Erdoğans AKP unterliegt bei türkischen Kommunalwahlen der CHP

Bei den landesweiten Kommunalwahlen am Sonntag erlitt Präsident Recep Tayyip Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) eine schwere Niederlage, während die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) erstmals seit 1977 stärkste Kraft wurde. Zum ersten Mal seit 2002 belegte die AKP bei Wahlen nicht den ersten Platz. Bei über 61 Millionen Wahlberechtigten sank die Wahlbeteiligung von 87 Prozent bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im letzten Jahr auf heute 78 Prozent.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Sarajevo (Bosnien) am 6. September 2022 (AP Photo/Armin Durgut) [AP Photo/Armin Durgut]

Die Kommunalwahlen stellten einen drastischen Umschwung gegenüber den Wahlen vom letzten Jahr dar, bei denen Erdoğan und die AKP noch gewonnen hatten. Dieses Jahr erhielt die CHP nach den vorläufigen Ergebnissen 37,7 Prozent der Stimmen, die AKP nur 35,5 Prozent. Die CHP, die bei den Wahlen von 2023 nur 25 Prozent der Stimmen erzielt hatte, konnten damit ihr Ergebnis um fast 50 Prozent steigern.

Die CHP setzte sich in den drei größten Städten der Türkei, in Istanbul, Ankara und Izmir, mit großem Vorsprung durch. (In Istanbul regiert der CHP-Bürgermeister Ekrem İmamoğlu.) Auch in großen Industriestädten wie Bursa und Manisa konnte die CHP gewinnen.

Die Wahlen waren von der schweren Inflation und der Krise der Lebenshaltungskosten überschattet, die die Arbeiter in der Türkei schwer trifft. Die offizielle Jahresinflationsrate liegt bei 67 Prozent, während die Reallöhne einbrechen und große Teile der Arbeiterklasse, einschließlich der Rentner, völlig verarmen. Während des Wahlkampfs äußerte sich die wachsende Unzufriedenheit der Arbeiterklasse in einer Reihe spontaner Streiks, u.a. in der Metallbranche, in den Werften und in der Textilindustrie.

Mehr als ein Jahr nach den Erdbeben vom 6. Februar 2023, bei denen in der Türkei offiziell 53.000 Menschen ums Leben kamen, leben Hunderttausende noch immer in Zelten und Containern. Nichts ist zum Schutz der Millionen Menschen, die in stark erdbebengefährdeten Gebieten im ganzen Land leben, unternommen worden.

Bei den Wahlen im Mai 2023 konnte Erdoğan trotz der massiven Wut über die Inflation, die Erdbeben und die katastrophale Reaktion der AKP auf die Corona-Pandemie noch einen knappen Sieg erzielen. Damals erklärte die World Socialist Web Site, dass sein Sieg hauptsächlich auf den rechten Wahlkampf des CHP-Kandidaten Kemal Kılıçdaroğlu zurückzuführen sei. Kılıçdaroğlu hatte gegen Zuwanderer gehetzt und Unterstützung für den Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine versprochen, während Erdoğan verlogene Kritik an der Nato übte und den Arbeitern, den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und den Rentnern Versprechungen machte.

Doch im diesjährigen Wahlkampf verzichtete Erdoğan nicht nur auf soziale Versprechen an die Arbeiter, sondern stand angesichts des Nato-Kriegs gegen Russland und des anhaltenden Völkermords in Gaza auch als pro-imperialistischer Politiker entlarvt vor aller Augen.

Nach Beginn des israelischen Völkermords in Gaza im Oktober 2023 hatte Erdoğan wiederholt den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu verurteilt und Unterstützung für die Hamas geäußert. Allerdings lieferte er Israel weiterhin Öl und anderes wichtiges Kriegsmaterial für seinen Krieg gegen die Palästinenser und behielt die bilateralen Beziehungen zur Netanjahu-Regierung bei, trotz der Proteste gegen den Gaza-Krieg in der Türkei und der überwältigenden pro-palästinensischen Stimmung.

Bei den jüngsten Wahlkampfveranstaltung der AKP, an denen Erdoğan teilnahm, griff die Polizei pro-palästinensische Demonstranten brutal an, entriss ihnen die Transparente, die die Forderung nach einer Einstellung der Handelsbeziehungen zu Israel enthielten, und verhaftete sie.

Unter Bedingungen, in denen die Masse der Arbeiter keine linke oder revolutionäre Alternative zu Erdoğan sah, war die CHP der unverdiente Nutznießer der Opposition gegen die Regierung. Sie führte keinen Wahlkampf über die sozialen Missstände unter Arbeitern oder zum Völkermord in Gaza, sondern konzentrierte sich auf lokale Themen in den einzelnen Städten und versuchte, mit ihrer eigenen Unterstützung für den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens und für Erdoğans enge Beziehungen zu Israel hinterm Berg zu halten.

Der CHP-Parteivorsitzende Özgür Özel, der im November bei einem Parteitag zum Nachfolger Kılıçdaroğlus ernannt worden war, erklärte: „Die CHP hat jetzt die unsichtbare 25-Prozent-Grenze über ihrem Kopf durchbrochen, sie hat sie zerstört. ... Die CHP ist jetzt die Partei aller Demokraten, der Sozialdemokraten, aber auch der nationalistischen Demokraten, der konservativen Demokraten und der kurdischen Demokraten, die zusammen und zu gleicher Zeit abstimmen können.“

Dieses Jahr war die islamistische Neue Wohlfahrtspartei (YRP) die einzige, die aktiv den Versuch unternahm, von der wachsenden sozialen Unzufriedenheit und der Wut über den Völkermord in Gaza zu profitieren.

