Rot-grüne Großmachtpolitik

Bundestag beschließt Teilnahme am Krieg in Afghanistan

336 Abgeordnete der rot-grünen Koalition in Berlin sprachen sich am 16. November 2001 für die Bereitstellung von Bundeswehreinheiten im Kampf gegen den Terrorismus aus und sicherten so die Regierungsmehrheit. Drei Stimmen weniger, und die Regierung wäre am Ende gewesen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte zuvor die Kriegsfrage mit der Vertrauensfrage verknüpft und damit massiven Druck auf die Parlamentarier ausgeübt.

Unter diesen Bedingungen brach die Opposition grüner und sozialdemokratischer Kriegsgegner wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die SPD-Fraktion stellte sich geschlossen hinter den Kanzler. Lediglich die Abgeordnete Christa Lörcher trat aus der Fraktion aus und votierte gegen den Kriegseinsatz.

Die acht grünen Abgeordneten, die ihre ablehnende Haltung vorher schriftlich zu Protokoll gegeben hatten, einigten sich auf einen salomonischen Kompromiss. Sie beschlossen, ihre Stimmen zu "splitten". Weil sie gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr, aber für den Fortbestand der rot-grünen Regierung seien, stimmten vier mit Nein und vier mit Ja - und sicherten so Kanzler und Kriegeinsatz die Mehrheit. Ein Knall mit der Regierungspeitsche in Form der Vertrauensfrage hatte genügt, um die Kriegsgegner einzuschüchtern und zur Ordnung zu rufen.

Wie vollständig und uneingeschränkt die Kapitulation vor dem Diktat des Kanzlers ist, zeigte drei Tage später der SPD-Parteitag, der am Montag in Nürnberg begann. Schröder wurde mit dem Rekordergebnis von 89 Prozent als Vorsitzender der Partei bestätigt. 90 Prozent der Delegierten stimmten für die Leitlinien des Parteivorstandes zur Außen- und Sicherheitspolitik und unterstützten damit den Kriegskurs der Regierung. Tony Blair, der aktivste Kriegsbefürworter unter den europäischen Sozialdemokraten, erntete für sein Grußwort frenetischen Beifall. Die kritischen Stimmen waren auf dem Parteitag so gut wie verstummt.

Am kommenden Samstag halten auch die Grünen ihren Parteitag in Rostock ab. Dort wird es vielleicht etwas heftiger und tränenreicher zugehen als bei der SPD - eine Entscheidung für den Kriegeinsatz und für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition steht aber auch hier so gut wie fest.

Längst hat die Parteiführung, routiniert durch frühere Kontroversen über Kriegseinsätze, mit der Ausarbeitung von Sprachregelungen begonnen, die es auch kritischen Delegierten erlauben, dem Kriegsbeschluss zuzustimmen. In einem entsprechenden Antrag für den Parteitag, ausgearbeitet vom Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks, heißt es, der "weitgehende Zusammenbruch" des Taliban-Regimes werde von der Bevölkerung "offenkundig als Befreiung" wahrgenommen. Dies zeige, dass die USA und die internationale Allianz "keinen Krieg gegen Afghanistan führen", sondern gegen ein "terroristisches, menschenverachtendes Regime".

Schützenhilfe hat die Parteiführung auch von den Vereinten Nationen erhalten. Deren Entscheidung, am kommenden Montag eine Konferenz über die Zukunft Afghanistans in Bonn abzuhalten, wird als Druckmittel gegen kritische Stimmen von der Basis eingesetzt. Es wäre doch eine "Tragik", warnte die Parteivorsitzende Claudia Roth, wenn ausgerechnet jetzt, wo es um die politische und humanitäre Perspektiven in Afghanistan gehe, ein grüner Außenminister nicht mehr im Amt sein sollte.

Historische Dimension

In dem Schlachtgetümmel um Machterhalt, Mehrheiten und taktische Vorteile ist die historische Dimension der Bundestagsentscheidung weitgehend in den Hintergrund gedrängt worden. Dabei ist der Beschluss vom 16. November einer der weitreichendsten und folgenreichsten, die das deutsche Parlament in seiner Geschichte jemals getroffen hat. Kanzler Schröder selbst wies auf diesen Sachverhalt hin, als er in seiner Begründung von einer "Zäsur" sprach. "Erstmals", sagte er, "zwingt uns die internationale Situation, Bundeswehreinheiten für einen Kampfeinsatz außerhalb des Nato-Vertragsgebietes bereitzustellen."

