Der französische Zughersteller Alstom hat am 8. Mai auf seiner Bilanzpressekonferenz keine klare Aussage zu seinen ostdeutschen Werken in Hennigsdorf, Bautzen und Görlitz getroffen.
Seit Jahren stimmt die IG Metall Arbeitsplatzabbau und Lohnkürzungen zu. Sie organisierte selbst Rationalisierungsprogramme mit der Begründung nur so könnten diese – und andere – Werke im internen internationalen Konkurrenzkampf „wettbewerbsfähig“ werden. Nun stehen unmittelbar 3700 Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Werken vor dem Verlust ihrer Lebensgrundlage.
Alstom-Konzernchef Henri Poupart-Lafarge verweigerte gestern eine klare Auskunft und machte nur Andeutungen. Die Situation sei „objektiv komplex“, erklärte er im Gespräch mit Journalisten. „Es gibt Überkapazitäten an unseren Standorten, die mit den früheren Marktverlusten von Bombardier in Deutschland zusammenhängen“, sagte er.
Insgesamt arbeiten 9.600 Menschen an 13 Standorten in Deutschland. Das Handelsblatt zitierte den Alstom-Regionaldirektor, der gesagt haben soll, dass die Auslastung der deutschen Standorte nicht zur Konzernstrategie gehöre. Aufträge gingen ins polnische Breslau und Kattowitz. Was dort nicht geschafft wird oder nachgebessert werden muss, bekäme dann Bautzen oder Görlitz.
Die ostdeutschen Alstom-Werke gehörten bis Ende 2020 zu Bombardier. Nachdem 2017 die Fusion zwischen Siemens und Bombardier am Einspruch der europäischen Kartellbehörden gescheitert war, übernahm Alstom die Bombardier-Eisenbahn-Sparte Anfang 2021. Damals galten die beiden Unternehmen weltweit als die Nummern 2 und 3 der globalen Eisenbahnbau-Unternehmen. Nur der chinesische Zugkonzern CRRC setzte mit dem Bau von Schienenfahrzeugen mehr um.
Die Übernahme Bombardiers durch Alstom Anfang 2021 war ein Höhepunkt des Konzentrationsprozesses im Eisenbahnbau um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt und war mit einem brutalen Rationalisierungsprogramm verbunden, um die Profite zu steigern. Heute arbeitet der Konzern in 100 Ländern weltweit mit rund 80.000 Beschäftigten.
Vor drei Jahren eröffnete Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge den Aktionären die Aussicht auf einen „zweistelligen Anstieg des Gewinns pro Aktie“ infolge „gesteigerter Effizienz und des gestärkten operativen Profils“. Ab dem vierten Jahr nach der Übernahme seien „Kostensynergien in Höhe von 400 Millionen Euro pro Jahr“ zu erwarten.
Diese „Kostensynergien“ dh. Zusammenlegung und/oder Schließung von Geschäftsteilen findet auf dem Rücken der Beschäftigten statt und wird von der IG Metall organisiert.
Schon vor 2021 waren bei den größten Bombardier-Betrieben in Hennigsdorf bei Berlin, Görlitz und Bautzen immer wieder Stellen abgebaut, bzw. Stammarbeiter durch Leiharbeiter ersetzt und Arbeitsprozesse in Niedriglohnländer wie Polen oder in die Tschechische Republik verlagert worden. 2017 demonstrierten tausende Bombardier-Arbeiter in Hennigsdorf zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze. Aber die IG Metall stimmte dem Abbau von 2200 Arbeitsplätzen an den deutschen Standorten zu.
In Görlitz ging die IG Metall so weit, der stückweisen Vernichtung von mehr als der Hälfte der Arbeitsplätze auf heute knapp 700 Stellen zuzustimmen. Sie nutzte die Ankündigung der deutschen Bombardier-Konzernleitung eine Summe von 8 Millionen Euro in den Betrieb zu investieren, um den Arbeitsplatzabbau zu rechtfertigen. Doch diese Ankündigung war nie ernst gemeint und am Ende floss nur eine Million.
Bei Alstom machte die IG Metall 2021 dort weiter, wo sie zuvor bei Bombardier aufgehört haben: Mit dem kontinuierlichen Abbau von Arbeitsplätzen und Lohnkürzungen im Gegenzug für wertlose Versprechen über den Erhalt der Standorte. Keine dieser Vereinbarungen war das Papier wert, auf dem sie geschrieben worden waren.
Im Dezember 2021 kündigte Alstom in Deutschland ein Kürzungsprogramm vor, das den Abbau von bis zu 1.300 Stellen beinhaltete. Angeblich hätte in den Standorten Hennigsdorf mit Hennigsdorf Drives, Görlitz, Bautzen, Siegen und Kassel „eine strukturelle und langfristige Unterauslastung“ bestanden, schreibt die IG Metall. Die Gewerkschaft und der von ihr geführte Gesamtbetriebsrat engagierten daraufhin Unternehmensberater, um ein eigenes Konzept für die vom Konzern „avisierte Einsparsumme durch Produktivitätssteigerungen realisieren“ zu lassen und die Verlagerung von Arbeiten in ausländische Alstom-Werke zu verhindern. „Unter dem Motto ‚besser statt billiger‘ legten sie ein Konzept vor, das die Standorte für die Zukunft wettbewerbsfähig macht, anstelle sie fantasielos kaputtzusparen“, schreibt die IG Metall zum Hintergrund der jetzigen Situation.
