Die siebzehn getöteten Mitarbeiter der französischen Hilfsorganisation Aktion gegen den Hunger (ACF) wurden am 4. August offenbar von der srilankischen Armee umgebracht. Das steht in einer Erklärung, die die Sri Lanka Monitoring Mission (SLMM), die Mission zur Überwachung des Waffenstillstands in Sri Lanka, am 30. August herausgab. Fünfzehn der Leichen waren am Tag nach den Morden auf dem ACF-Gelände in der Ostküstenstadt Muttur in einer Reihe liegend aufgefunden worden. Sie waren wie bei einer Hinrichtung in den Kopf geschossen worden. Zwei weitere hatten zu entkommen versucht und waren in den Rücken geschossen worden.
Zu den grausamen Morden kam es nach heftigen Kämpfen zwischen den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) und der Armee, bei denen es um die Kontrolle über Muttur ging. Die LTTE hatte Teile der Stadt angegriffen, um Versorgungslinien der Armee abzuschneiden, die durch eine große Militäroffensive die auf LTTE-Territorium gelegene Bewässerungsschleuse von Mavilaru einnehmen wollte. Am 1. August öffnete die LTTE das umkämpfte Schleusentor wieder und zog zwei Tage später aus Muttur ab.
Von Anfang an versuchten die Regierung in Colombo und die Armee, die ACF-Morde der LTTE in die Schuhe zu schieben. Am 7. August sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Keheliya Rambukwella, auf einer Pressekonferenz: "Uns liegen Beweise dafür vor, dass die LTTE für das Massaker an den NGO-Hilfskräften und an zahlreichen Zivilisten verantwortlich war." Nach einem internationalen Aufschrei versprach Präsident Mahinda Rajapakse eine vollständige Untersuchung.
Seit dem 7. August herrschte jedoch auffälliges Schweigen über die Morde. Regierung, Armee und Polizei gaben keinerlei Erklärung ab. Es gibt kein Anzeichen einer ernsthaften polizeilichen Untersuchung. Der Öffentlichkeit wurden keine Beweise vorgelegt. Mehr noch: Hätte es Hinweise auf eine Verwicklung der LTTE gegeben, dann hätten singhalesische Extremisten sie zweifellos an die Medien durchsickern lassen und zur Grundlage eines lauten, öffentlichen Gezeters über die "Tiger-Terroristen" gemacht.
Die SLMM, die den Waffenstillstand von 2002 überwacht, führte ihre eigene Untersuchung durch. Ihr Sprecher Thorfinnur Ommarson sagte der Presse, SLMM-Angehörige hätten "Krankenhauspersonal, Polizei, Familien der getöteten Mitarbeiter und weitere Zeugen" befragt. In ihrer Erklärung kommt die SLMM zu dem Schluss: "Hinter der Tat kann keine andere bewaffnete Gruppe als die Streitkräfte stecken."
Nach den Morden hatte das Militär die Gegend abgesperrt und so ACF-Vertreter daran gehindert, die Leichen ihrer Mitarbeiter zu bergen. Die SLMM erklärte: "Wir können keine akzeptablen Gründe für die Einschränkung der Bewegungsfreiheit finden, was stark darauf hinweist, dass die GoSL [Regierung von Sri Lanka] eifrig bemüht war, die Sache vor der SLMM zu verheimlichen."
Die SLMM wies darauf hin, dass zur Zeit der Morde die Stadt vollständig unter Kontrolle der Armee stand. "In Erwägung der Tatsache, dass die Streitkräfte zum Zeitpunkt des Zwischenfalls in Muttur anwesend waren, scheint es höchst unwahrscheinlich, dass andere Gruppen für die Tötungen verantwortlich sind", erklärte der SLMM-Sprecher.
Ulf Henricsson, Chef der SLMM, verurteilte zum Schluss der Erklärung die Morde in aller Form und bezeichnete sie als "grobe Verletzung des Waffenstillstands durch die Sicherheitskräfte Sri Lankas". Er schrieb, dies sei "eins der schwersten Verbrechen der jüngsten Zeit gegen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen weltweit", und forderte die Regierung auf, jede Gewalt gegen Zivilisten zu beenden.
Die SLMM-Erklärung rief eine hysterische Reaktion der Regierung und in Verteidigungskreisen hervor. Eine Regierungserklärung griff "die unprofessionelle und recht unverantwortliche Haltung" der SLMM an und behauptete: "Für diese Behauptungen und die Schlussfolgerungen daraus gbt es keinerlei faktische Beweise. Sie stützen sich auf irreführende Spekulationen."
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Rambukwella, sagte den Medien am 30. August: "Es ist eine vollkommen haltlose Erklärung. Sie ist erbärmlich und voreingenommen, und sie haben kein Recht, eine solche Erklärung abzugeben, weil sie keine Autopsie-Expperten sind." Er fuhr fort: "Laut Polizeiberichten hatten die Tamil Tigers vom 2. bis 5. August die Kontrolle über Muttur, und Untersuchungen zufolge lag die Mordzeit zwischen der Nacht vom 3. August und dem darauffolgenden Tag."
