Israel will das palästinensische Flüchtlingshilfswerk zerstören und jüdische Siedlungen im Gazastreifen errichten

Der Internationale Gerichtshofe (IGH) hat Israel am vergangenen Freitag aufgefordert, „alle in seiner Macht stehende Maßnahmen“ zu ergreifen, um einen Völkermord an den Palästinensern zu verhindern. Israel reagiert jedoch darauf mit verstärkten Bemühungen, die Palästinenser auszuhungern und die Neubesiedlung des Gazastreifens mit jüdischen Siedlungen zu planen.

Am selben Tag, an dem die Eilentscheidung des IGH veröffentlicht wurden, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNRWA) mit, dass Israel dem Hilfswerk Informationen übermittelt habe, wonach 12 seiner Mitarbeitenden an dem von der Hamas geführten Überfall vom 7. Oktober 2023 teilgenommen und sich an Massakern beteiligt haben sollen.

UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini bei einem Treffen mit Geflüchteten im südlichen Gazastreifen am 22. November 2023, während seines zweiten Besuchs im Gazastreifen seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 2023 [Photo by Mohamed Hinnawi / CC BY-SA 4.0]

Einem Mitarbeiter wird vorgeworfen, eine Frau entführt zu haben, ein anderer soll Munition ausgegeben haben und ein dritter soll an dem Massaker in einem Kibbuz beteiligt gewesen sein, bei dem 97 Menschen starben. Sieben weitere sind beschuldigt, die Lehrkräfte an UNRWA-Schulen sind, zwei weitere Beschuldigte arbeiteten in anderen Funktionen an diesen Schulen.

Israel erklärte zunächst, dass die „Informationen“ über die 12 das Ergebnis von Verhören sind, d.h. sie sind durch Folter an gefangener „Militanten' gewonnen worden. Später änderte Israel die Erzählung und gab an, die Informationen durch die geheimdienstliche Überwachung von Handys erhalten zu haben.

Dieser Schritt ist ein sorgfältig geplanter Gegenschlag gegen den IGH.

Israel hat seine Informationen am vergangenen Sonntag dem UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini übergeben. Er flog zu Gesprächen mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres nach New York, informierte die Geber Mitte der Woche und gab seine Ankündigung am Freitag bekannt, als der IGH gerade sein Urteil verkündete.

Das UNRWA kündigte an, die betreffenden Mitarbeiter zu entlassen und sie einer strafrechtlichen Untersuchung zuzuführen. Neun von ihnen sind entlassen worden, zwei sind bereits tot.

In krassem Gegensatz zu den monatelangen höflichen Appellen an Israel, sich an das Völkerrecht zu halten, während 30.000 Palästinenser ermordet und der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt wurde, hat US-Außenminister Antony Blinken nun sofort die Mittel für das UNRWA ausgesetzt. Diesem Schritt folgten in rascher Folge das Vereinigte Königreich, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Rumänien, Finnland, Kanada, Australien und die Schweiz. Die Europäische Union forderte das UNRWA auf, alle seine Mitarbeiter zu überprüfen, um „zu bestätigen, dass sie nicht an den Angriffen beteiligt waren“.

Die Anschuldigungen und Versuche Israels, das UNRWA dauerhaft zu delegitimieren, sind seither eskaliert. Das Wall Street Journal und die Jerusalem Post berichteten, Israel habe amerikanischen Vertretern nachrichtendienstliche Schätzungen vorgelegt, wonach etwa 1.200 der 12.000 Mitarbeiter des UNRWA in Gaza (andere Schätzungen gehen von bis zu 30.000 Mitarbeitern aus) „Verbindungen zur Hamas oder zum Palästinensischen Islamischen Dschihad haben. Dies ist Grund genug, um die Aussetzung der Finanzierung für das UNRWA zu rechtfertigen. Und etwa die Hälfte hat zudem enge Verwandte, die zu den militanten islamistischen Gruppen gehören.“

Ein hochrangiger israelischer Regierungsvertreter kommentierte: „Das Problem des UNRWA sind nicht nur ‚ein paar faule Äpfel‘, die in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt waren... Die Institution als Ganzes ist ein Hort für die radikale Ideologie der Hamas.“

Dies ist die Antwort Israels und seiner Unterstützer auf die sinnlose Aufforderung des IGH, „sofortige und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die dringend benötigte Grundversorgung und humanitäre Hilfe zu ermöglichen“.

