Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die Anti-Terror-Gesetze weiter verschärfen und außerdem das Grundgesetz ändern, damit die Bundeswehr während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im Innern eingesetzt werden kann. Das erklärte er in Interviews, die am Freitag von der Stuttgarter und von der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden.
Am Mittwoch hatte Schäuble während einer Bundestagsdebatte überraschend ausgesagt, dass deutsche Polizei- und Geheimdienstbeamte in einem syrischen Gefängnis und im US-Gefangenenlager Guantanamo von der CIA verschleppte Häftlinge verhört hätten. Einer der Betroffenen - der in Syrien einsitzende Mohammed Zammar - besaß einen deutschen Pass, der andere - der seit vier Jahren auf Guantanamo festgehaltene türkische Staatsbürger Murat Kurnaz - ist in Deutschland geboren und aufgewachsen.
Schäubles Aussage machte deutlich, wie tief die alte, rot-grüne Bundesregierung in die kriminellen Machenschaften der CIA verstrickt war. Sie wusste nicht nur über die Entführungspraxis der CIA Bescheid und weigerte sich, ihrer Fürsorgepflicht gegenüber deutschen Staatsangehörigen nachzukommen. Sie beteiligte sich auch selbst an Verhören, obwohl die Betroffenen misshandelt oder gefoltert wurden und ihre Angehörigen und Anwälte über ihren Verbleib im Dunkeln blieben.
So hatte das Auswärtige Amt Zammars Hamburger Rechtsanwältin Gül Pinar im Oktober 2004 und im April 2005 schriftlich mitgeteilt, man habe keinen Kontakt zu ihrem Klienten und wisse nichts über ihn. Dabei war er bereits 2002 von Ermittlern des Bundesnachrichtendiensts (BND), des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamts (BKA) in seinem syrischen Kerker verhört worden. "Die Regierung hat uns nach dem, was wir heute wissen, belogen und betrogen," kommentiert dies Pinar.
In den Interviews vom Freitag hat Schäuble nun die Befragung verschleppter und gefolterter Häftlinge durch deutsche Beamte ausdrücklich verteidigt. "Wenn wir sagen würden, Informationen, bei denen wir nicht sicher sein können, dass sie unter vollkommen rechtsstaatlichen Bedingungen zu erlangen waren, nutzen wir unter keinen Umständen - das wäre völlig unverantwortlich. Wir müssen solche Informationen nutzen", sagte er.
Schäuble rechtfertigte Zammars Vernehmung in einem berüchtigten syrischen Foltergefängnis zynisch mit den Worten: "Ein paar Monate Haft haben schon manchen bewegt auszupacken, damit arbeitet die deutsche Strafverfolgung doch auch."
Menschenrechtsgruppen berichten seit Jahren, dass die Gefangenen im Gefängnis Far Filastin, in dem Zammar festgehalten wird, in winzigen Zellen eingepfercht seien und nachts von den Schreien aus den Vernehmungszellen geweckt würden. Zammar selbst hatte sich gegenüber den deutschen Beamten über seine unmenschlichen Haftbedingungen und über Schläge durch das Haftpersonal beschwert.
Doch Schäuble behauptete dreist, es gebe keine Anzeichen dafür, dass Zammar gefoltert worden sei. Dieser werde der "Verstrickung in schlimmste terroristische Aktivitäten" verdächtigt, sagte er und fügte zynisch hinzu: "Da können Sie auch Maier heißen, da müssen Sie nicht Zammar heißen. Dann werden Sie nicht im Hotelzimmer mit Whirlpool untergebracht."
Die einzige Schlussfolgerung, die Schäuble aus der Gesetzwidrigkeit derartiger Praktiken zieht, ist, sie in Zukunft gesetzlich zu sanktionieren. Er schlägt vor, das Strafrecht so zu verändern, dass jemand schon dann betraft werden kann, wenn er als "gefährlich" eingestuft wird, auch wenn er keine Straftat begangen hat. Als Beispiel führt er an: "Wir könnten doch beispielsweise das Absolvieren einer Ausbildung in einem Terroristenlager in Afghanistan oder sonst wo auch unter Strafe stellen."
Von der Süddeutschen Zeitung gefragt, ob in einem solchen Fall auch Erkenntnisse der Geheimdienste vor Gericht verwertet werden sollen, antwortete Schäuble: "Wir wollen das genau prüfen, die jetzige Situation [die solche Erkenntnisse nicht zulässt] ist jedenfalls unbefriedigend."
