In den amerikanischen und britischen Medien verdichten sich Berichte über einen bevorstehenden Militärschlag der USA gegen den Iran. Doch in der deutschen Presse herrscht darüber eisernes Schweigen. Auch die Bundesregierung und die im Bundestag vertretenen Parteien enthalten sich jeglichen Kommentars.
Der britische Sunday Telegraph meldete am Sonntag unter der Überschrift "Bush legt Amerika auf Krieg gegen den Iran fest": "Präsident George W. Bush und sein innerer Zirkel unternehmen Schritte, um Amerika auf Kriegskurs mit dem Iran zu bringen". Die Zeitung stützt ihren Bericht auf die Angaben "hochrangiger amerikanischer Geheimdienst- und Verteidigungsbeamter".
"Nach Ansicht hochrangiger Beamter hat der innere Zirkel von Herrn Bush entschieden, dieser werde sein Amt nicht verlassen, ohne zuvor sichergestellt zu haben, dass der Iran unfähig zur Entwicklung von Atomwaffen ist", heißt es in dem Bericht. Da Bushs Amtszeit im Januar 2009 ausläuft, würde dies auf einen Kriegsbeginn in den kommenden Monaten hinauslaufen.
Die Differenzen zwischen Vizepräsident Dick Cheney, der seit längerem auf einen Militärschlag drängt, und Außenministerin Condoleezza Rice, die bisher eine "diplomatische Lösung" bevorzugt haben soll, sind nach Angaben des Sunday Telegraph überwunden. Rice sei "bereit, ihre Meinungsverschiedenheiten mit Vizepräsident Dick Cheney beizulegen und ein militärisches Vorgehen zu unterstützen".
Die Zeitung schildert auch ein "grusliges Szenario", wie der Krieg herbeigeführt werden soll. Nach öffentlichen Anschuldigungen, der Iran unterstütze Aufständische im Irak [wie sie bereits jetzt schon von amerikanischen Militärs und Regierungsvertretern erhoben werden], würden die USA iranische Ausbildungslager und Bombenfabriken jenseits der Grenze angreifen und damit eine größere iranische Reaktion provozieren, "vielleicht in Form von Maßnahmen zur Unterbrechung der Öllieferungen aus dem Golf". Dies wäre dann "der Auslöser für Luftschläge gegen Irans Nuklearanlagen und sogar seine Streitkräfte".
Für solche Luftschläge, zitiert der Sunday Telegraph einen Geheimdienstoffizier, gebe es "zwei Alternativpläne": "Einer sieht nur die Bombardierung der Atomanlagen vor. Die zweite Option umfasst viel größere Schläge, die - im Lauf von zwei oder drei Tagen - auch alle bedeutsamen Militärstandpunkte treffen würden. Dieser Plan umfasst mehr als 2.000 Ziele."
Einen ähnlichen Bericht hatte bereits am vergangenen Dienstag die Web Site des rechtslastigen US-Fernsehsenders Fox News veröffentlicht. Er meldet unter Berufung auf "eine gut platzierte Quelle in der Bush-Regierung", dort finde jetzt "eine breite Diskussion über Kosten und Nutzen einer Militäraktion gegen den Iran statt, mit einem wahrscheinlichen Zeitrahmen für jede derartige Vorgehensweise in den nächsten acht bis zehn Monaten".
Auch Fox News geht von zwei möglichen Szenarien aus, wobei das umfassendere Bombenangriffe erfordern würde, die "mindestens eine Woche dauern".
Laut Fox News soll sich die deutsche Regierung bei einem Treffen Anfang September in Berlin geweigert haben, schärfere Sanktionen gegen den Iran zu unterstützen. Dies soll den Ausschlag für die Kriegsentscheidung der Bush-Regierung gegeben haben. Unter Berufung auf "Diplomaten aus anderen Ländern" behauptet der Sender außerdem, deutsche Regierungsbeamte hätten bei dem Treffen "eindeutig den Eindruck erweckt, sie würden eine amerikanische Bombenkampagne gegen die iranischen Atomanlagen vertraulich willkommen heißen, aber öffentlich dagegen protestieren".
