Am 21. Januar 2004 hat der spektakulärste Wirtschaftsstrafprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte begonnen. Vor der 14. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf muss sich die Crème de la crème der deutschen Wirtschafts- und Gewerkschaftselite wegen "gemeinschaftlicher Untreue in einem besonders schweren Fall" oder der Beihilfe dazu verantworten.
Vor Gericht stehen der frühere Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG, Klaus Esser, der frühere Aufsichtsratsvorsitzende, Joachim Funk, und die früheren Aufsichtsratsmitglieder Josef Ackermann (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank) und Klaus Zwickel (damals IG-Metall-Vorsitzender). Weiterhin angeklagt sind der frühere Personalvorstand, Dietmar Droste, und der Ex-Konzernbetriebsratsvorsitzende Jürgen Ladberg, der ebenfalls dem Aufsichtsrat angehörte.
Im Februar 2000 hatten sie dafür gesorgt, dass mit einem Schlag 57 Millionen Euro in Form von vorzeitig ausgezahlten Pensionsansprüchen und Anerkennungsprämien an amtierende und frühere Vorstandsmitglieder von Mannesmann ausgezahlt wurden, von denen Esser allein fast 30 Millionen Euro erhielt. Das sind die höchsten Zahlungen, die deutsche Manager je erhalten haben.
Die Staatsanwaltschaft erhebt den Vorwurf, dass Esser die Übernahme durch Vodafone bewusst nicht verhindert hat, um sich letztlich auf Kosten des Unternehmens persönlich zu bereichern. Ursprünglich, bei Klageerhebung im Jahre 2000, sprach sie sogar von "Bestechlichkeit" und "Käuflichkeit" - Vorwürfe, die inzwischen nach einem Gerichtsbeschluss aus der Klageschrift gestrichen werden mussten.
Was passierte?
Im November 1999 hatte der Chef des britischen Mobilfunkunternehmens Vodafone Airtouch, Chris Gent, dem Mannesmann-Vorstand ein Übernahmeangebot unterbreitet. Das seit 1890 bestehende deutsche Traditionsunternehmen der stahl- und eisenverarbeitenden Industrie orientierte sich seit den späten 80er Jahren zunehmend auf den Mobilfunk und konnte durch eine Reihe von Akquisitionen bis Ende der 90er Jahre zu einem der größten Telekommunikationsunternehmen der Welt ausgebaut werden. Im Zusammenhang mit weiteren Unternehmenszukäufen auch in Großbritannien sah sich die ebenfalls rasant wachsende Vodafone Airtouch provoziert und wollte die bedrohliche Konkurrenz durch eine Übernahme beenden.
Am 18. November erteilte der damalige Vorstandsvorsitzende von Mannesmann, Klaus Esser, Gents Angebot eine Absage. In den Führungsetagen von Mannesmann wurde das sogenannte "Projekt Friedland" aus den 80er Jahren wiederbelebt, als es eine Übernahme durch die Thyssen AG abzuwehren galt.
Bestandteil davon war eine massive Werbekampagne, in deren Verlauf allein Mannesmann über 200 Millionen Euro aufwandte und den Börsenwert des Unternehmens und damit den potentiellen Übernahmepreis binnen kurzer Zeit um über 70 Milliarden Euro nach oben katapultieren konnte.
Nach gescheiterten Fusionsversuchen mit dem französischen Telekommunikationsanbieter Vivendi und AOL Time Warner Europe im Januar verkündeten Esser und Gent am 3. Februar 2000 die "freundliche Übernahme" von Mannesmann durch Vodafone.
Der Staatsanwaltschaft verdächtigt Esser jedoch, den Preis der Übernahme vor allem deshalb in die Höhe getrieben zu haben, um gemeinsam mit einem der wichtigsten Aktionäre von Mannesmann, der in Hong Kong ansässigen Firma Hutchinson Whampoa und deren Eigentümer Li Ka Shing, persönlichen Vorteil zu erlangen, und nicht, um die Interessen des Unternehmens durch die Verhinderung der Übernahme zu wahren.
