Am 24. September findet in der Schweiz eine Volksabstimmung über ein neues Ausländer- und Asylgesetz statt. Beide Gesetze waren am 16 Dezember 2005 vom Parlament mehrheitlich verabschiedet worden. Dagegen wurde das Referendum ergriffen, in kurzer Zeit wurden fast doppelt so viele Unterschriften gesammelt wie nötig. Nun liegt die endgültige Entscheidung bei den Wählern.
Das verschärfte Asylgesetz sieht vor, Flüchtlinge vom regulären Asylverfahren auszuschließen, wenn sie nicht über Pass, Reise- oder Identitätspapiere verfügen. Asylsuchende werden gezwungen, ihre Dokumente abzugeben. Sie sind verpflichtet, bei der Erfassung ihrer Personendaten mitzuwirken, was bedeutet, dass sie uneingeschränkt kontrolliert werden dürfen und die Polizei ihr ganzes Hab und Gut jederzeit durchsuchen darf, selbst wenn sie in einer Privatwohnung wohnen.
Damit abgelehnte Flüchtlinge schneller ausreisen, erhalten sie künftig keine Sozialhilfe mehr, auch wenn es sich um Kinder, Frauen, Alte und Kranke handelt. Sie können sich höchstens noch an die Nothilfe wenden. Menschen ohne Papiere, die das Land nicht verlassen haben, können inhaftiert werden, auch wenn sie keinerlei Verbrechen begangen haben. Die mögliche Dauer der "Ausschaffungshaft" (entspricht der deutschen Abschiebehaft) wird auf 24 Monate verdoppelt. In der Schweiz leben zurzeit schätzungsweise hunderttausend Sans-Papiers, Immigranten ohne gültige Papiere.
Das Ausländergesetz ist vom selben restriktiven Geist. Es schafft ausdrücklich zwei Kategorien von Ausländern. Zur ersten gehören Angehörige der Europäischen Union oder der EFTA. Für sie gilt das sogenannte Freizügigkeitsabkommen, das im Rahmen der bilateralen Abkommen mit der EU abgeschlossen wurde. Für Ausländer, die nicht aus Europa kommen - das sind etwa 700.000 Menschen, die zum Teil seit Jahren in der Schweiz arbeiten und Steuern zahlen - sieht das neue Gesetz dagegen im Prinzip kein Recht auf Niederlassung vor.
Ausnahmen sind "Führungskräfte, Spezialisten und andere qualifizierte Arbeitskräfte", wobei nachgewiesen sein muss, dass sich für die entsprechende Tätigkeit keine geeigneten Schweizerinnen und Schweizer sowie Angehörige der EU- und EFTA-Staaten finden lassen.
Das Recht auf Familiennachzug wird eingeschränkt: Über zwölfjährige Kinder dürfen nur noch im Verlauf eines Jahres einreisen. Auch sollen Scheinehen wirksam verhindert werden, was zu einer unerträglichen Behördenschnüffelei führen kann. Wer eine Ehe mit einer ausländischen Person eingeht, damit diese nicht abgeschoben wird, muss Gefängnis oder eine Busse bis zu 20.000 Franken gewärtigen.
Zwangsmaßnahmen wie Beugehaft und drastische Strafen drohen überhaupt jedem, der in Zukunft noch bereit ist, einem Ausländer oder einer Ausländerin zu "illegalem" Aufenthalt in der Schweiz zu verhelfen.
Für die wenigen Privilegierten, die als "besonders qualifizierte Ausländer" eine Art Green Card erhalten, bringt das neue Gesetz einige Erleichterungen. Sie dürfen sich in der Schweiz freier bewegen und können Arbeitsstelle und Wohnort wechseln, ohne jedes Mal die Bewilligung der Behörden einzuholen.
Im Text des Gesetzes heißt es: "Die Zulassung von erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländern erfolgt im Interesse der Gesamtwirtschaft". Diese Unterordnung elementarer Menschenrechte unter wirtschaftliche Interessen ist charakteristisch für die neoliberale Politik des Bundesrats, einer Allparteienregierung, der seit drei Jahren auch der rechte Hardliner Christoph Blocher (SVP) als Polizei- und Justizminister angehört.
