„Ich habe mich des Journalismus schuldig bekannt“

Julian Assanges erste Rede seit der Entlassung aus dem britischen Gefängnis

Der WikiLeaks–Gründer Julian Assange hielt am Dienstag in Straßburg, während einer 90-minütigen Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE), eine eindrucksvolle Rede. Er beschrieb darin die 14 Jahre außergerichtlicher Verfolgung und Inhaftierung, die er von Seiten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten erlitten hatte, und wies auf die abschreckenden Auswirkungen hin, die ein solches Vorgehen auf die Pressefreiheit weltweit ausübt.

Assange war aus Australien angereist, um persönlich vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) zu erscheinen. Neben ihm auf dem Podium saßen seine Frau Stella und der Chefredakteur von WikiLeaks, Kristinn Hrafnsson. Es war Assanges erste öffentliche Rede seit seiner Entlassung aus dem Belmarsh-Gefängnis vor vier Monaten, von wo er durch einen Deal mit dem US-Justizministerium freigekommen war.

WikiLeaks-Gründer Julian Assange vor dem Europarat in Straßburg, 1. Oktober 2024 [AP Photo/Pascal Bastien]

Assange sagte über den Deal, bei dem er sich der Verschwörung mit der US-Geheimdienstanalystin Chelsea Manning zur Beschaffung und Veröffentlichung geheimer Dokumente schuldig bekannt hatte: „Ich habe mich schließlich für die Freiheit und gegen eine unerreichbare Gerechtigkeit entschieden, nachdem ich jahrelang inhaftiert war und mir eine 175-jährige Haftstrafe ohne wirksame Rechtsmittel drohte.“ Er betonte: „Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hätte, ich bin heute nach Jahren der Haft frei, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannte.“

Ohne die beispiellose weltweite Kampagne für seine Freiheit, fuhr er fort, die von Aktivisten, Zivilpersonen, Juristen, Medizinern und Politikern geführt wurde, „hätte ich nie wieder das Licht der Welt erblickt“.

Assange sprach auf einer eigens einberufenen Parlamentssitzung zu seiner Inhaftierung und Verurteilung. Die isländische Abgeordnete Thórhildur Sunna Ævarsdóttir, Generalberichterstatterin des Europarats zur Lage der Menschenrechte und Mitglied der isländischen Piratenpartei, hatte die Sitzung einberufen. Ihr Bericht an die Parlamentarische Versammlung des Europarates zur „Inhaftierung Julian Assanges und ihrer abschreckenden Wirkung auf die Menschenrechte“ stand am Mittwoch auf der Agenda.

Die von den USA gegen WikiLeaks betriebene Vendetta forderte von Assange einen enormen persönlichen Tribut. Assange sagte in seiner Rede vor der PACE:

Die Erfahrung jahrelanger Isolation in einer kleinen Zelle ist schwer zu vermitteln. Man verliert das Selbstgefühl, und es bleibt nur die nackte Essenz der Existenz. Bisher war ich noch nicht in der Lage, über das, was ich durchgemacht habe, zu sprechen, den unerbittlichen Kampf, sowohl körperlich als auch geistig am Leben zu bleiben. Ich kann auch noch nicht über den Tod durch Erhängen, Mord oder medizinische Vernachlässigung meiner Mitgefangenen sprechen.

Er fuhr fort:

Die Isolation hat ihren Tribut gefordert, den ich zu überwinden versuche, und es ist eine Herausforderung, mich in dieser Umgebung auszudrücken. Der Ernst dieses Anlasses und die Schwere der anstehenden Probleme zwingen mich jedoch, meine Vorbehalte beiseite zu lassen und direkt zu Ihnen zu sprechen.

Assange nutzte seine Anhörung, um vor den weitreichenden Folgen seiner Anklage aufgrund des Spionagegesetzes zu warnen, das den Journalismus kriminalisiert und ein Regime der „transnationalen Unterdrückung“ eingeleitet hat. Seine Strafverfolgung bedeutet, dass jeder Journalist überall auf der Welt angeklagt, ausgeliefert und inhaftiert werden könne, wenn er Kriegsverbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen der US-Regierung aufdeckt.

Nach 14 Jahren Haft in Großbritannien, erst unter Hausarrest in der ecuadorianischen Botschaft in London und dann im Gefängnis, beschrieb Assange, wie er aus dem „Kerker von Belmarsh“ herauskam und feststellte, „wie viel Boden in dieser Zeit verloren gegangen ist (...) wie sehr die Verbreitung der Wahrheit untergraben, angegriffen, geschwächt und gemindert worden ist. Ich sehe mehr Straflosigkeit, mehr Geheimhaltung, mehr Vergeltung dafür, dass die Wahrheit ausgesprochen wird, und mehr Selbstzensur.“

Es ist schwer, keine Verbindung zwischen der Strafverfolgung gegen mich durch die US-Regierung – sie überschreitet den Rubikon, indem sie Journalismus international kriminalisiert – und dem derzeit erschreckenden Klima für die Meinungsfreiheit herzustellen.