Hutchinson Whampoa hatte an einer Übernahme Mannesmanns starkes Interesse. Sein Aktienbesitz an Mannesmann erfuhr während der Kampagne einen Wertzuwachs von über 5 Milliarden Euro. Aufgrund einer Sperrklausel hätte Whampoa die Anteile allerdings erst etwa ein Jahr später verkaufen dürfen und musste somit befürchten, den Verkauf auf dem bis März 2000 allgemein extrem hohen Kursniveau zu verpassen. Eine Möglichkeit, die Anteile zu veräußern und den Gewinn zu realisieren, bestand in der Auflösung des Konzerns durch eine Übernahme.
Bekannt ist in diesem Zusammenhang, dass der Vertreter von Whampoa, Canning Fok, sich Ende Januar/Anfang Februar 2000 in Düsseldorf aufhielt und die Verhandlungen zwischen Esser und Vodafone-Chef Gent aufs engste verfolgte. Dabei unterbreitete Fok Esser das Angebot, ihm 10 Millionen Pfund Sterling als Anerkennungsprämie für die Zustimmung zu der Fusion zukommen zu lassen.
Vor Gericht müssen sich deshalb vor allem diejenigen damaligen Aufsichtsratsmitglieder verantworten (Funk, Ackermann, Zwickel und Ladberg), die als Mitglieder des zuständigen Ausschusses die Zahlungen an Esser und andere beschlossen haben. Ihnen wird Untreue vorgeworfen, weil sie bei dieser Entscheidung nicht die gesetzlich vorgeschriebene "Angemessenheit" dieser Zahlungen geprüft haben. Esser wird der Beihilfe zur Untreue angeklagt, weil er den Vorschlag für diese Zahlungen in den Aufsichtsrat eingebracht hatte.
Die Mehrheit der juristischen Kommentatoren geht allerdings davon aus, dass die Angeklagten mit einem Freispruch rechnen können, weil der Straftatbestand der Untreue juristisch nicht klar definiert ist. Voraussetzung für Untreue wäre der Nachweis eines "Vorsatzes", die Kontrolle über fremdes Vermögen zu missbrauchen, den Eigentümer also "bewusst" zu schädigen.
Wie das Gericht diese und andere Fakten im Laufe des auf mehrere Monate angelegten Prozesses bewerten wird, bleibt abzuwarten. Vom Mannesmann-Konzern ist jedenfalls nichts mehr übrig. Er wurde zerschlagen und verkauft, und über die vormals über 115.000 Arbeitsplätze spricht heute niemand mehr.
Die Bedeutung des Prozesses
Die Bedeutung dieses Strafprozesses geht weit über die zur Debatte stehenden juristischen Fragen hinaus. Die Tatsache, dass die wichtigste Repräsentanten der deutschen Wirtschaftselite wegen der Zahlung horrender Millionenabfindungen vor Gericht gestellt werden, spiegelt eine tiefe Besorgnis in Teilen des herrschenden Establishments wider.
Sie fürchten, dass die soziale Empörung außer Kontrolle gerät, wenn führende Wirtschaftsvertreter bei der Einführung amerikanischer Verhältnisse in Deutschland ebenso arrogant und protzerhaft auftreten, wie dies jenseits des Atlantiks üblich ist, und offen Millionen in ihre eigenen Taschen stecken.
Gerade nach dem Zusammenbruch der Börsenblase wird das zunehmend als inopportun angesehen. Konnten die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die permanenten Lohnsenkungen bis vor drei Jahren noch mit rasant steigenden Börsenkursen und der Schaffung einer Aktienkultur als Ausgleich gerechtfertigt werden, so werden die seither immer weiter von der Realität der einfachen Bevölkerung abgekoppelten Managerbezüge zunehmend als blanke Provokation empfunden. Allein im letzten Jahr stiegen diese im Schnitt um über 14 Prozent.
Die wachsende Ablehnung und Feindschaft gegen die drastischen Kürzungen in praktisch allen sozialen Bereichen droht sich an derartigen "Exzessen" zu entzünden.
