Am Wochenende sprachen in Berlin Rechtswissenschaftler und Anwälte aus den USA, Deutschland und anderen Ländern auf einer Konferenz zum Thema "Globalverfassung versus Realpolitik - Zur Zukunft und Gegenwart der universellen Jurisdiktion". Veranstalter waren der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und das US-amerikanische Center for Constitutional Rights (CCR) mit Unterstützung durch die Berliner Rechtsanwaltskammer und verschiedene internationale Menschenrechtsgruppen.
Anlass der Veranstaltung war insbesondere die Strafanzeige gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und führende Vertreter von Militär und Geheimdiensten der USA wegen der Menschenrechtsverletzungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Die Anzeige war vom CCR im Namen irakischer Folteropfer gestellt und vom Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der auch Vorsitzender des RAV ist, in Deutschland auf Grundlage des deutschen Völkerstrafgesetzbuches (VSTGB) von 2002 eingebracht worden.
Die Anzeige belegte die Vorwürfe auf 170 Seiten plus Anlagen detailliert, großenteils gestützt auf offizielle US-Dokumente, und begründete sie juristisch wasserdicht. Trotzdem lehnte es Generalbundesanwalt Kai Nehm ab, auch nur Ermittlungen aufzunehmen. Das Ablehnungsschreiben kam Anfang Februar, pünktlich einen Tag bevor Rumsfeld Deutschland besuchte.
Vor diesem Hintergrund sprachen die Initiatoren der Strafanzeige am Freitagabend auf einer Pressekonferenz. Nur eine geringe Zahl von Medienvertretern war erschienen, kein Mikrofon, keine Fernsehkamera war zu sehen. Offenbar halten es die deutschen Medien für selbstverständlich, wenn sich der oberste Ankläger Deutschlands unter Missachtung der eigenen Gesetze weigert, Vertreter der mächtigsten Regierung der Welt wegen Verstößen gegen das Völkerrecht zur Verantwortung zu ziehen.
Diese Kapitulation vor der Macht artikulierte auch die Zeitung Junge Welt. Sie veröffentlichte anlässlich der Konferenz einen Artikel mit der Überschrift "Ein stumpfes Schwert" - gemeint ist das Völkerstrafrecht -, den sie auf der Pressekonferenz auslegte. Ihr Reporter verwies bei seiner Wortmeldung darauf, dass auch eine Klage wegen Kriegsverbrechen der NATO beim Krieg gegen Jugoslawien nichts gebracht habe.
Rechtsanwalt Kaleck wandte sich einleitend gegen eine solch defätistische Haltung. Es gehe um einen "Kampf ums Recht" und darum, das "Schwert scharf zu machen", sagte er. Er verwies darauf, dass es auch Fälle gegeben habe, in denen die Verteidiger von Menschenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien zumindest teilweise Erfolge erzielen konnten. Jüngstes Beispiel sei das Verfahren gegen Abdelghani Mzoudi, der vom Bundesgerichtshof aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Unterstützung der Terroristen des 11. September freigesprochen wurde.
Scott Horton, Rechtsanwalt, Professor für Völkerrecht und Vorsitzender des Komitees für Völkerrecht bei der Anwaltskammer in New York, erklärte, dass die Diskussion in den USA um Menschenrechtsverletzungen an Ausmaß und Schärfe zugenommen habe.
Der " Newsweek -Effekt" dominiere derzeit die Medien. Zwar habe es nach den Enthüllungen der Newsweek über Misshandlung von Gefangenen in Guantanamo eine massive Einschüchterungskampagne gegen das Blatt gegeben. Mittlerweile seien jedoch Journalisten Beweise für die Verantwortung höchster politischer Amtsträger für Menschenrechtsverletzungen zugespielt worden, die bald veröffentlicht würden.
Außerdem sei eine Gruppe von acht republikanischen Senatoren einem Aufruf der Anwaltskammer und 30 Medienorganen gefolgt und bereite einen Gesetzentwurf vor, mit dem eine spezielle Untersuchungskommission eingerichtet werden solle. Erstmals sei jüngst in einzelnen Zeitungen, wie dem Boston Globe und anderen, sogar ein Amtsenthebungsverfahren für Präsident George W. Bush diskutiert worden.
Peter Weiss, Vizepräsident des CCR, betonte, die Anzeige sei nicht deshalb in Deutschland eingebracht worden, weil sie "anti-amerikanisch" sei. Die USA seien ein kompliziertes Land, einerseits voll brutaler Gewalt und Willkür, wie sie die jetzige Regierung ausübe, und andererseits von einer tiefen Hingabe an die Ideale von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Gerechtigkeit. Man sei nach Deutschland gegangen, weil es in den USA "nicht die geringste Chance" gebe, die höchsten Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen.
Die Ablehnung der Aufnahme von Ermittlungen durch Generalbundesanwalt Kai Nehm habe ihn daher tief enttäuscht, vor allem deshalb, weil er sich entgegen aller rechtsstaatlichen Prinzipien mit den Argumenten der Anzeigesteller nicht auseinandergesetzt habe. Der Generalbundesanwalt habe den Willen des Gesetzgebers des VStGB "auf Null reduziert".
Trotzdem sah Weiss keinen Grund zum Pessimismus: Erst vor zwei Monaten sei ein argentinischer Marineoffizier vor einem spanischen Gericht schuldig gesprochen worden, weil er sich während der Zeit der Militärjunta am "Verschwinden lassen" von Menschen beteiligt habe. Der CCR habe mittlerweile viele Angebote von Anwaltskanzleien zur Unterstützung bei der Verteidigung von Häftlingen aus Abu Ghraib und Guantanomo bekommen.
Weiss berichtete außerdem, dass drei Militäranwalte im Rang von Oberstleutnants Verfassungsbeschwerde gegen Bush wegen Guantanamo eingelegt hätten, obwohl sie damit ihrer militärischen Karriere nur schaden konnten.
Wolfgang Kaleck erläuterte anschließend nochmals den juristischen Stand des Verfahrens. Derzeit sei ein so genanntes Klageerzwingungsverfahren gegen die Entscheidung des Generalbundesanwalts anhängig. Damit habe man juristisches Neuland betreten, weil im VStGB ein Rechtsmittel eigentlich nicht vorgesehen sei. Falls das Klageerzwingungsverfahren nicht zum Erfolg führe, werde man womöglich Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen. Dieses Verfahren sei jedoch sehr langwierig, eine andere Möglichkeit sei daher, eine neue Anzeige einzubringen.
Kaleck betonte, dass es rein rechtlich die Anzeige eigentlich gar nicht hätte geben müssen. Der Generalbundesanwalt sei spätestens nach den Bildern aus Abu Ghraib verpflichtet gewesen, Ermittlungen aufzunehmen.
Man sei sich aber im Klaren, dass er Ermittlungen nicht wolle, weil auch die Bundesregierung aus politischen Gründen keine wolle. Ein isoliertes juristisches Verfahren sei für sich allein auch nicht ausreichend, um eine strafrechtliche Verfolgung der Kriegsverbrechen zu erreichen. Dazu sei ein anderes politische Klima nötig.