Die YRP forderte im Wahlkampf eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Beschränkung der Handelsbeziehungen zu Israel. Auf dieser Grundlage konnte sie ihr Ergebnis von 2,8 auf 6,2 Prozent mehr als verdoppeln und plötzlich zur drittgrößten Partei aufsteigen.

Der YRP-Vorsitzende Fatih Erbakan, Sohn des verstorbenen, früheren Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan, lobte seinen eigenen Wahlkampf und erklärte: „Die Schulden-Zinsen-Preisanstiegs-Steuerwirtschaft, die die Regierung jahrelang stur betrieben hat, und die daraus resultierende Armut und Wirtschaftskrise hat eine Rolle bei diesem Ergebnis gespielt.“

Er fügte hinzu: „Die Schande und die Schmach, dass weiterhin Handel mit Israel und den zionistischen Mördern getrieben wird, haben eine wichtige Rolle bei diesem Ergebnis gespielt. Die Zustimmung zum Nato-Beitritt von Schweden... spielte eine Rolle bei diesem Ergebnis.“

Dass die Arbeiterpartei der Türkei (TİP), die in einem Wahlbündnis mit der CHP antrat, und andere pseudolinke Gruppen, die eigene Kandidaten aufstellten, zu diesen entscheidenden Fragen fast vollständig geschwiegen haben, zeugt von ihrem politischen Bankrott.

Erdoğan wiederum versprach, die sozialen Angriffe auf die Arbeiterklasse fortzusetzen, die von den Banken und den großen türkischen Konzernen gefordert werden. Er erklärte: „Wir werden in der zweiten Jahreshälfte die positiven Ergebnisse unseres Wirtschaftsprogramms spüren, vor allem auf die Inflation.“

Nach den Wahlen vom Mai 2023 ernannte die AKP-Regierung Mehmet Şimşek zum Finanzminister, der eine Politik hoher Zinssätze und Kürzung der Reallöhne verfolgt. Die Zentralbank erhöhte daraufhin die Zinssätze von 8,5 auf 50 Prozent, und die Reallöhne sanken weiter. Der Wechselkurs zum US-Dollar, der zum Zeitpunkt der Wahlen im Mai 2023 bei 19,5 türkischen Lira lag, stieg danach ebenfalls um fast 50 Prozent. Kurz vor den Wahlen, am 31. März 2024, kostete ein US-Dollar 32 Lira.

Laut dem regierungsnahen Gewerkschaftsbund Türk-İş stieg die Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie im März 2024 auf 54.700 Lira, wobei der Mindestlohn bei 17.000 Lira liegt und die Mindestrente nur bei 10.000 Lira. Anders als bei den Wahlen 2023 hat Erdoğan diesmal angekündigt, es werde keine weiteren Erhöhungen des Mindestlohns und der Renten geben, und erklärte unumwunden. „Es ist es kein Geld da.“

Die kurdisch nationalistische Partei für Emanzipation und Demokratie des Volkes (DEM), die letztes Jahr 8,8 Prozent bzw. 4,8 Millionen Stimmen erhielt, fiel am Sonntag auf 5,7 Prozent bzw. 2,6 Millionen. Allerdings wird sie mehrere Gebiete bald zurückgewinnen, in denen die Regierung nach den Kommunalwahlen von 2019 auf undemokratische Weise ihre Amtsträger abgesetzt und Treuhänder eingesetzt hatte.

Vor allem in westtürkischen Städten wie Istanbul wechselten kurdische Wähler zur CHP über. Die Kandidatin der DEM für Istanbul, Meral Danış Beştaş, erklärte: „Ekrem İmamoğlu sollte diese Stimmen nicht für sich beanspruchen. Es sind nicht seine Stimmen. Unsere Wähler haben für ihn gestimmt. Warum? Weil sie die AKP bestrafen wollen.“ Sie erhielt nur zwei Prozent der Stimmen.

Am Sonntag behauptete die DEM, die Erdoğan-Regierung sei verantwortlich für Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in den kurdischen Provinzen. Sie habe massenhaft Soldaten und Polizisten aus anderen Städten gebracht, um zu wählen und die Gesamtzahl der Stimmen in den kurdischen Provinzen zu beeinflussen.

Die rechtsextremen Parteien der Türkei haben nicht zugelegt. Die AKP-nahe Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) verblieb bei 4,9 Prozent der Stimmen, sodass der gemeinsame Anteil von AKP und MHP von 50 Prozent bei den letzten Kommunalwahlen 2019 auf 40,4 Prozent in diesem Jahr fiel. Die Gute Partei, die bei den Wahlen im letzten Jahr mit der CHP verbündet war, erlitt einen schweren Rückschlag und fiel von 9,7 Prozent der Stimmen im letzten Jahr auf 3,8 Prozent. Viele ihrer Wähler unterstützten stattdessen die CHP.

In den Städten, die von den Erdbeben am 6. Februar 2023 verwüstet wurden, brach der Stimmanteil der AKP ein. In Kahramanmaraş sank er von 67 Prozent im Jahr 2019 auf 42 Prozent bei diesen Wahlen. In Adıyaman verlor die AKP gegen die CHP und in Şanlıurfa gegen die YRP. In Hatay setzte sich die AKP nur durch, weil die CHP erneut Lülfü Savaş nominiert hatte, der in der Bevölkerung wegen seiner Verantwortung für die vielen Todesopfer des Erdbebens verhasst ist.

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