SGP-Wahlkampftreffen diskutiert sozialistische Perspektive im Kampf gegen Genozid in Gaza

Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Völkermords in Gaza fand am Donnerstag die erste Online-Wahlkampfveranstaltung der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) zu den Europawahlen statt. Im Zentrum der lebhaften Diskussion, an der über 60 Arbeiter und Jugendliche teilnahmen, stand die Frage, welche Perspektive notwendig ist, um die Arbeiterklasse im Kampf gegen Völkermord und Krieg politisch zu mobilisieren.

Eine sozialistische Perspektive im Kampf gegen den Völkermord in Gaza, Online-Veranstaltung der SGP

Die SGP hatte am Sonntag ihre erste Wahlsendung veröffentlicht, die die Grundlage der Diskussion bildete. Der SGP-Vorsitzende und Spitzenkandidat zu den Europawahlen Christoph Vandreier hatte den Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung darin in den Kontext der geschichtlichen Entwicklung des Imperialismus gestellt und die revolutionäre sozialistische Perspektive der SGP erläutert. Gestützt auf Dokumente der Vierten Internationale, die die zionistische Bewegung bereits 1947 als „Spielball“ der Großmächte charakterisierte und die Perspektive eines jüdischen Staates als „reaktionäres und utopisches Projekt“ verurteilte, erklärte Vandreier:

Israel diente den imperialistischen Mächten immer wieder als militärischer Brückenkopf in der Region. Die ethnischen und religiösen Spannungen wurden zu diesem Zweck bewusst geschürt. Dabei waren die unterdrückten Palästinenser auch für die arabischen Regimes nichts anderes als ein Spielball in ihren Manövern mit den imperialistischen Mächten.

Der gegenwärtige Genozid in Gaza sei Bestandteil eines sich rasch ausweitenden globalen Konflikts der Nato-Mächte um die Neuaufteilung des Nahen Ostens und der ganzen Welt. Er markiere gleichzeitig den Tiefpunkt der Degeneration des Zionismus, dessen Feindschaft gegenüber Sozialismus und Internationalismus eine „Zurückweisung der fortschrittlichen, demokratischen und sozialistischen Tradition“ jüdischer Arbeiter und Intellektueller bedeutet habe und der heute „einen durch und durch rassistischen und faschistischen Charakter“ trage.

Christoph Vandreier und SGP-Kandidat Gregor Kahl hatten in der Wahlsendung außerdem nachgewiesen, dass die deutsche herrschende Klasse in ihrer Unterstützung für den israelischen Völkermord und ihrer brutalen Verfolgung von Kriegsgegnern selbst an ihre faschistischen Traditionen anknüpft. Dabei werde die „Antisemitismus“-Verleumdung gezielt eingesetzt, um Opposition gegen das Massaker einzuschüchtern und die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus zu verharmlosen. Vandreier schlussfolgerte:

An die Parteien und Regierungen zu appellieren, die die kapitalistischen Interessen vertreten und den Völkermord organisieren, ist deshalb illusorisch und reaktionär. Das Gleiche gilt für die verschiedenen Befürworter einer multipolaren Welt, die ihre Hoffnung auf das eine oder andere Regime eines kleineren kapitalistischen Landes richten... Die einzige Möglichkeit, den Völkermord zu stoppen und einen dritten Weltkrieg zu verhindern, ist die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus, d.h. der großen Mehrheit, die den ganzen gesellschaftlichen Reichtum schafft und die ganze Last der Krise und der Kriege trägt.

Auf dem Online-Treffen rief diese sozialistische Perspektive der SGP eine rege Diskussion hervor. Eine Teilnehmerin, die an Protesten gegen den Genozid an den Berliner Universitäten beteiligt ist, berichtete von einer wachsenden Mobilisierung unter Studierenden trotz umfassender Zensur, medialer Hetze und zunehmender Polizeirepression, die von den Universitätsleitungen unterstützt werde. Sie warf die Frage auf, wie es gelingen könne, „die Arbeiterklasse zu mobilisieren und Studierende und Arbeiter zu vereinen“.

