Kroatiens Präsident Tudjman gestorben

Er war ein Monstrum aber unser Monstrum

"Tudjman scherte sich nicht darum, dass er ein Monstrum war, denn im Unterschied zu Milosevic war er unser Monstrum." Mit diesen Worten fasst der Autor Misha Glenny in einem soeben erschienen Buch die Beziehung zwischen den Westmächten und dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman zusammen, der in der Nacht zum Samstag in Zagreb gestorben ist.

Tudjman war Nationalist, Rassist und Antisemit. Als Präsident und Oberkommandierender der Armee war er persönlich für die Vertreibung von 400.000 Serben aus Kroatien verantwortlich. Das Land, das ursprünglich einen serbischen Bevölkerungsanteil von zwölf Prozent hatte, ist heute nahezu "serbenfrei".

Allein aus der Krajina vertrieb die kroatische Armee 1995 eine Viertelmillion Serben, die seit Jahrhunderten dort gelebt hatten. In einem späteren Bericht der UNO hieß es dazu: "Immer neue Beweise für die Gräueltaten tauchen auf, durchschnittlich sechs Leichen am Tag... die Leichen, einige frisch, andere verwest, stammen vorwiegend von alten Männern. Viele sind in den Hinterkopf geschossen worden oder weisen durchgeschnittene Kehlen auf, andere wurden verstümmelt... Die Verbrechen sind von der kroatischen Armee, der kroatischen Polizei und kroatischen Zivilisten begangen worden. Es wurden keine Versuche beobachtet, ihnen Einhalt zu gebieten, und alles deutet auf eine Politik der verbrannten Erde hin."

In Tudjmans Weltsicht war das katholische Kroatien die kulturelle Wasserscheide, die den Westen vom orthodoxen und muslimischen Balkan trennte. Seine rassistischen Ansichten über bosnische Moslems, aber auch über Juden und Roma waren berüchtigt.

In den sechziger Jahren hatte er als Historiker dicke Wälzer verfasst, in denen er die mittelalterlichen Wurzeln des Kroatentums verherrlichte und die Gräueltaten der faschistischen Ustascha verniedlichte. Die Ustascha hatte während des Zweiten Weltkriegs einen selbständigen kroatischen Staat von Hitlers Gnaden errichtet und im Konzentrationslager Jasenovac bis zu 800.000 Serben, Juden, Roma und Antifaschisten auf grausame Weise ermordet. Tudjman rechnete diese Zahl auf 30.000 herunter und schrieb dem Ustascha-Regime durchaus "positive Leistungen" zu, die "Ausdruck der historischen Bestrebungen des kroatischen Volkes" seien.

Unter seiner Präsidentschaft tauchten die faschistischen Symbole wieder aus der Versenkung auf. Die Fahne des neuen kroatischen Staates war derjenigen des Ustascha-Regimes nachempfunden, ebenso wie die Währung des Landes. Öffentliche Plätze und Straßen, die nach Persönlichkeiten des jugoslawischen Partisanenkrieges gegen die deutsche Wehrmacht und ihre Kollaborateure benannt waren, erhielten nun die Namen von "Helden" des kroatischen Nationalismus. Antifaschistische Filme verschwanden ebenfalls in der Versenkung.

Zu den erklärten Anhängern Tudjmans gehörte in dieser Zeit auch Dinko Sakic, der ehemalige Kommandant des Konzentrationslagers Jasenovac, der nach dem Krieg nach Argentinien geflohen war und dort jahrzehntelang unbehelligt gelebt hatte. Berichten zufolge, die Tudjman allerdings immer bestritten hat, soll er noch 1994 persönlichen Kontakt zu Sakic unterhalten haben. Erst 1999 wurde Sakic schließlich in Zagreb der Prozess gemacht; im Oktober wurde der inzwischen 77jährige zu 20 Jahren Haft verurteilt.

In Bosnien hielt Tudjman seine schützende Hand über die berüchtigte HVO-Miliz, die noch unverhüllter als ihr kroatischer Gönner an die faschistischen Traditionen anknüpfte. Die HVO wurde direkt aus der kroatischen Staatskasse finanziert und von Tudjman gegen die Verfolgung durch das Haager Kriegsverbrechertribunal abgeschirmt. Seine Zusammenarbeit mit diesen notorischen Kriegsverbrechern war so offensichtlich, dass sich in jüngster Zeit die Gerüchte verdichtet haben, das Haager Tribunal werde auch gegen Tudjman selbst Anklage erheben.

