Am Abend des 24. Oktober kam es in der russischen Stadt Korkino (Region Tscheljabinsk) zu Ausschreitungen gegen die örtliche Diaspora der Sinti und Roma. Auslöser der pogromartigen Unruhen war die Ermordung einer 40-jährigen Taxifahrerin am Vortag.
In der Nacht zuvor, am Mittwoch, den 23. Oktober, war die Leiche der Taxifahrerin Elena Sarafanova in der Vatutina-Straße in Korkino ermordet aufgefunden worden. Berichten zufolge hatte sie zuvor einen Anruf von Mitgliedern der Roma-Gemeinde entgegengenommen. Die Frau war an Stichverletzungen gestorben. Tags darauf meldete die Polizei um 18:00 Uhr die Festnahme eines 17-jährigen Verdächtigen, eines Mitglieds der Roma-Gemeinschaft.
Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten (YGBL) verurteilt die rassistischen Ausschreitungen. Was in Korkino geschah, ist Teil eines internationalen Trends. Die herrschende Klasse und ihr Staatsapparat fördern rechtsextreme Kräfte und Stimmungen, um die Arbeiterklasse zu spalten und zu unterdrücken.
Mehrere Medienberichte deuten darauf hin, dass nationalistische Kräfte die Unruhen bewusst provozierten.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Mordes breiteten sich in den sozialen Netzwerken rechtsextreme und nationalistische Interpretationen des Vorfalls aus, wobei behauptet wurde, die Roma von Korkino begingen schon seit längerem Straftaten, aber die Behörden weigerten sich, einzuschreiten, und verzögerten die Suche nach den Tätern.
Am darauffolgenden Abend versammelte sich eine Menschenmenge von mindestens 150 überwiegend jungen Leuten vor den Häusern der Roma. Sie begannen, Steine gegen die Fenster zu werfen und Autos umzustoßen, und setzten mehrere Häuser in Brand.
Kurz nach Beginn der rechtsextremen Ausschreitungen traf die Bereitschaftspolizei ein, und die Sicherheitskräfte begannen, die Randalierer auseinanderzutreiben. Berichten zufolge wurden drei Personen verletzt, darunter ein Mitglied der Roma-Gemeinschaft. Wie bekannt wurde, setzte einer der Roma eine Schusswaffe ein und verletzte zwei Menschen; er wurde später festgenommen. Laut Polizeiangaben wurden an diesem Tag insgesamt 43 Randalierer festgenommen.
Die Kommune versprach der Familie der ermordeten Taxifahrerin eine finanzielle Unterstützung, und ein Treffen mit den Anwohnern wurde angekündigt. Es fand drei Tage später, am 26. Oktober, statt, und der Gouverneur der Region Tscheljabinsk, Alexei Teksler, sowie weitere hochrangige Beamte nahmen daran teil. Hauptthema war die Roma-Diaspora in der Stadt. Die Politiker waren auch bei der Beerdigung der ermordeten Elena Sarafanova am selben Tag zugegen. Am Vortag hatte die Polizei die Bewohner von Korkino davor gewarnt, am Beerdigungstag der Hetze von Provokateuren zu folgen.
Der Leiter der Polizeibehörde von Korkino, Vladimir Dyakin, wurde suspendiert, und die Vorsitzende des Korkino-Bezirks der Region Tscheljabinsk, Natalia Loschinina, trat zurück. Berichten vom 29. Oktober zufolge patrouillierten auch später noch 400 Polizeibeamte in Korkino. Außerdem meldeten die Behörden 450 Verstöße, die bei den Inspektionen aufgedeckt wurden. 70 Anwohner (offenbar Mitglieder der Roma-Gemeinschaft) erhielten Vorladungen der Militärbehörde, sich beim Einberufungsamt zu melden.
Das Thema der Roma wurde noch bei zwei weiteren Anwohnerversammlungen angesprochen. Der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Föderationskreis Ural (zu dem die Region Tscheljabinsk gehört), Artem Zhoga, wies die obersten Bundesinspektoren an, die interethnische Situation in allen Regionen des Bezirks vor dem Hintergrund der Unruhen in Korkino zu untersuchen.
Einige Details der Ereignisse legen nahe, dass hinter den Unruhen rechtsextreme Kräfte stehen, die mit den höchsten Kreisen des Staatsapparats in Verbindung stehen und von diesen ermutigt werden. Kurz nach dem Mord an der Frau in einer Provinzstadt im Ural und unmittelbar vor dem Ausbruch der Unruhen hatte der Leiter des Untersuchungsausschusses, Alexander Iwanowitsch Bastrykin, persönlich die Leitung der Ermittlungen übernommen.
