Perspektive

Harris’ Rede in Washington: Vertuschung und Komplizenschaft im Angesicht des Faschismus

Kamala Harris, demokratische Präsidentschaftskandidatin und Vizepräsidentin, spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Raleigh (North Carolina), 30. Oktober 2024 [AP Photo/Allison Joyce]

Mit ihrer Rede in Washington D.C. demonstrierte Vizepräsidentin Kamala Harris am Dienstagabend ihren Kniefall und vollständige Komplizenschaft gegenüber der wachsenden faschistischen Gefahr in Amerika.

Harris sprach nur zwei Tage nach Donald Trumps Kundgebung im Madison Square Garden, einer Veranstaltung voll bösartiger Verunglimpfungen von Einwanderern und Flüchtlingen, direkt von den Nazis abgeleiteter Sprache und Drohungen gegen Trumps politische Gegner, einschließlich Harris selbst.

Harris bezog sich in ihren Äußerungen jedoch nicht auf die Kundgebung. Sie benutzte auch nicht das Wort „Faschismus“, das sie in den letzten Wochen verwendet hatte – stets darauf bedacht, ihre Kommentare auf die von ehemaligen Generälen und Angehörigen der Trump-Regierung zu stützen. Es handelte sich nicht um ein Versehen oder um ein Ergebnis von Vergesslichkeit. Es war vielmehr um eine kalkulierte politische Entscheidung.

Am Vorabend von Harris’ Äußerungen verfasste Edward Luce, US-Redakteur der Financial Times, eine Kolumne mit dem Titel „Amerika ist nicht allzu besorgt über Faschismus“ und riet Harris, sich nicht auf „die Gefahr eines starken Mannes Trump“ zu konzentrieren. Obwohl die Bedrohung durch den Faschismus real sei, so Luce, sei „ein erstaunlich großer Teil Amerikas wenig beeindruckt“.

Harris befolgte den Rat, aber nicht aus der Sorge heraus, dass sich niemand um die Bedrohung durch den Faschismus in Amerika kümmert. Ganz im Gegenteil. Die Demokraten fürchten nichts mehr als Angst und Wut zu schüren – eine Situation zu schaffen, in der breitere Bevölkerungsschichten reagieren. Im Angesicht der faschistischen Gefahr predigen die Demokraten Ruhe.

In ihrer Rede würdigte Harris kaum ein Wort dem Staatsstreich vom 6. Januar, der von Trump von dem Ort aus verübt wurde, an dem sie ihre Rede hielt. Sie erwähnte beiläufig Trumps Drohungen, den „Feind im Inneren“ ins Visier zu nehmen, stellte diese jedoch ausschließlich als Produkt eines „labilen“ Mannes dar, der „von Rache besessen“ und „auf unkontrollierte Macht aus ist“.

Den größten Teil von Harris’ Großveranstaltung – die als ihr „Abschlussplädoyer“ angekündigt worden war – machte ein müder Aufguss ihrer Parteitagsreden vom August aus, in denen sie häufig genau dieselben Formulierungen verwendet hatte.

Während Trump und die Republikaner die Sprache des Bürgerkriegs sprechen, plädiert Harris für eine Koalitionsregierung. Sie rief nach „Kompromissen“ und „Konsens“, nach einem Ende von „Spaltung, Chaos und gegenseitigem Misstrauen“. Sie verkündete: „Im Gegensatz zu Donald Trump glaube ich nicht, dass Menschen, die anderer Meinung sind als ich, der Feind sind. Er will sie ins Gefängnis stecken. Ich werde ihnen einen Platz am Tisch geben.“

Man muss sich fragen: Wenn Harris ihrer selbst zum Trotz die Wahl gewinnt und das Amt der Präsidentin übernimmt, wird sie dann Trump oder seinen prominentesten Unterstützern einen Posten in ihrem Kabinett anbieten? Immerhin hat sie bereits versprochen, einen Großteil des Programms der Republikanischen Partei umzusetzen, einschließlich eines brutalen Angriffs auf Einwanderer, wie sie am Dienstag bekräftigte.

Harris setzt – in einem inzwischen viel weiter fortgeschrittenen Stadium der Krise – Bidens Reaktion auf den Staatsstreich vom 6. Januar fort. Biden zog aus der koordinierten Verschwörung gegen seine eigene Amtseinführung, einschließlich von Versuchen, Politiker der Demokratischen Partei zu entführen und zu töten, den Schluss, dass eine „starke Republikanische Partei“ notwendig sei. Harris hofft, dass diejenigen, die vier Jahre später die Errichtung einer Diktatur planen, ihre Verschwörungen aufgeben und sich mit ihr zusammenschließen, um die gemeinsamen Interessen der kapitalistischen Oligarchie zu verfolgen.