Tudjman verfügte also über alle jene negativen Eigenschaften - und noch über einige mehr -, die üblicherweise seinem Gegenspieler, dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic angelastet werden. Aber während Milosevic deshalb als "Hitler des Balkan" dämonisiert und Jugoslawien in Schutt und Asche gebombt wurde, haben dieselben Eigenschaften Tudjman zum idealen Partner der Westmächte - insbesondere Deutschlands und der USA - gemacht.

Ursprünglich gehörte der 1922 Geborene zum Führungskreis der jugoslawischen Armee. Er hatte sich mit 19 Jahren Titos Partisanen angeschlossen und war nach dem Krieg bis zum Generalsrang aufgestiegen. 1961 quittierte er den Dienst, um in Zagreb Direktor eines KP-Instituts für Geschichte zu werden. In dieser Zeit mauserte er sich zum kroatischen Nationalisten und nahm als solcher Einfluss auf den sogenannten "kroatischen Frühling" von 1971. Seine Leugnung der Opferzahlen von Jasenovac brachten ihm damals zwei kurze Gefängnisstrafen ein.

Schon damals hatte der deutsche Auslandsgeheimdienst BND engen Kontakt zu den kroatischen Nationalisten aufgenommen, zu deren Wortführer Tudjman zählte.

1989 gründete Tudjman die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) und wurde im selben Jahr zum Präsidenten der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien gewählt. In dieser Zeit war er ein häufiger und gern gesehener Gast in Bonn. Die Bonner Regierung unter Kanzler Kohl und Außenminister Genscher war es dann auch, die gegen das anfängliche Zögern der USA und anderer europäischer Regierungen auf die rasche Anerkennung Kroatiens drängten, nachdem Tudjman 1991 nach einem Referendum die Unabhängigkeit verkündet hatte.

Es fehlte damals nicht an Warnungen, dass dies zu blutigen Auseinandersetzungen in ganz Jugoslawien führen werde. Große nationale Gruppen - wie die Serben in Kroatien - fanden sich plötzlich in einem fremden Land wieder, ohne dass ihre Rechte geregelt waren. Es war außerdem bekannt, dass Tudjman einen kroatischen Staat anstrebte, der weit größer war als die bisherige kroatische Teilrepublik. Bereits vor der einseitigen Unabhängigkeitserklärung hatten er sich mit Milosevic in mehreren geheimen Treffen auf die Aufteilung Bosniens zwischen Kroatien und Serbien geeinigt, wobei die größte Bevölkerungsgruppe, die bosnischen Moslems, leer ausgehen sollten.

Dass die Westmächte die Unabhängigkeit Kroatiens dennoch anerkannten, lag an ihren eigenen Interessen. Nach der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts maßen sie der Erhaltung Jugoslawiens, das seit dem Zerwürfnis zwischen Stalin und Tito als Bollwerk gegen einen sowjetischen Vorstoß ans Mittelmeer gedient hatte, keinen Wert mehr bei. Stattdessen betrachteten sie die alten zentralisierten Staatsstrukturen als Hindernis für das Eindringen westlichen Kapitals und die Privatisierung.

Tudjman galt ihnen als Verbündeter, um diese Strukturen aufzubrechen, den Einfluss Belgrads einzuschränken und auf dem Balkan Fuß zu fassen. Deshalb wurden Milosevic zum Bösewicht und Serbien zum "Schurkenstaat" gestempelt, während Tudjman trotz seinem autoritären Gehabe und seinen rassistischen Ansichten als Musterdemokrat galt.

In allen entscheidenden Phasen des Bosnienkonflikts, der sich nun entzündete, wurde Tudjman von Deutschland und den USA unterstützt. Gingen die kroatischen Truppen anfangs noch brutal gegen die moslemische Bevölkerung vor - 1992 massakrierten sie zahlreiche Zivilisten in der Region Mostar - so bildeten die kroatischen und die moslemischen Nationalisten 1994 auf Initiative der USA ein antiserbisches Bündnis. Mit militärischer Unterstützung der NATO eroberten sie große Teile Nordwestbosniens, Hunderttausende Serben wurden vertrieben.