Die von Schäuble vorgeschlagenen Regeln würden jeder Form von staatlicher Willkür und Denunziantentum Tür und Tor öffnen. Sie laufen auf ein Gesinnungsstrafrecht hinaus. Nicht das Verüben eines Verbrechens und auch nicht die Absicht, ein solches zu verüben, werden damit unter Strafe gestellt, sondern allein die Fähigkeit, ein Verbrechen verüben zu können. Was ist, wenn jemand im Urlaub einen Schieß- oder einen Selbstverteidigungskurs absolviert? Was, wenn er eine Versammlung besucht hat, in der zum Aufruhr aufgerufen wurde? Was, wenn ihn der Geheimdienst aufgrund falscher, unter Folter erpresster Informationen denunziert?
"Das ist höchst problematisch und mit rechtstaatlichen Standards wohl kaum zu vereinbaren", kommentiert der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, Schäubles Vorschlag.
Verdächtige Ausländer will Schäuble in Zukunft nicht nur auf bloßen Verdacht hin abschieben, sondern auch einsperren. Nach dem geltenden Ausländerrecht können sie schon jetzt ohne Beweis und Gerichtsurteil abgeschoben werden. Um sie einzusperren ist aber ein gerichtliches Verfahren nötig, in dem der Grundsatz gilt: "Im Zweifel für den Angeklagten". Das will Schäuble ändern. "Im Ausländerrecht haben wir mehr Spielraum", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Und trotzdem müssen wir darüber nachdenken, was zu tun ist, wenn wir nicht abschieben können oder wenn es gefährlich wäre, einen Gefährder einfach nur außer Landes zu schaffen."
Schäubles Vorschläge werfen ein bezeichnendes Licht auf die Rolle der neuen Bundesregierung.
In den vergangenen Tagen hatten Enthüllungen über die kriminellen Machenschaften der CIA und die Verwicklung deutscher Behörden und Regierungsstellen tagelang die Schlagzeilen beherrscht, so dass die Regierung schließlich eine "Woche der Aufklärung" versprach. Am Mittwoch und Donnerstag legten dann mehrere Minister Rechenschaft vor drei Bundestagsausschüssen ab - die allerdings geheim tagten. Lediglich am Mittwoch fand auch eine öffentliche Bundestagsdebatte statt.
Aufgeklärt wurde dabei so gut wie nichts. Nach wie vor ist unklar, welche Rolle die deutschen Geheimdienste bei der Verschleppung des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri durch die CIA nach Afghanistan spielten, was der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) vom amerikanischen Botschafter über den Fall erfuhr, was Außenminister Joschka Fischer (Grüne) wusste und warum die Münchener Staatsanwaltschaft, die gegen "unbekannt" ermittelt, von der Regierung nicht informiert und unterstützt wurde.
Deutlich wurde dennoch, dass die rot-grüne Bundesregierung viel tiefer in die illegalen Machenschaften der CIA verstrickt war, als sie dies bisher zugeben wollte. Seit sie sich mit den USA über den Irakkrieg zerstritten hatte, war sie derart darum bemüht, die Beziehungen zu Washington wieder zu kitten, dass sie sich jeder Kritik an den illegalen Praktiken der CIA enthielt, diese abdeckte und sich selbst daran beteiligte. Der einst von SPD und Grünen verkündete Anspruch, in der internationalen Politik für Moral und Menschenrechte einzustehen, fiel restlos in sich zusammen.
So wie die Regierung Merkel bei den Angriffen auf soziale Rechte (der Agenda 2010) dort anknüpfte, wo die Regierung Schröder aufgehört hatte, tut sie dies nun auch bei den Angriffen auf demokratische Rechte. Der Grund ist in beiden Fällen derselbe. Die Große Koalition der Wahlverlierer ist trotz ihrer großen parlamentarischen Mehrheit gesellschaftlich isoliert. Sie weiß, dass ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik äußerst unbeliebt ist, und bereitet sich auf gesellschaftliche Konfrontationen vor.
Schäubles Angriff auf elementare demokratische Rechte zielt, auch wenn sie mit der Gefahr des Terrorismus begründet wird, vor allem auf diese soziale Opposition. Das macht sein zweiter Vorschlag deutlich: der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Er will noch vor der Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Sommer eine entsprechende Verfassungsänderung durchsetzen, um die Bundeswehr dann zum "Objektschutz" bei "Stadien, Flughäfen und Mannschaftsquartieren" einzusetzen.
Man kann sich unschwer ausmalen, was geschieht, wenn Bundeswehrsoldaten, die ein Fußballstadion schützen, mit radikalisierten Fußballfans in Konflikt geraten. So werden Präzedenzfälle geschaffen, um die Armee gegen Menschenmaßen in Marsch zu setzen.