80 Jahre Stauffenberg-Attentat auf Hitler

Bundesregierung verschärft Kampagne für Militarismus und Krieg

Vor dem Hintergrund der tiefen politischen Krise in den USA und der Möglichkeit eines Wahlsiegs von Donald Trump beschleunigt die herrschende Klasse Deutschlands ihre Rückkehr zum Militarismus.

Generalinspekteur Breuer, Verteidigungsminister Pistorius und Bundeskanzler Scholz nehmen am 80. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats an einem feierlichen Gelöbnis von Bundeswehrrekruten teil [Photo by Bundesregierung/Sebastian Rau]

Am Montag bekräftigte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, in einem ausführlichen Interview mit dem Tagesspiegel die Forderung von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Deutschland außenpolitisch unabhängiger von Washington aufzustellen und „die Gesellschaft als Ganze“ wieder „kriegstüchtig“ zu machen.

Als Anlass für das Interview diente der 80. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler durch den Wehrmacht-Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944.

„Trump hat uns Europäern während seiner Präsidentschaft brachial den Spiegel vorgehalten und klargemacht, dass wir den europäischen Pfeiler des Bündnisses stärken und eine von den USA unabhängigere Rolle einnehmen müssen – was übrigens auch andere US-Präsidenten vor ihm gefordert haben“, erklärte der ranghöchste Soldat der Bundeswehr. Und „spätestens mit dem russischen Angriffskrieg“ hätten das „alle verstanden“.

Tatsächlich machen Breuers eigene Ausführungen deutlich, dass die Nato-Mächte die Hauptaggressoren im Ukrainekrieg sind. Mit ihrer jahrzehntelangen Einkreisung Russlands haben sie den reaktionären Einmarsch des Kremls regelrecht provoziert. Nun eskalieren sie den Konflikt immer weiter, um Russland militärisch in die Knie zu zwingen und lang gehegte Aufrüstungs- und Kriegspläne in die Tat umzusetzen.

Im Interview forderte Breuer u.a.:

  • Zusätzliche Mittel für den diesjährigen Kriegshaushalt, um die „volle Einsatzbereitschaft“ der Bundeswehr herzustellen und die dafür notwendigen „Neuanschaffungen“ zu tätigen. „Das Ziel sind effektive Strukturen, die uns kriegstüchtig machen.“
  • Die zügige Wiedereinführung der Wehrpflicht. „Wir brauchen einen Wehrdienst dringend, weil damit die späteren Reservistinnen und Reservisten ausgebildet werden, auf die wir im Verteidigungsfall zurückgreifen können müssen.“ Wer einen „Grundwehrdienst von sechs Monaten leistet“, könne „im Verteidigungsfall Teil des Operationsplans Deutschland sein“.

Mit anderen Worten: es geht um die Aushebung von Kanonenfutter für einen direkten Krieg gegen Russland. Um nichts anderes handelt es sich beim geheimen, 1000 Seiten umfassenden „Operationsplan Deutschland“ – einem detaillierten Konzept für die totale Kriegsmobilisierung sämtlicher Bereiche der Gesellschaft. Er wolle „an die jungen Menschen in unserem Land appellieren, sich mit einer Frage auseinanderzusetzen: Bin ich bereit, Deutschland zu verteidigen?“, betonte Breuer im Interview.

  • Die Aufstockung der Militärhilfe für die Ukraine. Kiew bleibe „auf westliche Solidarität und Unterstützung angewiesen, um sich verteidigen zu können.“ Man tue „alles dafür, dass die Ukraine auch weiterhin die Unterstützung bekommt, die sie dringend braucht.“

Breuer pries auch die permanente Entsendung einer deutschen Kampfbrigade nach Litauen und verteidigte die geplante Stationierung weitreichender US-Präzisionswaffen in Deutschland. Dies sei „kein aggressiver Akt unsererseits, sondern eine Reaktion“ auf die russische Aufrüstung. Das ist die bekannte Propaganda. „In Wirklichkeit dient die Stationierung direkten Militärschlägen gegen Moskau,“ wie die WSWS in ihrem Statement „Keine Stationierung von US-Raketen in Deutschland! Stoppt die Gefahr einer nuklearen Eskalation!“, schrieb.

Das missglückte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, dessen 80. Jahrestag als Aufhänger für das Interview diente, verkörpere „unsere moralische Verpflichtung aus der deutschen Geschichte, dass sich diese Verbrechen nie mehr wiederholen dürfen“, behauptete Breuer zynisch. Nur um dann ein Aufrüstungs- und Kriegsprogramm zu propagieren, das in der direkten Kontinuität der Nazis und des Dritten Reichs steht.

Bereits am Samstag hatten Breuer, Pistorius und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das feierliche Gelöbnis zum 80. Jahrestag des Attentats im Bendlerblock in Berlin genutzt, um die Rekruten auf die neue Kriegsoffensive gegen Russland einzuschwören.