Das UNRWA wickelt den größten Teil der humanitären Hilfe für 2 Millionen Vertriebene im Gazastreifen ab. Dies ist Teil seiner Dienstleistungen für 6 Millionen Männer, Frauen und Kinder in 58 Flüchtlingslagern in Jordanien, Libanon, Syrien, dem Westjordanland, Ostjerusalem und Gaza.

Lazzarini plädierte: „Ich bin schockiert, dass solche Entscheidungen aufgrund des angeblichen Verhaltens einiger weniger Personen getroffen werden, während der Krieg weitergeht, die Not immer größer wird und eine Hungersnot droht.“

In einer Erklärung der USA heißt es: „Das UNRWA spielt eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung lebensrettender Hilfe für die Palästinenser, einschließlich lebenswichtiger Nahrungsmittel, Medikamente, Unterkünfte und anderer lebenswichtiger humanitärer Unterstützung“, und: „Ihre Arbeit hat Leben gerettet.“ Dies bestätigt nur, dass die imperialistischen Mächte mit Israel zusammenarbeiten, um die Palästinenser auszuhungern, weitere Tausende zu töten und sie ins Exil zu zwingen.

Die Zerstörung des UNRWA ist ein erklärtes Ziel Israels und genoss bereits die volle Unterstützung der Trump-Regierung. Jetzt hat Biden diese Politik übernommen. Während des Gaza-Konflikts wurden Hunderte von Angriffen auf UNRWA-Einrichtungen verübt. Dabei wurden mehr als 150 UNRWA-Mitarbeiter getötet und Hunderte von Zivilisten verloren ihr Leben in den Einrichtungen des Hilfswerks, wo sie Zuflucht gesucht hatten.

Im Dezember wurde ein als Verschlusssache eingestufter Bericht des israelischen Außenministeriums der Öffentlichkeit bekannt, in dem der Plan dargelegt wird, das UNRWA in drei Schritten aus dem Gazastreifen zu entfernen. Das Vorhaben beginnt mit der Behauptung einer angeblichen Zusammenarbeit von UNRWA-Mitarbeitern mit der Hamas, gefolgt von einer Reduzierung der UNRWA-Dienste im Gazastreifen und der Übertragung ihrer Aufgaben an die nach Kriegsende im Gazastreifen verbliebene Behörde, so dass Israel die Versorgung der Palästinenser mit allen lebenswichtigen Gütern im Keim ersticken kann.

Die israelischen Regierungsvertreter konnten ihre Freude über die Entwicklung nicht verbergen. Außenminister Israel Katz, der zuvor erklärt hatte, er wolle unter anderem „eine Politik fördern, die sicherstellt, dass die UNRWA kein Teil des ‚Tages danach‘ sein wird“, schrieb auf Twitter/X: „Wir warnen seit Jahren: Das UNRWA hält das Flüchtlingsproblem aufrecht, behindert den Frieden und dient als ziviler Arm der Hamas in Gaza.“

Wenn das UNRWA jedoch nicht länger „das Flüchtlingsproblems aufrechthält“, so bedeutet dies, dass das Hilfswerk Israel nicht länger davon abhalten kann, die Flüchtlinge zu töten.

Die zweite Phase der israelischen Strategie besteht darin, die ausgehungerten und bombardierten Palästinenser aus dem Gazastreifen zu vertreiben. Diese Pläne wurden am Sonntag auf einer „Victory of Israel Conference“ der Faschisten diskutiert, die den Untertitel „Settlement Brings Security“ (Siedlungen schaffen Sicherheit) trug.

Die von der Siedleraktivistengruppe Nachala organisierte Veranstaltung präsentierte Karten von sechs geplanten jüdischen Siedlungen im Gazastreifen, darunter auch tief in (den Überresten von) Gaza-Stadt und Chan Yunis.

