IKVI
Das IKVI verteidigt den Trotzkismus 1982–1986

Brief von Peter Schwarz an das Zentralkomitee der Workers Revolutionary Party

2. Dezember 1985

Liebe Genossen!

Nachdem ich am 26. November an der Veranstaltung über den Ausschluss von G. Healy in London teilgenommen habe, schreibe ich Euch diesen Brief, weil ich tief über den Beitrag besorgt bin, den Genosse Slaughter dort gemacht hat. Meiner Meinung nach bedeutet dieser Beitrag nichts Geringeres als eine vollständige Zurückweisung der Geschichte und Tradition des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Angesichts der Tatsache, dass dieser Beitrag vor dem gesamten Klüngel der britischen Revisionisten vom Sekretär des IKVI gemacht wurde, kann ich ihn nur als einen klaren Hinweis darauf verstehen, dass Genosse Slaughter insgesamt mit dem IKVI brechen und in den revisionistischen und stalinistischen Sumpf zurückgehen will.

Genosse Slaughter war 1971 auf der Jugendversammlung in Essen anwesend, als die OCI einen von der SLL vorgeschlagenen Zusatzantrag zurückwies und sich öffentlich auf die Seite der Organisationen stellte, die gegenüber dem IKVI feindlich sind. Das führte direkt zur Spaltung mit der OCI. Aber verglichen mit Genossen Slaughters Rede am 26. November, die die gesamte Geschichte unserer Bewegung vor einer Versammlung ihrer übelsten Feinde in Frage stellte, erscheint das jetzt als ein unbedeutender Zwischenfall.

Ich fordere das Zentralkomitee der WRP dringend auf, zu verlangen, dass Genosse Slaughter erklärt, wohin er geht. Erklärt er, dass das IKVI – und nur das IKVI – wegen Healys Degeneration nicht länger die historische Kontinuität des Trotzkismus repräsentiert? Beabsichtigt er, mit dem Trotzkismus zu brechen?

Vor 25 Jahren, am 2. Januar 1961, schrieb Genosse Slaughter:

Wegen dem Ausmaß der Möglichkeiten, die sich jetzt vor dem Trotzkismus auftun, und daher wegen der Notwendigkeit politischer und theoretischer Klarheit, fordern wir dringend, uns gegen den Revisionismus in all seinen Formen abzugrenzen. Es ist Zeit, die Periode zu beenden, in der der pablistischeRevisionismus als eine Tendenz innerhalb des Trotzkismus betrachtet wurde. Ohne dies zu tun, können wir uns nicht auf die revolutionären Kämpfe vorbereiten, die jetzt beginnen. (Trotzkism versus Revisionism, Bd. 3, S. 49)

Sagt er jetzt, ein Vierteljahrhundert später, dass diese Schlussfolgerungen falsch waren? Alles, was er auf der Versammlung am 26. November sagte, deutet mit Sicherheit darauf hin.

Er stellte öffentlich die Untersuchung Sicherheit und die Vierte Internationalein Frage. Dazu hat er absolut kein Recht. Falls er irgendwelche Zweifel darüber hat, kann er sie nur im IKVI selbst aufbringen.

In Wirklichkeit kennt Genosse Slaughter jedes einzelneBeweisstück, das während dieser Untersuchungen gefunden wurde und hat selbst ausführlich darüber geschrieben. Jetzt behauptet er, wir hätten nur Indizienbeweise gefunden. Aber er weiß sehr genau, dass Indizienbeweise genau so überzeugend sind wie direkte Beweise. Oder hat er etwa erwartet, dass Hansen einen Brief hinterlässt, in dem er zugibt, dass er ein Agent ist?

Wohin geht Genosse Slaughter? Will er sich auf die Seite derer stellen, die Hansens Zusammentreffen mit dem FBI verteidigen, die die GPU-Agentin Sylvia Franklin abdecken oder die sich weigern, den Mord an Genosse Tom Henahan zu verurteilen und in Wirklichkeit Komplizen dieses Mordes waren? Will er sich mit jenen vereinigen, die sich trotz ihren leeren Worten über Arbeiterdemokratie geweigert haben, einen einzigen der ungeheuer zahlreichen Beweise zu beantworten, die wir in den letzten zehn Jahren vorgelegt haben?

