Nach drei Jahren im Amt ist in Österreich die Koalitionsregierung aus konservativer Volkspartei (ÖVP) und rechten Freiheitlichen (FPÖ) gescheitert. Im November finden vorgezogene Neuwahlen statt. Die bisherige Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) bleibt bis zu diesem Zeitpunkt im Amt.
Verantwortlich für das abrupte Ende der Wiener Regierung ist der langjährige FPÖ-Führer Jörg Haider. Der Kärtner Landeshauptmann, der selbst kein offizielles Parteiamt ausübt und der Bundesregierung nicht angehört, hat durch eine Reihe gezielter Provokation und eine Art Palastputsch mehrere Minister der eigenen Partei in den Rücktritt getrieben - Vizekanzlerin und FPÖ-Parteichefin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Verkehrsminister Mathias Reichhold und Fraktionschef Peter Westenthaler legten letzte Woche ihre Ämter nieder.
Haiders Putsch gegen die eigenen Minister wird in vielen Kommentaren als Amoklauf eines unberechenbaren Egomanen dargestellt, der aus Selbstüberheblichkeit das eigene Lebenswerk zerstört. Doch eine solche Interpretation unterschätzt den Kärntner Politiker, der gezielt daran arbeitet, das gesamte politische Spektrum weiter nach rechts zu treiben, und dabei auch bereit ist, über die politischen Leichen seiner engsten Mitarbeiter zu gehen.
Haiders Ziel ist es, die Osterweiterung der Europäischen Union zu torpedieren, um die privilegierte Stellung Österreichs gegenüber seinen östlichen Nachbarn zu erhalten. Er arbeitet dabei eng mit anderen europäischen Rechtsextremen zusammen. Im Endeffekt läuft sein Projekt auf eine Balkanisierung Europas nach jugoslawischem Vorbild hinaus.
Bereits im Januar hatte Haider mit der Drohung, den EU-Beitritt Tschechiens durch ein Veto zu boykottieren, eine heftige Regierungskrise ausgelöst. Dann setzte er ein Volksbegehren "Veto gegen Temelin" in Gang. Darin wurde die Stillegung des Atomkraftwerks im tschechischen Temelin zur Bedingung für den EU-Beitritt Tschechiens gemacht. Haider nutzte die weitverbreiteten Ängste vor dem grenznahen Atommeiler, um Stimmung gegen die EU-Osterweiterung zu machen, die ein Kernstück des von der eigenen Partei unterzeichneten Koalitionsvertrags bildet.
Die Zustimmung zu diesem "Anti-Temelin-Volksbegehren" war außergewöhnlich groß, obwohl sich sowohl die regierende Volkspartei wie die oppositionellen Sozialdemokraten und Grünen dagegen ausgesprochen hatten. Statt der notwendigen Einhunderttausend gaben knapp eine Million Wahlberechtigte ihre Unterschrift.
Gestärkt suchte Haider nun nach einem neuen Thema, um die Regierung vor sich her zu treiben.
Als im August das Hochwasser große Landstriche in Österreich überflutete und viele Unternehmen, Bauern und Gewerbetreibende ruinierte, beschloss die österreichische Regierung - ähnlich wie die deutsche - eine geplante Steuersenkung zu verschieben und so Gelder für die Flutopfer bereitzustellen.
Haider nahm sofort und entschieden dagegen Stellung: Die Steuersenkung sei beschlossene Sache, es könne nicht länger hingenommen werden, dass die Regierung ihre Wahlversprechen rückgängig mache. Als die FPÖ-Regierungsmitglieder seiner Forderung nicht nachkamen, drohte Haider mit der Einberufung eines Sonderparteitags.
Als die FPÖ-Minister auch dieser Drohung nicht nachgaben, trommelte Haider eine (in den Parteistatuten gar nicht vorgesehene) "außerordentliche Delegiertenversammlung" zusammen. Diese verpflichtete die Regierungsmitglieder, sich bei allen Entscheidungen an der Parteimeinung zu orientieren, und setzte den Haider-Intimus Ewald Stadler als "Aufpasser" der Partei gegen die Regierungsmitglieder ein.
Stadler gehört zum rechten, völkischen Flügel der FPÖ. Er war erst wenige Wochen zuvor in die Schlagzeilen geraten, als er auf einer sogenannten"Sonnwendfeier" der Partei die Verbrechen des Naziregimes relativierte und behauptete, es sei eine offene Frage welches Regime schlimmer gewesen sei, die Nazis oder die Alliierten.
Unmittelbar nach dem Beschluss der Delegiertenversammlung trat die Parteivorsitzende Riess-Passer zurück und am nächsten Tag legten die FPÖ-Minister ihre Ämter nieder. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der bis zuletzt versucht hatte, eine solche Entwicklung zu verhindern, blieb nichts anderes übrig, als das Scheitern seiner rechts-konservativen Regierung bekannt zu geben.
Seitdem nimmt der Streit in der FPÖ immer heftigere Formen an. Die ehemaligen Regierungsmitglieder werfen Haider vor, mutwillig und ohne jede Not eine erfolgreiche Regierungsarbeit sabotiert und zerstört zu haben, während Haider versucht, die rechtesten Kräfte der Partei für eine politische Offensive zu sammeln.
Es ist nicht zum ersten Mal, dass Haider seine politischen Ziele mit hohem Risiko und ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt.
