Die rot-grüne Steuerreform: Weg in eine sozialen Katastrophe

SPD und Grüne verdankten ihren Wahlerfolg vor vier Jahren nicht zuletzt der weitverbreiteten Empörung über die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums durch die Regierung Kohl. Diese hatte während ihrer 16-jährigen Regentschaft die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander klaffen lassen. Die SPD geißelte damals die wachsende Verarmung großer Teile der Bevölkerung und versprach mehr soziale Gerechtigkeit.

Am Ende der Legislaturperiode sieht die soziale Bilanz der rot-grünen Bundesregierung vernichtend aus. Sie hat die Umverteilungspolitik ihrer konservativen Vorgängerregierung nicht nur fortgesetzt, sondern eindeutig verschlimmert. Nicht nur die Massenarbeitslosigkeit steigt, auch die Armut hat - vor allem bei kinderreichen Familien und Alleinerziehenden - deutlich zugenommen.

Dies ist zum einen die Folge von direkten Einsparungen bei den Sozialausgaben, von Gesundheits- und Rentenreform, zum andern das Ergebnis einer Steuerreform, die auf direktem und indirektem Wege zu Lasten der Ärmsten geht und den großen Konzerne Milliardenbeträge in die Kassen spült.

Einbruch der Steuereinnahmen

1999 verabschiedete die Bundesregierung das "größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik" (Finanzminister Hans Eichel). Das Sparvolumen von 15 Mrd. Euro ging zu rund einem Drittel auf Kosten der Erwerbslosen. Im Juli 2000 folgte das "Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung" (Steuersenkungsgesetz), das den großen Kapitalgesellschaften einen beispiellosen Entlastungsschub brachte. Eichel bezeichnete es als "Meilenstein in der Finanzpolitik".

Zentraler Punkt des Steuergesetzes ist die Senkung der Einkommensteuer. Der Spitzensteuersatz für private Einkünfte, der schon einmal bei 56 Prozent lag und 1998 immer noch 53 Prozent betrug, wird bis zum Jahr 2005 auf 42 Prozent sinken. Ein Einkommensmillionär kann dadurch jährlich über 100.000 Euro an Steuern sparen.

Das Gesetz sieht auch Steuererleichterungen für Geringverdiener vor, doch diese werden durch die Erhöhung zahlreicher indirekter Massensteuern konterkariert, wie etwa die Einführung der Ökosteuer, die insbesondere die Benzin- und Heizölpreise ansteigen ließ, sowie die Erhöhung der Tabak- und der Versicherungssteuer.

Am stärksten treffen aber die Auswirkungen der Einkommens- und Unternehmenssteuerreformen in den Städten die arbeitende Bevölkerung. Denn es sind diese Steuern, mit denen sich die Kommunen - die Städte und Gemeinden finanzieren -, also das Leben vor Ort organisieren. Allein die Einnahmen aus der Einkommensteuer werden für die Kommunen bis zum Jahr 2005 um 14 Prozent oder rund 25 Milliarden Euro sinken. Noch dramatischer sehen die Einnahmeeinbrüche der Städte und Gemeinden bei der Körperschafts- und der Gewerbesteuer aus.

Die Körperschaftssteuer (die Einkommenssteuer der Kapital- und Aktiengesellschaften) sinkt von 40 auf 25 Prozent. Hinzu kommen neue Regelungen, die es vielen Unternehmen ermöglichen, den Steuersatz auf Null zu drücken. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel kommentiert die Änderungen bei der Körperschaftssteuer mit den Worten: "Steuerschlupflöcher wurden gestopft und Scheunentore geöffnet." Das hat zu einer absurden Situation geführt. Deutschlands Großkonzerne zahlen nicht nur keine Steuern, sondern erhalten auch noch Steuern aus vergangenen Jahren zurück.

Einerseits ließ die Regierung den Unternehmen die Möglichkeit, die in früheren Jahren zu den damals geltenden höheren Steuersätzen verbuchten Gewinne als Dividende mit den nun geltenden niedrigeren Sätzen auszuschütten und die Differenz der vermeintlich zu viel gezahlten Steuern zurückzufordern. Andererseits behielt Finanzminister Eichel auch die 1994 eingeführte Regelung bei, dass Verluste früherer Jahre ohne jede Zeitbegrenzung gegen neue Gewinne verrechnet werden dürfen, ganz gleich wann und wo sie entstanden.