Es gibt allerdings auch Verfechter eines aggressiven Radikal-Kapitalismus à la USA, die solchen Stimmungen nicht nachgeben wollen. So verteidigte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel Esser und Ackermann und bezeichneten den Strafprozess als einen "Schlag gegen den Wirtschaftsstandort Deutschland". DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp sekundierte: "Wenn Staatsanwälte und Strafgerichte künftig über Vorstandsbezüge zu entscheiden haben, hätten wir Zustände wie in der Planwirtschaft."
Ackermann fordert: "Deutschland, wache auf!" und erklärt, dass derartige Bezüge international der Norm entsprechen. Und Esser beteuert allenthalben, dass er mit der Verzwanzigfachung des Aktienkurses während seiner Amtszeit "Werte geschaffen" habe, verschweigt aber, dass der Kurs nach der Übernahme mit noch größerer Geschwindigkeit wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehrte und es damit mindestens ebenso viele Verlierer wie Gewinner unter den Aktionären gibt.
Die Zeit brachte die Gegenargumentation auf den Punkt: "Das Düsseldorfer Verfahren eröffnet endlich die überfällige Diskussion darüber, wie Markt und Moral wiedervereint werden können. Warum haben so viele Chefs vergessen, dass Verdienst von Dienen kommt und nicht von Selbstbedienung?"
Die Zeit spricht die Besorgnis darüber aus, dass diese kriminellen Machenschaften als Symptome eines kriminellen Systems identifiziert werden: "Es ist diese Maßlosigkeit der Manager, die das Vertrauen in den Kapitalismus zerstört hat." Sie fordert, die "Justiz als Standortvorteil" zu sehen. Konzernführer müssten sich "wieder zu ihrer Verantwortung für die gesellschaftliche Rolle eines Unternehmens bekennen - und nicht bloß die Verantwortung für den eigenen Geldbeutel sehen".
Zum Lackmustest wurde gleich zu Prozessbeginn das Gebaren von Josef Ackermann und Klaus Esser. Ackermann betrat den Gerichtssaal mit einem überlegenen Lächeln und dem Victory-Zeichen und sprach in die Mikrophone der Journalisten den verhängnisvollen Satz: "Deutschland ist das einzige Land, wo diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen". Esser warf den Anklägern "üble Nachrede", "Irreführung" und "Aufheizung" vor und sah nichts Verwerfliches an den hohen Prämien. In einer "funktionierenden Marktwirtschaft" müsse man den Handelnden "eine Entlohnung ihrer Arbeit entsprechend Leistung, Erfolg und Markt gestatten".
Damit lösten sie eine Welle der Empörung aus und trieben die Diskussion auf die Spitze. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle sagte: "Arrogantes oder überhebliches Auftreten schadet nicht nur den Beteiligten selbst, sondern auch dem Ansehen unseres Rechtsstaates." Nach den hohen Abfindungszahlungen sollten die Prozessbeteiligten wenigstens vor Gericht mehr Fingerspitzengefühl zeigen, ein funktionierender Rechtsstaat sei ein Standortvorteil.
Der nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Harald Schartau sagte, der "wesentliche Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Bananenrepublik" sei die Unabhängigkeit der Justiz, und Ex-SPD-Generalsekretär Olaf Scholz bezeichnete die Äußerung Ackermanns als zynisch. Die arbeitenden Menschen würden "vom Auftritt der Manager in Düsseldorf verhöhnt". CDU-Präsidiumsmitglied und Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels der CDU Hermann-Josef Arentz sagte: "Nicht die Tatsache, dass die Herren vor Gericht stehen, schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern ihre Raffgier." Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Ackermanns Auftritt als "Arroganz der Macht".
Diese Debatte kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik, die diese Exzesse möglich gemacht hat, fortgesetzt wird, und zwar im Einvernehmen beider Seiten. Die Hoffnung der Beteiligten sind allerdings vergebens - die von ihnen zur Schau getragenen Sorgenfalten werden kaum noch ernst genommen.