Die Vorsitzende Daniella Weiss erklärte: „Millionen von Kriegsflüchtlinge ziehen von Land zu Land auf der ganzen Welt“ und fragte rhetorisch: „Nur die Monster, die Gaza hervorgebracht hat... nur sie sollen mit dem Land verbunden bleiben? Nur sie können nicht aus einem Land weggehen, das sie zur Hölle gemacht haben und aus dem heraus sie drohen, Israel zu zerstören?“

Und weiter: „Nur das israelische Volk wird den gesamten Gazastreifen besiedeln und beherrschen.“

Reporter beschrieben eine „karnevalsähnliche Atmosphäre'“ in der viele der rund 1.000 Teilnehmer, von denen einige offen sichtbar bewaffnet waren, buchstäblich vor Freude tanzten. Gleichzeitig sprachen Redner wie Uzi Sharbag, der ehemalige Anführer der rechtsextremen Terrorgruppe Jüdischer Untergrund zur Versammlung.

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Unter den Teilnehmenden waren 11 Kabinettsmitglieder, darunter fünf Mitglieder der Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu, drei Mitglieder der Otzma Jehudit („Jüdische Stärke“), zwei Mitglieder der Tkuma („Wiedergeburt“/ Religiöse Zionisten) und ein Mitglied des Vereinigten Tora-Judentums. Fünfzehn weitere Nicht-Kabinettsmitglieder des israelischen Parlaments nahmen ebenfalls teil.

Sechs von ihnen sowie Finanzminister Bezalel Smotrich und der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, unterzeichneten eine Vereinbarung über den Sieg und die Erneuerung der Siedlungen, in der sie sich verpflichten, „jüdische Siedlungen voller Leben“ im Gazastreifen zu errichten.

Smotrich sagte auf der Konferenz: „Ohne Siedlung gibt es keine Sicherheit. Und ohne Sicherheit an Israels Grenzen gibt es keine Sicherheit in irgendeinem Teil Israels... So Gott will, werden wir gemeinsam siegreich sein.“

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, rechts, spricht mit Finanzminister Bezalel Smotrich während der wöchentlichen Kabinettssitzung im Verteidigungsministerium in Tel Aviv, 7. Januar 2024 [AP Photo/Ronen Zvulun]

Ben Gvir prangerte die Aufgabe der israelischen Siedlungen im Gazastreifen im Jahr 2005 als „Fehler“ an. Dies sei Teil der „Sünde des Konzepts, das uns den 7. Oktober beschert hat“. Er forderte eine Rückkehr „nach Gush Katif [eine geräumte israelische Siedlung im Gazastreifen]“. Er machte zudem deutlich, dass der Völkermord im Gazastreifen nur die erste Etappe eines Vernichtungskrieges gegen die Palästinenser überall sei, und verwies auch auf „Samaria“ - den Namen, den die israelische Rechte für das Westjordanland verwendet.

Der faschistische Minister forderte eine „moralische und logische Lösung für das humanitäre Problem [der noch in Gaza lebenden Palästinenser]: Auswanderung fördern und die Legalisierung der Todesstrafe [für Terrorverurteilte].“

Kommunikationsminister Shlomo Karhi vom Likud von Premierminister Benjamin Netanjahu argumentierte ähnlich: „Wir haben die Pflicht zu handeln, um unseretwillen und auch um der angeblich unbeteiligten Zivilisten willen, um [die] freiwillige Auswanderung - auch wenn dieser Krieg, der uns aufgezwungen wurde, diese freiwillige Auswanderung in eine Situation verwandelt, in der es heißt: Bedrängt ihn, bis er sagt: ‚Ich will das tun‘.“

In einem impliziten Appell an Netanjahu erklärte Ben Gvir in seiner Rede, es sei „die Aufgabe einer mutigen Führung, mutige Entscheidungen zu treffen“.

Netanjahu nahm nicht an der Konferenz teil, deutete aber sein Einverständnis an, ohne es offen auszusprechen, und sagte, seine Minister hätten „ein Recht auf ihre Meinung“.

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