1995 gaben die USA und Deutschland grünes Licht und militärische Unterstützung für die Offensiven "Blitz" und "Sturm" gegen die vorwiegend serbisch besiedelten Regionen West-Slawonien und Krajina innerhalb Kroatiens. Knijn, die serbische "Hauptstadt" der Krajina, wurde rücksichtslos bombardiert, schätzungsweise eine Viertelmillion Serben vertrieben oder ermordet.

Leitragende der westlichen Unterstützung für Tudjman waren aber nicht nur die Opfer des Bosnienkriegs, sondern auch die kroatische Bevölkerung selbst. Nach zehnjähriger Herrschaft hat der "Vater der Nation", wie er sich nennen ließ, einen unbeschreiblichen Trümmerhaufen hinterlassen.

Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 20 Prozent, die Löhne sind enorm niedrig und ein großer Teil der Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Um den Präsidenten herum hat sich eine steinreiche Clique gesammelt, die sich vorwiegend aus seiner eigenen Familie und einigen Günstlingen zusammensetzt. Sie hat das Staatseigentum mit teilweise illegalen Methoden an sich gerissen und verteidigt es mit allen Mitteln. Tudjman selbst hat einen Pomp und Personenkult gepflegt, der stark an die letzten Jahre Titos erinnert.

Demokratische Rechte werden in Kroatien mit Füssen getreten, Presse und Medien gegängelt, kritische Journalisten verfolgt und unterdrückt. Insgesamt neun Geheimdienste, einer davon unter der Leitung von Tudjmans Sohn Miroslav, sorgen für die Sicherheit der herrschenden Clique. Selbst Parlamentspräsident Vlatko Pavletic, der nach Tudjmans Erkrankung dessen Amtsgeschäfte übernahm, hat sich öffentlich beklagt, dass sein Telefon abgehört wird.

Seit dem Ende des Bosnienkriegs sind die Großmächte nach und nach zur Überzeugung gelangt, dass der Mohr seine Schuldigkeit getan hat. Tudjman und sein rechtsradikaler Klüngel aus Faschisten, Kriegsverbrechern und Mafiosi waren nicht nur bei der eigenen Bevölkerung verhasst, ihre allumfassende Korruption und Vetternwirtschaft war auch ein Hindernis für das Eindringen internationalen Kapitals in Kroatien. Die EU hat sich bisher geweigert, dem desolaten Land den Status eines Mitgliedskandidaten zu gewähren, über den die meisten anderen osteuropäischen Staaten verfügen.

Vor allem hatte Tudjman mit seinem groß-kroatischen Chauvinismus zunehmend die zerbrechliche Struktur des NATO-Protektorats Bosnien und letztlich die Stabilität der gesamten Balkans gefährdet. Erst im Juli diesen Jahres hatte er widerwillig und nur nach massivem westlichem Druck formal die "Unantastbarkeit der Grenzen Bosnien-Herzegowinas" anerkannt. Trotzdem rief er auch später noch zur "Unabhängigkeit" der kroatischen Enklave Herzeg-Bosna auf.

Die Beileidstelegramme, die die verschiedenen westlichen Regierungen nach Kroatien gesandt haben, äußern sich allesamt in mehr oder weniger wohlwollendem bis lobendem Ton. Der deutsche Bundespräsident Rau etwa nennt ihn "eine große politische Führungspersönlichkeit". Das bewährte freundschaftliche Verhältnis zwischen dem deutschen und dem kroatischen Volk, schreibt Rau ohne Scham, habe während Tudjmans Präsidentschaft vertieft und weiterentwickelt werden können.

Zwischen den Zeilen ist allerdings auch eine gewisse Erleichterung nicht zu übersehen. Jetzt solle die Demokratisierung des Landes vorangetrieben werden, äußerte sich etwa der Repräsentant der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana. Man hofft, dass Tudjmans Nachfolger - im Gespräch ist Außenminister Mate Granic - weniger störrisch und den westlichen Ansprüchen gegenüber gefügiger sein wird. Es gibt aber auch Befürchtungen, dass Tudjmans HDZ nach dem Tod des Autokraten auseinanderbricht.

Siehe auch:
Deutsche Interessen im Krieg gegen Jugoslawien
(18. Juni 1999)
Loading