Dies hat dazu geführt, dass etwa der Bayer-Konzern, anstatt Steuern zu zahlen, im vergangenen Jahr 250 Millionen Euro erstattet bekam. Die Deutsche Telekom strich auf dem gleichen Weg 1,4 Milliarden, der Stromgigant RWE 800 Millionen und Vodafone-Mannesmann ebenfalls eine halbe Milliarde Euro ein.

Insgesamt fielen die Gesamteinnahmen aus der Körperschaftssteuer im Jahr 2001 ins Negative. Statt wie im Jahr zuvor 23 Milliarden Euro einzunehmen, mussten die Länderfinanzbehörden Milliarden auszahlen. Das Land Hessen hat allein in der ersten Jahreshälfte 2 Milliarden Euro Körperschaftssteuer an Banken und Versicherungen ausgezahlt, Bayern im gleichen Zeitraum eine halbe Milliarde. "Entsprechend den in den Bilanzen gebunkerten einst höher versteuerten Gewinnrücklagen und den,Verlustvorträgen' können die Konzerne in den kommenden Jahren noch einmal über 240 Milliarden Euro geltend machen, schätzen Experten des Eichel-Ministeriums", schreibt Der Spiegel.

Zudem sinken die Einnahmen der Städte und Gemeinden aus der Gewerbesteuer. Diese Gemeindesteuer - der Bund und die Länder werden durch eine Umlage an der Gewerbesteuer beteiligt - ist die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen zur Bestreitung ihrer öffentlichen Ausgaben.

Die Gewerbesteuer wurde zwar nicht direkt geändert. Doch da bei ihr ausschließlich der Gewinn besteuert wird, ist sie sehr konjunkturabhängig. Weiter gefasste Bemessungsgrundlagen wurden 1979 (Lohnsummensteuer) von der Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) und 1994 (Gewerbekapitalsteuer) von der unter Helmut Kohl (CDU) abgeschafft. 1994 wurde auch die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten innerhalb eines Großkonzerns erleichtert. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise machen die deutschen Konzerne zunehmend von dieser Regelung Gebrauch.

Für Schlagzeilen sorgte beispielsweise die Situation in Schwäbisch Hall. Die gleichnamige Bausparkasse hat Beteiligungsverluste aus der DZ-Bank in Frankfurt (Main) mit eigenen Gewinnen verrechnen können. Die Folge ist der Einbruch der Gewerbesteuer allein in dieser Stadt um 50 Millionen Euro auf 9 Millionen Euro. Aber auch andere Städte, vorzugsweise Standorte internationaler Aktiengesellschaften, haben Millionen-Einbußen. In Leverkusen und Krefeld etwa, wo der Bayer-Konzern Produktionswerke unterhält, sind die Gewerbesteuereinnahmen 2001 um 65 bzw. 50 Prozent eingebrochen. Insgesamt verringerten sich die Einnahmen aus der Gewerbesteuer im letzten Jahr um 9 Prozent, in diesem Jahr liegt sie bislang erneut mit 13,6 Prozent im Minus.

Die sozialen Folgen der Einnahmeverluste

Diese durch die rot-grüne Steuerreform und die Wirtschaftskrise ausgelösten Einnahmedefizite werden mittels der Kommunen unmittelbar an die Bevölkerung weitergereicht. Die Stadt- und Gemeinderäte sparen, wo sie nur können. Kaum eine Stadt ist von drastischen Kürzungen ausgenommen, zum Beispiel bei der Sozialhilfe, der Jugendhilfe (Kindergärten, Hilfen zur Erziehung, Jugendzentren) und bei den Ausgaben der Schulträger (u. a. die Aufrechterhaltung der Schulen, die Lern- und Lehrmittelausstattung, das Angebot schulischer Ganztagsangebote usw.).