Unabhängig davon, ob in den nächsten Wochen tatsächlich deutsche Soldaten in Afghanistan zum Einsatz kommen, ist damit ein Präzedenzfall geschaffen worden, hinter den es kein Zurück mehr geben wird. Die Entscheidung folgt einem bekannten Muster, das sich ständig wiederholt hat, seit die deutsche Marine 1991 erstmals zum Minenräumen in den Persischen Golf auslief: Unter heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen werden Aufgabenbereich und Einsatzradius der Bundeswehr Stück um Stück erweitert - von unbewaffneten Sanitäts- und Logistikeinsätzen zu bewaffneten Friedenseinsätzen, von Friedenseinsätzen zu Kampfeinsätzen, vom Nato-Gebiet auf das europäische Ausland, von Europa auf die ganze Welt... Sind die Widerstände erst einmal überwunden, erfolgt der nächste Einsatz ohne weitere Auseinandersetzungen; ist die Tür erst einmal geöffnet, wird beim nächsten Mal reibungslos durch die offene Tür hindurch marschiert.

Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die deutsche Teilnahme am Krieg gegen Serbien, mit der sich die Grünen vor drei Jahren den Eintritt in die Bundesregierung erkauften. Der jetzige Beschluss geht noch erheblich weiter. In Serbien hatten sich lediglich einige Tornados der Luftwaffe am aktiven Kampfgeschehen beteiligt, ansonsten beschränkte sich die Bundeswehr auf logistische Unterstützung. Nun werden erstmals größere Einheiten für das Kriegsgebiet selbst bereitgestellt - darunter 1.800 Mann Seestreitkräfte, 800 Mann ABC-Abwehrkräfte und 100 Mann Spezialkräfte. Gleichzeitig werden die geografischen Schranken für den Einsatz weit ausgedehnt - das im Bundestagsbeschluss festgelegte Einsatzgebiet reicht vom Hindukusch über den Nahen Osten bis ins nordöstliche Afrika.

Deutschland schließt damit militärisch immer mehr zu Großbritannien und Frankreich auf, den europäischen Siegermächten des Zweiten Weltkriegs. Kanzler Schröder fasste dies vor dem Bundestag in die Worte: "Durch diesen Beitrag kommt das vereinte und souveräne Deutschland seiner gewachsenen Verantwortung in der Welt nach."

Der Beschluss vom 16. November wird eine Spirale der Aufrüstung nach sich ziehen. Bisher standen internationalen Kampfeinsätzen der Bundeswehr in erster Linie politische Hindernisse im Weg. Nachdem der Bundestag diese Schranke beseitigt hat, sind die beschränkten finanziellen Mittel und die mangelhafte Ausrüstung zur wichtigsten Barriere geworden. Bisher hat die Regierung die Militärsausgaben nur zurückhaltend erhöht, meist versteckt in anderen Haushaltstiteln. Sie wusste, das eine Steigerung des Militärbudgets verbunden mit einem einen strikten Sparkurs bei den Sozialausgaben ausgesprochen unpopulär ist. Nun hat sie einen anderen Weg gewählt. Stehen die Soldaten erst einmal im Feld, werden Opfer für die Rüstung zur patriotischen Pflicht.

Auch die unmittelbaren Folgen des Bundestagsbeschlusses sind wesentlich weitreichender, als dies die regierungsoffizielle Propaganda wahrhaben will.

Zum einen ist der Krieg in Afghanistan noch längst nicht entschieden. Der überraschend plötzliche Rückzug der Taliban, die viele größere Städte kampflos geräumt haben, gibt zu Vermutungen Anlass, dass sie sich auf einen anhaltenden Guerillakrieg vorbereiten, der für ausländische Soldaten zur tödlichen Falle werden könnte. Gleichzeitig häufen sich die Anzeichen, dass die Kämpfe zwischen den verschiedenen Warlords, aus denen sich die siegreiche Nordallianz zusammensetzt, wieder aufflammen und die eingesetzten Truppen in einen langen, blutigen Bürgerkrieg verwickelt werden könnten.

Zum Andern hat die US-Regierung nie die geringsten Zweifel daran gelassen, dass sich der von ihr proklamierte "Krieg gegen den Terror" nicht auf Afghanistan beschränken wird. Der Bundestagebeschluss gibt der Regierung freie Hand, sich auch an Kriegshandlungen gegen andere Länder zu beteiligen. Dies wird lediglich durch die Bedingung eingeschränkt, dass die jeweilige Regierung zustimmen muss. Wörtlich heißt es: "Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen." Bedenkt man, dass als nächste militärische Ziele zwei Länder im Gespräch sind, in denen es keine funktionierende Zentralregierung gibt (Somalia) oder deren Regierung international als Paria gilt (Irak), dann hat diese Einschränkung herzlich wenig zu bedeuten.

