Griechische Regierung führt die Sechs-Tage-Arbeitswoche ein

Mit Beginn des Monats Juli 2024 hat Griechenland als erstes Land der Europäischen Union (EU) formell eine Sechs-Tage-Arbeitswoche eingeführt. Die Maßnahme gilt derzeit für Branchen, die im Wechselschichtsystem arbeiten, z. B. das verarbeitende Gewerbe und den Einzelhandel. In Zukunft kann sie aber auch auf weitere Branchen wie den Tourismus ausgedehnt werden.

Die rechte Regierung unter der Nea Dimokratia (ND) bestreitet zwar, dass die Sechs-Tage-Woche für den öffentlichen Sektor gelten wird. Doch sie könnte auf Bereiche ausgeweitet werden, die in Wechselschichten arbeiten, etwa die Abwasserentsorgung.

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis auf der Internationalen Messe Thessaloniki, 10. September 2022 [AP Photo/Giannis Papanikos]

Die Ausweitung der Arbeitswoche wurde seit langem vom griechischen Industrieverband (SEV) gefordert. Sie ermöglicht es den Unternehmen, das Arbeitspensum des vorhandenen Personals zu erhöhen, ohne zusätzliches Personal einzustellen, um Schichten abzudecken, oder Überstunden bezahlen zu müssen.

Die Sechs-Tage-Woche wurde im September letzten Jahres von der ND-Regierung in einem neuen Arbeitsgesetz verankert. Grundlage des Gesetzes ist eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019, die Ausbeutermethoden wie „Null-Stunden-Verträge“ legalisiert, bei denen die Arbeitgeber den Arbeitern keine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden garantieren müssen. Nach dem neuen Gesetz darf ein Arbeitgeber seinem Arbeiter nicht verbieten, „eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufzunehmen“. Der Arbeiter hat die „Option“, bis zu 13 Stunden am Tag zu arbeiten; die einzige Grenze ist die gesetzlich vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit.

Angesichts des Mindestlohns von nur 830 Euro pro Monat sind viele Arbeiter in Griechenland bereits jetzt gezwungen, länger zu arbeiten, um über die Runden zu kommen. Jeder sechste hat mehr als einen Job.

Ziel des neuen Gesetzes war es, die existierenden brutalen Arbeitsbedingungen zu formalisieren und auszuweiten. Adonis Georgiadis, der bis zum Januar griechischer Arbeitsminister war, hatte kurz vor der Verabschiedung des Arbeitsgesetzes erklärt: „Unser Ziel ist es, unsere Arbeitsbeziehungen ehrlicher zu gestalten. Wir haben nicht etwas Neues erfunden. Wir bilden lediglich ab, was in der Welt bereits geschieht.“

Nach den Zahlen des EU-Statistikamts Eurostat für das Jahr 2023 arbeiten die Griechen mit 39,8 Stunden pro Woche am längsten im Vergleich zu allen anderen EU-Ländern. Der EU-Durchschnitt liegt bei 36,1 Stunden. 11,6 Prozent der Griechen arbeiten bereits 49 Stunden pro Woche oder mehr – der höchste Anteil in der EU mit einem Durchschnitt von 7,1 Prozent.

Die geringen Gehälter der griechischen Arbeiter werden durch den Anstieg der Preise immer weiter aufgezehrt. Nach den Zahlen von Eurostat für April hatte Griechenland mit 5,4 Prozent die zweithöchste Inflationsrate bei Lebensmitteln in der EU – verglichen mit 1,86 Prozent im EU-Durchschnitt. Nahezu 50 Prozent der Inflation bei Lebensmitteln sind auf den Preisanstieg bei Olivenöl zurückzuführen – ein Grundnahrungsmittel in Griechenland. Es ist um ganze 63,7 Prozent teurer geworden.

Das neue Gesetz sieht einen 40-prozentigen Lohnzuschlag für den sechsten Arbeitstag und einen zusätzlichen 75-prozentigen Zuschlag vor, wenn dieser Tag ein Sonntag oder ein gesetzlicher Feiertag ist. Für die griechischen Arbeiter, die um ihr Überleben kämpfen, ist das nur eine magere Entschädigung.