Blocher, ein Chemieunternehmer und Multimilliardär, hat die bäuerlich-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) in den letzten beiden Jahrzehnten nach dem Vorbild des Österreichers Jörg Haider in eine ausländerfeindliche, chauvinistische Rechtspartei verwandelt.
Seit seinem Eintritt in die Regierung ist die Anwendung der Asylpolitik deutlich verschärft worden. So brüstete sich Blocher Ende 2005 damit, dass in der Schweiz die Zahl der Asylgesuche den stärksten Rückgang in ganz Europa verzeichne und im Vergleich zum Vorjahr 2004 um knapp dreißig Prozent gesunken sei.
In den vergangenen Monaten hat die Regierung Abkommen mit afrikanischen Staaten wie Nigeria oder Senegal abgeschlossen, um die Abschiebung von Flüchtlingen in diese Länder zu erleichtern. Amnesty International kritisierte, dass Menschen in diese Länder abgeschoben werden, ohne dass ihre Identität oder ihr konkreter Fall überhaupt vorher geprüft worden seien.
"Zweimal Nein!"
Das Referendum gegen das Ausländer- und Asylgesetz wurde unter der Parole "Zweimal Nein!" von Flüchtlings- und Ausländerhilfsorganisationen sowie den Grünen ergriffen. Dem schlossen sich kirchliche Kreise, Attac Schweiz, Amnesty International und andere Organisationen an. Auch die vor zwei Jahren gegründete gewerkschaftliche Dachorganisation UNIA ruft zu einer Ablehnung auf.
Selbst der ehemalige Chef des Flüchtlingsamtes, Urs Hadorn, erklärte vergangene Woche, er werde mit "Nein" stimmen. Er warf Bundesrat Blocher vor, eine Karikatur des "Missbrauchs" zu zeichnen: Es sei keineswegs so, dass jeder, der kein Asyl erhalte, Missbrauch betrieben habe. Er erinnerte daran, dass im Mittelmeer und im Atlantik täglich Menschen ertränken, die unter Todesrisiko versuchten, nach Europa zu gelangen.
Dem Referendum gegen das Asylgesetz hat sich auch die sozialdemokratische Partei (SPS) angeschlossen, obwohl sie mit zwei Bundesräten in der siebenköpfigen Regierung vertreten ist, die beide Gesetze unterstützt, und mit Moritz Leuenberger in diesem Jahr sogar den Bundespräsidenten stellt.
Die Sozialdemokratie begründet ihre schizophrene Haltung mit der so genannten "Konkordanzdemokratie", die die Mitglieder des Bundesrats verpflichte, einmal gefasste Beschlüsse gemeinsam nach außen zu vertreten. Die offenkundige Frage, weshalb sie sich nicht aus einer Regierung zurückzieht, in der sie als Feigenblatt für eine ausländerfeindliche und neoliberale Politik dient, wird dabei gar nicht gestellt.
Im Nationalrat (Parlament) hat die SPS dem Ausländergesetz sogar mehrheitlich zugestimmt. Mit dem Argument, "das Schlimmste konnte noch abgewendet werden", stimmte im Dezember 2005 eine 33-köpfige Mehrheit der SP-Fraktion gegen 15 Nein-Stimmen für das Gesetz.
Inzwischen formiert sich breiter Widerstand in der Bevölkerung. Über 11.000 Menschen protestierten am 17. Juni in Bern vor dem Bundeshaus gegen die unmenschliche Ausländerpolitik.
Zurzeit führt ein Marsch unter dem Motto "MigrantInnen unterwegs für eine solidarische Schweiz" über eine Strecke von 280 Kilometern von St. Gallen bis Bern. Den Berichten zufolge trifft er auch auf dem Land auf große Zustimmung. Leute hupen und winken. Viele versichern, sie würden am 24. September mit "Nein" stimmen. Es gab aber auch schon Situationen, bei denen lokale SVP-Politiker - ohne Erfolg - den Marsch polizeilich verbieten lassen wollten.