Am 26. Dezember 2024 enthüllte die New York Times Einzelheiten über offizielle Befehle der israelischen Armee, denen zufolge bei jedem „Präventivangriff“ auf einen mutmaßlichen Hamas-Anhänger zwanzig unbeteiligte Zivilisten getötet werden dürfen. In einigen Fällen lag das tatsächliche Verhältnis bei 100 zu 1.
Der Bericht beweist, dass Israel einen Vernichtungskrieg führt. Die Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung sind gleichrangig mit der Jagd auf die bewaffneten Kämpfer, die sich gegen die israelische Besatzung erhoben haben.
Die Times berichtet, dass das Kommando der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) wenige Stunden nach Beginn des Angriffs vom 7. Oktober 2023 einen Befehl herausgab, der die praktisch uneingeschränkte Bombardierung ziviler Gebiete in Gaza erlaubte.
„Bei jedem Angriff, so der Befehl, seien die Offiziere befugt, die Tötung von bis zu 20 Zivilisten zu riskieren“, schreibt die Times.
Durch den Befehl wurden die IDF ermächtigt, Personen, die vage mit der Hamas in Verbindung gebracht wurden, auch in Privatwohnungen unter Beschuss zu nehmen. Damit wurden die Voraussetzungen für die systematische und gezielte Ermordung ganzer Familien geschaffen. „Es bedeutete zum Beispiel, dass das Militär auf einfache Kämpfer zielen konnte, wenn sie sich zu Hause im Kreise von Verwandten und Nachbarn aufhielten.“
Die Times fügte hinzu, dass „hochrangige Kommandeure Angriffe auf Hamas-Führer genehmigten, obwohl sie wussten, dass sie dabei jeweils mehr als 100 Nichtkombattanten gefährden würden – eine außergewöhnlich hohe Grenze für eine moderne westliche Armee.“
Aus dem Bericht der Times wird deutlich, dass das „System“ und die „Einsatzregeln“ für „Präventivschläge“ gegen mutmaßliche Hamas-Sympathisanten ein Deckmantel für die flächendeckende Bombardierung des Gazastreifens waren. Es ging darum, so viele Menschen wie möglich zu töten und alle Gebäude und Infrastruktureinrichtungen so weit wie möglich zu zerstören.
Das Ziel war ein ethnisch gesäuberter Gazastreifen, der von Israel dauerhaft annektiert, besetzt und besiedelt werden konnte. Der israelische Premierminister Netanjahu sprach in diesem Zusammenhang von einem „neuen Nahen Osten“, den die imperialistischen Mächte mithilfe ihres israelischen Vasallenstaats direkt beherrschen sollten.
Die Massenmorde dauern bis heute an. Erst am Donnerstag wurden erneut fünf Journalisten bei einem Luftangriff getötet, womit sich die Gesamtzahl der im Gazakrieg ermordeten Journalisten auf 201 erhöht.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza wurden seit Beginn des israelischen Angriffs bisher 45.361 Palästinenser getötet. Darin ist nicht die große Zahl derjenigen eingerechnet, die durch die gezielte Aushungerung oder die Zerstörung des Gesundheitssystems gestorben sind. Wie die medizinische Fachzeitschrift The Lancet in ihrer Juli-Ausgabe schätzte, könnte die Gesamtzahl 186.000 oder mehr betragen.
Der Bericht der Times bedeutet, dass die US-Regierung die Existenz des Vernichtungsbefehls inoffiziell einräumt und damit vor allem Schadensbegrenzung betreiben will. Die wesentlichen Informationen waren bereits zuvor vom +972 Magazine veröffentlicht worden, einer unabhängigen israelisch-palästinensischen Publikation. Aber mit dem jetzigen Bericht der Times bestätigt erstmals eine große US-amerikanische Zeitung, das Dokument gesehen zu haben, das die Tötung von 20 Zivilisten mit jedem getöteten Kämpfer genehmigt.
Die israelischen Angriffe erfolgten ohne Vorwarnung. Gesteuert wurden sie oftmals mit einem System namens „Lavender“, das unter Verwendung von künstlicher Intelligenz ganze Wohnblocks als Vernichtungsziele auswählte. Es gab keine Vorwarnungen, und in einigen Fällen mussten die Angriffe nicht einmal manuell freigeschaltet werden.
Dem Befehl vom 7. Oktober 2023 folgte am nächsten Tag ein weiterer, der laut Times Folgendes besagte: „Angriffe auf militärische Ziele im Gazastreifen … durften insgesamt bis zu 500 Zivilisten pro Tag gefährden.“
Die Times zitiert Prof. Michael N. Schmitt von der US-Militärakademie West Point mit den Worten, es habe „die Gefahr bestanden, dass dies von den Offizieren mittlerer Ränge als Quote aufgefasst wurde, die sie erreichen mussten“. Allerdings, so die Times, wurde die „Quote“ wenige Tage später aufgehoben, und es gab mehrere Tage, an denen mehr als 500 Tote in Gaza gemeldet wurden.
