Fallout – „Dr. Strangelove” machte es besser

Die Amazon Prime Serie „Fallout“, veröffentlicht am 10. April, wurde in den ersten 16 Tagen von 65 Millionen Menschen gesehen (Variety). Es ist der zweitmeistgesehene Titel aller Zeiten auf der Plattform und besonders beliebt bei Erwachsenen im Alter von 18 bis 34 Jahren. Eine zweite Staffel ist derzeit in Produktion. „Fallout“ ist eine düstere Komödie, die in der fernen Zukunft nach einem verheerenden Atomkrieg zwischen den USA und einem „kommunistischen“ China spielt.

Angesichts der Ereignisse der letzten Monate ist es nicht überraschend, dass eine Serie mit diesen Themen viele Zuschauer anzieht – die Angst vor einem nuklearen Holocaust ist allgegenwärtig geworden. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses ist heute höher als jemals zuvor während des Kalten Krieges.

Politiker und Medien überbieten sich gegenseitig mit ihren Rufen nach der Bombe. In Deutschland haben Katarina Barley (SPD) und Robert Habeck (Die Grünen) einen europäischen atomaren „Schutzschirm” gefordert. Im Vereinigten Königreich hat Keir Starmer (Labour Party) seine Bereitschaft erklärt, als Premierminister Atomwaffen einzusetzen, während der konservative Amtsinhaber Rishi Sunak die wachsende Gefahr eines Atomkriegs nutzt, um eine Erhöhung der Militärausgaben zu fordern. Wie die WSWS am 1. Juni berichtete, hat US-Präsident Biden grünes Licht für NATO-Angriffe auf Russland gegeben und geht damit das Risiko eines nuklearen Gegenschlags durch Putin ein.

Die wohl berühmteste und erfolgreichste düstere Satire über den Atomkrieg ist Stanley Kubricks „Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ (1964). Sie ist eine wirklich witzige und intelligente Anklage gegen die amerikanische Oberschicht, ihr Militär und das politische Establishment. „Fallout“ hingegen lädt dazu ein, über alles zu lachen und nichts besonders ernst zu nehmen.

Wir folgen zwei verschiedenen Handlungssträngen, einem, der in den USA vor dem Ausbruch des „Großen Krieges“ von 2077, und einem anderen, der Jahrhunderte später in dem daraus resultierenden „Ödland“ spielt.

Die Vorkriegsgeschichte dreht sich um den Hollywood-Schauspieler Cooper Howard und seine Frau Barb, die für „Vault-Tec“ arbeitet, ein Unternehmen, das hochmoderne unterirdische Atombunker herstellt. Sie leben in einer Gesellschaft, die kulturell und ästhetisch an die Ära des Kalten Krieges erinnert, während sie futuristische Technologien wie künstliche Intelligenz, fortschrittliche Waffen und tragbare Geräte bietet.

Howards Arbeitsplatz ist in Aufruhr wegen der „Angst vor den Roten” (Red scare), die auch zur Entlassung seines Autorenfreundes führt. Unterdessen muss Howard eine Szene in einem Western drehen, in der er den „Sheriff“ spielt und einen flehenden Mann mit vorgehaltener Waffe bedroht. Er erschießt ihn und spottet: „Ich hoffe, dass das Blei dir geschmeckt hat, du kommunistischer Hurenbock“.

Obwohl Howard sich auf dem Set beschwert, er hätte den Mann lieber „nur verhaftet“, hasst er die „Roten“. Nachdem er von den „kommunistischen Treffen“ seines Freundes Charlie Whiteknife erfährt, tadelt er ihn. „Also wirklich Mann! Wir haben im Norden miterlebt wie Leute im Kampf gegen diesen Scheiß verreckt sind!”

Cooper Howard alias "Der Ghul" (Walton Goggins) [Photo by AMAZON CONTENT SERVICES LLC]

Howard ist ein glühender Patriot mit einer Abneigung gegen große Konzerne, mit anderen Worten, ein Libertärer. Als er zu dem von Whiteknife vorgeschlagenen Treffen erscheint (das sich als intellektueller Kreis und nicht als kommunistisches Treffen entpuppt), stößt ihn die Rede ab, die die Anführerin Moldaver gegen Nationalismus und Krieg hält.

