturierung unserer europäischen Produktion ist ein grundlegender Teil unseres Plans, das Geschäft von Ford in Europa zu stärken und zu profitablem Wachstum zurückzukehren“, sagte er.

Der Konzern bietet seinen 68.000 Beschäftigten in Europa Abfindungen an, wenn sie „freiwillig“ kündigen, und rechnet damit, auf diese Weise mehrere hundert weitere Stellen abzubauen.

Der Autokonzern reagiert mit dem Abbau von Arbeitsplätzen auf einen starken Absatzrückgang in Europa. In den ersten neun Monaten dieses Jahres ging der Absatz von Ford um 12 Prozent auf 739.000 Autos zurück; im September lag das Minus sogar bei 15 Prozent. Europachef Odell hat für das laufende Jahr einen Verlust von 1,5 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro) im Europageschäft angekündigt.

Eine Verbesserung der Lage wird vorerst nicht erwartet. Insbesondere in Ländern, denen die Europäische Union drastische Sparmaßnahmen diktiert, bricht der Markt regelrecht zusammen.

In Spanien, wo 2005 noch 1,6 Millionen Neuwagen verkauft wurden, rechnen die Hersteller im kommenden Jahr nur noch mit einem Absatz von 700.000 Autos. Der portugiesische Markt hat sich im gleichen Zeitraum auf 95.000 Neuwagen halbiert. In Griechenland sank der Absatz von 270.000 Neuwagen im Jahr 2005 auf voraussichtlich 57.000 im kommenden Jahr. In Italien rechnet der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer mit einem Rückgang von 860.000 auf 1,35 Millionen Neuwagen.

Dieser wirtschaftliche Zusammenbruch wird rücksichtslos auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Er dient als Hebel, um Arbeitsplätze abzubauen und alle in der Nachkriegszeit erkämpften Errungenschaften rückgängig zu machen. Die Werksschließungen, Lohnsenkungen und Massenentlassungen, mit denen die großen drei Autokonzerne in den USA wieder hochprofitabel gemacht wurden, dienen nun als Modell für Europa. Neben Ford haben auch alle anderen europäischen Hersteller Werksschließungen und massive Kürzungen angekündigt.

Die Gewerkschaften setzten dem Arbeitsplatzabbau nichts entgegen, sondern unterstützen ihn. Sie jammern zwar über die Rücksichtslosigkeit des Managements, arbeiten aber eng mit ihm zusammen und lehnen jeden Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Einkommen kategorisch ab.

„Alles ist kaputt“, beschwerte sich Herwig Jorissen, der Vorsitzende der größten belgischen Metallgewerkschaft ABVV-Metaal. „Ich bin am Boden zerstört.“ Der regionale Vorsitzende von ABVV-Metaal, Rohnny Champagne, klagte: „Das Ford-Management hat uns wiederholt gesagt, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Jetzt hat es uns ein Messer in den Rücken gestoßen.“

Am Donnerstag trafen die Gewerkschaften von Ford Genk zu einer Beratung zusammen. Sie warfen dem Konzern vor, er habe sein Versprechen, drei neue Modelle in Genk zu bauen, und die damit einhergehende Jobgarantie bis 2020 gebrochen, und gelobten, „unsere Haut in den Verhandlungen teuer zu verkaufen“. Ford werde bluten, sagte Rohnny Champagne. Mit anderen Worten, sie geben die Arbeitsplätze von vornherein verloren und feilschen nur über die Höhe der Abfindung.

Das erinnert an die gebetsmühlenhaft wiederholte Warnung des Betriebsratsvorsitzenden des Bochumer Opel-Werks Rainer Einenkel: „Die Schließung des Werks in Bochum wird die teuerste Schließung aller Zeiten.“ Experten erwarten inzwischen, dass General Motors womöglich schon nächste Woche die Schließung des Bochumer Werks Ende 2016 bekannt gibt.

Vor zwei Jahren hatte Opel schon sein Werk im belgischen Antwerpen mit 2.500 Beschäftigten stillgelegt, das keine 100 Kilometer von Genk entfernt liegt. Auch damals hatten die Gewerkschaften öffentlich geklagt und gejammert, während hinter den Kulissen ein heftiges Hauen und Stechen zwischen den Betriebsräten und Gewerkschaften der einzelnen Standorte und Länder stattfand – neben Belgien und Deutschland auch Spanien und Großbritannien.

Das ist bei Ford nicht anders. So ist vorgesehen, einige Modelle statt in Genk nun im spanischen Valencia zu montieren. Dort arbeiten aktuell über 6.000 Männer und Frauen. Das Ford-Management hat mitgeteilt, dass dafür die Produktion der Kompaktwagens C-Max und Grand C-Max ab 2014 möglicherweise von Valencia ins deutsche Saarlouis verlagert werde.

In Saarlouis sind derzeit 6.500 Arbeiter beschäftigt. Die Produktion ist bereits gedrosselt worden. 80 Leiharbeiter mussten das Werk verlassen. Ab November wird die Produktion um weitere 10 Prozent heruntergefahren.

Nutznießer einer Schließung von Genk könnten auch die Ford-Werke in Köln sein. Dort arbeiten über 17.300 Menschen, in der Automontage allerdings nur 4.100. In Köln werden bisher nur der Kleinwagen Fiesta und der Minivan Fusion produziert. Teile der Produktion aus Saarlouis könnten 2013 nach Köln verlagert werden.

Auch die Produktion in Köln und in Valencia wurde vor der Sommerpause zurückgefahren. In der Fiesta-Montage in Köln gab es an zehn Tagen Kurzarbeit. Es ist daher gut möglich, dass die deutsche IG Metall an den jetzt vorgelegten Plänen auf Kosten der anderen europäischen Standorte mitgearbeitet hat.

Loading