Selbst auf dem letzten Treffen des IKVI hat Genosse Slaughter noch nicht einmal darauf hingewiesen, dass er irgendwelche Zweifel an der Gültigkeit der Ergebnisse von Sicherheit und die Vierte Internationale hat. Aber jetzt tut er dies öffentlich am selben Ort, wo die Revisionisten am 14. Januar 1977 ihr schändliches Treffen hatten.

Ich war sehr beunruhigt zu hören, dass Genosse Slaughter vor der Versammlung einem völlig diskreditierten Stalinisten, Monty Johnstone, die Hand schüttelte, der dann, als er die Erlaubnis bekam zu sprechen, prompt seinen großen Respekt für Genosse Cliff zum Ausdruck brachte. Genosse Slaughter, der 1957 mit dem Stalinismus brach, kennt die Bedeutung dieser Handlungen genau. Was uns vom Stalinismus trennt, sind nicht einfach einige politische oder historische Differenzen, sondern ein Strom von Blut.

Ich finde keinen höflicheren Ausdruck, außer zu sagen, dass Genosse Slaughter im Friends Meeting House auf unsere ganze Geschichte gespuckt hat. Er hat erklärt, die Gründung des IKVI 1953 sei eine richtige Entscheidung aus zufälligen Gründen gewesen. Ich habe mich geschämt, als ich danach hören musste, wie eine der OCI nahe stehende Gruppe ihm erklärte, dass die Spaltung mit dem Pablismus richtig war.

Seine Schlussbemerkung war, dass die Spaltung mit der OCI neu untersucht werden müsse. Auch das kann nicht akzeptiert werden. Während es mit Sicherheit zutrifft, dass nicht alle für das Training des Kaders notwendigen Lehren gezogen und dass die Gelegenheit zum Aufbau einer Sektion in Frankreich verpasst wurde, als wir spalteten, kann es keinen Zweifel geben, dass die OCI eine völlig degenerierte revisionistische Gruppe darstellt. Da ich die letzten Ausgaben ihrer Zeitung Informations Ouvrières gelesen habe, kann ich Euch versichern, dass ihre gegenwärtige politische Linie derart rechts ist, dass selbst die Linie der POUM während dem spanischen Bürgerkrieg im Gegensatz dazu revolutionär aussieht.

Auch die wiederholten Bemerkungen Genosse Slaughters, dass es „kein Verdienst“ gewesen sei, in der Partei zu bleiben, als sie unter Healys Führungdegenerierte, muss zurückgewiesen werden. Das ist ein Angriff auf all diejenigen, die trotz Healys Degeneration die historischen, politischen und organisatorischen Errungenschaften des IKVI verteidigt haben, und gleichzeitig eine offene Einladung an jeden Renegaten, wieder Mitglied zu werden, um diese Errungenschaften zu liquidieren.

Ich weise völlig zurück, dass Genosse Slaughter im Zusammenhang mit Healys korrupten Praktiken sagte: „Diese Praktiken fanden auch in jeder anderen Sektion des IK statt.“ Das ist eine üble Verleumdung ohne jegliche Grundlage.

Weiter hat mich die Tatsache beunruhigt, dass die Vorsitzende Genossin Dany Silveyre WRP-Mitgliedern, die sprechen wollten, nicht das Wort erteilte, während sie jeden Revisionisten willkommen hieß.

Die Art von Treffen, wie es im Friends Meeting House durchgeführt wurde, haben einen eindeutig politischen Charakter. Genosse Slaughter ist kein Neuling in der Politik und kennt den Klassencharakter und die politischen Konsequenzen dieses Treffens sehr genau. Wie würde die WRP reagieren, wenn irgendeine andere Sektion des IKVI öffentliche Diskussionen mit Revisionisten, Stalinisten oder den Grünen führte?

Nachdem ich das politische Handeln Genosse Slaughters während der letzten sechs Wochen von nahem beobachtet habe, komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass er seine eigene politische Linie verfolgt, die er mit niemandem offen diskutieren will und dabei die in der WRP nach Healys Ausschluss vorherrschende Verwirrung benutzt, um sie zu zerstören.