Man muss ihm zu Gute halten, dass er mit der desillusionierten Nuklearwissenschaftlerin zusammenarbeitet, als er sich der umfassenden Verschwörung im Zusammenhang mit den Vaults bewusst wird. Er belauscht die Geschäftstreffen seiner Frau und deckt die Wahrheit auf. Diese Komplexität seines Charakters wird jedoch durch seine spätere Entwicklung in der Serie erheblich abgeschwächt.

Der zweite Handlungsstrang, der im „Ödland“ spielt, folgt Lucy, Maximus, einem Lehrling der „Stählernen Bruderschaft“ sowie einem verstrahlten, fast nicht wiederzuerkennenden Cooper Howard, der den Großen Krieg überlebt, sich jedoch zu einem „Ghul“ verwandelt hat.

Die meisten Menschen, die keinen Unterschlupf in den unterirdischen Vaults finden konnten, die den Reichen vorbehalten waren, führen ein recht erbärmliches Dasein auf der kontaminierten Oberfläche, wo der Kapitalismus immer noch floriert. Die Menschen leben umgeben von gefährlichen, mutierten Kreaturen, sind misstrauisch, von geringer Intelligenz und greifen schnell zur Waffe.

Die Hauptheldin Lucy ist als Tochter des „Aufsehers“ in Vault 33 in relativem Komfort aufgewachsen. Sie wagt sich an die Oberfläche, um ihren entführten Vater zu suchen, und ihre naive, gutmütige Art kontrastiert mit der Haltung der Ödland-Bewohner. Sie ist Geschichtslehrerin und hat im Vault gelernt, die Zivilisation sei vollständig ausgelöscht worden und der Zweck der Vault-Bewohner bestehe darin, der Menschheit einen Neuanfang zu ermöglichen. Ihr Handeln basiert auf der goldenen Regel, „behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest“, selbst dann, wenn sie körperlich bedroht wird.

Lucy’s Szenen, in denen sie von einem grausigen Abenteuer in das nächste getrieben wird, sind reich an Galgenhumor. Ihre Figur soll, ähnlich wie Voltaires Candide, lustig sein und befindet sich immer wieder in absurden Situationen. In einer solchen Szene sehen wir ihre erste Nacht mit ihrem neuen Ehemann, einem vermeintlichen Bewohner eines benachbarten Vaults. Zum Klang von „Keep that Coffee Hot“ von Scatman Crothers stürzt sich die relativ unerfahrene und enthusiastische Lucy auf ihn, ohne sich an seiner wortkargen Art zu stören. Darauf folgt eine wilde, komische Liebesszene.

Kurz darauf bestätigt sich die böse Vorahnung des Zuschauers – ihr „Ehemann” ist ein Ödland-Bewohner und Mitglied einer Gruppe von Plünderern die Vault 33 infiltriert haben. Es gibt eine brutale Auseinandersetzung, Lucy wird in den Bauch gestochen und schlitzt dem Bösewicht die Kehle mit einer kaputten Glasflasche auf.

Lucy (Ella Purnell) und Hank MacLean (Kyle MacLachlan) [Photo by AMAZON CONTENT SERVICES LLC]

Maximus hat seine gesamte Familie verloren, als seine Heimatstadt „Shady Sands“ von einer Atombombe zerstört wurde. Als Kindersoldat trat er der Brotherhood of Steel bei. Die Bruderschaft, eine religiöse paramilitärische Organisation, wurde ursprünglich gegründet, um alle Vorkriegstechnologien zu horten und zu verhindern, dass die unbedarften Massen erneut einen Atomkrieg auslösen. Die Organisation hat jedoch in ihrem Bemühen, die mächtigsten Waffen und Rüstungen zu sichern, ihre friedliche und aufgeklärte Natur aufgegeben.

Maximus wird dazu erzogen, zu töten und keine Fragen zu stellen. Seine Erfahrungen als Knappe eines Ritters der Bruderschaft führen ihn dazu, den Orden und seine „ehrenvolle“ Natur erstmals in Frage zu stellen. Während er anfangs töricht handelt und besessen davon ist, seine Kampffähigkeiten zu demonstrieren, wird angedeutet, dass sich seine Verbindungen in der nächsten Staffel ändern könnten.

Die Serie enthält viel überzogene, comic-ähnliche Gewalt, die aufwendig und langwierig dargestellt wird. Sprudelndes Blut, Nahaufnahmen fliegender Kugeln, ekelerregende Zerquetschungen und das Explodieren von Köpfen werden zu langsamer und romantischer oder fröhlicher musikalischer Begleitung gezeigt. Die Gewalt wird ins Absurde gezogen, aber auch im Stil von Quentin Tarantino glorifiziert.