Die Bereitschaft der Gewerkschaft Zugeständnisse an die Konzernleitung zu machen, ist grenzenlos. In der IGM-Stellungsnahme heißt es: „Für den Fall, dass die Produktivitätsziele nicht erreicht würden, sollte die entstehende Lücke mit objektiv zu messenden und gemeinsam zu kontrollierenden Beiträgen der Beschäftigten ausgeglichen werden.“
Mit diesem Konzept war der so genannte Zukunftstarifvertrag Anfang April 2023 über eine Laufzeit von drei Jahren geschlossen worden, der zynischerweise den Beisatz „Weichen für mehr Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland gestellt“ im Titel trug.
Konkret beliefen sich die „Beiträge der Belegschaft“ in den betroffenen Werken auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr. Dabei handelte es sich im Großen und Ganzen um tarifliche Sonderzahlungen, vor allem das Urlaubsgeld. Bei Erreichen erfolgsabhängiger Kennzahlen werden die Lohneinbußen im Folgejahr zurückgezahlt, hieß es. Alstom gab an, dafür jährlich zwei Prozent des Umsatzes in Deutschland in die deutschen Standorte zu investieren, angeblich um deren Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Mit dem Ende der Null-Zins-Politik war es nicht länger möglich die Schulden einfach durch billige Kredite zu finanzieren. Im Herbst 2023 kündigte Alstom an, erneut 1500 Arbeitsplätze weltweit zu streichen und Vermögenswerte zu veräußern. In dieser Woche hat der Alstom-Vorstand auch eine Kapitalerhöhung von insgesamt 1,75 Milliarden angekündigt.
Die IG Metall beschwert sich und betont, sie habe sich in jeder Hinsicht an die Abmachungen des „Zukunftsvertrags“ gehalten und tarifliche Leistungen der rund 10.000 Beschäftigten an den Konzern gegeben. Aber der Konzern habe sich nicht – zumindest nicht an die von Gewerkschaft und Betriebsrat propagierten – Vereinbarungen gehalten. So sei der Investitionsbedarf in Hennigsdorf von elf auf rund 3,5 Millionen Euro reduziert worden, wovon laut IG Metall aber bislang nur 600.000 Euro freigegeben wurden. Das Vorgehen von Alstom soll es zudem unmöglich machen, die Produktionsziele zu erreichen, damit die eingesparten Sonderzahlungen zurückgezahlt werden.
Auch die im Zukunftsvertrag festgehaltenen Beschäftigungszahlen für die einzelnen Standorte würden nicht eingehalten, lamentieren IG Metall und Betriebsrat. In Görlitz sollen 64, in Bautzen 42 und in Siegen 26 Beschäftigte weniger arbeiten als vereinbart. Auch die Tarifbindung der nicht tarifgebundenen Standorte im Konzern sei seit einem halben Jahr überfällig.
Bis zuletzt bettelten die IG Metall-Funktionäre und der Gesamtbetriebsrat um die Einhaltung der Vereinbarung. Sie riefen die Einigungsstelle an, doch das Alstom-Management verweigerte jedes Entgegenkommen.
Im Gegenteil kündigte es im Februar dieses Jahres ein weiteres Streichprogramm von bis zu 290 Stellen in Deutschland an. Im März, noch vor der zweiten Abgabe ihres Urlaubsgeldes, haben sich dann in einer Urabstimmung 88,1 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in den betroffenen Werken für eine Kündigung des „Zukunftstarifvertrags“ ausgesprochen.
IG Metall und Gesamtbetriebsrat flehten das Management von Alstom bis zuletzt an, einzulenken und die vereinbarten Maßnahmen umzusetzen. Doch der Konzern dachte gar nicht daran, so dass der Vertrag laut IG Metall Oranienburg und Potsdam in der vergangenen Woche gekündigt wurde.
Die IG Metall und ihre Betriebsräte waren zu keinem Zeitpunkt bereit, einen ernsthaften Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen, und sind es auch jetzt nicht. Ihnen ging es immer nur darum, die Einsparungen mit „fantasievollen“ Kürzungsvorschlägen und nebulösen Versprechungen durchzusetzen und sich so als unersetzliche Co-Manager zu profilieren. „Ohne Zukunftstarifvertrag hat Görlitz keine Perspektive“, sagte René Straube, Betriebsratschef im Werk Görlitz und Gesamtbetriebsratsvorsitzender dem Tagesspiegel.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter bei Alstom – nicht nur in den betroffenen Werken – müssen Bilanz ziehen und bewusst mit den Gewerkschaften brechen. Es muss Schluss sein, mit den endlosen Zugeständnissen in Form von Arbeitsplatzabbau, Lohneinbußen und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Namen der „Wettbewerbsfähigkeit“ um die nationalen und internationalen Standorte gegeneinander ausspielen.
Ein gemeinsamer Kampf mit den Kolleginnen und Kollegen in Frankreich, den USA, Polen, Tschechien und vielen anderen Ländern für die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze ist nur gegen die IGM-Apparate möglich, nicht mit ihnen. Die Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert daher den Aufbau von gewerkschaftsunabhängigen Aktionskomitees, in denen kampfbereite Kolleginnen und Kollegen sich internationale vernetzen und gemeinsam die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze – als ihrer Lebensgrundlage – organisieren.
Die WSWS unterstützt den Aufbau von gewerkschaftunabhängigen Aktionskomitees und hilft dabei, die Verbindung zu den Arbeitern an anderen Standorten und in anderen Ländern herzustellen.
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