Zwei Wochen nach dem Sieg Silvio Berlusconis bei den italienischen Parlamentswahlen ist auch Rom, eine bisherige Hochburg der bürgerlichen Linken, an die Rechten gefallen. Mit Gianni Alemanno wurde am 28. April ein langjähriges Mitglied der faschistischen Bewegung mit engen Beziehungen zu führenden Rechtsextremen zum Bürgermeister der italienischen Hauptstadt gewählt.
Alemanno hat zwar Mitte der neunziger Jahre die sogenannte "Wende von Fiuggi" mit vollzogen, in der sich die Mehrheit der italienischen Neofaschisten vom Duce-Kult abwandte und sich als Alleanza Nazionale (AN) einen rechtskonservativen Anstrich gab. Doch das hinderte seine Anhänger nicht daran, noch in der Wahlnacht die so genannte "Befreiung Roms" auf dem Kapitol, dem Sitz des römischen Rathauses, mit Faschistengruß und "Duce-Duce"-Rufen zu feiern. Die Mussolini-Enkelin Alessandra Mussolini triumphierte, weil das Ereignis auf den 63. Jahrestag der Erschießung ihres Großvaters, des Diktators Benito Mussolini, durch Partisanen fiel.
Der heute fünfzigjährige Gianni Alemanno hatte sich schon in früher Jugend der "Jugendfront" des faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) angeschlossen und war mehrmals als faschistischer Rädelsführer und notorischer Schläger aufgefallen. 1988 löste er Gianfranco Fini, den heutigen Vorsitzenden der AN, an der Spitze der Jugendfront ab. Er ist mit der Tochter Pino Rautis verheiratet, der 1946 das MSI mit gegründet hatte, 1956 die rechte Terrororganisation Ordine Nuovo ins Leben rief und bis heute seine eigene faschistische Gruppierung führt.
Im Unterschied zu seinem Schwiegervater trat Alemanno zwar 1994 der AN bei, gehörte aber dort zum rechten Flügel, der Destra Sociale. Francesco Storace, der wichtigste Repräsentant der Destra Sociale, hat sich mittlerweile wieder von der AN gelöst und seine eigene rechtsextreme Partei, La Destra, gegründet. La Destra hat Alemannos Wahlkampf in Rom unterstützt.
Von 2001 bis 2006 war Alemanno Agrarminister unter Silvio Berlusconi.
Obwohl er im ersten Wahlgang noch deutlich hinter dem Kandidaten der Demokraten, Francesco Rutelli, gelegen hatte, gewann Alemanno die Stichwahl am vergangenen Wochenende überraschend deutlich mit 53,7 zu 46,3 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag mit 63 Prozent um über zehn Prozentpunkte niedriger als beim ersten Wahlgang, der zeitgleich mit den Parlamentswahlen stattgefunden hatte.
Wie schon die Wiederwahl Silvio Berlusconis zum italienischen Staatschef vor vierzehn Tagen wirft dieses Ergebnis ernste Fragen auf: Wie ist es möglich, dass ein faschistischer Politiker wie Gianni Alemanno zum Bürgermeister von Rom, der italienischen Hauptstadt und europäischen Kulturmetropole, gewählt werden konnte?
Unmittelbar nach der Wahl machte Francesco Rutelli, der unterlegene Kandidat, eine allgemeine "Rechtswende" der Bevölkerung für seine Niederlage verantwortlich. Doch die Antwort liegt in seiner eigenen Politik.
Seit Jahren setzen die heutigen Demokraten die Interessen der Wirtschaft gegen die Bevölkerung durch und sorgen so für eine wachsende soziale Polarisierung. Da sie dabei auch von angeblichen Linken, wie Rifondazione Comunista, unterstützt werden, hat die Rechte freie Hand, die Ängste und Nöte der Betroffenen demagogisch auszunutzen. Die Regierung Prodi hat dies nach nur zwei Jahren die parlamentarische Mehrheit gekostet. In Rom ist diese Entwicklung noch viel ausgeprägter.
In der 2,7-Millionenstadt standen die beiden wichtigsten Exponenten der Demokraten, Francesco Rutelli und Walter Veltroni, seit 15 Jahren abwechselnd an der Spitze des Rathauses. Rutelli, Führer des christdemokratischen Parteienbündnisses Margherita, war von 1993 bis 2001 Bürgermeister, Veltroni, ein langjähriger Funktionär der Kommunistischen Partei und Führungsmitglied der aus ihr hervorgegangenen Linksdemokraten, von 2001 bis 2008. Im vergangenen Jahr haben sich Linksdemokraten und Margherita unter Veltronis Führung zur Demokratischen Partei zusammengeschlossen.