Maximus (Aaron Moten) [Photo by AMAZON CONTENT SERVICES LLC]

Eine dieser ausgedehnten Kampfszenen zeigt den Ghul Cooper Howard, der einen Karrierewechsel vom Schauspieler zum Kopfgeldjäger vollzogen hat (das Schicksal seiner Frau und seiner Tochter ist unbekannt). Seine Zeit im Ödland hat ihn körperlich und geistig gezeichnet. Vor dem Krieg noch ein liebevoller, wenn auch leicht zynischer Vater und Ehemann, verbringt der neue Howard seine Zeit mit Töten, Fluchen, Kannibalismus und platten Einzeiler-Witzen.

Lucy kommt Howard’s Versuch in die Quere, sich Dr. Siggi Wilzig zu schnappen, der den Schlüssel zur „kalten Fusion“, einer unerschöpflichen Energiequelle, besitzt. Bevor Howard sie erschießen kann, werden Lucy und Wilzig von Maximus gerettet, der nun eigenmächtig handelt.

Im Verlauf der Serie entwickelt sich eine Romanze zwischen Lucy und Maximus. Howard, der Lucy zeitweilig gefangen hält, lehrt sie die grausame „Moral” des Ödlands und macht zugleich geheimnisvolle Andeutungen über ihren Vater und größere Machenschaften. Unterdessen findet eine Nebenhandlung mit Lucys kleinem Bruder in den Vaults statt, der selbst versucht, das Geheimnis ihrer Macher zu lüften.

Im endgültigen Showdown entpuppt sich „Moldaver“, die Lucys Vater Hank MacLean entführt hatte, als die Nuklearwissenschaftlerin, mit der Howard vor dem Krieg zusammengearbeitet hatte. Lucys eigener Vater war einer von Barb Howards ehemaligen Kollegen bei Vault-Tec und wurde in einen kryogenen Schlaf versetzt wurde, um Vault 33 nach dem Großen Krieg zu verwalten.

In einer weiteren Wendung der Handlung wird aufgedeckt, dass der Große Krieg nicht etwa von China oder den USA ausging, sondern von Vault-Tec und anderen Großkonzernen gezielt mit Nuklearschlägen ausgelöst wurde. Sie verfolgten das Ziel, den unaufhaltsamen Krieg auf einen für sie passenden Zeitpunkt vorzuziehen und, was von der Menschheit übrigblieb, in ihrem Sinne zu gestalten. Die Vaults waren in Wirklichkeit soziale Experimente, bei denen die großen Konzerne mit der „besten Idee” einer perfekten Gesellschaft gegeneinander konkurrierten.

Lucys Mutter, die in den Vaults geboren wurde, hatte von dem Komplott erfahren, war an die Oberfläche geflohen und starb bei der Bombardierung von „Shady Sands” durch Vault-Tec auf Befehl ihres Ehemannes.

MacLean fleht Lucy an, das Geheimnis der kalten Fusion nicht an Moldaver weiterzugeben, und beteuert, dass er nur das Beste im Sinn hatte. Menschen seien nicht imstande, sich selbst zu regieren und zerfielen unweigerlich in „Fraktionen“, die endlose Kriege gegeneinander führten. Deshalb sei das Eingreifen von Vault-Tec und den anderen Konzernen notwendig gewesen.

Während seines Monologs sehen wir, wie sich schreckliche Kriegsszenen abspielen: die Republik Neukalifornien, mit Moldaver als Militärkommandantin, wird von der Stählernen Bruderschaft angegriffen. Lucy entscheidet sich, Moldaver zu helfen, und verbündet sich mit Howard, um ihren Vater zu verfolgen, der im letzten Moment entkommt.

Moldaver warnt Maximus, dass die Stählerne Bruderschaft die grenzenlose Energiequelle missbrauchen wird, und erliegt dann ihren Wunden. Als Maximus gefunden wird, nimmt die Bruderschaft an, dass er Moldaver getötet hat, und er wird zu seinem Entsetzen zum Ritter und Helden ernannt.

„Fallout“ ist eine düstere Satire über Krieg und dessen Wurzel, den Kapitalismus. Die Geschichte basiert auf einer 1997 entstandenen Videospielreihe und ist unter jüngeren Generationen ein kulturelles Phänomen. Obwohl sie zunehmend gewalttätiger und actionorientierter wurden, waren die frühen Spiele von Rollenspielelementen und moralischen Dilemmas geprägt, die zum Nachdenken anregen sollten. Die Dialoge enthalten oft humorvolle, pseudo-philosophische Anspielungen.