Auf dem SPD-Parteitag hat die Parteiführung denn auch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Rückzug eines Initiativantrags zu erzwingen, der die Beschränkung des Einsatzes auf Afghanistan forderte. Als er schließlich zu den Akten gelegt wurde, hatten ihn bereits 120 der insgesamt 520 Delegierten unterzeichnet. Der Antrag verurteilte außerdem bestimmte militärische Aktionen (Stichwort: Streubomben), lehnte militärische Sondergerichte zur Verurteilung von Terroristen ab, kritisierte die israelische Siedlungspolitik und trat für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat ein.

Der Rücknahme dieses Antrags macht deutlich, dass sich Schröder im Hinblick auf eine mögliche Ausdehnung der militärischen Aktionen auf keinen Fall die Hände binden lassen will. Schon in seiner Bundestagsrede hatte er auf "vielleicht noch folgende Beschlussfassungen des Deutschen Bundestags" hingewiesen, die sich aus der Entscheidung vom 16. November ergeben könnten

Öl und strategische Macht

Es ist viel Naivität oder Zynismus nötig, um die offizielle Regierungspropaganda beim Wort zu nehmen, wonach der Beschluss vom 16. November lediglich eine Reaktion auf die Terroranschläge in New York und Washington sei und der Bekämpfung des Terrorismus diene.

Inzwischen ist umfassend dokumentiert, dass die amerikanischen Kriegsvorbereitungen gegen Afghanistan weit vor den 11. September zurückreichen. Ebenso bekannt ist die Tatsache, dass die Terroristen, gegen die sich der gegenwärtige Krieg vorgeblich richtet, Produkte früherer außenpolitischer Aktivitäten der USA sind. Bin Ladens al Qaida wäre ohne die massive Hilfe der CIA ebenso wenig denkbar wie die afghanischen Mujaheddin oder die Taliban, die alle im Krieg gegen das sowjetgestützte Regime in Kabul finanziert und aufgerüstet wurden.

Die strategische Bedeutung, welche die US-Außenpolitik Zentralasien beimisst, ist unter anderem von Zbigniew Brzezinski in seinem 1997 veröffentlichten Buch "Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft" umfassend dargestellt worden. Brzezinski, der immerhin vier Jahre lang Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten war, vertritt darin unverblümt die Auffassung, dass der Schlüssel zur Verteidigung der globalen Vormachtstellung der USA im 21. Jahrhundert die Kontrolle über Zentralasien sei.

Auch über die politische Bedeutung der unterschiedlichen Pipelinerouten zur Erschließung der Öl- und Gasreserven am Kaspischen Meer und in Zentralasien gibt es eine umfangreiche, öffentlich zugängliche Literatur, ebenso wie über die persönlichen Verbindungen höchster Vertreter der Administrationen Bush I und Bush II zur amerikanischen Ölindustrie und über die engen Geschäftsverbindungen zwischen der Familie Bush und der Familie bin Laden.

All dies ist den Abgeordneten der SPD und der Grünen ebenso wie den meisten Parteitagsdelegierten wohl bekannt - verfügen doch beide Parteien über eigene Stiftungen, Institute und Think Tanks, die sich intensiv mit diesen Fragen beschäftigen. In den Debatten des Bundestags und der Parteitage kommen sie dennoch nicht zur Sprache, weil dies den deutschen Kriegeinsatz in einem völlig anderen Licht erscheinen ließe.

Ebenso wie die US-Regierung die Ereignisse des 11. September nutzt, um ihre seit langem verfolgten Pläne als "einzige Weltmacht" (Brzezinski) in die Tat umzusetzen, hat auch die deutsche Regierung die Initiative ergriffen, um ihre untergeordnete Rolle in der Weltpolitik, die ihr mit der Kriegsniederlage vor mehr als einem halben Jahrhundert aufgezwungen wurde, endgültig abzustreifen. "Die Nachkriegsperiode ist zuende!" rief Bundeskanzler Schröder unter dem Beifall der Abgeordneten im Bundestag.

