Die Kampagne rechter christlicher Fundamentalisten in den USA um die seit 15 Jahren im "dauerhaften vegetativen Zustand" befindliche Terri Schiavo hat in Deutschland Unterstützung bei konservativen Kreisen, insbesondere der katholischen und evangelischen Kirche und der CDU/CSU gefunden.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken begrüßte die Entscheidung von US-Präsident George W. Bush, ein Eilgesetz zu unterzeichnen, das die weitere künstliche Ernährung der Wachkoma-Patientin sicherstellen sollte - entgegen dem Wunsch von Schiavo selbst, der durch Gerichtsurteile in Florida bestätigt wurde.
Nach Schiavos Tod erklärte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Karl Lehmann in einer Pressemitteilung: "Mit großer Trauer und Bestürzung haben wir die Nachricht vom Tode Terri Schiavos vernommen. Das Leiden von Terri Schiavo und der öffentliche Kampf ihrer Eltern um ihr Leben haben viele Menschen auf der ganzen Welt tief bewegt. Mit Nachdruck erinnern wir daran, dass das Verhungernlassen eines Menschen wie bei Terri Schiavo ethisch nicht erlaubt ist."
Deutlich verklausulierter äußerte sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber. Er sprach zwar von einem "ganz großen ethischen Dilemma", bekannte sich selbst jedoch zu der Auffassung, dass "Wachkoma-Patienten" wie Schiavo Menschen seien, "die am Leben sind", und die man "auch wie lebendige Menschen behandeln und betrachten" müsse. Er behauptete, man habe Schiavo ohne ihren erklärten Willen verhungern und verdursten lassen, obwohl die "Fürsorge für das Leben" Vorrang gehabt hätte.
Der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe, Beauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Belange der Menschen mit Behinderungen, veröffentlichte eine Stellungnahme, die über elementare Fakten hinwegsah und an die Hetze religiöse Fanatiker in den USA erinnerte. Er sprach von einem "qualvollen Verdurstenlassen" wegen einer "schweren Behinderung" und verstieg sich zu der Behauptung, dies sei "ein implizites lebensunwert’-Urteil" und "der Einstieg in die Euthanasie schwerstbehinderter Menschen". Er spielte damit auf die "Euthanasie-Aktion" der Nazis an, die im Dritten Reich etwa 170.000 geistig behinderte Menschen hatten umbringen lassen.
Hüppe ist in der katholischen Kirche aktiv, stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission des Bundestages "Ethik und Recht der modernen Medizin", sowie stellvertretender Bundesvorsitzender der Anti-Abtreibungs-Organisationen "Christdemokraten für das Leben" und "Aktion Lebensrecht für Alle" (Alfa). Die Alfa hatte die Wiederwahl Bushs als "wichtiges Signal für den Schutz ungeborener Kinder" begrüßt und bei anderer Gelegenheit den Kölner Bischof Joachim Meisner ausdrücklich unterstützt, nachdem dieser Abtreibungen mit dem Holocaust verglichen hatte.
In mehreren Gerichtsverfahren ist nachgewiesen worden, dass Terri Schiavo gegenüber ihrem Ehemann Michael und im Beisein von anderen Zeugen geäußert hatte, sie wolle nicht, nur von Apparaten am Leben erhalten, dahinsiechen. Der Wille von Terri war also keineswegs " um stritten", wie es Hüppe und andere behaupten, sondern von ihren Eltern aus religiösen Gründen be stritten. Diese hatten in einem Verfahren zugegeben, dass sie auch bei einem entsprechenden erklärten Willen Terris gegen die Abschaltung der Apparaturen wären.
Mehrere wissenschaftliche Gutachten haben zudem nachgewiesen, dass das Gehirn von Schiavo so schwer geschädigt war, dass es zu keinen Empfindungen und keinem Bewusstsein mehr fähig war. Sie war nicht nur geistig "behindert". Ihre Hirnrinde war durch Sauerstoffmangel zerstört worden und sie konnte deshalb weder Bewusstsein ihrer selbst noch ihrer Umwelt haben und keinen Schmerz, Angst, Hunger oder Durst empfinden.
Die Stellungnahme der Kirchen scheint auf den ersten Blick überraschend. Denn im Grunde genommen ging es im Fall Schiavo um eine mit technischen Mitteln herbeigeführte "künstliche" Lebensverlängerung, die nur durch eine Magensonde möglich war und - wie Bischof Huber einräumte - vor einigen Jahren noch nicht denkbar gewesen wäre. Die Entfernung dieser Sonde wird auch in der aktuellen Auflage der von der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland erstellten und herausgegebenen "Christlichen Patientenverfügung" als so genannte "passive Sterbehilfe" in Form der Beendigung künstlicher Ernährung ausdrücklich als "ethisch zulässig" bezeichnet.
Der Standpunkt, den die Kirchen nun im Fall Schiavo eingenommen haben, kann daher nur als politisches Signal gewertet werden. Es kommt nicht zufällig, nachdem sie den Sozialabbau durch Hartz IV als grundsätzlich "notwendige Reformen" verteidigt haben. Früher hatten sie im Namen der christlichen Nächstenliebe zwar den Kapitalismus als ganzen verteidigt, aber einzelne seiner Auswüchse kritisiert und mehr soziale Gerechtigkeit gefordert. Heute ist sozialer Ausgleich im Rahmen des bestehenden Systems nicht mehr möglich. Die Kirchenfürsten, deren Organisationen selbst großzügig vom Staat privilegiert sind, tun daher, was sie in solchen historischen Situationen schon seit Jahrhunderten getan haben: Sie versuchen Irrationalität und Bigotterie zu schüren, um das Volk in Demut und Unwissenheit zu halten und so die Reichen und Mächtigen zu schützen.