Israel reagiert auf Entscheidung des IStGH mit Luftangriffen auf den Libanon und Massenvertreibungen in Gaza

Israel hat auf die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant von letzter Woche mit einer Verschärfung seines Amoklaufs im gesamten Nahen Osten reagiert.

Rauchsäulen steigen nach israelischen Luftangriffen auf zivile Gebäude in Dahieh (Beirut) auf, 24. November 2024 [AP Photo/Hassan Ammar]

Am Samstag wurden bei einem israelischen Luftangriff auf den Stadtteil Basta al-Fawqa der libanesischen Hauptstadt Beirut mindestens 29 Menschen getötet und mehr als 68 verwundet. Insgesamt wurden an diesem Tag im Libanon 84 Menschen durch israelische Bombenangriffe getötet, und am Sonntag kamen Dutzende weitere ums Leben.

Seit Oktober 2023 wurden laut dem libanesischen Gesundheitsministerium 3.754 Menschen bei israelischen Angriffen auf den Libanon getötet und 15.626 verwundet. Fast ein Viertel der libanesischen Bevölkerung wurde zur Flucht gezwungen.

Die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) erklärten, mit dem Luftangriff von Samstag sei versucht worden, den Hisbollah-Militärbefehlshaber Mohammad Haidar zu töten, allerdings sei der Angriff erfolglos geblieben. Der libanesische Gesundheitsminister Firass Abiad erklärte, das Ziel des Angriffs sei ein mehrstöckiges Wohngebäude mit mindestens 45 Bewohnern gewesen.

Libanons offizielle Nationale Nachrichtenagentur NNA berichtete: „Die Hauptstadt Beirut entdeckte beim Erwachen ein schreckliches Massaker, denn die feindliche israelische Luftwaffe hatte ein achtstöckiges Wohngebäude in der Al-Mamoun-Straße im Stadtteil Basta mit fünf Raketen vollständig zerstört.“

Laut der NNA haben die anhaltenden Angriffe am Sonntag „massive Zerstörungen in einem geografisch großen Gebiet verursacht. Die südlichen Vororte Beiruts Haret Hreik, Bir al-Abed und Ghobeiri wurden Ziel einer Reihe brutaler Angriffe.“

Der Al-Jazeera-Reporter Zein Basravi berichtete, der Angriff am Samstag „war mindestens der vierte israelische Angriff in dieser Woche im Zentrum von Beirut“. Er fügte hinzu, Israel habe „mehrfach ohne Vorwarnung ein dicht besiedeltes Gebiet mit Raketen angegriffen, die weit vordringen sollten“.

Zu den Opfern dieser Angriffe gehörten libanesische Soldaten, von denen mindestens einer getötet wurde. Das israelische Militär greift zwar offiziell die Hisbollah an und nicht die libanesische Regierung, doch israelische Politiker fordern offen Angriffe auf libanesische Regierungsgebäude. So erklärte der israelische Oppositionsführer Benny Gantz: „Die libanesische Regierung erlaubt der Hisbollah, frei zu operieren. Es ist Zeit, hart gegen ihre Infrastruktur und ihren Besitz vorzugehen.“

Israelische Medien gehen sogar noch weiter. Der Militäranalyst Avi Ashkenazi schlug in einer Kolumne in der Zeitung Maariv vor, das libanesische Parlamentsgebäude zu bombardieren: „Das Parlamentsgebäude ist Teil der politischen Infrastruktur der Hisbollah und könnte ihren Mitgliedern als Zufluchtsort dienen.“

Zeitgleich mit den massiven Bombenangriffen auf den Libanon wurde auch die ethnische Säuberung in Gaza ausgeweitet. Das israelische Militär erließ eine Reihe neuer Vertreibungsbefehle für den Ort Shuja'iya im Norden von Gaza, durch die viele Menschen zur Flucht gezwungen werden. Posts in sozialen Netzwerken zeigen, wie hunderte Menschen den Ort mit Eselskarren oder zu Fuß verlassen.