Auch der britische Guardian meldete am Samstag, es gebe "Anzeichen, dass die Bush-Regierung bei den Bemühungen die Geduld verliert, das Atomprogramm [des Iran] mit diplomatischen Mitteln einzuschränken. Falken unter Führung von Vizepräsident Dick Cheney verstärken ihren Druck für Militäraktionen, unterstützt von Israel und, vertraulich, von einigen sunnitischen Golfstaaten."
Weiter schreibt der Guardian : "Washington überprüft ernsthaft Pläne, nicht nur Atomstandorte anzugreifen, sondern auch Ölanlagen und sogar Führungsziele."
In den deutschen Medien findet man darüber nichts. Die Online-Ausgaben von Spiegel, Süddeutscher Zeitung, FAZ und Welt, die sonst wichtige internationale Entwicklungen innerhalb einer Stunde melden, veröffentlichten bis Montagabend weder Berichte noch Kommentare über die Kriegsvorbereitungen der USA.
Lediglich eine Warnung des französischen Außenministers Bernard Kouchner fand allseits Beachtung. Kouchner hatte am Sonntag in einem Interview über den Iran erklärt: "Man muss sich auf das Schlimmste vorbereiten. Das ist der Krieg." Kouchner setzte sich für verschärfte wirtschaftliche Sanktionen der EU gegen Teheran ein, erklärte aber auch, für Frankreich bleibe der Verhandlungsweg die wichtigste Option, die Voraussetzungen für einen Militärschlag sehe er derzeit nicht gegeben.
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte schon im August gedroht, eine iranische Atomwaffe könne man auf keinen Fall hinnehmen. Er verlangte "eskalierende Sanktionen" von Seiten der EU, um, wie er sagte, "einer katastrophalen Alternative zu entgehen: der iranischen Bombe oder der Bombardierung Irans".
Berlin reagiert auf all das mit Schweigen. Lediglich zum Bericht von Fox News gab das Außenministerium eine kurze Stellungnahme ab. Es dementierte, dass sich Deutschland weiteren Sanktionen widersetze. Die Bundesregierung halte sich die Verhängung weiterer Sanktionen offen und sei bereit, auch weitere "notwendige Schritte" mitzutragen, sagte Außenamtssprecher Martin Jäger. Über die in Washington diskutierten Kriegszenarien verlor er kein Wort.
Wie ist dieses Schweigen von Medien und Regierung zu erklären?
Als erstes muss man festhalten, dass Schweigen in diesem Fall gleichbedeutend mit Komplizenschaft ist. Allein die Tatsache, dass in Washington ernsthaft über einen Blitzkrieg gegen den Iran nachgedacht wird, müsste jede halbwegs unabhängige Zeitung zwingen, ihre Leser ausführlich zu informieren.
Hier wird ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg vorbereitet, der selbst den Irakkrieg in den Schatten stellt. Bereits im August hatten zwei britische Sicherheitsexperten eine 80-seitige Studie über die militärischen Vorbereitungen gegen den Iran veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die USA genügend Waffen in Stellung gebracht haben, um 10.000 Ziele zu zerstören. Immense Schäden und Tausende Tote wären die Folge, von den langfristigen Auswirkungen auf die gesamte Region ganz zu schweigen. Kommen taktische Atombomben zum Einsatz - was die Autoren nicht ausschließen - rechnen sie sogar mit drei Millionen Toten. (Siehe Britische Wissenschaftler warnen vor amerikanischem Überraschungsschlag gegen Iran)
Es lässt sich unschwer vorstellen, was die Reaktion auf ein derartiges Verbrechen wäre. Schon der Irakkrieg hatte 2003 die größten internationalen Antikriegsdemonstrationen der Geschichte ausgelöst, an denen sich auch in Deutschland Millionen beteiligten. Das Verschweigen der Kriegsvorbereitungen gegen den Iran soll die Bevölkerung so lange wie möglich im Dunkeln halten, um so die Entstehung einer politisch bewussten Opposition zu unterbinden.
Was die Bundesregierung betrifft, so kann ihr Schweigen nur als erster Schritt zur Unterstützung eines Krieges interpretiert werden. Angesichts der massiven deutschen wirtschaftlichen Interessen im Iran würden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zwar eine diplomatische Einigung mit Teheran vorziehen. Doch wenn sich die USA - wie es gegenwärtig aussieht - nicht von einem Krieg abhalten lassen, will Merkel nicht den Weg ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD) gehen.
