Am 22. Juli ist in einem der spektakulärsten Wirtschaftsstrafprozesse der Bundesrepublik Deutschland vom Landgericht Düsseldorf das Urteil gesprochen worden.
Wegen "gemeinschaftlicher Untreue in einem besonders schweren Fall" oder der Beihilfe dazu waren angeklagt: der frühere Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG, Klaus Esser, der frühere Aufsichtsratsvorsitzende, Joachim Funk, und die früheren Aufsichtsratsmitglieder Josef Ackermann (Vorstandssprecher der Deutschen Bank) und Klaus Zwickel (damals IG-Metall-Vorsitzender). Weiterhin angeklagt waren der frühere Personalvorstand, Dietmar Droste, und der Ex-Konzernbetriebsratsvorsitzende Jürgen Ladberg, der ebenfalls dem Aufsichtsrat angehörte.
Die Anklage gründete sich darauf, dass der Aufsichtsrat von Mannesmann dem Vorstand des Unternehmens Abfindungen in Höhe von 57 Millionen Euro zugebilligt hatte, als feststand, dass die Firma vom britischen Konzern Vodafone geschluckt würde. Allein Esser erhielt fast 30 Millionen Euro. Da er dem Aufsichtsrat nicht angehört hatte, war er nur wegen Beihilfe angeklagt. Eine weitergehende Anklage gegen ihn wegen dem Vorwurf, er habe sich die Zustimmung zur Übernahme abkaufen lassen, hatte das Gericht nicht zugelassen.
Das Urteil kam, nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts im März, nicht mehr überraschend: Alle Angeklagten wurden in allen Punkten freigesprochen. Zwar habe ein eindeutiger Verstoß gegen das Aktienrecht vorgelegen, dieser sei jedoch nicht strafrechtlich zu ahnden. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt.
Aus Medien und Politik kam Lob für das Urteil, weil das Gericht sich gegenüber den Wirtschaftsbossen gebärdet hatte wie ein Pfaffe: Bloße Moralpredigt statt Strafurteil. "Der eigentliche Wert dieses Prozesses liegt denn auch nicht im Urteil, sondern in den Bemerkungen dazu," stand auf der Website des WDR zu lesen. "Sie zeigten, dass der Rechtsstaat zwar nicht in das Selbstbestimmungsrecht der Unternehmen eingreift, aber dennoch Maßhalten anmahnt."
Eine Verurteilung der Spitzenmanager wäre als Schaden für den "Wirtschaftsstandort Deutschland" gewertet worden, sind doch derartige Bereicherungsorgien in den Chefetagen seit den neunziger Jahren international üblich. Ein kommentarloser Freispruch hätte dagegen ebenfalls als unpassend gegolten, da die Empörung über die Explosion der Spitzengehälter in der von Sozial- und Lohnabbau geplagten Bevölkerung wächst.
Allein die Vergütungen Ackermanns als Chef der Deutschen Bank haben sich vom 36-fachen eines Durchschnittsgehalts 1995 auf das 286-fache im Jahr 2000 erhöht. "Die Diskussion über die steigenden Manager-Gehälter würde sicherlich nicht so vehement geführt werden, wenn nicht gleichzeitig der Abbau der Sozialstaats auf der Agenda stünde," meinte die Süddeutsche Zeitung.
Dieselbe Zeitung schrieb: "Die Richterin hat ein moralisches Urteil über das Verhalten der Angeklagten gesprochen, das an Deutlichkeit wenig vermissen lässt. Der Prozess wird das Verhalten in den Chefetagen deutscher Konzerne verändern."
Jeder der freigesprochen worden sei, "sollte sich über seinen Beitrag für die Glaubwürdigkeit des Unternehmertums in Deutschland seine Gedanken machen", äußerte sich NRW-Arbeitsminister Harald Schartau.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht die "ethische Frage nach Leistung und angemessener Bezahlung ins Scheinwerferlicht gerückt". Für alle Aufsichtsratsmitglieder könne der Prozess "zur Leitschnur für künftiges Handeln werden", sagte DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel.
Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz begrüßte in einer Erklärung die Freisprüche. "Das Strafrecht, insbesondere der Untreue-Tatbestand, war von Anfang an ungeeignet, unternehmensinterne Vorgänge zu bewerten", so Merz. Die Höhe der Abfindungen halte jedoch auch er für "kritikwürdig".