Schon oberflächlich betrachtet ist dieses fadenscheinige Argument voller Widersprüche. Rambukwella selbst hatte am 5. August auf einer Pressekonferenz gesagt: "Die Armee hatte Muttur vollständig unter Kontrolle, und die Frage einer Eroberung durch die LTTE stellte sich nie." Als er diese Woche an die Öffentlichkeit trat, machte er keinerlei Angaben darüber, wann, oder ob überhaupt, die LTTE das Gebiet um das AFC-Gelände unter Kontrolle gehabt habe.
Sein Verweis auf die Mordzeit erklärt eine Besonderheit, auf die WSWS -Reporter im Verlauf ihrer ersten Untersuchung gestoßen waren. Angestellte des Krankenhauses von Trincomalee beschwerten sich, im Fall der getöteten Helfer sei die übliche Prozedur für eine Autopsie umgangen worden. Der gerichtsmedizinische Leiter des Krankenhauses war gerade im Urlaub, und die Regierung bestand auf einem eigenen Vertreter, den sie aus Anuradhapura in der zentralen Nordprovinz kommen ließ; sie wollte nicht, dass der Krankenhausdirektor die Untersuchung leitete.
Was noch wichtiger ist: Trotz ihrer Anschuldigungen gegen die SLMM hat die Regierung keinen ihrer Vorwürfe entkräftet. Rambukwella versuchte nicht einmal, zu erklären, warum die Armee das Gebiet abriegelte. Er legte keine Zeugenaussagen vor, auch nicht von Militärangehörigen. Er bot keine Erklärung an, warum die Polizeiuntersuchung keinen Schritt vorangekommen ist.
Die LTTE hatte keinen ersichtlichen Grund, die Helfer zu töten, die der lokalen Bevölkerung wertvolle Dienste leisteten.. Die ACF, die seit 1996 in Sri Lanka tätig ist, stand den Tsunami-Opfern von 2004 bei. Singhalesische Extremisten haben dagegen schon oft Nicht-Regierungsorganisationen im Osten und Norden beschuldigt, sich als "LTTE-Marionetten" zu betätigen. Die Armee, die tief von singhalesischem Chauvinismus durchdrungen ist, hatte wohl kaum Gewissensbisse, siebzehn einheimische ACF-Mitarbeiter zu töten, von denen sechzehn Tamilen waren und einer Moslem.
Eine besonders zynische Reaktion auf die SLMM-Erklärung kam vom Leiter des so genannten Friedenssekretariats der Regierung, Palitha Kohona. Er erklärte, es sei nicht richtig, wenn die SLMM eine solche Feststellung treffe, während die Morde immer noch von der Polizei untersucht würden.
Dabei ist die srilankische Polizei berüchtigt dafür, Verbrechen, die von den Streitkräften oder mit ihnen in Verbindung stehenden paramilitärischen Gruppen verübt worden sind, unaufgeklärt zu lassen. Sowohl Amnesty International als auch Human Rights Watch haben in ihren Erklärungen zu früheren Gräueltaten schon oft das Fehlen einer echten Aufklärung angeprangert.
Die kaltblütige Tötung der Helfer von Muttur ist kein Einzelfall. Sie entspricht den üblichen Methoden der Streitkräfte, die durch Schikane, willkürliche Festnahmen, Folter und Mord die lokale Bevölkerung terrorisieren. Die Armee reagierte auf den LTTE-Einfall in Muttur mit einem Sperrfeuer von Raketen und Artilleriebeschuss, in dem laut Einwohnerberichten zahlreiche Menschen umkamen.
Der wahllose Einsatz von Luftschlägen und Artillerie zeigte sich erneut bei dem Luftangriff vom 14. August auf ein Gelände in Mullaittivu, bei dem bis zu 61 Schülerinnen getötet und über hundert verletzt wurden, die an einem zweitägigen Erstehilfekurs teilgenommen hatten. Als Einzelheiten über diesen Fall bekannt wurden, erklärten das Militär und die Regierung, das Zielobjekt sei ein LTTE-Ausbildungslager gewesen, und bei den Getöteten habe es sich um "Kindersoldaten" gehandelt. Diesen Behauptungen widersprachen nicht nur die LTTE, sondern auch Funktionäre von SLMM und UNICEF, die den Tatort besuchten.
Solche Gräueltaten folgen direkt aus dem Charakter des Kriegs, den die Rajapakse-Regierung begonnen hat. Er zielt nicht nur auf die militärische Zerstörung der LTTE, sondern auch auf die Einschüchterung der tamilischen Minderheit als Ganzes ab. Verantwortlich dafür sind nicht allein die Soldaten, die den Abzug betätigen, und die Piloten, die die Bomben abwerfen, sondern die Militärchefs und Minister, die die Verantwortung für diesen Krieg tragen. Alle Beteiligten müssen angeklagt und wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden.