Italien: Berlusconis neue Regierung schürt Fremdenhass

Vergangenen Samstag wurde in Verona Nicolo Tommasoli zu Grabe getragen. Der 29-jährige Jugendliche war am 1. Mai von einer Neonazi-Gang zu Tode geprügelt worden. Über 300 Personen folgten schweigend dem Trauerzug. Dem Wunsch der Eltern und der Verlobten des jungen Mannes entsprechend waren Politiker und Vertreter der Presse von der Trauerfeier ausgeschlossen.

Nicolo war in der Nacht auf den 1. Mai von einer Gruppe stadtbekannter Schläger aus der Skinhead- und Neonazi-Szene im Zentrum von Verona angepöbelt worden. Als er sich weigerte, ihnen eine Zigarette zu geben, schlugen sie ihn zu Boden und traten mit Stiefeln gegen seinen Kopf und Körper. Sie verletzten ihn so schwer, dass er sich nicht mehr wieder erholte.

Am 8. Mai, eine Woche nach dem Überfall, starb Tommasoli. Am gleichen Tag stellte Silvio Berlusconi seine neue, die bisher vierte Regierung unter seinem Namen, der Öffentlichkeit vor. Auch wenn die zwei Ereignisse unmittelbar nichts miteinander zu tun haben, ist ihr Zusammentreffen nicht zufällig. Die Rückkehr der Rechten an die Macht verschafft rechtsradikalen Schlägerbanden Auftrieb.

Seit Monaten nehmen rechte Gewaltexzesse in Italien zu. Rechte Gewalt am Rande von Fußballspielen ist seit langem ein Dauerthema. In Rom kam es nach einem tödlichen Überfall auf eine Italienerin zu brutalen Übergriffen Rechtsradikaler mit Schlagstöcken und Messern gegen mehrere Rumänen. Auch ein Lokal, in dem Homosexuelle verkehren, wurde überfallen.

In Verona, dem Ort des feigen Mordes, war bereits vor einem Jahr Flavio Tosi von der Lega Nord mit Unterstützung sämtlicher Parteien des Mitte-Rechts-Spektrums zum Bürgermeister gewählt worden, obwohl er wegen "Aufstachelung zum Rassenhass" vorbestraft war. Seither fühlen sich rückständige Skins und rechte Schläger ermutigt.

Gianfranco Fini, der Führer der post-faschistischen Alleanza Nazionale und neue Präsident der Abgeordnetenkammer, hat den Mord von Verona verharmlost. Er sei weniger schlimm als die Aktionen von Linksradikalen auf der Maifeier in Turin. Dort waren Fahnen Israels und der USA verbrannt worden, um gegen die Teilnahme Israels an der Turiner Buchmesse zu demonstrieren. Dies sei "viel schlimmer als das, was in Verona passiert ist", erklärte Fini im Fernsehen.

Berlusconis Kabinett

Der Milliardär und Medienzar Berlusconi hat im Wahlkampf offen mit neofaschistischen und ausländerfeindlichen Parteien paktiert. Seine neue Regierung, die am Donnerstag vergangener Woche vereidigt wurde, setzt die im Wahlkampf verfolgte Linie fort.

Sie zeichnet sich durch zwei Eigenschaften aus: Zum einen besteht sie aus engen Vertrauensleuten Berlusconis - Zeitungskommentare sprechen von einer "Prätorianergarde" und vergleichen Berlusconi in dieser Hinsicht mit Wladimir Putin, dem russischen Ex-Präsidenten und persönlichen Freund. Zum andern hat er ausländerfeindlichen Politkern - selbst solchen, die wegen ihren überspitzten Äußerungen hatten zurücktreten müssen - eine prominente Stellung eingeräumt.

Die wichtigsten Ministerien sind durch Leute besetzt, die bereits in früheren Regierungen Schlüsselpositionen einnahmen und die berufliche Karriere des Medienmagnaten teilweise von Anfang an begleitet haben. Hinzu kommen einige jüngere Minister, die vor allem durch ihre bedingungslose Gefolgstreue zu Berlusconi aufgefallen sind. Dazu gehören der 38-jährige, aus Sizilien stammende Justizminister Angelino Alfano und die 32-jährige, für die Gleichstellung der Frauen zuständige Mara Carfagna. Carfagna machte als Show-Girl in Berlusconis Fernsehkanälen Karriere und verursachte einst Schlagzeilen, weil sie eine Ehekrise des Regierungschefs auslöste.

Berlusconi hat keine Zweifel daran gelassen, dass er alle wichtigen Regierungsentscheidungen selbst treffen will. "Wenn nötig, entscheide ich allein", erklärte er. Er scheint sich in dieser Hinsicht den französischen Präsidenten Nicoals Sarkozy zum Vorbild genommen zu haben. Die Süddeutsche Zeitung kommentiert : "Für Strukturen der Machtkontrolle in einem parlamentarischen Rechtsstaat wie Opposition, Justiz und pluralistische Medienordnung hat er wenig Sinn."