Rutelli und Veltroni haben viel internationales Lob geerntet, weil sie das Ambiente der "ewigen Stadt" verbesserten, den öffentlichen Nahverkehr modernisierten und die großartigen Kulturgüter restaurierten. Veltroni bewegte sich gern in Film- und Künstlerkreisen und rief im Jahr 2006 sogar ein Filmfestival von Rom ins Leben.
Aber davon profitierten außer den Touristen hauptsächlich einkommensstarke Mittelschichten. Am untern Rand der Gesellschaft blieben indessen Hunderttausende Menschen auf der Strecke, deren wachsenden Sorge der prekären Arbeit, den steigenden Brot- und Energiepreisen, den hohen Mieten für ungesunde und enge Wohnungen, den schlechten Ausbildungschancen der Kinder und den rasch schwindenden Renten gelten. Die Krise der "quarta settimana", der vierten Woche des Monats, in der die Haushaltskasse leer ist, wurde zum geflügelten Wort.
In den letzten 15 Jahren hat Rom einen beispiellosen sozialen Niedergang erfahren. Die Suppenküchen registrieren eine stark wachsende Zahl Bedürftiger. Ein großer Teil von ihnen sind allein stehende Rentner, die mit der Mindestrente von 500 Euro monatlich auskommen müssen. In der Stadt leben etwa 10.000 Menschen ohne festen Wohnsitz, wovon geschätzte 4.000 als Obdachlose unmittelbar auf der Straße wohnen. Die Zeitung Repubblica schreibt: "Die neuen Armen breiten sich geographisch und zahlenmäßig aus und lassen sich an den Flussufern, Eisenbahndämmen und unter Autobahnbrücken in Baracken, Zelten und Wellblechbehausungen nieder."
Vor allem fehlen vernünftig bezahlte Arbeitsplätze für die Jugend. Ein Bericht der Römer Caritas weist darauf hin, dass etwa ein Drittel der Bedürftigen, die sich im Zentrum von Rom Lebensmittelpakete abholen, zwischen 18 und 35 Jahre alt und ohne Einkommen sind, obwohl viele von ihnen einen guten Schul- oder Hochschulabschluss haben. Es kommen auch zunehmend ganze Familien.
Die große Unzufriedenheit und Frustration über die soziale Misere hat sich Gianni Alemanno nun zunutze gemacht: In einer populistischen Kampagne versprach er das Blaue vom Himmel herunter: "Wir werden Rom von der Angst, dem Niedergang und der Armut befreien." Unter anderem sicherte er eine Erhöhung der Renten zu.
Demagogisch beutete er die Verwahrlosung in den Vorstädten aus, wo zahlreiche arme Einwanderer ohne Papiere in wahren Elendsvierteln hausen. Er spielte die nationalistische und rassistische Karte aus, hetzte gegen Immigranten aus Rumänien, besonders gegen Sinti und Roma, und verlangte die Abschiebung von "20.000 kriminellen Ausländern".
Dabei haben ihm die Vertreter der Demokraten leichtes Spiel gelassen. Anstatt die wahren Ursachen der Spannungen zwischen unterschiedlichen Nationalitäten, die drängenden sozialen Fragen, anzupacken, stimmten sie selbst in den ausländerfeindlichen Chor ein. Auf Drängen Walter Veltronis hatte die Regierung Prodi ein Dekret zur Ausweisung aller EU-Bürger erlassen, die "eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit" seien. Francesco Rutelli hat auf seine Niederlage mit der Feststellung reagiert, die Linke habe es nicht geschafft, das Thema Sicherheit für sich zu besetzen.
Ähnlich hatte schon Sergio Cofferati, ehemaliger Gewerkschaftssekretär und Hoffnungsträger kleinbürgerlich radikaler Kreise, nach seiner Wahl zum Bürgermeister von Bologna einen scharfen Law-and-order-Kurs eingeschlagen und die Stadt von Einwanderern räumen lassen.
Für den Wahlausgang in Rom spielte sicher auch die Politik der nationalen Regierung von Romano Prodi eine Rolle, mit der sowohl Veltroni wie Rutelli unmittelbar identifiziert werden. Rutelli war darin Kulturminister und Vizeministerpräsident. Veltroni hat als Spitzenkandidat der Demokraten Prodis Erbe angetreten. Noch vor zwei Jahren hatte Veltroni bei der römischen Bürgermeisterwahl schon im ersten Durchgang mit über sechzig Prozent der Stimmen gegen Alemanno gesiegt. Nur zwei Jahren später folgte das jetzige Wahldebakel.