In Italien regt sich Widerstand gegen die Regierung Berlusconi. Rund neun Monate, nachdem der Medienmagnat im Bündnis mit Neofaschisten und Separatisten in Rom die Amtsgeschäfte übernommen hat, stehen die Zeichen auf Sturm.
Am vergangenen Samstag hatte die Kulturzeitschrift Micromega in Mailand zu einer Kundgebung unter dem Motto "Tag der Legalität" aufgerufen. Sie richtete sich gegen die schleichende Unterhöhlung des Rechtsstaats und das Abgleiten des Landes in die "organisierte Illegalität" - wie die Organisatoren erklärten. Hauptredner war Antonio di Pietro, der ehemalige Staatsanwalt, der auf den Tag genau zehn Jahre zuvor mit der Verhaftung eines Mailänder Geschäftsmanns die Kampagne Mani pulite (saubere Hände) in Gang gesetzt hatte, die zum Untergang der alten Parteien führte.
Die Organisatoren hatten 4.000 Teilnehmer erwartet, es kamen 40.000. Die Redner wandten sich nicht nur gegen die Regierung - sie wurde als "Regierung des organisierten Verbrechens" bezeichnet - sondern auch gegen die parlamentarische Opposition, der sie völlige Untätigkeit und Unfähigkeit vorwarfen.
Anwesend waren zahlreiche bekannte Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft, so die Filmregisseure Roberto Benigni und Nanni Moretti sowie die Schriftsteller Antonio Tabucchi und Dacia Maraini. Der Literaturnobelpreisträger und Schauspieler Dario Fo riss das Publikum mit Parodien auf den Größenwahn Berlusconis zu Begeisterungsstürmen hin.
Durch Abwesenheit glänzten dagegen die Vertreter des Ulivo, des sogenannten Olivenbaums, einem Oppositionsbündnis unter Führung der Linksdemokraten, der ehemaligen Kommunistischen Partei. Selbst die konservative Neue Zürcher Zeitung musste feststellen: "Die Abwesenheit des politischen Establishments unterstreicht die Kluft, die sich seit dem Wahlsieg Berlusconis im Mai letzten Jahres im Ulivo zwischen der Hierarchie und der Basis ständig weiter öffnet."
Die Bewegung, die am vergangenen Wochenende in Mailand ihren vorläufigen Höhepunkt fand, hatte im Januar mit einer Demonstration in Florenz begonnen, zu der einige wenige Intellektuelle mit einem Flugblatt aufgerufen hatten und zu der dann mehrere tausend Teilnehmer kamen. Seither hat sie sich über das ganze Land verbreitet. Es sind überall Komitees entstanden, die Demonstrationen und Diskussionsveranstaltungen abhalten. Verbunden werden sie durch das gemeinsame Ziel, dem selbstherrlichen Auftreten der Berlusconi-Regierung, ihrer Knebelung der Justiz und ihrer Gleichschaltung des Fernsehens entgegenzutreten.
Wortführer sind zwei Professoren aus Florenz, der Architekt Francesco Pardi, in seiner Jugend Mitglied einer maoistischen Gruppierung und seit 30 Jahren politisch inaktiv, und der englischstämmige Historiker Paul Ginsborg, Verfasser eines Standardwerks über die italienische Nachkriegsgeschichte. Ihre Aufrufe richteten sich von Anfang an auch gegen die Linksdemokraten, denen sie Zusammenarbeit und Kungeleien mit Berlusconi und Passivität vorwerfen. Die Bewegung erhielt einen mächtigen Auftrieb, als der Filmregisseur Nanni Moretti Mitte Februar auf einer Großkundgebung der Linksdemokraten in Rom das Wort ergriff und ihnen in einer kurzen, flammenden Rede die Leviten las. Sein Beitrag gipfelte in den Worten: "Mit diesen führenden Leuten werden wir niemals gewinnen."
Auf einer Versammlung in Florenz am letzten Montag, bei der Pardi und Ginsborg gemeinsam mit dem Führer der Linksdemokraten, Ex-Regierungschef Massimo D'Alema, vor einem studentischen Publikum auftraten, wurden erstere bejubelt und letzterer mit Pfiffen empfangen.
Die Intellektuellen, die an der Spitze der neuen Protestbewegung stehen, haben allerdings selbst keine ausgearbeitete Konzeption, wie Berlusconi gestoppt werden kann. Sie fordern die Einstellung jeder Zusammenarbeit und eine konsequente Obstruktionspolitik. Auch für Aktionen zivilen Ungehorsams treten sie ein. Gleichzeitig ist unverkennbar, dass sie auf eine Kehrtwende des Ulivo hoffen, wenn dieser von der Strasse unter Druck gesetzt wird.
Ginsborg hatte seine Rede in Mailand mit einem dreifachen Aufruf zur Einheit der Linken beendet: "Unitá, unitá, unitá" - was bezeichnenderweise auch der Name der linksdemokratischen Parteizeitung ist. Für den heutigen Samstag haben sie gemeinsam mit dem Mitte-Links-Bündnis zu einer Anti-Berlusconi-Demonstration in Rom eingeladen.
Eine solche Orientierung birgt die Gefahr, dass eine breitere Protestbewegung wieder unter den Einfluss jener Parteien gerät, die Berlusconi in den fünf Jahren, in denen sie selbst an der Regierung waren, durch ihre rechte Politik den Weg an die Macht geebnet haben.
Es gibt bereits deutliche Anzeichen, dass eine Bewegung, die große Teile der arbeitenden Bevölkerung umfasst, im Entstehen begriffen ist. So haben in den letzten Wochen Arbeiter und Angestellte in vielen kleinen Kundgebungen, Demonstrationen und Streiks ihrem wachsenden Unmut gegen die Politik der rechten Regierung Luft gemacht. Zu der Kundgebung, zu der die Linksdemokraten am 15. Februar unter dem Druck ihrer Basis widerwillig aufgerufen hatten, waren 150.000 Arbeiter, Schüler und Lehrer nach Rom gekommen, um gegen die geplanten Angriffe auf ihre Arbeitsplätze zu protestieren. Dabei waren auch Angestellte römischer Ministerien, die sich gegen Rationalisierungspläne in der öffentlichen Verwaltung wandten. Zahlreiche Parolen richteten sich auch gegen die geplante Flexibilisierung des Ruhestandsalters und gegen das Bildungsministerium. Außerdem hatten einen Tag zuvor in vielen Städten Italiens die Busfahrer ihre Arbeit für vier Stunden niedergelegt. Die Eisenbahner streikten sechs Stunden.
Für den 4. April hat die Gewerkschaft CGIL zu einem Generalstreik gegen die geplante Reform des Arbeitsgesetzes aufgerufen. Die CGIL hat in den vergangenen Jahren beim Abbau von sozialen Errungenschaften und Arbeiterrechten eng mit linken und rechten Regierungen zusammengearbeitet. Von ihr ist ebenso wenig wie vom Ulivo oder den Linksdemokraten, denen sie nahe steht, eine Politik im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu erwarten. Der Erfolg einer kommenden sozialen Bewegung wird davon abhängen, dass es ihr gelingt, sich von diesen Organisationen zu lösen und eine unabhängige politische Orientierung zu finden.