Ein Thyssen-Krupp-Arbeiter aus Duisburg stellte fest: „Die Politiker interessieren sich nicht für uns und die Zukunft der jungen Generation. Wir haben einen kriminellen Kanzler, das ist eine Tatsache.
Meiner Meinung nach braucht es eine Revolution. Sie kann von der Arbeiterschaft angestoßen werden. Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, die Arbeiterschaft auf die Straße zu bringen, alles dichtzumachen für ein paar Wochen. Ein älterer Kollege hat zu mir gesagt: Manchmal braucht es drastische Mittel, um drastische Veränderung herbeizuführen.“

Der Arbeiter sprach jedoch die Sorge aus, trotz „vorsichtiger Worte“ in die „falsche Ecke gestellt“ zu werden, wenn man Israels Krieg thematisiere oder gar als Völkermord bezeichne. Sobald man Streikmaßnahmen gegen den Krieg in Erwägung ziehe – Thyssen-Krupp produziert u.a. militärische U-Boote – sei man mit Einschüchterungen seitens der Betriebsräte konfrontiert. Er warf die Frage auf, ob viele Arbeiter „zu satt“ oder „zu alt“ seien, um einen solchen Kampf zu führen.

Eine weitere Teilnehmerin griff die Tatsache auf, dass in den Vereinigten Staaten 48.000 akademisch Beschäftigte für Streik gestimmt haben, um die Studierenden zu verteidigen und einen Kampf gegen die Biden-Regierung zu führen. Sie warf die Frage auf, mit welchen Mitteln sich Arbeiter gegen eine Bürokratie zur Wehr setzen können, die alles in ihrer Macht Stehende tue, um Opposition gegen den Krieg zu unterdrücken. Eine dritte Teilnehmerin äußerte Bedenken, dass ein offenes Eintreten für Sozialismus und den Aufbau der Vierten Internationale geeignet sei, Arbeiter abzuschrecken.

Diese Bemerkungen und Fragen wurden von mehreren SGP-Mitgliedern und anderen Teilnehmern kritisch aufgegriffen und beantwortet. Gregor Kahl verurteilte die Rolle des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und hob die Perspektive der SGP hervor, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Diese seien gegen die Gewerkschaftsbürokratie gerichtet und zielten in der Tradition der revolutionären Arbeiterräte darauf ab, Arbeiter über nationale und formale Grenzen hinweg zu vereinen:

Der DGB hat nicht nur nichts getan, um dem Genozid in Gaza entgegenzutreten, sondern hat sich mit Israel und der deutschen Kriegspolitik solidarisch erklärt und geht aktiv gegen Kriegsgegner vor. Gaza-Demonstranten wurden gewaltsam von den Maidemonstrationen ausgeschlossen. Die IG Metall, der größte Gewerkschaftsapparat der Welt, hat gemeinsam mit der Rüstungslobby ein Statement veröffentlicht, das eine Stärkung der deutschen Waffenindustrie fordert. Sie unterstützen damit den Kahlschlag in der Industrie, der gerade darauf abzielt, die ganze Produktion auf Krieg auszurichten.

Elisabeth Zimmermann-Modler, die seit 50 Jahren der trotzkistischen Bewegung angehört, wies die Auffassung zurück, dass der Kampf gegen Krieg und Kapitalismus eine Generationenfrage sei und hob unter Bezugnahme auf den spanischen Bürgerkrieg die Notwendigkeit einer marxistischen Führung hervor. Auch im Kampf der Arbeiterklasse gegen Hitler und später gegen die Wiedereinführung des Kapitalismus in der DDR sei die Frage der politischen Perspektive entscheidend gewesen.

Peter Schwarz, der internationale Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und langjährige Herausgeber der deutschsprachigen World Socialist Web Site, stellte die grundlegend veränderte Rolle der Gewerkschaften in den Kontext der kapitalistischen Globalisierung:

Die Produktion hat sich enorm entwickelt, sie hat globale Formen angenommen. Die Technologie hat sich enorm entwickelt, aber unter kapitalistischen Bedingungen führt es zu wachsender Konkurrenz, zur Konzentration der gesamten Produktion in den Händen weniger Finanzkonzerne. Der Nationalstaat ist völlig in Widerspruch geraten zum globalen Charakter der Produktion. Das Privateigentum ist nicht vereinbar mit dem heutigen Charakter der Produktivkräfte. In Deutschland gibt es nach neuesten Zahlen 226 Milliardäre, die über mehr Geld verfügen als als die untere Hälfte der Gesellschaft zusammengenommen. Das lässt sich nicht mehr mit Demokratie und gesellschaftlichem Fortschritt vereinbaren.