Das bedeutet, dass die Moskauer Polizeibehörden den Fall nun übernommen haben. Bastrykin hat sein Amt seit 2011 inne. Seine Amtszeit wurde zum zweiten Mal von Präsident Wladimir Putin verlängert, der zusammen mit Bastrykin an der Leningrader Staatsuniversität studiert hatte.
Putin hatte sich auch persönlich dafür eingesetzt, die Altersgrenze für den Leiter des Untersuchungsausschusses von 65 auf 70 Jahre anzuheben. Bastrykin ist allerdings jetzt 71 Jahre alt. Er verbreitet seit langem rechtsextreme Hetze gegen Migranten, seit 2023 ist er bei der extremen Rechten zu einem beliebten Staatsmann geworden. Rechtsextreme fordern ihn regelmäßig auf, „die Ordnung wiederherzustellen“, wenn es um Vorfälle geht, in die ihre Anhänger – meist Mitglieder der paramilitärisch-nationalistischen Bewegung „Russische Gemeinschaft“ (Russkaja obschtschina) – verwickelt sind.
Bastrykin ist für seine Verbindungen zur extremen Rechten berüchtigt. Im April dieses Jahres belagerten faschistische Mitglieder der „Russischen Gemeinschaft“ eine Schule in Bataysk, um sich „um einen Schüler aus der nationalen Diaspora [d. h. einen Einwanderer] zu kümmern“, der zuvor einen Konflikt mit einem russischen Lehrer hatte. Die Schulleitung war gezwungen, die Schüler während dieser faktischen Belagerung durch die Rechtsextremen am Verlassen des Gebäudes zu hindern, um körperliche Auseinandersetzungen und Verletzungen zu vermeiden.
Nachdem die Polizei drei Nationalisten festgenommen und ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet hatte, schaltete sich Alexander Bastrykin persönlich ein und ordnete eine Überprüfung des Verfahrens an, da es sich gegen „öffentliche Aktivisten [richte], die Bürger, die unter illegalen Handlungen litten, verteidigt haben“.
In ähnlicher Weise wies Bastrykin Ende August dreimal an, ein Strafverfahren gegen Polizeibeamte in St. Petersburg einzuleiten, die Mitglieder der „Russischen Gemeinschaft“ festgenommen und Protokolle über sie erstellt hatten. Sie waren gekommen, um nicht-russische Taxifahrer aus Dagestan anzugreifen, mit denen sie vorher in Konflikt geraten waren. Wie im Fall von der Schule in Bataysk behauptete Bastrykin, dass es einen „Machtmissbrauch“ darstelle, wenn Polizisten versuchten, Nationalisten zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Unruhen vom 24. Oktober in Korkino sind der Höhepunkt einer enormen Steigerung der rechtsextremen Gewalt seit zwei Jahren. Davor waren sie eine Zeitlang eher selten. Seither sind nationalistische Angriffe auf nicht-russische Mitbürger – ein Gespenst der 2000er und frühen 2010er Jahre – wieder auf die Straßen russischer Städte zurückgekehrt. Im Jahr 2023 wurde erstmals ein signifikanter Anstieg der Zahl und der Brutalität der Angriffe registriert, der bis heute anhält.
Unabhängige Forscher haben über einen Zeitraum von vier Monaten mehr als 400 Videos entdeckt, die zahlreiche Vorfälle rassistisch und nationalistisch motivierter Angriffe zeigen. Die Angreifer selbst hatten diese Videos gedreht und sie in nationalistischen sozialen Medien verbreitet.
Russland ist ein multiethnisches und multireligiöses Land. Die Wirtschaft ist in hohem Maß (bis zu 10 Prozent der Erwerbsbevölkerung) von nicht-russischen Arbeitskräften abhängig. Sie stammen hauptsächlich aus Zentralasien und wurden erst durch den Zerfall der UdSSR zu „Einwanderern“ in Russland. Viele von ihnen sind Muslime, während die meisten ethnischen Russen zwar nicht unbedingt religiös sind, aber einen christlich-orthodoxen Hintergrund haben. Muslime verschiedener Nationalitäten machen insgesamt bis zu 15 Prozent der Bevölkerung Russlands aus.