Assange sagte, WikiLeaks habe „die Wahrheit über Zehntausende verschwiegener Kriegsopfer und andere unsichtbare Gräuel, über Programme von Mord, Auslieferung, Folter und Massenüberwachung entdeckt und veröffentlicht. Wir haben nicht nur aufgedeckt, wann und wo diese Dinge geschehen sind, sondern häufig auch die Richtlinien, Vereinbarungen und Strukturen gezeigt, die dahinter stehen.“

Er erinnerte an das 2010 veröffentlichte Video „Collateral Murder“ von WikiLeaks, das zeigt, wie die Besatzung eines US-amerikanischen Apache-Hubschraubers „eifrig irakische Journalisten und ihre Retter in Stücke schießt“. Diese Realität der modernen Kriegsführung habe „die Welt schockiert“.

Assange beschrieb den darauf folgenden Rachefeldzug, einschließlich verdeckter Aktionen der CIA:

Es ist heute öffentlich bekannt, dass die CIA unter der ausdrücklichen Anweisung von [CIA-Direktor Mike] Pompeo Pläne hegte, mich aus der ecuadorianischen Botschaft in London zu entführen und umzubringen, und dass sie autorisiert war, meine europäischen Kollegen zu verfolgen. Wir waren Diebstahl, Hacking-Angriffen und dem Platzieren falscher Informationen ausgesetzt.

Auch meine Frau und mein kleiner Sohn gerieten ins Visier. Ein CIA-Agent war dauerhaft damit beauftragt, meine Frau zu verfolgen, und es gab Anweisungen, DNA aus der Windel meines sechs Monate alten Sohnes zu entnehmen. Dies geht aus der Aussage von mehr als 30 aktuellen und ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeitern hervor.

Er kam zu dem Schluss:

Die Tatsache, dass die CIA mich, meine Familie und meine Mitarbeiter mit aggressiven, außergerichtlichen und extraterritorialen Mitteln ins Visier nahm, gewährt einen seltenen Einblick in die Art und Weise, wie mächtige Geheimdienstorganisationen länderübergreifende Repression betreiben.

In der anschließenden Fragerunde beantwortete Assange eine Frage zu seinen Zukunftsplänen. Er sprach über das veränderte politische Klima, mit dem WikiLeaks konfrontiert sei:

Wo wir früher wichtige Videos über Kriegsverbrechen veröffentlichten, die eine öffentliche Debatte auslösten, gibt es heute jeden Tag Livestreams mit Schreckensbildern aus den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen. In Gaza und der Ukraine wurden Hunderte von Journalisten getötet. Die Straflosigkeit nimmt offenbar zu, und es ist noch ungewiss, was wir dagegen tun können.

Auf die Frage, ob er von Anfang an gewusst habe, wie wenig Rechtsschutz WikiLeaks in Europa zur Verfügung stehen würde, antwortete Assange, er habe mit juristischen Schikanen gerechnet und sei immer bereit gewesen, dagegen zu kämpfen. Aber er fügte hinzu:

Meine Naivität bestand darin, an das Gesetz zu glauben. Wenn es hart auf hart kommt, sind Gesetze nur ein Stück Papier, und sie können aus politischen Gründen neu ausgelegt werden. Sie sind die Regeln, die von der herrschenden Klasse im weiteren Sinne aufgestellt werden, und wenn diese Regeln nicht zu dem passen, was sie tun will, legt sie sie neu aus.

Ein PACE-Mitglied fragte, ob Assange rückblickend irgendetwas anders gemacht hätte. Er antwortete: „Als ich im Vereinigten Königreich festsaß, brauchte ich Zeit, um zu verstehen, woraus die britische Gesellschaft besteht: wem man vertrauen kann und wem nicht, welche unterschiedlichen Manöver in dieser Gesellschaft vor sich gehen. Es gibt Medienpartner, die wir vielleicht anders hätten wählen können.“

Assanges damalige Medienpartner, allen voran die Zeitungen Guardian und New York Times, hatten die brisanten Enthüllungen von WikiLeaks veröffentlicht, aber dann die Beziehungen zu Assange umgehend abgebrochen. Sie konspirierten mit dem Pentagon, der CIA und dem britischen Staat in einer jahrzehntelangen Verleumdungskampagne gegen Assange, um ihn zu zerstören.

Dies alles hat direkt zu dem „erschreckenden Klima“ für die Meinungsfreiheit beigetragen und zu dem Staatsterrorismus und den gezielten Tötungen, denen Journalisten in Gaza und anderswo ausgesetzt sind, und wozu die imperialistischen Mächte Europas, der Vereinigten Staaten und Australiens die Waffen, das Geld und die Richtung liefern.

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