Schröder hatte sich vor vier Jahren gegen den Irakkrieg ausgesprochen und dabei eng mit Russland und Frankreich zusammengearbeitet. Obwohl er daraus keine praktischen Schlussfolgerungen zog und die USA deutsche Basen und Logistik uneingeschränkt für den Krieg nutzen konnten, hatte dies doch zu einer deutlichen Abkühlung der gegenseitigen Beziehungen geführt. Merkel hatte damals Schröder wegen seiner Haltung als Oppositionsführerin öffentlich kritisiert. Als Kanzlerin knüpfte sie dann wieder engere Beziehungen zu Washington an.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch Frankreich hat sich seit dem Präsidentenwechsel im Frühjahr den USA wieder angenähert. Präsident Nicoals Sarkozy und sein Außenminister Bernard Kouchner treten als Scharfmacher gegen Teheran auf. Sarkozy wirbt seit einiger Zeit dafür, dass die EU - ähnlich wie die USA - einseitige Sanktionen gegen den Iran verhängt. Er hat französische Großunternehmen wie Total und Gaz de France angewiesen, ihre Investitionsvorhaben im Iran einzufrieren.
Berlin hat solche einseitige Sanktionen durch die EU bisher abgelehnt. Die deutsche Diplomatie beharrte darauf, dass der UN-Sicherheitsrat über Sanktionen entscheidet, in dem Russland und China über ein Veto-Recht verfügen. Ein offener Bruch mit Moskau und Peking, so die Befürchtung Berlins, würde Deutschland zu sehr an die USA ketten. Andererseits gibt es in Berlin wachsende Vorbehalte gegen ein enges Bündnis mit Russland, wie es Bundeskanzler Schröder befürwortet hatte. Gestärkt durch sprudelnde Öleinnahmen vertritt Russland mit wachsender Aggressivität wieder eigene Großmachtinteressen, die sich durchaus nicht immer mit denen Deutschlands decken.
Letztlich wird sich die Bundesregierung wohl an die Seite der USA stellen, sollten diese gegen den Iran losschlagen. Zumindest wird sie Washington keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Letztlich sieht sie ihre eigenen imperialistischen Interessen in der Region am besten aufgehoben, wenn sie an der Seite Washingtons bleibt.
Es gibt bereits Anzeichen, dass sie dem Drängen aus Paris nachgeben und schärferen Sanktionen zustimmen wird. Merkel unterstütze Sarkozys entsprechende Vorschläge grundsätzlich, meldete die französische Zeitung le monde letzte Woche nach einem Zusammentreffen der beiden in Meseburg, zögere aber noch wegen Vorbehalten des Koalitionspartners SPD.
In Berlin wird auch betont, dass die deutsche Wirtschaft die gegen Teheran verhängten UN-Sanktionen gewissenhaft einhalte. Die deutschen Geschäftsbanken hätten sich bereits weitgehend aus dem Iran-Geschäft zurückgezogen, obwohl sie dazu gar nicht verpflichtet seien. Der Grund ist hier allerdings weniger die Politik der Bundesregierung, als der Druck amerikanischer Geschäftspartner, die Sanktionen der US-Regierung befürchten.
Eine kritische Öffentlichkeit oder gar eine aktive Antikriegsbewegung kann Berlin jedenfalls unter den gegenwärtigen Umständen auf keinen Fall gebrauchen. Daher das Schweigen der Regierung und der Presse.
Gleichzeitig bereitet sich die Regierung darauf vor, einer solchen Bewegung mit allen Mitteln entgegen zu treten. In diesem Zusammenhang muss die zunehmend bizarre Kampagne von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) gesehen werden, eine Sicherheitshysterie zu erzeugen.
Jung hat am Wochenende verkündet, er werde entführte Passagierflugzeuge abschießen lassen, obwohl das Verfassungsgericht einen solchen Befehl ausdrücklich als rechtswidrig verurteilt hat.
Und Schäuble verkündete in einem Zeitungsinterview, ein Terroranschlag mit Nuklearwaffen sei unvermeidlich. "Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, dass es nur noch darum geht, wann solch ein Anschlag kommt, nicht mehr, ob", sagte er, und fügte den makabren Satz hinzu: "Aber ich rufe dennoch zur Gelassenheit auf. Es hat keinen Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen."