Am Sonntag stimmten über zwei Drittel der Schweizer Stimmbürger den neuen, drakonischen Asyl- und Ausländergesetzen zu, die zuvor von Regierung und Parlament beschlossen worden waren. Das von Sozialdemokraten, Grünen, Kirchen und Flüchtlingshilfswerken gegen die neuen Gesetze ergriffene Referendum wurde mit 68 Prozent abgelehnt. Die Stimmbeteiligung lag bei 48 Prozent.
Das neue Asylrecht sieht vor, dass Flüchtlinge ohne Pass oder Identitätskarte in der Schweiz vom Asylverfahren ausgeschlossen sein werden, was selbst der Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht. Abgewiesenen Asylbewerbern wird ohne Ausnahme die Sozialhilfe gestrichen. Die so genannte "Ausschaffungshaft" oder "Schubhaft" (Abschiebehaft) wird auf 24 Monate verdoppelt.
Das zweite Gesetz, die Neufassung des Ausländergesetzes, schafft ausdrücklich zwei Kategorien von Einwanderern. Zur ersten gehören Angehörige der Europäischen Union oder der EFTA, für die das so genannte Freizügigkeitsabkommen entsprechend der EU-Regelung gilt. Ausländer, die nicht aus Europa stammen, dürfen sich dagegen auf Dauer nur niederlassen, wenn sie ausdrücklich als "Führungskräfte, Spezialisten" oder besonders gesuchte qualifizierte Arbeitskräfte ausgewiesen sind.
Damit werden rund vierzig Prozent aller Ausländer oder etwa 700.000 Menschen von jedem Anspruch auf Niederlassung ausgeschlossen, obwohl sie zum Teil seit Jahren in der Schweiz leben, arbeiten und Steuern zahlen. Diese Menschen unterliegen lebenslang einer schikanösen fremdenpolizeilichen Kontrolle, die bis hin zu Fragen von Ortswechsel, Eheschließung oder Familienzusammenführung reicht.
Die neuen Gesetze drohen auch all jenen, die einer "illegalen" ausländischen Person helfen, mit Zwangsmaßnahmen wie Beugehaft oder hohen Bußen. Für die etwa hunderttausend Sanspapiers - im Land lebende Menschen ohne gültige Papiere - ist keinerlei Regelung ihres Status’ vorgesehen. Es ist, wie die Genfer Zeitung Le Courrier kommentiert, "eine Ohrfeige" für diese "Schattenmigranten", die "in der Schweiz ohne legalen Status leben und zu ihrer Prosperität beitragen".
Der Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, William Spindler, bedauerte am Montag ausdrücklich die Annahme der Gesetze und äußerte die Befürchtung, sie könnten in Widerspruch zu internationalen Standards geraten. Die Genfer Flüchtlingskonvention verlange zum Beispiel, dass Flüchtlinge, die mit guten Gründen ihr Land verließen und illegal in ein anderes Land flüchteten, nicht bestraft werden dürften. Viele historische und auch aktuelle Beispiele zeigten, dass es für Verfolgte schwierig sei, Papiere zu besorgen.
Christoph Blochers Aufstieg
Derart fremdenfeindliche Initiativen wurden bisher in der Schweiz schon mehrmals abgelehnt. Vor vier Jahren, im November 2002, scheiterte die letzte "Volksinitiative gegen Asylrechtsmissbrauch", die von der rechtsradikalen SVP (Schweizer Volkspartei) des Multimilliardärs und Chemieunternehmers Christoph Blocher eingebracht worden war. Was hat sich seither verändert?
In der Zwischenzeit ist es dem rechten Hardliner Blocher gelungen, bis in die höchsten Regierungsämter aufzusteigen. Zur Zeit leitet er als einer von sieben Bundesräten (Ministern) das Justiz- und Polizeidepartement, das die neuen Asyl- und Ausländergesetze ausgearbeitet hat. So konnten sich diesmal die Blocher-Gesetze, die vor vier Jahren noch eine Initiative von Rechtsaußen waren, mit dem Segen der Schweizer Regierung und der Mehrheit des Parlaments präsentieren.
Hinzu kam eine chauvinistische und ausländerfeindliche Kampagne der SVP und der von ihr angeführten AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz), die in primitivster Weise gegen den "Missbrauch" im Asyl- und Ausländerrecht trommelten. Unterstützt wurden sie dabei von bürgerlichen Politikern und Zeitungen, die dreist behaupteten, mithilfe der neuen Gesetze könnten "der Missbrauch verhindert und gleichzeitig humanitäre Traditionen der Schweiz geschützt" werden. Die Gesetzesgegner wurden als "naive Gutmenschen" bezeichnet, ihre Kampagne regelmäßig mit dem Beiwort "emotional" versehen.
Die Weltwoche, eine früher linksliberale, aber seit einigen Jahren SVP-nahe Wochenzeitung, argumentierte wahrheitswidrig, der Löwenanteil der Fürsorgeleistungen für sozial Schwache gehe mittlerweile an bereits abgelehnte Flüchtlinge, angebliche Schmarotzer. Sie tischte ihren Lesern fingierte "Reportagen" über Asylunterkünfte auf, die an Ekel erregender Verleumdung nicht zu überbieten sind. Sie schildern deren Bewohner als Sozialhilfe kassierende Drogendealer und Prostituierte, die angeblich den Hals nicht voll kriegen. Solche Artikel appellieren bewusst an die niedersten Neidgefühle (Zitat: "Adidas-Sneakers und iPod scheinen [in der Notunterkunft] zur Standardausrüstung zu gehören, wie Lederjacke und Handy").
Roger Köppel, Weltwoche -Herausgeber ab 1. Oktober 2006, bezeichnete die neuen Gesetze als "eine alles in allem vernünftige und im europäischen Vergleich eher harmlose Revision".
Köppel, der vor vier Jahren schon Chefredakteur der Weltwoche war, zwischenzeitlich aber bei der Axel-Springer-Zeitung Die Welt arbeitet, versuchte den deutschen Lesern am Tag nach der Abstimmung weiszumachen: "In der Schweiz hat in den Neunzigerjahren der Missbrauch des Asylrechts markant zugenommen. Die liberale Rechtslage wurde ausgenutzt von Leuten, die nicht politisch verfolgt wurden.... Im Kanton Zürich etwa gehen nahezu 40 Prozent aller Fürsorgeleistungen an Ausländer, die erst seit kurzem im Land leben, viele davon als Asylbewerber in ewig laufenden Verfahren.... Die federführend von Blocher betreute Asylrechtsrevision erschwert den Missbrauch und gibt dem Rechtsstaat längere Hebel in die Hand"... und so weiter und so fort.
Wie üblich bei solchen Artikeln werden klare Zahlen und Fakten vermieden. In Wirklichkeit sind die Zahlen der Asylbewerber in den letzten Jahren infolge der schon jetzt restriktiven Flüchtlingspolitik stark rückläufig und liegen auf dem niedrigsten Stand seit 1987. Zahlreiche Heime wurden geschlossen und Hunderte Betreuer entlassen. Allein im Kanton Zürich wurden im letzten Jahr fünfzehn Durchgangszentren und Notunterkünfte geschlossen und 120 Betreuerstellen gestrichen.
Die größte bürgerliche Partei, die FDP (Freisinnig Demokratische Partei), unterstützte die Blocher-SVP-Argumentation, drückte sich jedoch etwas gewählter aus und legte das Hauptgewicht auf die Revision des Ausländerrechts, das jetzt, wie sie lobend erwähnte, aus Nicht-EU-Ländern nur noch hoch qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hereinlasse.
Was das Asylrecht angeht, so argumentiert die FDP rabulistisch, es sei zwar "legitim und kein Missbrauch", in der Schweiz ein Asylgesuch zu stellen, auch weil man sich nur ein besseres Leben erhoffe - solange das System das zulasse. "Ein System, welches dies zulässt, wird nicht missbraucht, sondern gebraucht. Es gilt also, das System so zu gestalten, dass Verfolgte in der Schweiz Schutz finden, alle anderen aber nicht unter dem Titel Asyl’ in die Schweiz kommen können."
Der Schweizerische Arbeitgeberverband äußerte sich nach der Abstimmung erfreut über die Annahme des Ausländergesetzes.
Rolle der Sozialdemokratie
Die Hetze und Propaganda von Rechten und Bürgerlichen erklärt nicht restlos, warum die fremdenfeindlichen Gesetzesrevisionen des Demagogen Blocher und seiner rechtspopulistischen SVP in einer Volksabstimmung Unterstützung finden konnten. Hier kommt ein jahrelanger politischer Mechanismus zum Tragen, der ohne die Rolle der Schweizer Sozialdemokratie nicht denkbar wäre.
