67. Die politische Vielschichtigkeit des Krieges und der Nachkriegszeit stellten kritische Probleme der revolutionären Perspektive auf die Tagesordnung. Die sich schnell wandelnde Situation sollte zu einer langwierigen Krise in der Vierten Internationale führen. Von Felix Morrow und Albert Goldman in den USA vorgebrachte Differenzen, die das Tempo der revolutionären Entwicklung betrafen, wurden in Großbritannien von Haston und Grant unterstützt. Wie sich zeigen sollte, waren sie nur das erste Anzeichen eines wachsenden Skeptizismus gegenüber der historischen Perspektive der trotzkistischen Bewegung.
68. Morrow verwies auf die Aussicht auf einen wirtschaftlichen Aufschwung in den USA und die gestärkte Position der stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien in Europa und forderte, die Vierte Internationale solle sich auf die Agitation für demokratische Forderungen beschränken. Da Morrow und Goldman in der SWP praktisch isoliert waren, eilten Haston und Grant zu ihrer Verteidigung. Die Grundlage ihrer Unterstützung für Morrow wurde von Grant mit folgenden Argumenten offen ausgesprochen: Obwohl Trotzki das Aufkommen einer revolutionären Massenbewegung gegen den Stalinismus und den Imperialismus vorausgesagt habe, sei der Kapitalismus nicht gestürzt worden, und die sowjetische Bürokratie habe ihre Herrschaft auf Osteuropa ausgedehnt. Dadurch werde „die ursprüngliche Perspektive der Bewegung aus Kriegszeiten verfälscht“.
69. Grants Annahme, Trotzki habe eine Garantie für den Kurs der Entwicklung gegeben, war jedoch falsch. Im April 1940 hatte Trotzki geschrieben:
69. „Jede historische Vorhersage ist grundsätzlich bedingt, und je konkreter sie ist, umso bedingter ist sie. Eine Prognose ist kein Schuldschein, der an einem bestimmten Tag eingelöst werden kann. Eine Prognose skizziert nur bestimmte Entwicklungstendenzen. Aber zusammen mit diesen Entwicklungstendenzen wirkt eine unterschiedliche Abfolge von Kräften und Tendenzen, die in einem bestimmten Augenblick vorzuherrschen beginnen. Diejenigen, die exakte Voraussagen konkreter Ereignisse haben wollen, sollten einen Astrologen konsultieren. Die marxistische Prognose hilft nur bei der Orientierung“.[15]
70. Eine revolutionäre Perspektive beinhaltet nicht die Behauptung, es sei der Arbeiterklasse möglich, zu jedem gegebenen Zeitpunkt die Macht zu übernehmen. Es ist eine historische Prognose, die sich auf das Verständnis gründet, dass die Epoche des imperialistischen Zerfalls zu Krieg und Revolutionen führt. Darüber hinaus ist der „finale“ Sturz des Kapitalismus immer vom Aufbau einer revolutionären internationalistischen Partei abhängig. So heißt es im Manifest der Vierten Internationale von 1940:
„Die kapitalistische Welt hat keinen Ausweg, wenn man nicht einen in die Länge gezogenen Todeskampf als solchen betrachten will. Man muss sich auf viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, von Krieg, Aufständen, kurzen Zwischenspielen des Waffenstillstandes, neuen Kriegen und neuen Aufständen gefasst machen. Eine junge revolutionäre Partei muss sich auf diese Perspektive gründen. Die Geschichte wird ihr ausreichend Gelegenheiten und Möglichkeiten verschaffen, sich zu bewähren, Erfahrungen zu sammeln und zu reifen. Je rascher die Reihen der Vorhut zusammen geschweißt werden, desto kürzer wird die Epoche der blutigen Erschütterungen sein, desto weniger Zerstörung wird unser Planet erleiden. Aber die große historische Aufgabe wird nicht gelöst werden, ehe eine revolutionäre Partei an der Spitze des Proletariats steht.“[16]