Die wirtschaftliche und politische Elite Deutschlands will einer Neuaufteilung der Welt in Macht- und Einflusszonen nicht tatenlos zusehen. Die alten Widersprüche Deutschlands - die große Leistungsfähigkeit seiner Industrie bei gleichzeitig eng begrenztem Binnenmarkt, der hohe Energieverbrauch bei fast völligem Fehlen eigener Energiequellen - treiben die Regierung zur Neuauflage einer Großmachtpolitik, die bereits zweimal zur europäischen und internationalen Katastrophe geführt hat.

Ungeachtet der Beteuerungen des Kanzlers, dass Deutschland mit der Bereitstellung von Soldaten lediglich den Forderungen seiner Verbündeten nachkomme, hat die Regierung seit Wochen intensiv auf eine Beteiligung am Afghanistan-Krieg gedrängt. Man sollte sich von Schröders Sprache nicht täuschen zu lassen, der von "Pflicht" und "Verantwortung" spricht. Großmachtpolitik hat sich stets solcher Phrasen bedient. Auch die Briten sprachen von der "Bürde des weißen Mannes" und ihrer zivilisatorischen Mission, als sie im 19. Jahrhundert die halbe Welt unterjochten. Die verheerenden Folgen ihrer Kolonialherrschaft auf dem indischen Subkontinent und in Afrika sind bis heute nicht überwunden.

Übertroffen wird Schröder nur noch vom grünen Außenminister Fischer, der in einer orwellschen Sprache jedes Kriegsverbrechen in eine humanitäre Mission umdeutet. Der Krieg gegen Afghanistan mutierte in seiner Bundestagsrede flugs zur "Weltinnenpolitik", die Bombardierung eines verarmten Landes zum Mittel, "Hilfe zu den Menschen zu bringen". "Wir haben jetzt die große Chance. Überall dort, wo die Nordallianz ist, können die Vereinten Nationen mit ihren Hilfsorganisationen, können die NGOs wieder rein," verkündete er - eine Behauptung, die durch das Vorgehen der Nordallianz umgehend wiederlegt wurde.

Das wird Fischer nicht daran hindern, morgen ein anderes Argument aus dem Hut zu zaubern. In ähnlicher Weise hatte er im Kosovo erst die albanische UCK auf den Schild gehoben, um dann später mit den Provokationen der UCK im Kosovo und in Mazedonien den Einsatz deutscher Soldaten zu rechtfertigen.

Rot-Grün am Ende

Das Vertrauensvotum des Bundestags hat die rot-grüne Koalition vorerst gerettet. Aber langfristig hat es ihr Ende um so sicherer besiegelt. Allein die Tatsache, dass der Kanzler zum drastischen Mittel der Vertrauensfrage greifen musste, zeigt, dass sie keine Unterstützung mehr in der Bevölkerung hat.

Vordergründig diente die Vertrauensfrage dazu, abweichende Abgeordnete zur Ordnung zu rufen. Aber hinter der zaghaften Opposition einiger Abgeordneter verbirgt sich die Opposition breiter Bevölkerungsschichten, die den gegenwärtigen Kriegskurs ablehnen. Obwohl die offizielle Propaganda in den Massenmedien eine Monopolstellung einnimmt, gelangen Meinungsumfragen zu dem Schluss, dass rund ein Drittel der Bevölkerung gegen den Kriegseinsatz sind, darunter zahlreiche SPD- und Grünen-Wähler. Würden die wahren Gründe für den Einsatz bekannt, würde diese Zahl massiv ansteigen.

Das Vertrauensvotum hatte unter diesen Umständen die Aufgabe, einen zutiefst unpopulären Beschluss mittels eines Ultimatums durchzusetzen. Das ist derart offensichtlich, dass sich Schröder vor dem Bundestag ausdrücklich gegen den Vorwurf verwahren musste, sein Vorgehen sei undemokratisch. "Unser Grundgesetz ist eine vorbildliche demokratische Verfassung", sagte er. "Wenn diese Verfassung das heute gewählte Verfahren ausdrücklich vorsieht, dann doch wohl deshalb, weil eben kein Widerspruch zwischen einer Abstimmung nach Artikel 68 des Grundgesetzes und der ebenso verbürgten und ebenso wichtigen Gewissensfreiheit besteht."

Schröders Lage erinnert in vieler Hinsicht an die seines letzten sozialdemokratischen Vorgängers Helmut Schmidt im Jahr 1982. Schmidt war damals mit seiner Zustimmung zur Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden und seiner unsozialen Wirtschaftspolitik auf breite Opposition gestoßen und hatte den Fortbestand seiner Regierung ebenfalls mit einem Misstrauensvotum gesichert. Nicht für lange. Wenige Monate später musste er Helmut Kohl weichen, der bei der nachfolgenden Bundestagswahl einen klaren Sieg errang.