In München wurde ein Baustopp für alle geplanten Projekte verhängt, von der Kinderkrippe bis zum Altenheim. In Gelsenkirchen, dem Sitz des Energiekonzerns E.on, sollen zwölf Kinderspielplätze geschlossen werden. Andere Städte sparen beim Umweltschutz oder bei der Denkmalpflege.

Gleichzeitig werden die Gebühren kommunaler Dienste und Angebote (Bibliotheken, Theater, Museen, Schwimmbäder, Müllabfuhr, usw.) erhöht. So kostet beispielsweise ein Besuch im Freibad des ärmsten Berliner Stadtteils Kreuzberg, in dem jede vierte Familie als arm gilt, für einen Erwachsenen inzwischen vier Euro. Kommunale Leistungen hingegen werden eingeschränkt. Sport- und Kulturangebote werden beschnitten, die Finanzierung für Beratungs- und Hilfsangebote für behinderte, ältere, obdachlose, drogensüchtige und ausländische Menschen gekürzt oder ganz gestrichen.

Angesichts der bereits jetzt desolaten sozialen Lage der Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosen, kinderreichen Familien, Jugendlichen und Pflegebedürftigen, der katastrophalen Situation in den Schulen und Kindergärten, der mangelnden kulturellen Einrichtungen und Freizeitangebote bedeuten die Auswirkungen der Steuerreform die Organisierung einer gesellschaftlichen Katastrophe. Leben ohne Not, vom angenehmen Leben gar nicht zu sprechen, können nur noch die Reichen.

Als Reaktion auf den seit Jahren stattfindenden Einbruch der Steuereinnahmen haben die Politiker der Städte und Gemeinden in den letzten Jahren wichtige kommunale Bereiche wie die Abfallwirtschaft, die Energieversorgung, den öffentlichen Personennahverkehr, die Beschäftigungsförderung, Schwimmbäder, Theater, usw. privatisiert. Für die Bevölkerung bedeutete dies vor allem erhöhte Preise, Gebühren und Abgaben. Bei den Beschäftigten führt es zu gesteigerter Arbeitshetze, Entlassungen und Sozialabbau.

Die Bundesregierung hat inzwischen eine "Kommission Gemeindefinanzreform" einberufen, in der die Probleme der Kommunen diskutiert und Lösungsvorschläge ausgearbeitet werden sollen. Doch eine Entlastung der Kommunen ist offensichtlich nicht vorgesehen. So heißt es im Auftrag der Kommission wörtlich: "Dabei hat die Kommission auf die Vermeidung von Aufkommens- bzw. Lastenverschiebungen zwischen dem Bund auf der einen und Ländern und Kommunen auf der anderen Seite zu achten."

Experten befürchten, dass mit dieser Kommission, die bezeichnenderweise unter der gemeinsamen Leitung des Finanz- und Arbeitsministers tagt, der Weg zur Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe geebnet werden soll, was weitere Kosten für die Kommunen, die per Gesetz die Sozialhilfe finanzieren müssen, zur Folge hätte und weitere Kürzungen im sozialen Bereich nach sich ziehen würde.

Das Steuersenkungsgesetz der Bundesregierung hat durch die chronische Unterfinanzierung insbesondere auf der kommunalen Ebene das Zurückfahren aller sozialen Aktivitäten bewirkt. Es hat eine in der Nachkriegsgeschichte in ihren Ausmaßen einmalige, selbst von konservativen Regierungen bislang nicht erreichte Umverteilung von unten nach oben ausgelöst. Es hat darüber hinaus eine Verringerung der örtlichen Daseinsvorsorge mit allen entsprechenden negativen Auswirkungen auf sozial schwache Bevölkerungsgruppen (Kinderreiche, Migranten, alte Menschen usw.) zur Folge.

Im Bundestagswahlkampf sind sich alle Parteien einig, diese sozialen Probleme nicht zur Sprache zu bringen. Denn alle Parteien sind - ungeachtet ihrer zeitweiligen sozialen Demagogie - entschlossen, diese unsoziale Politik nach den Wahlen fortzusetzen und zu intensivieren.

Siehe auch:
Kinderarmut in Deutschland
(30. Juni 2001)
Stetiges Wachstum der sozialen Ungleichheit in Deutschland
( 16. Mai 2001)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - September/Oktober 2002 enthalten.)
Loading