Die verschiedenen Religionen und Ethnien des Landes sind geografisch ungleichmäßig verteilt. So sind beispielsweise der Kaukasus und Tatarstan Gebiete mit einer festen muslimischen Bevölkerung, deren Ansiedlung dort weit in die Geschichte zurückreicht. Moskau hat die höchste Dichte an Arbeitsmigranten. Der kapitalistische Alltag verschärft die nationalen, ethnischen und religiösen Konflikte. Dies bereitet den Nährboden für Separatismus in den nationalen Republiken und Autonomiegebieten der Föderation, sowie auch im alltäglichen Umgang zwischen der russischen und der nicht-russischen Bevölkerung.
Die Zunahme rechtsextremer Gewalt und ethnischer Spannungen ist nicht nur das Ergebnis des vom Putin-Regime propagierten russischen Chauvinismus. Auch die imperialistischen Mächte provozieren solche Spannungen, um Russland innenpolitisch zu destabilisieren und ethnische und religiöse Konflikte anzuheizen. Es ist ein zentraler Bestandteil ihres Kriegs gegen Russland und ihres Versuchs, die gesamte Region aufzuspalten. Ziel ist es, das Putin-Regime zu stürzen, um sich leichteren Zugang und Kontrolle über die reichen Ressourcen des Landes zu sichern.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, an die jüngsten Terroranschläge in Dagestan (Russischer Nordkaukasus) am 23. Juni dieses Jahres zu erinnern, als Islamisten in den Städten Machatschkala und Derbent gleichzeitig zwei orthodoxe Kirchen, eine Synagoge und eine Polizeistation mit Schusswaffen angriffen. 22 Menschen kamen bei diesen Terroranschlägen ums Leben.
Zuvor, im Oktober 2023, kam es in Dagestan zu antijüdischen Ausschreitungen, als eine Menschenmenge Passagiere eines Flugzeugs aus Israel daran hinderte, am Flughafen Machatschkala auszusteigen. In beiden Fällen gab es Hinweise darauf, dass die an diesen Terroranschlägen beteiligten nationalistischen Kräfte von den imperialistischen Mächten ermutigt worden waren. Der größte Terroranschlag in Russland seit Beginn des Kriegs in der Ukraine, der im März im Moskauer Crocus City Hall stattfand, trug eindeutig die Handschrift der ukrainischen Regierung und der Nato-Mächte und hatte das Ziel, ethnische und religiöse Spannungen zu schüren.
Als Reaktion darauf startete das Putin-Regime eine groß angelegte Offensive gegen Arbeitsmigranten. Dies begann einen Tag nach dem Anschlag auf Crocus City Hall, als die Bereitschaftspolizei OMON demonstrativ Razzien in Wohnheimen mit Arbeitern aus anderen Ländern durchführte. Die Offensive dauert bis heute an.
Nach dem Terroranschlag kam es in einer Vielzahl russischer Regionen fast zeitgleich zu Arbeitsverboten für Ausländer. Offiziell wurden diese auf Initiative des jeweiligen Gouverneurs erlassen, in Wirklichkeit jedoch auf Befehl von oben. Infolgedessen werden Arbeitsmigranten massenhaft aus dem Land vertrieben, obwohl schon davor der schlimmste Personalmangel seit langer Zeit herrschte.
In der russischen Staatsduma deuten die ständigen Hetzreden gegen ausländische Migranten auf eine drastische Wende in der Frage der interethnischen Beziehungen im Vergleich zur Zeit vor 2024 hin. Die russische Oligarchie, die 1991 aus der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie hervorging, nutzt seit langer Zeit den Chauvinismus für ihre eigenen Zwecke. Die Tradition, chauvinistische Stimmungen in der Gesellschaft zu fördern und aufrechtzuerhalten, reicht bis in die Zarenzeit zurück, als die russische Elite und der Staat brutalen Antisemitismus schürten und antijüdische Pogrome als Mittel zur Spaltung der Arbeiterklasse und zur Unterdrückung revolutionärer Bewegungen einsetzten.
Diese Traditionen lebten unter Stalin in der Sowjetbürokratie wieder auf, und sie stellten die Russen im Staat und in der öffentlichen Propaganda und Kultur als die führende ethnische Gruppe der UdSSR dar. Der Russe wurde als „großer Bruder“ der anderen Völker dargestellt, die Teil der Sowjetunion waren. Die Geschichte der Eroberungen des Russischen Reiches war nun nicht mehr die Geschichte der erzwungenen Unterwerfung und anschließenden Unterdrückung der Nachbarvölker, sondern der freiwillige Zusammenschluss der „jüngeren“ Völker mit ihrem neuen Beschützer in Moskau.