Die verheerende Situation der Arbeiterklasse ist die unmittelbare Folge der Spardiktate der letzten zehn Jahre, die Griechenland von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auferlegt wurden. Im Gegenzug erhielt das Land Kredite, die angeblich der Tilgung der Staatsschulden dienen sollten, die sich im Jahr 2010 auf 330,57 Milliarden Euro beliefen. Die Wirtschaft schrumpfte um 25 Prozent, was für ein europäisches Land in Friedenszeiten beispiellos ist. Nach Angaben der OECD sind die Reallöhne zwischen 2007 und 2022 um ein Drittel gesunken, so dass die griechischen Arbeiter heute nach Bulgarien die ärmsten in der EU sind.

Vor der Verabschiedung des Gesetzes erklärte der ND-Vorsitzende und Ministerpräsident Mitsotakis im Parlament: „Im Kern ist dieses Gesetzes arbeitnehmerfreundlich, es ist stark wachstumsorientiert und bringt Griechenland in Einklang mit dem Rest Europas.“

In einem Rundschreiben hat die neue Arbeitsministerin Niki Kerameus dargelegt, wie die Sechs-Tage-Woche umgesetzt werden soll. Wenn ein Unternehmen entscheidet, die Sechs-Tage-Woche einzuführen, werden alle bereits bestehenden Tarifverträge, die eine Fünf-Tage-Woche vorsehen, außer Kraft gesetzt, so Kerameus. Zudem werde die 30-minütige Vorbereitungszeit für das An- und Ausziehen von Arbeitskleidung und Sicherheitsausrüstung vor und nach einer Schicht nicht zum Achtstundentag gezählt.

Die konzertierten Angriffe der ND-Regierung auf die Arbeiterklasse haben ihr viel Lob von der globalen Finanzelite eingebracht. Die Kreditagentur S&P Global (vormals Standard and Poor’s) hat in ihrem April-Bericht ihr Rating für Griechenland von „stabil“ auf „positiv“ erhöht. Sie schrieb, dass „die griechischen Behörden eine weitreichende Agenda von Strukturreformen in Angriff nehmen und seit langem bestehende Engpässe angehen“.

In dem Bericht heißt es weiter: „Die positiven Aussichten spiegeln unsere Erwartung wider, dass die straffe Haushaltsführung weiterhin zu einer Verringerung der Staatsschuldenquote führen wird, während das Wachstum weiterhin über dem der anderen Länder der Eurozone liegen dürfte. Im Jahr 2023 wuchs die griechische Wirtschaft um 2 Prozent, im Gegensatz zu Deutschland, dessen Wirtschaft um 0,3 Prozent schrumpfte.

Es ist keine Überraschung, dass die Einführung der Sechs-Tage-Woche in den deutschen Medien mit großer Zustimmung und als Vorbild begrüßt wurde. Die Bourgeoisie in Deutschland, der größten Wirtschaftsmacht in der EU, hat die Angriffe auf die griechischen Arbeiter angeführt. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland titelte: „Faule Griechen? Von wegen, Deutschland kann viel von ihnen lernen.“ Auch die Deutsche Welle warf die Frage auf, ob die Maßnahme ein Modell für andere Länder sein kann.

Das Handelsblatt kommentierte: „Das Land, das die Deutschen, angeleitet durch zahlreiche Boulevardmedien, vor zehn Jahre als faul und freizeitorientiert abtaten, geht jetzt in der Arbeitszeitdebatte voran. Die konservative Regierung in Athen hat es Arbeitgebern ermöglicht, eine Sechs-Tage-Woche einzuführen.“ Der Autor des Artikels beklagt die Situation in Deutschland: „Hier sind sich Ökonomen und Arbeitgeber zwar einig, dass die Pro-Kopf-Arbeitszeit steigen muss, aber die tarifvertragliche und gesellschaftliche Entwicklung geht in die andere Richtung.“ 

Bei der Einführung der Sechs-Tage-Woche sei der „ganz große Proteststurm“ in Griechenland ausgeblieben, so das Handelsblatt. „Offenbar plagt der Fachkräftemangel das Land zu sehr.“