Schon im September 1986, als er gestützt auf seine Hausmacht in Kärnten den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Norbert Steger stürzte und die Führung der Partei an sich riss, nahm er das Ende einer österreichischen Bundesregierung in Kauf. Die FPÖ saß damals als Juniorpartner der sozialdemokratischen SPÖ in der Regierung und Kanzler Franz Vranitzky kündigte wegen Haiders Rechtslastigkeit die Zusammenarbeit auf. In den darauffolgenden Wahlen konnte die FPÖ ihren Stimmenanteil dann von 4,9 auf fast 10 Prozent verdoppeln.
In den folgenden Jahren trimmte Haider die Partei, die vorher eine der deutschen FDP vergleichbare liberale Linie verfolgte, auf einen nationalistischen, ausländerfeindlichen Kurs.
Im Sommer 1991 löste er mit einem Lob auf die "ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" heftige Proteste aus und musste als Landeshauptmann von Kärnten zurücktreten. Drei Jahre später, bei den Nationalratswahlen im Herbst 1994, stieg der Stimmenanteil der FPÖ auf 22,6 Prozent. Und weitere fünf Jahre später, im Oktober 1999, überrundete die FPÖ zum ersten Mal die ÖVP und wurde mit 26,9 Prozent zweitstärkste Partei, direkt hinter den Sozialdemokraten, die mit 33,1 Prozent ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis erzielten.
Nun zog die FPÖ in die Regierung ein. Den Kanzler stellte allerdings die ÖVP, obwohl sie weniger Stimmen als die FPÖ erhalten hatte. Haider selbst übernahm kein Ministeramt und zog sich auf sein 1999 zurückgewonnenes Amt als Kärntner Landeshauptmann zurück. Später trat er auch den Parteivorsitz an seine engste Getreue, Susanne Riess-Passer, ab.
Viele werteten das damals als Zugeständnis an den starken politischen und diplomatischen Druck, den mehrere EU-Länder gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ ausübten. In Wirklichkeit fuhr Haider eine Doppelstrategie. Er wollte nicht in der Opposition bleiben, weil die FPÖ dann den Zenit ihrer Wahlerfolge bald überschritten hätte. Er wollte sich aber auch nicht als Juniorpartner der Richtlinienkompetenz des ÖVP-Kanzlers unterordnen. Er wollte eine Regierungsbeteiligung aber keine Unterordnung unter die Regierungspolitik.
Deshalb schickte er seine Leute in die Regierung und betrieb gleichzeitig aus Kärnten weiterhin Opposition. Vor allem in der Europa-Frage ging er auf Konfrontationskurs zur Regierung und griff die "Brüssler Bürokratie" mit immer schärferen Worten an.
Haiders Rechung ist bisher vor allem dank der Sozialdemokraten immer wieder aufgegangen. Deren rechte, gegen die eigenen Anhänger gerichtete Politik hat ihm enttäuschte und verzweifelte Wählerschichten zugetrieben, die er mit seiner rechtspopulistischen Demagogie ködern konnte.
Es ist zu vermuten, dass er auch jetzt einen möglichen sozialdemokratischen Wahlsieg bewusst in Kauf nimmt und lediglich als vorübergehenden Rückschlag betrachtet. Denn unter den gegebenen Bedingungen würde eine von der SPÖ geführte Regierung - wie in vielen anderen Ländern Europas - die soziale Krise und den Abbau demokratischer Recht noch weiter verschärfen. In der Opposition könnte Haider die ÖVP, die jahrelang mit der SPÖ eine Koalition gebildet hat, aus dem Rennen schlagen und die Meinungsführerschaft im bürgerlichen Lager übernehmen. Sein Ziel bleibt es, als Regierungschef im Wiener Kanzleramt einzuziehen.
Haider spürt Rückenwind aus anderen europäischen Ländern. Von den einst 13 sozialdemokratischen Regierungen sind nur noch fünf übrig. Die anderen wurden von konservativen Regierungen abgelöst, die nicht selten mit extrem rechten Parteien paktieren. Deren politische Macht steht in der Regel in keinem Verhältnis zu ihrem tatsächlichen gesellschaftlichen Einfluss. Sie stützen sich nicht auf rechte Massenbewegungen, sondern nutzen das politische Vakuum, das die Sozialdemokratie hinterlassen hat.
Haider strebt mittlerweile den Aufbau einer "Europäischen Rechts-Koalition" an. Anfang August traf er sich mit Filip Dewinter, dem Chefideologen des belgischen Vlaams Blok, zu ausgedehnten Gesprächen über eine engere europäische Zusammenarbeit der Rechtsparteien. Dabei wurde gegenseitige Wahlunterstützung und gemeinsame Wahlveranstaltungen vereinbart. An den Unterredungen im Nobelhotel Seefels am Wörthersee nahmen auch Mario Borghezio, Ideologe der norditalienischen Lega-Nord, Vertreter der umstrittenen Dansk Folkeparti von Pia Kjaersgaard aus Kopenhagen sowie Abgesandte der portugisischen Partido Popular und des rechten Flügels der spanischen Volkspartei teil.
Vor knapp drei Jahren lehnten die meisten europäischen Regierungen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ab und drohten mit Sanktionen. Heute arbeitet Haider mit anderen europäischen Rechtsparteien zusammen, die teilweise Regierungsverantwortung tragen. Deutlicher könnte man die tiefgreifenden Veränderungen in Europa kaum charakterisieren. Die sozialdemokratischen Regierungen haben mit ihrer unsozialen Politik den reaktionärsten politischen Kräften den Weg geebnet.