Arbeiter seien damit konfrontiert, dass sämtliche bürgerlichen Parteien diese Verhältnisse uneingeschränkt verteidigen und bei der Entwicklung ihrer Kriegspolitik direkt mit faschistischen Kräften zusammenarbeiten. „Arbeiter sind bereit, für ihre Interessen und die Interessen ihrer Klasse einzutreten, sobald sie einen Weg sehen, wie sie diesen Kampf führen können.“ Er fuhr fort:

Wir sind eine Partei, die eine neue sozialistische revolutionäre Führung in der internationalen Arbeiterklasse aufbaut. Das Gründungsprogramm unserer Partei, das Übergangsprogramm der Vierten Internationale von 1938, beginnt mit den Worten: „Die politische Weltlage als Ganzes ist vor allem durch eine historische Krise der proletarischen Führung gekennzeichnet.“ Die Arbeiterklasse braucht eine revolutionäre Partei, die das Programm verfolgt, die kapitalistische Ordnung zu stürzen und durch eine sozialistische zu ersetzen.

Unter Verweis auf die Lehren aus der Oktoberrevolution, aber auch aus jüngeren revolutionären Ereignissen wie den Erhebungen in Ägypten 2011, schlussfolgerte Schwarz: „Man kann eine solche Partei nicht aus dem Boden stampfen. Man muss jetzt beginnen, sie aufzubauen. Die Stärke unserer Partei besteht darin, dass wir uns auf eine Erfahrung und historische Tradition von 100 Jahren stützen können.“

Christoph Vandreier unterstrich diese Schlussfolgerung und fasste die Diskussion zusammen:

Der Kern unserer Diskussion ist, dass es nicht einfach um eine falsche Politik und eine rücksichtslose Regierung geht – oder darum, dass Israel von rechtsradikalen Politikern regiert wird. Es geht um die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus, des Imperialismus, der wieder zu Weltkrieg und Völkermord führt. In Gaza sehen wir am deutlichsten, zu welcher Grausamkeit die herrschende Klasse wieder bereit ist.


Aber das heißt, dass dieser Krieg nur durch eine internationale Bewegung gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus gestoppt werden kann. Marx schrieb, der Kapitalismus schaffe sich seinen eigenen Totengräber – die Arbeiterklasse. Wir gründen unsere Politik auf den Klassenkampf. Wir verstehen, dass der Sozialismus nicht einfach eine schöne Idee ist, sondern dass er sich aus den Widersprüchen des Kapitalismus selbst ergibt. 


Das geschieht nicht automatisch, sondern im Klassenkampf, der bewusst gemacht werden muss und eine revolutionäre sozialistische Führung braucht. Dann kann das Potenzial der Arbeiterklasse entfaltet und der Kapitalismus gestürzt werden, die Banken und Konzerne unter demokratische Kontrolle gestellt werden.


Wenn man versteht, dass die gleichen Prozesse, die den Krieg hervorrufen, auch den Klassenkampf befeuern, dann ergibt sich eine ganz andere Perspektive – eine, mit der man kämpfen kann und die von einem revolutionären Optimismus geprägt ist. Wir unterstützen jede Demonstration und jeden Streik gegen Krieg und Völkermord. Aber wir kämpfen darin für eine tragbare und realistische – also sozialistische – Perspektive. Wir haben heute einen wichtigen politischen Schritt gemacht. Aber es ist notwendig, sich mit unserem Programm auseinanderzusetzen und die Sozialistische Gleichheitspartei aufzubauen.

Die nächste Wahlsendung der SGP „Wie der Ukrainekrieg gestoppt und ein Atomkrieg verhindert werden kann“ wird am kommenden Sonntag, den 19. Mai um 20 Uhr auf YouTube veröffentlicht. Registriert euch hier und diskutiert darüber mit uns am kommenden Donnerstag, den 23. Mai um 19 Uhr!

Loading