Zieht man eine Bilanz der bisherigen, dreijährigen Regierungstätigkeit der rot-grünen Koalition, so hat sie vor allem eines erreicht: Sie hat Entscheidungen durchgesetzt, die unter einer konservativen Regierung auf massiven öffentlichen Widerstand gestoßen und daran gescheitert wären. Das trifft nicht nur auf die Kriegseinsätze der Bundeswehr und die Außenpolitik zu, sondern auch auf die Innen- und Sozialpolitik. Die beiden Sicherheitspakete von Innenminister Schily, die vom Bundestag verabschiedet worden sind, beinhalten die weitreichendsten Angriffe auf demokratische Rechte seit der Verabschiedung des Grundgesetzes. Und die Demontage des Sozialstaats schreitet unter Rot-Grün weit schneller voran als unter der vorangegangenen schwarz-gelben Koalition.

Die SPD kehrt damit zu ihrer traditionellen Rolle zurück. Seit sie 1914 ihr eigenes Programm verriet und im Namen der Vaterlandsverteidigung den Krediten für den Ersten Weltkrieg zustimmte, hat sie sich in Krisenzeiten immer auf die Seite der bestehenden Ordnung gestellt - auch gegen ihre eigenen Wähler.

Aber auch die Grünen haben mit der Zustimmung zum Kriegseinsatz große historische Verantwortung auf sich geladen. Die Partei, die mit der Parole "Nie wieder Krieg" antrat und Einfluss gewann, wird als Partei in die Geschichte eingehen, die dem deutschen Militarismus wieder Tür und Tor geöffnet hat.

Der Grund dafür beschränkt sich nicht auf den Machthunger grüner Politiker, auf den einige Kommentare hinweisen, er liegt in der sozialen Orientierung und politischen Programmatik dieser Partei. Sie ist mit dem Anspruch angetreten, eine Alternative zur bestehenden Gesellschaft zu entwickeln, ohne deren Grundlagen anzutasten. Sie hat den Klassenkampf im Namen von angeblich übergeordneten Menschheitsfragen wie Umwelt und Frieden zurückgewiesen. Unter Umständen, wo sich alle inneren und äußeren Gegensätze der Gesellschaft zuspitzen, lässt sich dieser Standpunkt nicht länger aufrecht erhalten. Die Stellung zwischen oder über den Klassen wird unhaltbar. Im grünen Herzen erwacht die Sehnsucht nach Ordnung und der Respekt des Kleinbürgers vor dem Staat. Der Pazifismus weicht der "internationalen Verantwortung", zu der sich - so Fischer ultimativ im jüngsten Stern - nun endlich auch die Basis der Partei bekennen müsse.

Das Vertrauen, das ihnen vor drei Jahren zum Eintritt in die Regierung verhalf, haben die Grünen damit endgültig verspielt. Die Partei zeigt alle Anzeichen eines fortgeschrittenen Verfalls. In der Bundeszentrale häufen sich die Austrittserklärungen. Nachdem die Partei seit drei Jahren bei allen Landtagswahlen deutliche Stimmenverluste hinnehmen musste, dürfte spätestens die kommende Bundestagswahl ihr Schicksal besiegeln.

Es besteht die Gefahr, dass rechte Randfiguren in das politische Vakuum eindringen, das SPD und Grüne hinterlassen - wie dies Roland Koch in Hessen oder Barnabas Schill in Hamburg getan haben. Mit dem Schreckgespenst einer rechten Regierungsübernahme versucht die grüne Parteiführung denn auch, aufmüpfige Parteitagsdelegierte zu disziplinieren. Aber die Fortsetzung der rot-grünen Koalition ist demgegenüber kein kleineres Übel, wie die jüngsten Beschlüsse zum Bundeswehreinsatz und zur inneren Sicherheit zeigen. Je länger sie an der Regierung bleibt, desto gründlicher bahnt sie den Rechten den Weg.

Die einzig mögliche Antwort auf Militarismus, Angriffe auf demokratischer Rechte und Sozialabbau ist der Aufbau einer unabhängigen Partei, die den Interessen und Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung eine Stimme verleiht. Eine solche Partei muss sich auf ein internationales sozialistisches Programm stützen.

Siehe auch:
Der Krieg in Afghanistan wurde lange vor dem 11. September geplant
(22. November 2001)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - Januar 2002 enthalten.)
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