In einer 80 Seiten umfassenden Studie vom 28. August geben zwei britische Sicherheitsanalytiker eine bedrückende Einschätzung der militärischen Übermacht der USA im Fall eines Angriffs auf den Iran. "Die USA haben militärische Vorbereitungen getroffen, um Irans Massenvernichtungswaffen, seine Nuklearanlagen, das Regime, die Armee, den Staatsapparat und die ökonomische Infrastruktur innerhalb von Tagen oder selbst Stunden zu zerstören, wenn Präsident George W. Bush den Befehl dazu gibt," heißt es in dem Papier.
Die Verfasser der Studie, Dr. Dan Plesch und Martin Butcher, kamen auf Grund öffentlich zugänglicher Quellen zu der Schlussfolgerung, "dass amerikanische Bomber und Langstreckenraketen heute in Bereitschaft stehen, innerhalb weniger Stunden 10.000 Ziele im Iran zu zerstören. Amerikanische Bodentruppen, Luft- und Marinestreitkräfte, die sich schon im Persischen Golf, im Irak und in Afghanistan befinden, könnten die iranischen Streitkräfte, das Regime und den Staat in kürzester Zeit auslöschen."
Sowohl Plesch als auch Butcher haben ausgiebig über Sicherheitsfragen und internationale Beziehungen publiziert. Plesch ist Direktor des Zentrums für Internationale Studien und Diplomatie an der angesehenen Hochschule für Orientalistik und Afrikanistik (School of Oriental and African Studies) an der University of London. Die Untersuchung unter dem Titel "Considering a war with Iran: A discussion paper on WMD in the Middle East" ("Betrachtungen über einen Krieg mit dem Iran: Ein Diskussionspapier über Massenvernichtungswaffen im Vorderen Orient") enthält keine Einschätzung über die Nuklearprogramme des Iran - die als Vorwand für einen amerikanischen Krieg genannt werden - und kommt nicht zu endgültigen Schlussfolgerungen über die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs, aber sie liefert eine umfassende Darstellung der Kriegsvorbereitungen der USA, sowie eine Untersuchung wahrscheinlicher amerikanischer Militärstrategien.
Nach Pleschs und Butchers Einschätzung bliebe ein amerikanischer Angriff nicht auf iranische Nukleareinrichtungen beschränkt, sondern hätte zum Ziel, die militärischen Kapazitäten und die ökonomische Infrastruktur des Iran zu zerstören, um einem möglichen Gegenschlags vorzubeugen. "Jede Angriffsvariante wird vermutlich an mehreren Fronten, aber unter Vermeidung einer Bodeninvasion, ablaufen. Konzentrierte Angriffe auf Massenvernichtungswaffenlager würden dem Iran zu viele Optionen für Vergeltungsschläge offen lassen. Präsident Bush könnte dann vorgeworfen werden, dass er zu wenig Militär eingesetzt und das Regime intakt gelassen habe", so ihre Feststellung.
Das Papier analysiert die globalen Kriegspläne des Pentagon, die unter der Regierung Bush entwickelt wurden, um das amerikanische Militär weltweit zu Blitzangriffen zu befähigen. Insbesondere wurde seit 2001 die Rolle des amerikanischen Strategischen Kommandos (US Strategic Command - STRATCOM), das früher als nukleares Abschreckungsmittel gegen die Sowjetunion diente, modifiziert "um überall und jederzeit, rund um den Globus, nahtlos Maßnahmen mit maßgeschneiderten Wirkungen zu ermöglichen... Die USA haben strategische Mittel vorbereitet, um auf Befehl innerhalb von Stunden massive Militärschläge gegen den Iran ausüben zu können."
Plesch und Butcher haben die zur Verfügung stehenden amerikanischen Bombertypen und konventionellen Bomben analysiert und berechnet, dass 100 strategische Bomber, von denen jeder mit 100 "intelligenten" Bomben bestückt ist, ausreichen würden, um 10.000 verschiedene Ziele zu treffen. "Allein diese Schlagkraft reicht für die Vernichtung aller bedeutenden politischen, militärischen, ökonomischen und verkehrstechnischen Einrichtungen des Iran aus", so die Schlussfolgerung der Autoren. "Ein derartiger Überfall würde dem Begriff ‘shock and awe’ (Furcht und Schrecken) einen neuen Inhalt geben und einen Iran hinterlassen, der kaum mehr in der Lage wäre, die Straße von Hormus zu blockieren oder Aufständische im Irak mit konventioneller militärischer Unterstützung zu versorgen."