Die heutige russische Bourgeoisie stützt sich auf dieses reaktionäre Erbe des Zarismus und des Stalinismus. Wie schon früher pflegen Kirche, Kino und Musik, sowie auch Persönlichkeiten des öffentlichen und staatlichen Lebens eifrig das Bild des russischen Volkes, das vor allem Größe besitze: Es habe in der Geschichte jeden äußeren Feind bezwungen und sei der wichtigste Freund aller anderen Völker, die innerhalb der Grenzen des russischen Staates lebten. Wie falsch solche Vorstellungen sind, das haben die Bolschewiki und insbesondere Wladimir Iljitsch Lenin seinerzeit ausführlich dargelegt.
In diesem Jahr hat die Propaganda der herrschenden Klasse Russlands dabei eine deutliche Veränderung gemacht. Wurde früher die Freundschaft der Völker als einzig akzeptabler Ansatz für ihr Zusammenleben im Rahmen eines großen Landes dargestellt, so werden jetzt rassistische Vorurteile von den herrschenden Kreisen gebilligt und gefördert. Nicht nur Regierungsbeamte, sondern alle staatlichen Medien zeichnen ein Bild des Nicht-Russen als eines schlecht erzogenen Gastes in den russischen Städten und als eines tendenziell kriminellen Elements.
Im Immobilienbereich sind Anzeigen an der Tagesordnung, die darauf hinweisen, dass nur Personen mit slawischem Aussehen/slawischer Nationalität zur Miete oder zum Verkauf zugelassen werden. Parallel zum Anstieg rechtsextremer Gewalt, der bereits vor den Ereignissen von 2024 begann, gewinnen rechtsextreme nationalistische Medien in Russland an Popularität. Die oben erwähnte „Russische Gemeinschaft“ hat mehr als eine halbe Million Abonnenten auf Telegram, und die Gruppe DSMRG Russitsch, eine neonazistische militärische Formation, die an der Seite der russischen Streitkräfte in der Ukraine kämpft, hat auf Telegram 239.000 Abonnenten. Auch andere faschistische Medien haben Zehntausende und Hunderttausende von Lesern. Teile des Putin-Regimes, darunter auch Personen wie Bastrykin, haben bekannte Verbindungen zu solchen Kräften.
Die Förderung von Rassismus und großrussischem Chauvinismus durch das Putin-Regime ist Teil seiner Bemühungen, die Arbeiterklasse in der gesamten ehemaligen Sowjetunion zu spalten und die soziale Wut über das immense Ausmaß sozialer Ungleichheit in nationalistische Bahnen zu lenken. Gleichzeitig ist sich das Putin-Regime bewusst, dass ein übermäßiges Anwachsen chauvinistischer Gefühle destabilisierende Folgen haben kann und dass der westliche Imperialismus versucht, ethnische Spannungen zu schüren, um das Land zu destabilisieren. Daher versucht das Putin-Regime, solche Stimmungen unter Kontrolle zu halten. Und so bleiben die ultrarechten Narrative immer noch außerhalb der offiziellen staatlichen Rhetorik, außerhalb der Medien und öffentlichen Institutionen. Sie werden nur von den Nationalisten selbst verbreitet.
Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten verurteilt all diese reaktionären Manöver des Putin-Regimes, die die extreme Rechte stärken. Sie sind Teil der anhaltenden Bemühungen Moskaus, eine Verhandlungslösung mit den imperialistischen Mächten zu finden.
Wir rufen die russischen Arbeiter aller Nationalitäten, Religionen und Ethnien auf, sich der Propaganda von Nationalismus und Chauvinismus durch die herrschende Oligarchie zu widersetzen. Der Kampf gegen imperialistischen Krieg und gegen die Angriffe der herrschenden Klasse auf die Lebensgrundlagen der Bevölkerung erfordert die politische Organisation eines vereinten Kampfs aller Arbeiter in der ehemaligen Sowjetunion und auf der ganzen Welt.
Dazu ist der Aufbau einer wahrhaft sozialistischen Partei der Arbeiterklasse in Russland als Teil des Internationalen Komitees der Vierten Internationale notwendig. Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten (YGBL) bekennt sich zu dem Kampf gegen Kapitalismus und Faschismus und für den Sozialismus. Wir rufen alle, die die Notwendigkeit dieses Kampfs erkennen, dazu auf, uns zu kontaktieren.