In den ersten beiden Tagen des Krieges waren, wie die Times in einem früheren Artikel berichtet hatte, „90 Prozent der von Israel im Gazastreifen abgeworfenen Munition satellitengesteuerte Bomben von 1.000 bis 2.000 Pfund“.
Vertreter der US-Regierung haben wiederholt behauptet, dass sie die israelische Führung aufgefordert hätten, Munition mit geringerer Sprengkraft einzusetzen. Diese öffentlichen Verlautbarungen werden jedoch durch eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters widerlegt, derzufolge die USA von Oktober 2023 bis Juli 2024 rund 14.000 Zweitausend-Pfund-Bomben an Israel geliefert haben, also mehr als jede andere Art von Munition.
Vor dem Hintergrund des Vernichtungsbefehls erklären sich die Ergebnisse eines Berichts, der im November 2024 vom Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte veröffentlicht wurde. Demnach waren 70 Prozent der zivilen Todesopfer im Gazastreifen Frauen und Kinder, und der weitaus größte Anteil der Todesopfer entfiel auf Kinder unter 18 Jahren.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die westlichen Regierungen behaupten seit Beginn des Völkermords, dass Israel es zwar bisweilen mit dem Einsatz militärischer Gewalt übertreibe, aber keinesfalls die Absicht habe, die Menschen im Gazastreifen auszurotten oder gewaltsam zu vertreiben.
Tatsache ist jedoch, dass der von der New York Times verifizierte Befehl den US-Geheimdiensten kurz nach seiner Herausgabe vorgelegen haben muss. In diesem Fall muss auch US-Präsident Joe Biden vor seiner Israel-Reise im Oktober 2023, bei der er der israelischen Regierung uneingeschränkte Unterstützung zusicherte, über diese Informationen in Kenntnis gesetzt worden sein.
Das Ausmaß der Vernichtung, die mit dem israelischen Angriff auf den Gazastreifen einhergeht, übertrifft alle anderen Kriege, die im 21. Jahrhundert mit Unterstützung der USA geführt wurden. Doch viele der Methoden, die Israel jetzt anwendet, wurden von den Vereinigten Staaten vorweggenommen, seit sie im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ den Nahen Osten in Flammen setzten. Eine Studie aus dem Jahr 2013, die in der medizinischen Fachzeitschrift PLOS Medicine erschien, kam zu dem Ergebnis, dass die US-Invasion im Irak in den Jahren 2003 bis 2011 zum Tod von mindestens einer halben Million Menschen geführt hat. 70 Prozent davon kamen bei gewaltsamen Angriffen ums Leben.
Seit 2001 haben die Vereinigten Staaten weltweit über 100.000 Luftangriffe durchgeführt: im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Libyen, Syrien, Jemen und Somalia. Während der Obama-Regierung (2009-2017) wurden routinemäßig US-Drohnenmorde ausgeführt, die der Präsident an den sogenannten „Terror-Dienstagen“ persönlich anordnete. Die Opfer dieser illegalen Morde wurden aus einer „Dispositionsmatrix“ möglicher Ziele ausgewählt, wie es in Orwellscher Sprachregelung hieß.
Es gibt keine aktuellen Studien darüber, wie viele Menschenleben die Kriege in den oben genannten Ländern gekostet haben. Wenn man aber die Methoden der Irak-Studie von 2013 zugrunde legt, dann dürfte die Zahl der Opfer in die Millionen gehen.
Der systematische Einsatz außergerichtlicher Morde durch die Vereinigten Staaten spricht klar gegen die Behauptungen des Weißen Hauses, es dränge Israel zur „Zurückhaltung“.
Vielmehr perfektioniert und institutionalisiert Israel mithilfe der von den USA gelieferten Waffen und Geheimdienstinformationen die Methoden, die von den USA im „Krieg gegen den Terror“ bereits eingesetzt wurden. Israels Verbrechen schaffen einen Präzedenzfall für Massentötungen in dicht besiedelten städtischen Gebieten, sowohl im Ausland als auch in den Vereinigten Staaten selbst.
Die Komplizenschaft der imperialistischen Mächte beim Völkermord in Gaza ist eine Anklage gegen das gesamte kapitalistische System, das vor Völkermord nicht zurückschreckt und diese schlimmste Form der Barbarei als „normales“ Mittel ansieht, um die Interessen der parasitären kapitalistischen Finanzoligarchie zu verteidigen.