Avi Dichter, Mitglied des israelischen Sicherheitskabinetts, machte deutlich, dass Israel den Gazastreifen auf Jahre hinaus besetzen will: „Gaza wird niemals eine Bedrohung für den Staat Israel sein, egal wie lange es dauert... Ich denke, wir werden für lange Zeit in Gaza bleiben... Ich denke, die meisten verstehen, dass es Jahre dauern wird.“

Die jüngsten Befehle zur Massenvertreibung sind Teil einer systematischen Kampagne, die als „Plan der Generäle“ bekannt ist und die eine vollständige ethnische Säuberung des nördlichen Gazastreifens zum Ziel hat. Zu diesem Zweck werden Nahrungsmittel und Versorgungsgüter zurückgehalten und alle verbliebenen Einwohner als feindliche Kämpfer behandelt, die getötet werden können.

Der eskalierende Krieg gegen den Libanon und die ethnische Säuberung in Gaza gehen einher mit einer umfassenden Unterdrückung in Israel. Am Wochenende verhängte die israelische Regierung Sanktionen gegen Haaretz, die älteste Zeitung Israels. Anfang des Monats hatte Haaretz in einem Leitartikel dem israelischen Militär vorgeworfen, „eine ethnische Säuberungsaktion im Norden des Gazastreifens durchzuführen“.

Israels völkermörderischer Amoklauf in Gaza richtet sich erbarmungslos gegen Gesundheitspersonal und Mitarbeiter humanitärer Organisationen. Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa wurden mehr als 1.000 Ärzte und Pflegekräfte durch israelische Bombenangriffe in Gaza getötet. Medizinische Quellen erklärten gegenüber WAFA, dass „mehr als 310 weitere medizinische Mitarbeiter verhaftet, gefoltert und in Gefängnissen hingerichtet wurden“. Weiter hieß es, israelische Truppen hätten „den Zugang für Medikamente, Gesundheitsdelegationen und Hunderte von Chirurgen nach Gaza verhindert“.

Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten erklärte am Freitag, das Jahr 2024 sei für humanitäre Hilfskräfte das tödlichste Jahr in der Geschichte der humanitären Hilfe geworden; weltweit seien 281 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet worden, die große Mehrheit davon durch israelische Truppen in Gaza.

Der Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordination, Tom Fletchner, erklärte: „Humanitäre Helfer werden in beispiellosem Ausmaß getötet, ihr Mut und ihre Menschlichkeit werden mit Kugeln und Bomben beantwortet... Diese Gewalt ist skrupellos und hat verheerende Auswirkungen auf Hilfseinsätze. Staaten und Konfliktparteien müssen humanitäre Helfer schützen, das Völkerrecht achten, die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgen und diese Ära der Straflosigkeit beenden.“

Angesichts der ständigen Bombenangriffe und der Hungerkatastrophe in Gaza gibt es immer wieder Berichte über Massenhinrichtungen durch israelische Truppen. Der Euro-Med Human Rights Monitor berichtete:

Unter den zahlreichen Gräueltaten israelischer Truppen – von Bombenangriffen auf bewohnte Wohngebäude bis zu Massenmorden an vertriebenen Zivilisten in Unterkünften und Angriffen auf Versammlungen und Fahrzeuge – dokumentierte das Feldteam von Euro-Med Monitor erschütternde Vorfälle von direkten Tötungen und außergerichtlichen Hinrichtungen von Zivilisten durch israelische Soldaten ohne jede Rechtfertigung.

Das Euro-Med-Team „dokumentierte die Ermordung von Khaled Mustafa Ismail Al-Shafaia (58) und seinem ältesten Sohn Ibrahim (21) durch israelische Truppen. Sie wurden am Mittwoch den 13. November 2024 in ihrem Haus in Beit Lahia vor den Augen ihrer Familie erschossen.“

Am letzten Dienstag hat der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. US-Regierungsvertreter reagierten darauf mit einer Verurteilung des IStGH. Das Weiße Haus erklärte, es diskutiere über die Forderung republikanischer Senatoren nach Sanktionen gegen den IStGH. Mindestens ein Senator hatte mit militärischen Vergeltungsmaßnahmen gegen alle Länder gedroht, die mit dem IStGH kooperieren.

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