Ganz anders interpretierten die Spitzenmanager das Urteil. "Das Gericht hat erklärt, dass die Vorwürfe gegen mich falsch sind", erklärte Esser, und Ackermann brachte es mit seiner schon gewohnten, selbstgefälligen Art auf den Punkt: "Ein Freispruch ist ein Freispruch". Das Kapital sah es offenbar genauso: Die Aktienkurse der Deutschen Bank stiegen nach der Urteilsverkündung an.
Ackermann wird wohl bis auf weiteres seinen Posten, Esser sein Geld behalten können. Denn auch zivilrechtlich haben die Freigesprochenen nichts zu befürchten. Klagen könnten die Firma Mannesmann oder ihre Aktionäre. Sie könnten Schadenersatz verlangen, weil die hohen Manager-Abfindungen das Firmenvermögen verkleinert und ihnen so etwas weggenommen haben.
Faktisch wird dies aber niemand tun: Der Mannesmann-Rechtsnachfolger Vodafone und seine Großaktionäre hatten dem Deal seinerzeit zugestimmt. Vodafone hat Mannesmann in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt, die ihm nach einem Zwangsausschluss (Squeeze-out) verbliebener Minderheitsaktionäre alleine gehört. Etwaige Altaktionäre der Mannesmann AG könnten keine Forderungen anmelden. "Sie würden nicht das nötige Quorum erreichen, um auf Rückzahlung zugunsten der Gesellschaft zu klagen", sagte der Mainzer Juraprofessor Peter Mülbert.
Justizministerin Brigitte Zypries kündigte als Reaktion auf das Urteil an, Unternehmen gesetzlich zur Offenlegung der Managergehälter zwingen zu wollen.
Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion Rainer Brüderle forderte, den Einfluss von Banken und Gewerkschaften in Aufsichtsräten zu beschränken. Banken gerieten in Interessenskonflikte, wenn sie zugleich als Großaktionär und Kreditgeber auftreten würden. "Die so genannte Deutschland AG muss endlich ins Zeitalter der Globalisierung geführt werden. Dazu brauchen wir kleinere Aufsichtsräte, weniger Gewerkschaftseinfluss und weniger Bankenmacht", forderte der FDP-Politiker.
Niemand argumentiert für ein Ende des Sozialabbaus und eine stärkere Heranziehung der Reichen und Unternehmer, der "fat cats", im Gegenteil. Die Frankfurter Rundschau schloss dies ausdrücklich aus: "Eine Möglichkeit bestünde darin, mit einer progressiven Steuer einen Großteil der hohen Einkommen abzuschöpfen. Diese theoretisch bestechende Lösung krankt allerdings an der Umsetzbarkeit in die Praxis. Denn derzeit findet bei den Spitzensteuersätzen weltweit ein Wettlauf nach unten statt. Außerdem dürfte es genug Umgehungs- und Ausweichmöglichkeiten geben."
Die Financial Times Deutschland hofft, dass "es sich künftig die Mitglieder der Vergütungsausschüsse deutscher Aufsichtsräte genauer überlegen, ehe sie so mit dem Geld anderer Leute um sich werfen wie Ackermann und Klaus Zwickel im Frühjahr 2000 am Düsseldorfer Mannesmann-Ufer." Damit gemeint sind nicht die Einkommen der Tausenden Beschäftigten von Mannesmann, die bei der Übernahme ihren Arbeitsplatz verloren haben, oder der Steuerzahler, die durch anschließende Abschreibungen von Vodafone um 20 Milliarden Euro geprellt wurden, sondern der Aktionäre.
Es ist allerdings zweifelhaft, ob sich diese Hoffnung erfüllt. Der Fall Mannesmann ist nur die Spitze eines Eisberges und Ausdruck einer längeren Entwicklung. Die Globalisierung von Wirtschaft und Finanzmärkten hat dem deutschen Modell von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft den Boden entzogen. Spitzenmanager fühlen sich nicht einem vagen "Gesamtinteresse" des Unternehmens verpflichtet, sondern dem shareholder value.
Esser wies während des Prozesses zum einen darauf hin, dass mittlerweile Dutzende Spitzenmanager in Deutschland ähnlich hohe Abfindungen wie er kassiert hätten oder dies nach ihren Verträgen tun können, und dass er schließlich "Werte geschaffen" habe - tatsächlich war die Mannesmann-Aktie während seiner Amtszeit um 120 Prozent gestiegen. Ackermann verstieg sich daher sogar zu der Behauptung, auch eine Milliarde Abfindung für Esser wäre "angemessen" gewesen.