In Wirklichkeit ist die geringe Zahl der Proteste darauf zurückzuführen, dass jeglicher Widerstand gegen die Sparpolitik sämtlicher Regierungen in den letzten 15 Jahren von der Gewerkschaftsbürokratie im Keim erstickt wurde. Seit 2010 haben die Gewerkschaftsverbände des privaten Sektors (GSEE) und des öffentlichen Sektors (ADEDY) zu Dutzenden Generalstreiks gegen die Sozialangriffe aufgerufen, die auf Geheiß der EU und des IWF durch das Parlament gepeitscht wurden. Nach eigenen Angaben hat der GSEE 28 Generalstreiks im Zeitraum vom Mai 2010 bis Ende 2015 organisiert, davon 20 ganztägige 24-Stunden-Streiks und vier 48-Stunden-Streiks. Mit diesen Streiks verfolgten die Gewerkschaften aber einen bestimmten Zweck: Sie wollten die soziale Wut unter Kontrolle halten und den Arbeitern die Möglichkeit geben, Dampf abzulassen, während die arbeiterfeindlichen Maßnahmen dennoch verabschiedet wurden.

Landesweiter 24-Stunden-Streik in Athen, 6. April 2022 (AP Photo/Thanassis Stavrakis)

Diesmal beschränkte sich der „Protest“ des GSEE gegen die neue Maßnahme auf einen offenen Brief des Generalsekretärs Nikos Fotopoulos an Ministerin Kerameus. Das Gesetz stamme von der „barbarischsten, arbeiterfeindlichsten und reaktionärsten Regierung, die das Land je regiert hat“, donnerte Fotopoulos.

Aber in einer separaten Erklärung des GSEE heißt es dann lediglich, er werde die Maßnahme erst dann umsetzen, „wenn ein substanzieller Dialog zwischen [dem Arbeitsministerium], den Arbeitnehmervertretern (GSEE) und den Arbeitgebervertretern stattgefunden hat“. Letztlich geht es dem GSEE darum, an der Entscheidung beteiligt zu werden, wie die Sechs-Tage-Woche am besten durchgesetzt werden kann.

Die größte Oppositionspartei Syriza („Koalition der radikalen Linken“) hat die neue Regelung in einem Statement pro forma verurteilt: „Die Rückkehr zu den Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts ist eine Schande für das Land.“

Syriza wird es wissen. Die pseudolinke Partei kam im Januar 2015 an die Regierung, weil sie ein Ende der Sparpolitik versprach. Innerhalb weniger Wochen hatte sie ihre Versprechen über Bord geworfen. Obwohl die griechischen Arbeiter im Juli 2015 in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit gegen ein drittes Sparpaket votierten, stimmten Syriza und ihr Koalitionspartner, die rechtsextremen Unabhängigen Griechen (Anel), in Windeseile einem neuen Sparpaket zu, diktiert von der EU und dem IWF.

In den darauffolgenden vier Jahren setzte Syriza einen noch brutaleren Sparkurs als ihre Vorgängerregierungen unter den Sozialdemokraten und der ND durch. 2018 führte Syriza selbst ein arbeiterfeindliches Gesetz ein, das vorsah, dass ein Streik erst mit der Zustimmung von mindestens 50 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder beschlossen werden konnte – nicht mehr mit einem Drittel.

Während der Sparpolitik haben die internationalen bürgerlichen Medien chauvinistische Hetze gegen die angeblich „faulen Griechen“ verbreitet – auch wenn das Handelsblatt jetzt zugibt, diese „Mär“ habe noch nie gestimmt. Hinter der Kampagne stand die Absicht, die von den europäischen Arbeitern erkämpften Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte wieder zunichte zu machen. Die Sparprogramme, die Griechenland auferlegt wurden, dienten als Präzedenzfall für eine Umstrukturierung der Arbeitsbeziehungen in ganz Europa.

Die Kriegsentwicklung hat diesen Kurs noch verstärkt. Die herrschende Klasse in ganz Europa will die „Friedensdividende“ beenden und die Wirtschaft auf Krieg umstellen. Griechenland, ein wichtiges Nato-Mitglied, gibt bereits 3,76 Prozent des BIP für das Militär aus. Diese hohe Summe wird noch steigen, da sich die Nato auf eine direkte Konfrontation mit Russland, dem Iran und China vorbereitet.

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