Die ausländerfeindliche Ausrichtung der neuen Regierung wird durch die Berufung Roberto Maronis zum Innenminister unterstrichen. Das Mitglied der Lega Nord war in der letzten Regierung Berlusconi Sozial- und Arbeitsminister.

Maroni will dem Kabinett bereits an diesem Freitag ein Gesetzespaket gegen Kriminalität und illegale Einwanderung vorlegen. Es soll die Auffanglager für illegale Einwanderer in eine Art Gefängnis umwandeln, wo die Menschen bis zu 18 Monate lang festgehalten werden dürfen. Der neue Innenminister will auch die Slums am Stadtrand von Rom auflösen und das Schengen-Abkommen über den Wegfall der Grenzkontrollen aussetzen.

Für Roberto Calderoli, ebenfalls Lega Nord, hat Berlusconi eigens ein neues Ministerium erfunden. Er wird "Minister für die Vereinfachung von Gesetzen". Calderoli war in einer früheren Regierung Berlusconis "Reformminister" und musste wegen einer islamfeindlichen Provokation zurücktreten. Er war mit einem T-Shirt im Fernsehen aufgetreten, auf dem eine der umstrittenen Mohammed-Karikaturen zu sehen war. In Libyen war es daraufhin zu Protestaktionen gekommen, in deren Verlauf elf Menschen getötet wurden.

Calderoli ist notorisch bekannt für seine hemmungslose Hetze gegen Immigranten, Homosexuelle und Italiener aus dem armen Süden. So forderte er Einwanderer auf, "in die Wüste zu gehen, um mit den Kamelen zu reden, oder in den Dschungel, um mit den Affen zu tanzen". Er hatte auch öffentlich verlangt, die Marine solle auf afrikanische Flüchtlingsboote im Mittelmeer schießen. Die Rückkehr dieses Mannes in die Regierung ist eine gezielte Provokation.

Auch Lega-Nord-Chef Umberto Bossi sitzt wieder in der Regierung. Von ihm stammen die Sätze: "Illegale Immigranten müssen verjagt werden, auf die freundliche oder hässliche Art. Irgendwann kommt der Moment, wo Gewalt angewendet werden muss." Als "Minister für föderalistische Reformen" wird Bossi für eine größere Unabhängigkeit des reichen Nordens vom armen Süden zuständig sein - eines der wichtigsten Ziele der Lega Nord.

Bossi wird allerdings ein Minister von Berlusconis Gnaden sein, da er kein eigenes Portfolio bekommt - eine Vorsichtsmaßnahme, um Sprengstoff innerhalb der Koalition zu entschärfen. Bossi gerät mit seinen separatistischen Ambitionen immer wieder in scharfen Gegensatz zur postfaschistischen Alleanza Nazionale.

Außenminister wird Franco Frattini (Forza Italia), der bisherige EU-Justizkommissar. Frattini setzt sich seit Jahren dafür ein, die EU-Außengrenzen gegen "illegale Immigration" abzudichten. In der Mailänder Zeitung Il Giornale, die Berlusconi gehört, forderte Frattini ein Gesetz, das Immigranten zwingt, das Land innerhalb von neunzig Tagen zu verlassen, wenn sie kein bestimmtes Mindesteinkommen nachweisen können. Der Vorschlag richtet sich hauptsächlich gegen arme Einwanderer aus Rumänien und stellt die Freizügigkeit innerhalb der EU in Frage.

Finanzminister wird Giulio Tremonti (Forza Italia), der schon in den bisherigen Regierungen Berlusconis dieses Amt inne hatte. Er gilt als besonders treuer Freund Berlusconis und hat schon 1994 ein Steuergesetz erlassen, das dessen Medienimperium begünstigte.

Tremonti wird für die Angriffe der neuen Regierung auf die Arbeiterklasse mit verantwortlich sein. So will Berlusconi den öffentlichen Dienst von angeblichen "Fanulloni" [Nichtstuern] befreien, das Rentenalter heraufsetzen und die Lohnsteuer abschaffen, die Unternehmen bisher auf Überstunden ihrer Beschäftigten bezahlen mussten. Das sind einige der beabsichtigten Sofortmaßnahmen der neuen Regierung.

Der italienische Unternehmerverband Confindustria, der früher eher Prodi zuneigte, hat die neue Regierung begrüßt. Sein Präsident, Fiat-Chef Luca Cordero di Montezemolo, forderte die Gewerkschaften auf, endlich die Augen zu öffnen und sich von veralteten Praktiken wie Streiks zu verabschieden, die "für Arbeiter und Unternehmen höchst aufreibend und kostspielig" seien.