Die von ihm nach dem russischen „Angriff auf die gesamte Ukraine“ ausgerufene Zeitenwende bedeute, „dass wir uns mehr anstrengen müssen, um unseren Frieden zu sichern und unsere Freiheit zu verteidigen“, rief Scholz. Deshalb stehe man „unverbrüchlich an der Seite der überfallenen Ukraine. Deshalb übernehmen wir größere Verantwortung innerhalb der Nato, vor allem an der Ostgrenze unseres Bündnisses. Und deshalb stärken wir unsere Bundeswehr.“

Die „Widerstandskämpfer des 20. Juli“ hätten „nicht das Glück“ gehabt, „dieses andere, bessere Deutschland noch zu erleben“, lamentierte Scholz weiter. „Und doch legten sie einen der Grundsteine für unser demokratisches Land, für unser Land, das der Würde des Menschen, der Freiheit des Einzelnen, einem geeinten Europa und dem Streben nach Frieden in der Welt verpflichtet ist.“

Das ist gleich in doppelter Hinsicht gelogen. Die Militärs um Stauffenberg waren genauso wenig „Demokratie“, „Freiheit“ und „Frieden“ verpflichtet, wie die herrschende Klasse heute. Außenpolitisch rührt Berlin wieder die Kriegstrommel gegen Russland, unterstützt Israels Genozid an den Palästinensern und arbeitet daran, ganz Europa unter seiner Führung zu organisieren, um die Interessen des deutschen Imperialismus global zu verfolgen. Innenpolitisch geht dieses Programm einher mit massiven Sozialangriffen und dem Aufbau eines Polizeistaats.

Dass sich die herrschende Klasse dabei auf die Attentäter vom 20. Juli stützt, ist nur konsequent. Auch wenn sie von führenden Vertretern der verbotenen SPD und der Gewerkschaften unterstützt wurden, waren Stauffenberg und seine Mitstreiter reaktionäre Handlanger des deutschen Militarismus, die mit der Tötung Hitlers vor allem die vollständige militärische Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg abwenden wollten.

Entgegen der von der Bundesregierung und allen etablierten Parteien und den Medien verbreiteten Heldenpropaganda waren die Verschwörer des 20. Juli keine Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie. Es handelte sich mehrheitlich um rechte Anti-Demokraten, Anti-Semiten und Nationalisten, die das Hitler-Regime lange unterstützt hatten und selbst tief in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt waren.

Im Folgenden einige der wichtigsten Figuren, die die WSWS bereits in ihrem Artikel zum 75. Jahrestags des Attentats charakterisiert hat: General Eduard Wagner, der das Flugzeug bereitstellte, das Stauffenberg zum Führerhauptquartier Wolfsschanze und nach dem Attentat wieder zurück nach Berlin brachte, spielte eine zentrale Rolle bei der Planung und Durchführung des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion.

„Nicht arbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern“, hielt er im November 1941 fest. In Bezug auf die Blockade von Leningrad schrieb er am 9. September 1941 an seine Frau: „Zunächst muss man ja Petersburg schmoren lassen, was sollen wir mit einer 3 1/2 Mill. Stadt, die sich nur auf unser Verpflegungsportemonnaie legt. Sentimentalitäten gibt’s dabei nicht.“

Wolf-Heinrich von Helldorf, mit dem sich Stauffenberg 1944 mehrmals persönlich getroffen hatte und den Himmler in seiner Rede vor den Gauleitern am 3. August 1944 an erster Stelle unter den Verschwörern nannte, war bereits lange vor der Machtübergabe an Hitler Mitglied der NSDAP, SA und SS gewesen. Zusammen mit dem damaligen Gauleiter von Berlin, Joseph Goebbels, organisierte er am 12. September 1931, dem Tag des jüdischen Neujahrsfestes, mit dem sogenannten „Kurfüstendamm-Krawall“ den ersten antisemitischen Pogrom in Berlin.

Später spielte er eine zentrale Rolle bei der Deportation der Juden aus der Hauptstadt. „Helldorff überreicht mir eine Aufstellung der in Berlin gegen die Juden getroffenen Maßnahmen. Die sind nun wirklich rigoros und umfassend. Auf diese Weise treiben wir die Juden in absehbarer Zeit aus Berlin heraus“, notierte Goebbels am 2. Juli 1938 in sein Tagebuch.

SS-Gruppenführer Arthur Nebe, dessen Einheiten nach dem Attentat führende Vertreter des Naziregimes hätten festsetzen sollen, leitete in den ersten Monaten des Kriegs gegen die Sowjetunion die berüchtigte Einsatzgruppe B. Unter seinem Kommando ermordete die Todesschwadron mehr als 45.000 Zivilisten, darunter mehrheitlich Juden. Er erprobte die Massentötung durch Giftgas, beschaffte das Giftgas für die Ermordung von Behinderten z.B. bei der Aktion T4 und leitete die Ermittlungen gegen den kommunistischen Widerstandskämpfer Georg Elser, der mit seinem Attentat auf Hitler und nahezu die komplette Nazi-Führungsspitze am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller nur knapp gescheitert war.

Stauffenberg selbst begrüßte noch im Dezember 1941 die Vereinheitlichung der Befehlsgewalt des Oberbefehlshabers des Heeres und des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht in Hitlers Händen. Den Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte er als „Erlösung“ empfunden und im Zuge des Überfalls auf Polen in einem Brief an seine Frau geschrieben: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“

Vor dem Attentat bekannte sich Stauffenberg „im Geist und in der Tat zu den großen Überlieferungen“ des deutschen Volkes und „zum germanischen Wesen“. Er erklärte, dass er die „Gleichheitslüge“ verachte und dass die von ihm angestrebte „neue Ordnung“ auf der „Anerkennung der naturgegebenen Ränge“ basieren müsse.

Wenn die Bundesregierung diese extrem rechten und nationalistischen Figuren ehrt, macht sie selbst deutlich, an welche dunklen Traditionen sie außen- und innenpolitisch wieder anknüpft. Bezeichnenderweise nahmen am Gelöbnis auch Vertreter der rechtsextremen AfD teil, die von der herrschenden Klasse systematisch aufgebaut und hofiert wird, um die Kriegspolitik gegen den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen. Auf X (vormals Twitter) brüstete sich u.a. der Bundestagsabgeordnete und Ex-Bundeswehrsoldat Jan Nolte mit seiner Teilnahme und veröffentlichte ein Bild vom Militäraufmarsch im Bendlerblock.

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