Die SP hat zwar das Referendum gegen das Asyl- und das Ausländergesetz unterstützt und dazu aufgerufen, beide abzulehnen. Aber in der Regierung und im Parlament hat sie die Gesetze ganz oder teilweise mitgetragen.
Im Rahmen der so genannten "Konkordanzdemokratie" sind die Sozialdemokraten seit Ende der 1950er Jahre mit zwei Bundesräten in der siebenköpfigen Regierung vertreten. Die restlichen fünf Ministerposten werden von drei bürgerlichen Parteien eingenommen. Nach den ungeschriebenen Regeln der Konkordanzdemokratie sind alle Regierungsmitglieder verpflichtet, einmal gefasste Beschlüsse nach außen gemeinsam zu vertreten. Die SP lässt sich diesen Maulkorb willig umhängen und macht sich so zum Feigenblatt für die neoliberale und ausländerfeindliche Regierungspolitik. Die nahe liegende Möglichkeit eines Austritts aus der Regierung kommt für sie überhaupt nicht in Frage.
Da der Bundesrat das Asyl- und das Ausländergesetz unterstützt hat, ist es auch von den beiden sozialdemokratischen Ministern mitgetragen worden. Moritz Leuenberger, einer der beiden, ist in diesem Jahr sogar Bundespräsident.
Auch im Nationalrat (Parlament) hat die SP dem Ausländergesetz mehrheitlich zugestimmt. Mit dem Argument, "das Schlimmste konnte noch abgewendet werden", stimmte im Dezember 2005 eine 33-köpfige Mehrheit der SP-Fraktion gegen 15 Nein-Stimmen für das Gesetz. Das ließ ihre spätere Unterstützung des Gegenreferendums völlig unglaubwürdig erscheinen.
Die Grundlage der schizophrenen und verwirrenden Haltung der SP ist ihre grundsätzliche Akzeptanz der Maxime, dass es keine Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft geben könne, dass jeder Aspekt des Lebens, selbst die elementarsten Menschenrechte, letztlich dem real-wirtschaftlichen Rahmen angepasst werden müssten. Aufgrund dieser Maxime gibt die SP angesichts der globalen Krise Schritt für Schritt alle sozialen und demokratischen Grundsätze auf. Sie ist weder fähig noch willens, ernsthaft gegen ein Gesetz in die Offensive zu gehen, das schon mit dem Satz beginnt: "Die Zulassung von erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländern erfolgt im Interesse der Gesamtwirtschaft".
Die Rechtwendung der reformistischen Parteien und Gewerkschaften, die einst vorgaben, die Interessen der einfachen Bevölkerung zu vertreten, bereitet den rechten Demagogen den Boden, die bemüht sind, soziale Ängste und Verzweiflung in nationalistische und fremdenfeindliche Kanäle zu lenken. Die Schweiz ist hier kein Sonderfall. Dies zeigt schon ein Blick nach Deutschland, wo die Neonazis in den Schweriner Landtag eingezogen sind, oder nach Frankreich, wo Nicolas Sarkozy ebenfalls rigorose Abschiebungsprogramme durchsetzt.
Diese Entwicklung kann nur durchbrochen werden, wenn die arbeitende Bevölkerung erkennt, dass sie die gleichen Interessen wie ihre Kollegen in den andern Ländern hat, dass die Angriffe auf Einwanderer und Flüchtlinge nur die Vorboten noch schärferer Angriffe auf sie selbst sind, und dass sie ihre eigenen Rechte nur verteidigen kann, wenn sie jene gegen Abschiebung und Kriminalisierung verteidigt.
Dazu ist der Aufbau einer alternativen, sozialistischen Partei notwendig, die sich auf den Internationalismus stützt und die Lehren aus der Geschichte zieht. In den 1930er Jahren musste Europa schon einmal den Preis dafür bezahlen, dass Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit nicht auf fortschrittliche Weise beantwortet wurden - durch Überwindung des kapitalistischen Profitsystems und Schaffung einer gemeinsam geplanten, sozialistischen und demokratisch kontrollierten Wirtschaft - sondern durch Nationalismus, Krieg und Faschismus.