Der Soundtrack der Spiele und der Serie umfasst Klassiker wie The Ink Spots, Frank Sinatra und Ella Fitzgerald sowie Lieder, die die Faszination und Angst der 1950er Jahre angesichts der Atomenergie widerspiegeln, wie „Uranium Fever“ von Elton Britt oder „Atom Bomb Baby“ von The Five Stars.

Der Hauptentwickler Timothy Cain nannte als Inspirationen Filme wie „Mad Max“, „A Boy and His Dog“ und „Kalte Krieg-Poster aus den 1950er Jahren“. Als die Marketingabteilung ihn warnte, dass das Spiel zu „deprimierend“ sei, antwortete er: „Alle sind tot. Es soll deprimierend sein.“ Das Hauptmotto der Franchise lautet: „Krieg. Krieg bleibt immer gleich“, eine weitere Idee von Cain.

Die kriegsgegnerische Stoßrichtung der Geschichte ist allgemein lobenswert und die Satire des amerikanischen Imperialismus findet offenbar Anklang. Allerdings ist die Darstellung der Ursachen von Krieg und der Zeit des Kalten Krieges, die das Werk inspiriert haben, äußerst oberflächlich und irreführend.

Der Satz „Krieg bleibt immer gleich“ ist ahistorisch und auch fatalistisch. Sind alle Kriege gleich? Gibt es keinen Unterschied zwischen dem amerikanischen Bürgerkrieg und dem Vietnamkrieg zum Beispiel? Und weiter, ist Krieg einfach das Ergebnis der menschlichen Natur, wie „Fallout“ und seine Macher suggerieren? Es ist auffällig, dass trotz Moldavers intellektuellem Zirkel die Mehrheit der Bevölkerung abwesend ist und nach dem Krieg „normale Menschen“ als dumm und grausam dargestellt werden. Wo ist die Arbeiterklasse?

Moldaver selbst betont gegenüber Cooper Howard: „Ich bin keine Kommunistin Mr. Howard. Das ist nur ein Schimpfwort, das sie verwenden, um Leute zu beschreiben, die nicht wahnsinnig sind.”

Welche Art von Bewegung baut Moldaver demnach auf? Nach dem Großen Krieg ist Moldaver Militärkommandantin der Repubik Neukalifornien – eines kapitalistischen Staats mit einer Armee und dem „RNK-Dollar“, der in seinem Expansionsdrang jeden assimiliert oder zerstört, der sich ihm in den Weg stellt. Und so setzt sich der endlose Kreislauf fort.

Eine solche klassenlose Auffassung von Geschichte und Gesellschaft führt unvermeidlich zu dem Pessimismus und Zynismus, der in der Serie und den Videospielen präsent ist. Man kann nichts tun, die Geschichte der Menschheit ist nichts als ein Zyklus von Kriegen, und alle relevanten Entscheidungen werden von „den großen Konzernen” getroffen, die allmächtig und unsterblich sind, wie der Kapitalismus.

Dies sind oft wiederholte Themen in dystopischen zeitgenössischen Büchern und Filmen. Es ist kein Zufall, dass Jonathan Nolan und Lisa Joy von „Westworld”, einer Serie, die ebenfalls misanthropische Vorstellungen und Gewaltorgien enthält, an diesem Projekt beteiligt waren.

Der scheinheilige und wenig überzeugende Charakter solcher Produktionen bleibt den Zuschauern nicht verborgen. Ein Kommentar auf Youtube bemerkte: „Welch Ironie, dass Amazon eine Serie über die Zerstörung der Welt durch die Profitgier der Unternehmen herausbringt.“

Doch besser als die Serienmacher selbst kann man es nicht ausdrücken. In einer Szene aus Cooper Howards Vergangenheit verkündet sein Freund Sebastian Leslie nach einer Tirade über den Radikalismus ihrer Kollegen: „Hollywood ist Vergangenheit, mein Freund, vergiss Hollywood. Die Zukunft, mein Freund, sind Produkte. Du bist ein Produkt, ich bin ein Produkt, das Ende der Welt ist ein Produkt. Und für denjenigen, der das akzeptiert und sich darauf einlässt, wird die Zukunft golden sein.“

Loading