Trump und die Republikaner bewegen sich unterdessen in die entgegengesetzte Richtung, indem sie mittels Behauptungen über Wahlfälschung Gewalt schüren. Am Mittwoch, noch bevor die Stimmzettel in Pennsylvania geöffnet oder ausgezählt waren, behauptete Trump auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social, dass „Pennsylvania betrügt und dabei erwischt wird, und zwar in einem Ausmaß, wie man es selten zuvor gesehen hat.“ Seine Kampagne reichte Klage gegen Bucks County in Pennsylvania ein, die eine „Einschüchterung der Wähler“ behauptete.

Dabei handelt es sich weniger um eine juristische Anfechtung als vielmehr um einen Versuch, einen betrügerischen Vorwand für faschistische Agitation zu schaffen. In Washington und Oregon wurden bereits Wahlurnen in Brand gesetzt – ein Hinweis darauf, was die nächsten Tage bringen werden.

Die politische „Strategie“ der Demokraten speist sich aus mehreren Faktoren. Da ist zunächst die Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil der Konzern- und Finanzoligarchie offen hinter Trump steht oder sich mit einem Sieg Trumps arrangiert. In einem am Mittwoch veröffentlichten Artikel stellte das Wall Street Journal fest, dass sich viele CEOs zwar öffentlich neutral verhalten, aber stillschweigend auf Trump zugetreten sind, da sie seine Wiederwahl als „Versicherung“ gegen mögliche Kampagnen gegen die Wall Street sehen. In den vergangenen Tagen haben die milliardenschweren Eigentümer der Washington Post und der Los Angeles Times ihre Redaktionen daran gehindert, Harris bei den Wahlen am kommenden Dienstag zu unterstützen.

Zudem benötigen die Demokraten die Republikanische Partei und das Zweiparteiensystem, um den Klassenkampf zu unterdrücken. Harris’ wiederholte Hinweise in ihrer Rede auf „Chaos“ und „Spaltung“ bezogen sich nicht in erster Linie auf die Konflikte innerhalb des Staatsapparats. Die Demokraten haben Angst, dass der Zusammenbruch der traditionellen politischen Institutionen der Klassenherrschaft in den Vereinigten Staaten eine verwundbare Stelle für die Intervention der Arbeiterklasse bilden könnte. Wie immer steht ihr wahrer Feind nicht rechts, sondern links.

Drittens besteht das zentrale und vorrangige Anliegen der Demokraten darin, den Krieg zu eskalieren. Die wichtigste Aussage, die Harris am Dienstagabend traf und die wortwörtlich aus ihrer Rede auf dem Parteitag der Demokraten übernommen wurde, war ihr Versprechen: „Als Oberbefehlshaberin werde ich dafür sorgen, dass Amerika die stärkste und tödlichste Streitkraft der Welt hat.“

In den Tagen und Wochen vor der Wahl lässt Israel mit Unterstützung des Weißen Hauses die Menschen im nördlichen Gazastreifen in einem Vernichtungsfeldzug aushungern, hat einen Krieg gegen den Libanon begonnen und Raketenangriffe auf den Iran gestartet. Der Krieg im Nahen Osten ist Teil einer weltweiten Kriegsentwicklung, zu der auch der von USA und Nato geführte Krieg in der Ukraine gegen Russland und der drohende Konflikt mit China gehören.

Das Argument des „kleineren Übels“, das darauf besteht, dass die Demokratische Partei ein Bollwerk gegen Trump und die faschistische Bedrohung ist, ist politisch bankrott. Die gleichen Argumente, die jetzt von Bernie Sanders, Ocasio-Cortez und anderen verwendet werden, um auf der Notwendigkeit zu bestehen, Harris zu unterstützen, um Trump zu stoppen, wurden vor vier Jahren verwendet, um alle Opposition gegen Biden unterzuordnen. Und was hat das gebracht? Trump ist politisch gestärkt.

Nicht nur, dass sie durch den Völkermord in Gaza blutüberströmt ist und einen eskalierenden globalen Krieg beaufsichtigt, die Demokratische Partei als Partei der Wall Street, der militärischen Geheimdienste und der privilegierten Teile der oberen Mittelschicht ist unfähig und nicht daran interessiert, demokratische Rechte zu verteidigen. Wenn Harris der große Bannerträger des Kampfes gegen den Faschismus ist, dann ist dieser Kampf bereits verloren.

Nur die Arbeiterklasse, die unabhängig und in Opposition zu beiden kapitalistischen Parteien mobilisiert wird, kann sich dem Abstieg des Kapitalismus in die faschistische Diktatur entgegenstellen.

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