Scharfe Widersprüche

Finanzminister Tremonti, der als Chefideologe von Berlusconis Partei gilt, hat im Wahlkampf mit dem Buch "Angst und Hoffnung" Furore gemacht. Er geißelt darin den "Wahnsinn der Globalisierung". Sie sei das Werk "von Fanatikern" und habe zu Preisschocks, Finanzkrise, Umweltkatastrophen und geopolitischen Spannungen geführt. Die "Marktherrschaft" bezeichnet Tremonti als "letzten ideologischen Wahnsinn des 20. Jahrhunderts". Er verlangt europäische Strafzölle für asiatische Exporte und die Aussperrung fremder Staatsfonds von den europäischen Finanzmärkten.

Tremontis Buch hat in europäischen Wirtschaftskreisen Befürchtungen ausgelöst, Italien könnte einen protektionistischen Kurs einschlagen, der schließlich die EU sprengt. Auch der französische Präsident Sarkozy, den Berlusconi bewundert, neigt zu protektionistischen Maßnahmen zum Schutz französischer Wirtschaftsinteressen.

Tremontis demagogischen Ausfälle gegen Globalisierung und Marktherrschaft sind aber in erster Line Ausdruck des scharfen Widerspruchs, auf dem die neue Regierung beruht. Sie vertritt die Interessen der privilegierten und abgehobenen Superreichen, einer zynischen und korrupten Schicht, die wie keine andere vom Markt und der Öffnung der Finanzmärkte profitiert hat.

Da sie keine Antwort auf die Probleme der arbeitenden Bevölkerung hat - steigende Preise, Rentnerarmut, Jugendarbeitslosigkeit, prekäre Billiglohnarbeit, Müllberge in Neapel, etc. - bedient sie sich einer schamlosen nationalistischen und ausländerfeindlichen Propaganda, um von den sozialen Problemen abzulenken. Insbesondere die 650.000 Einwanderer, die ohne gültige Papiere als Haushaltshilfen, Betreuer von Kindern und alten Menschen, Erntehelfer oder Handlanger in der Industrie zu Niedrigstlöhnen arbeiten, müssen als Sündenbock herhalten.

Einen gewissen Erfolg hatte diese Kampagne nur aufgrund der Politik der sogenannten Linken. Die Politik der Regierung Prodi, die von den Nachfolgeorganisationen der Kommunistischen Partei unterstützt wurde, richtete sich in jedem Aspekt gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Die Arbeiterklasse bezahlte für Prodis Sanierungsprogramm der Staatsfinanzen mit sinkenden Reallöhnen und einer Verschlechterung der Renten. Aus ihren Reihen kamen die italienischen Soldaten, die Prodi nach Afghanistan und in den Libanon schickte, und sie zahlte die Steuern, mit denen die wachsende Militarisierung bezahlt wurde.

Jede einzelne dieser Maßnahmen wurde von den angeblich linken Parteien mitgetragen, immer mit dem Argument, dadurch könne eine Rückkehr Silvio Berlusconis verhindert werden. Eine besonders zynische Rolle spielte dabei Rifondazione Comunista, die - ähnlich wie die deutsche Linkspartei - linke Phrasen drosch und sich gleichzeitig an einer rechten Regierung beteiligte.

Das Ergebnis dieser Politik ist nun für jeden sichtbar. Sie hat ein politisches Vakuum geschaffen, in das die Rechte mit ihrer fremdenfeindlichen Demagogie eindringen konnte.

Die sozialen Beziehungen bleiben aber enorm gespannt. Die ganze Entwicklung steuert auf eine soziale Konfrontation zu. Der Spiegel drückte dies Ende April mit den Worten aus: "Es ist völlig offen, wie sich sozialer Unmut, ‚unpopuläre Maßnahmen’ und Wirtschaftskrise in der neuen politischen Konstellation äußern werden. Man fürchtet bereits außerparlamentarische Bewegungen und wilde Streiks."

Wie sein Vorbild Sarkozy will sich Berlusconi daher auch weiterhin der Oppositionsparteien bedienen. In seiner betont versöhnlich gehaltenen Regierungserklärung bot er ihnen einen Dialog und die Zusammenarbeit bei Reformen der Verfassung und des Staatsapparates an. Oppositionsführer Walter Veltroni hat bereits Zustimmung signalisiert. Er bezeichnete zwar Berlusconis Ministerliste als "herbe Enttäuschung", versprach aber im selben Atemzug, in den Punkten "Staatsreform" und "Haushalt" mit der Berlusconi-Regierung zusammenzuarbeiten.

Siehe auch:
Ehemaliger Faschist wird Bürgermeister von Rom
(3. Mai 2008)
Der Preis des Opportunismus: Zum Kollaps von Rifondazione Comunista in Italien
(24. April 2008)
Berlusconi gewinnt italienische Parlamentswahl
(16. April 2008)
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