Es ist eine Linie, die WRP in die „Linke“ zu liquidieren, die für die Bourgeoisie zur Kontrolle der Arbeiterklasse unverzichtbar würde, sollte eine Labour- oder eine Labour-Koalitionsregierung an die Macht kommen. Auf diese Weise entwickeln sich Bedingungen für eine politische Formation mit Volksfrontcharakter.

Das ist keine Zurückweisung der politischen Degeneration, die unter Healys Führung stattgefunden hat, sondern eine Fortführung in anderer Form. Wie bisher wird keine dieser Fragen im IKVI diskutiert. Die WRP errichtet ihre eigenen Beziehungen und präsentiert sie dem IKVI als vollendete Tatsachen.

Ich rufe daher das Zentralkomitee der WRP dringend auf, Genosse Slaughter anzuweisen, seine politische Position dem nächsten Treffen des IKVI am 16./17. Dezember offen vorzulegen. Ich rufe Euch auch auf, die auf der Versammlung vom 26. November vorgebrachten Positionen zurückzuweisen und Eure Übereinstimmung mit unserer Geschichte des Kampfs gegen den Revisionismus, wie sie in den sieben Bänden Trotzkismus gegen Revisionismus enthalten ist, zu bestätigen.

Ich möchte Euch an die Resolutionen des IKVI vom 25. Oktober 1985 erinnern, die vom Zentralkomitee der WRP einstimmig angenommen wurde, und in der es heißt:

Im Kampf gegen die parteifeindlichen Healy-Renegatenstehen alle Errungenschaften, die in dem jahrzehntelangen Kampf, die trotzkistische Bewegung in Großbritannien und international aufzubauen, erreicht worden sind, auf dem Spiel. Keiner dieser Fortschritte wäre erzielt worden, ohne den langwierigen und schwierigen Kampf gegen Stalinismus und pablistischen Revisionismus, einen Kampf, in dem die Führung der WRP und ihres Vorläufers, der Socialist Labour League, die entscheidende Rolle spielte. Alle Sektionen des IKVI wurden als ein Ergebnis des Kampfs der britischen Genossen gegen den Versuch des pablistischen Revisionismus, den Trotzkismus zu liquidieren, gebildet.

Die Verteidigung des IKVI, seiner Geschichte und seiner Prinzipien ist – trotz vieler untergeordneter Meinungsverschiedenheiten, die zweifellos existieren – die allergrundlegendste Frage und die einzige Grundlage, auf der die gegenwärtige Krise überwunden werden kann.

In der Erklärung des IKVI zum Ausschluss von Healy heißt es:

„Mit dem Ausschluss von Healy verfolgt das IKVI keineswegs die Absicht, die politischen Beiträge zu leugnen, die er in der Vergangenheit, vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren im Kampf gegen den pablistischen Revisionismus, geleistet hat. In Wirklichkeit ist dieser Ausschluss das Endergebnis seiner Zurückweisung der trotzkistischen Prinzipien, die die Grundlage dieser vergangenen Kämpfe bildeten, und seines Abstiegs zu den vulgärsten Formen des Opportunismus.“

Und wir warnten: „Diejenigen, die wie Healy die Prinzipien aufgeben, für die sie einst gekämpft haben, und die sich weigern, sich selbst dem IKVI im Aufbau seiner nationalen Sektionen unterzuordnen, müssen unter dem Druck des Klassenfeindes unweigerlich degenerieren. Es kann keine Ausnahme von diesem historischen Gesetz geben.“

Nachdem wir Healy und die pablistische Degeneration, die er darstellt, ausgeschlossen haben, haben wir mit Sicherheit nicht die Absicht, nun unsererseits den Kampf gegen den Pablismus und alle revisionistischen Sekten aufzugeben.

Ich schreibe Euch diesen Brief als IK-Delegierter. Ich habe ihn im Zentralkomitee unserer Sektion diskutiert, das mit seinem Inhalt vollständig übereinstimmt.

Mit brüderlichen Grüßen

Peter Schwarz

Kopien an alle IK-Delegierten