Die Studie kann auch den amerikanischen Einsatz von Atomwaffen nicht ausschließen und erläutert: "Die menschlichen, politischen und ökologischen Auswirkungen wären verheerend, der militärische Nutzen jedoch beschränkt." Die Autoren bestätigten jedoch, dass es in den USA "deutliche Hinweise dafür gibt, dass der Einsatz von Atomwaffen (gegen den Iran) politisch ernsthaft in Betracht gezogen wird". Und obwohl Plesch und Butcher erklären, dass ein amerikanischer oder britischer Nuklearangriff gegen den Iran "höchst unwahrscheinlich" sei, halten sie ihn doch nicht für unmöglich. Sie rechnen im Fall eines Einsatzes von Atombomben von jeweils 300 Kilotonnen gegen die elf vermuteten iranischen Massenvernichtungswaffenlager mit nahezu drei Millionen "sofort Getöteten".
Ein wesentlicher Teil des Papiers befasst sich mit den unterschiedlichen amerikanischen Optionen für den Einsatz der in der Region bereits stationierten Streitkräfte, die iranischen Reaktionen auf die amerikanischen Angriffe begegnen sollen. "Die Luftwaffe und die Luftwaffenabwehr des Iran sind schwach. Fast die gesamte Ausrüstung ist zwischen 20 und 30 Jahre alt, und es fehlt an moderner vernetzter Kommunikation. Diese Streitmacht kann nicht nur schnell durch die US-Luftwaffe zerstört werden, sondern iranische Boden- und Lufttruppen werden auch ohne Schutz vor Luftangriffen zu kämpfen haben", stellen die Autoren fest.
Das Papier weist auf die Existenz amerikanischer Kriegspläne hin, nach denen auf eine Blockade der strategischen Straße von Hormus im Persischen Golf ein Gegenschlag erfolgen und die westliche iranische Provinz Khusestan besetzt werden soll, in der der Großteil des Öls des Landes gefördert wird. Es geht ausführlich auf die Fähigkeit des amerikanischen Militärs ein, vom angrenzenden Irak und Afghanistan aus iranische Streitkräfte und Militärbasen in mehreren hundert Kilometer Distanz ohne Bodeninvasion zu zerstören. Es zitiert verschiedene Quellen, die auf amerikanische Geheimoperationen hinweisen, die schon jetzt im Iran durchgeführt werden, um solche Ziele zu identifizieren und bewaffnete Aufstände unter ethnischen und religiösen Minderheiten anzuzetteln.
Zur "Wahrscheinlichkeit eines Angriffs" führen die Verfasser aus: "Die (amerikanische) Regierung hat sich beständig geweigert, die militärische Option vom Tisch zu nehmen und sich fortgesetzt auf einen Kriegsgang vorbereitet. Der Kongress hat einen Antrag abgelehnt, der vom Präsidenten forderte, ihn (den Kongress) vor einem Krieg mit dem Iran zu konsultieren." Die Studie zitiert auch einige bedrohliche Kommentare von höheren Beamten der Bush-Administration aus diesem Jahr, sowie gegen den Iran gerichtete, kriegstreiberische Stellungnahmen von demokratischen und republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Sie nennt auch Initiativen des Kongresses für härtere Maßnahmen gegen den Iran.
Die Autoren widerlegen viele der Argumente, die üblicherweise als Gründe gegen einen amerikanischen Angriff auf den Iran angeführt werden. Die Möglichkeit eines Kompromisses über das iranische Nuklearprogramm schätzen sie als "extrem unwahrscheinlich" ein, da sich die USA "weigern, dem Iran irgendeine Art von Sicherheitsgarantie anzubieten und in Wirklichkeit aktiv versuchen, den iranischen Staatsapparat zu unterhöhlen". Und was die Bemühungen aus der Europäischen Union betrifft, ein Abkommen zu vermitteln, so "verhöhnen höhere amerikanische Beamte im privaten und auch weniger privaten Rahmen die Bemühungen der EU als sinnlose Unterfangen".
