Zum ersten Mal seit zwei Jahren wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder am vergangenen Wochenende im Weißen Haus in Washington empfangen. Nach einer knapp einstündigen Unterredung mit Präsident Bush war der Kanzler zum gemeinsamen Mittagessen eingeladen. Anschließend erklärte er in mehreren Interviews: "Der Präsident und ich haben uns entschieden, die Meinungsverschiedenheiten der Vergangenheit beizulegen und unsere Aufmerksamkeit auf die gegenwärtige Situation und die Zukunft zu richten."
Auf die Frage der Washington Post : "Ist der Krieg zwischen Ihnen und Präsident Bush vorüber?" antwortet Schröder: "Wir hatten nie einen Krieg, sondern Meinungsverschiedenheiten, die wir nun beigelegt haben. In Bezug auf die heutige Situation im Irak sind wir beide sehr an einem stabilen und demokratischen Irak interessiert." Im selben Interview betonte Schröder, dass Deutschland bereits in vielfältiger Weise die Besetzung des Irak unterstütze. "Zum einen beteiligen wir uns tatkräftig am Wiederaufbau im Irak durch Investitionen in die Infrastruktur, wie etwa die Trinkwasserversorgung. Zum anderen werden wir ab März gemeinsam mit Frankreich und Japan irakische Polizeieinheiten in den Arabischen Emiraten ausbilden."
Darüber hinaus hob Schröder das starke deutsche Engagement in Afghanistan hervor, das der US-Präsident ausdrücklich gewürdigt habe. Außerdem sei eine internationale Lastenteilung bei zukünftigen Problemen im Irak oder in Afghanistan verabredet worden. Er sei mit seinem Besuch und den Gesprächen "außerordentlich zufrieden", so Schröder.
Während deutsche Kommentatoren mit nahezu gleichlautenden Formulierungen vom "Ende der transatlantischen Eiszeit" und der "Rückkehr zur Normalität" in den deutsch-amerikanischen Beziehungen sprechen, bedeutet Schröders servile Anbiederung im Weißen Haus etwas ganz anderes. Ein halbes Jahr vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen leistet der deutsche Kanzler damit aktive Wahlhilfe für eine Regierung, die die reaktionärsten und sogar kriminellen Elemente in der amerikanischen Politik verkörpert.
Warum? Schröder hätte die Möglichkeit gehabt Bush, Rumsfeld und Konsorten einige unbequeme Wahrheiten zu sagen. Die Kriegsgründe, mit denen vor einem Jahr der Angriff auf den Irak gerechtfertigt wurde, haben sich allesamt als Geheimdienstfabrikationen und blanke Lügen herausgestellt. Eine irakische Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen hat es nie gegeben. Für die angebliche Unterstützung von Al Quaeda durch Bagdad gab es nie auch nur eine Spur von Beweisen. Erst während und nach dem Krieg sickerten Al Quaeda-Kämpfer im Irak ein und unterstützen muslimische Fundamentalisten.
Von Demokratie und Wohlstand, der durch die Bomben und Panzer geschaffen werden sollte, ist der Irak heute weiter entfernt als je zuvor. Die Infrastruktur des Landes ist nahezu vollständig zerstört, und das Wiederaufbauprogramm dient vor allem dazu, amerikanischen und britischen Firmen traumhafte Profite zu garantieren.
Dazu kommt noch, dass Präsident Bush in unerhörter Weise in die deutsche Innenpolitik eingegriffen hat und im vergangen Bundeswahlkampf die rechten Kreise der Union um Roland Koch unterstützte, während er gleichzeitig dem wiedergewählten Kanzler die elementaren Grundsätze der Höflichkeit und der internationalen Diplomatie verweigerte.
Schröder hatte also einige Trümpfe in der Hand, als er in Washington ankam. Er hätte ohne weiteres deutlich machen können, dass er den Präsidenten als "lame duck" und politisches Auslaufmodell betrachte und auf einen "Regimechange in Washington" setze. Doch Schröder entschied sich, die Stiefel zu lecken, mit denen er getreten worden war.
Natürlich spielt in der Politik Charakter und Persönlichkeit eine wichtige Rolle. Und hier zeigt sich, dass Gerhard Schröder und sein grüner Außenminister Joschka Fischer einer Generation angehören, von denen viele niemals für irgend etwas ernsthaft kämpfen mussten, nie Prinzipien oder grundlegende Überzeugungen vertraten und immer den Weg des geringsten Widerstands gingen. In allen politischen Bereichen lautet ihr Motto: "Nach oben buckeln, nach unten treten".