Auf den Einwand, die US-Armee sei im Irak festgefahren und ihr fehlten Soldaten, entgegnet die Studie: "Die Überforderung der Armee durch lang andauernde Einsätze ist ein bedeutsames Problem, aber der Einsatz von Streitkräften für einen Blitzkrieg (entsprechend der anfänglichen Irakinvasion) wäre viel unproblematischer. Der Iran hat kaum Kräfte für einen konventionellen Militärangriff außerhalb des eigenen Territoriums, und eröffnet den USA somit einen beträchtlichen Spielraum, sie könnten sich zurücklehnen und abwarten, was sich nach den in diesem Papier beschriebenen Angriffen im Innern des Iran entwickelt."
Das Papier geht auch auf die Fähigkeit des Iran ein, auf anderem Weg Vergeltung auszuüben, entweder direkt, an Verbündeten der USA wie Israel oder an amerikanischen Militärbasen, oder indirekt, durch Unruhestiftung unter irakischen Schiiten. Die Autoren ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass solche Möglichkeiten die Wahrscheinlichkeit eines umfassenden militärischen Angriffs gegenüber einem begrenzten Angriff eher erhöht. Wie sie ausführen, habe der Iran einige Optionen für Gegenangriffe mit Raketen und überwache amerikanische Militäroperationen an seinen Grenzen genau. "Gleichzeitig haben sich die amerikanischen Militärs aber seit vielen Jahren auf diese Eventualität vorbereitet, und es wäre problematisch, in der Haut desjenigen Militärkommandeurs zu stecken, der Präsident Bush erzählt, dass der Iranangriff nicht ‘machbar’ sei."
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Plesch und Butcher machen keinerlei Vorhersagen über einen Krieg, aber sie stellen fest, dass die Tatsache, dass für die amerikanischen militärischen Vorbereitungen keine Propaganda gemacht wird, keine Garantie gegen einen amerikanischen Angriff ist. "Die militärische, wenn auch noch nicht unbedingt die politische Bereitschaft der USA zu einem Krieg mit minimalen Bodentruppen lässt vermuten, dass die gegenwärtige scheinbare Untätigkeit in der Region um den Iran irreführend ist. Die Vereinigten Staaten behalten - trotz der Schwierigkeiten im Irak - ihre Fähigkeit, umfangreiche militärische Operationen gegen den Iran durchzuführen. Ob der politische Wille, einen solchem Handlungsentwurf zu folgen, weiter besteht, wissen nur ein paar wenige hochrangige Personen in der Bush-Regierung."
Plesch und Butcher versuchen nicht, die zugrunde liegenden ökonomischen und strategischen Gründe für den amerikanischen Angriff auf den Iran zu analysieren oder eine detaillierte Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines umfassenderen Krieges zu liefern. Ihre Studie stellt auch die eskalierende Propagandakampagne über die dem Iran unterstellten Atomwaffenprogramme nicht in Frage. Die wirklichen Motive für einen brutalen, künftigen amerikanischen Krieg gegen den Iran haben ihren Ursprung in den Versuchen der Regierung Bush, die uneingeschränkte amerikanische Vorherrschaft über die rohstoffreichen Gebiete des Nahen Ostens und Zentralasiens zu errichten. Jede Entwicklung, die den europäischen und asiatischen Rivalen der USA erlauben könnte, ihren Einfluss in diesen Schlüsselregionen auszubauen, ist für die amerikanische herrschende Elite schlicht nicht tolerierbar.
Die ziemlich beschränkte Perspektive der Studie macht ihre Schlussfolgerungen umso beunruhigender: die militärischen Vorbereitungen der Regierung Bush für eine Blitzaktion, die einen großen Teil des Iran in Schutt und Asche legen könnte, sind abgeschlossen.