Doch es gibt politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die diesen Hang zum Opportunismus stärken. Vor allem der Irakkrieg selbst spielte dabei eine wichtige Rolle. Die ursprüngliche Opposition der Bundesregierung gegen einen Waffengang an Euphrat und Tigris ging nicht von prinzipiellen Überlegungen, wie etwa der Ablehnung neokolonialer Eroberungspolitik und der Verteidigung des irakischen Selbstbestimmungsrechts aus. Ganz im Gegenteil. Die Regierungen in Berlin und Paris fürchteten um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, die sie in den vorangegangenen Jahren in diesem rohstoffreichen Land ausgebaut hatten. Von Anfang an war die Ablehnung halbherzig. Zu keinem Zeitpunkt erwog die Bundesregierung, den deutschen Luftraum und die amerikanischen Militärbasen im Land zu sperren.
Als klar wurde, dass sich die Bush-Administration weder durch UN-Beschlüsse noch durch diplomatischen Manöver stoppen ließ und sich rücksichtslos über das Völkerrecht und internationale Institutionen hinwegsetzte, geriet die europäische Politik in die Krise. Die Regierungen in Paris und Berlin waren weder darauf vorbereitet, der aggressiven amerikanischen Eroberungspolitik entgegenzutreten, noch konnten sie sich einfach zum amerikanischen Vasallen erklären. Dieses Dilemma verstärkte sich noch, als die Bush-Regierung vehement in die europäische Politik eingriff, ihre Verbündeten organisierte und ihre Widersacher isolierte.
Die Auswirkungen des Irakkriegs auf die europäische Politik waren weitaus tiefgreifender, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die wirtschaftliche und politische Einigung Europas über lange Zeit in hohem Maße ein amerikanisches Projekt, das darauf abzielte, ein starkes Bollwerk im Kalten Krieg zu schaffen. Unter diesen Bedingungen war der europäische Einigungsprozess auch mit einer Politik des sozialen Ausgleichs verbunden. Die schärfsten sozialen und regionalen Gegensätze wurden durch Struktur- und Regionalfonds ausgeglichen.
Das Ende der Sowjetunion und die seither wachsenden transatlantischen Spannungen, die im Irakkrieg einen vorläufigen Höhepunkt erreichten, veränderten die europäische Situation grundlegend. Unter dem zunehmenden Druck der USA brechen die alten ungelösten Konflikte und Rivalitäten zwischen den europäischen Großmächten wieder auf, während gleichzeitig auch die sozialen Spannungen zunehmen.
Auf der ersten Station seiner Reise sprach Schröder in Chicago vor Wirtschaftsvertretern und warnte vor einer weiteren Verschärfung von Handels- und Währungskonflikten. Nur einen Tag später traten europäische Wirtschaftssanktionen in Kraft, die Monat für Monat verschärft werden sollen, falls die amerikanische Regierung weltweit geächtete Steuerpraktiken ihrer international tätigen Unternehmen nicht verbietet und unterbindet. Vieles deutet aber darauf hin, dass sich die Bush-Administration auch in Wirtschaftsfragen aus der internationalen Zusammenarbeit verabschiedet und mehr und mehr protektionistische Maßnahmen ergreift.
Auf diesen wachsenden wirtschaftlichen und politischen Druck reagieren alle europäischen Regierungen mit drastischen Angriffen auf die sozialen und demokratischen Rechte der Bevölkerung. Das ist auch das Programm der Bundesregierung und ihrer Agenda 2010.
Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis für Schröders Bückling im Weißen Haus.
Es ist nicht möglich die Außenpolitik von der Innenpolitik zu trennen. Schon im vergangen Jahr war Schröder sehr bemüht, sich nicht zu eng mit der mächtigen Antikriegsbewegung und ihren Massendemonstrationen zu identifizieren. Seitdem hat die Bundesregierung, wie auch viele andere europäische Regierungen, der eigenen Bevölkerung regelrecht den Krieg erklärt. In allen sozialen Bereichen der Gesellschaft werden Kürzungen durchgesetzt, wie es sie seit den dreißiger Jahren nicht mehr gegeben hat, während gleichzeitig Großunternehmen und Reiche durch immer neue Steuervergünstigungen bereichert werden.
Unter diesen Bedingungen gewinnen auch in der europäischen Politik die reaktionärsten und korruptesten Elemente politischen Einfluss. Dort wo die Sozialdemokraten noch an der Macht sind, ebnen sie diesen Kräften den Weg und arbeiten, wo immer sie können, mit ihnen zusammen. Das ist Schröders Botschaft aus der amerikanischen Hauptstadt.
Nichts wäre törichter als die Annahme, Schröders Handschlag im Oval Office bedeute eine Rückkehr zur transatlantischen Stabilität. Vielmehr wird seine Unterstützung die Bush-Regierung stärken und zu neuen unerwarteten Attacken ermutigen. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass der Stiefellecker mit einem kräftigen Tritt bedankt wird.